Ohne spirituelle Grundlage sind Entwicklungsziele nicht erreichbarVon Werner Gebert - Impuls beim Ökumenischen Ratschlag am 30. April 2016 im Haus am Dom, Frankfurt Liebe Ratsversammlung, "Ohne spirituelle Grundlage sind Entwicklungsziele nicht erreichbar" - eine kühne These fürwahr! Man kann sie nicht beweisen, aber vielleicht doch einigermaßen plausibel machen. Im Folgenden will ich mich auf diese These beschränken, d.h. ich werde aus dem weiten Feld der Spiritualität viele Beete nicht beharken, darunter spirituelle Übungen wie z.B. Meditation, Beten, Singen, Fasten, Füße waschen, Buße tun. Ich werde auch die großen Persönlichkeiten, die mit ihrer Spiritualität die Politik beeinflusst haben, wie etwa Gandhi, Albert Schweitzer, Martin Luther King oder Nelson Mandela nicht behandeln und auch nicht die Autoren, die in letzter Zeit theologische Reflexionen über Spiritualität geliefert haben wie etwa Geiko Müller-Fahrenholz, Bärbel Wartenberg-Potter, Jürgen Moltmann, Navid Kermani und Papst Franziskus. Doch zunächst ein paar Stichwörter zu meiner Person: Ev. Theologe, Reli-Lehrer, Rauswurf aus dem Schuldienst 1975 per Radikalenerlass, 3 Jahre arbeitslos, Rauswurf aus dem Kirchendienst 1978, 2 Jahre in Italien als Dokumentalist, 23 Jahre im kirchlichen Entwicklungsdienst tätig, als Rentner seit 2003 für Ökumene-Gruppen tätig vor allem für das PLÄDOYER für eine ökumenische Zukunft und für PRO ÖKUMENE-Initiative in Württemberg. 1. Zum Begriff SpiritualitätFulbert Steffensky, den ich als ökumenischen Theologen sehr schätze, hat im Dezember 2014 in Publik-Forum aller Welt mitgeteilt, er könne das Wort Spiritualität nicht mehr hören. Zitat: "Weil es ein Wort ist, von dem ich nicht weiß, was sich dahinter versteckt und welche Interessen damit verbunden sind. Das Wort treibt seinen Schabernack mit uns." Steffenskys Widerwille gründet wohl darin, dass im Wort Spiritualität kaum mehr eine Beziehung zum Heiligen Geist der Bibel erkennbar ist, es dafür aber inhaltlich mit esoterischem, astrologischem und okkultem Geheimwissen aufgefüllt worden ist, aus dem eine große Zahl von Verlagen, Heilern, Lebensberatern und Herstellern von Räucherstäbchen, Amuletten, Voodoo-Puppen, Aroma-Duftkugeln, ätherischen Ölen, Duftlampen, Hexenutensilien usw. Gewinn ziehen. Wer das Wort Spiritualität vermeiden will, spricht gern vom Kulturwandel. Ohne inhaltliche Füllung taugt dieser Begriff aber auch nicht viel. Bevor man sich über die Naivität vieler Esoteriker lustig macht, ist es angebracht zu fragen, was die Sehnsucht nach spirituellen Erfahrungen in ihren hunderten von Spielarten ausgelöst hat. Es liegt wohl einerseits darin, dass die großen religiösen Glaubensgebäude immer mehr Menschen keine Heimat mehr bieten, keinen Schutzmantel, in dem man sich wohlfühlen und sicher sein kann. Das sakramentale Gehäuse ist zur Ruine geworden. Zum andern haben sich gewisse Hoffnungen aus der Aufklärung in Luft aufgelöst. Eine Kultur der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist beim Heraustreten aus selbstverschuldeter Unmündigkeit nur in Ansätzen entstanden. Zum Dritten ist der Glaube an die Naturwissenschaft als Problemlöserin zerbröselt. Die multiplen Krisen verschärfen sich; insbesondere scheint die Erderwärmung nicht allein mit technischen Mitteln zurückzudrängen zu sein. Man kann wohl von einem längerfristigen Paradigmenwechsel sprechen. Der Fortschrittsglaube hat sich weitgehend aufgelöst. Stattdessen herrschen Zukunftsängste apokalyptischen Ausmaßes. Das kapitalistische Mantra "Immer mehr !", also mehr Wachstum, höhere Renditen, klingt hohl; es reißt hierzulande so gut wie niemand mehr vom Hocker, sondern wirkt bedrohlich. Viele Menschen ziehen sich ins Private zurück und pflegen da ihr individuelles Wohlergehen. Viele versprechen sich von einer esoterischen Spiritualität einen Sinn im Leben. Sie setzen auf innere Werte und entdecken für sich die Wahrheiten, die in alten Mythen verborgen sind. Das ist eine Spielart von Spiritualität, die sehr häufig die Mitwelt ihrem Schicksal überlässt und eben keine Verantwortung für das Gemeinwesen und das Gemeinwohl übernimmt. Wir müssen also unterscheiden zwischen einer individualistischen, meist esoterisch geprägten Spiritualität und einer gemeinschaftsbezogenen, also politischen Spiritualität. Sie muss sich mit dem, was die Gemeinschaft zusammenhält, also auch mit Grundwerten und Leitbildern auseinander setzen. Ein wesentliches Merkmal der politischen Spiritualität ist die Übernahme von Verantwortung. Damit hat sie eine starke ethische Komponente. Sie bleibt nicht im Beobachten und Analysieren stecken; sie wird praktisch im Einsatz vor allem für die Benachteiligten in der Gesellschaft. In neueren Papieren und Erklärungen aus der Ökumene wird diese gemeinschaftsbezogene Spiritualität "transformative Spiritualität" genannt. Dazu später ein ausführlicheres Zitat. Die beiden Arten von Spiritualität stehen sich nicht unversöhnlich gegenüber. Individualistische Wohlfühl-Spiritualität schließt gemeinorientierten Handeln nicht prinzipiell aus und politische Spiritualität trägt sicher auch zum Reifen einer Persönlichkeit bei, die sich aufgehoben weiß in einem universellen Lebensgesetz. 2. Die spirituelle Grundlage des konziliaren ProzessesDieser Bund gegenseitiger Verpflichtung von Kirchen, sich für Gerechtigkeit, Frieden und die Integrität der Schöpfung einzusetzen, hat eine im christlichen Glauben gegründete Spiritualität als Grundlage. Der Geist des Konziliaren Prozesses ist dem brutalen Geist des Kapitalismus, der das Gewinnstreben preist und natur- und menschenzerstörend ist, unversöhnlich entgegengesetzt. Ich will ihn hier kurz skizzieren, auch um den Unterschied zu einer nicht religiös begründeten Spiritualität sichtbar zu machen. Es gibt eine Reihe von biblischen Aussagen, die die Spiritualität des Konziliaren Prozesses theologisch untermauern. Der Heilige Geist wird im Johannesevangelium beschrieben als die Kraft, die uns beisteht, uns tröstet, für uns spricht, uns inspiriert, und erleuchtet und uns erinnert an das Gute, das uns Gott geschenkt hat. (Joh 14,26) Wichtig für die christliche Spiritualität sind m.E. auch die Aussagen im Römerbrief über das Reich Gottes, z.B.: "Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist." (Rm 14,17, was m.E. etwas ergänzungsbedürftig ist durch Schönheit, Kunst, Musik, Erotik, Humor, Gewaltfreiheit…). Man kann auch ausgehen von der Gottebenbildlichkeit des Menschen, von der Berufung des Menschen zum Partner und Mitschöpfer Gottes, von der Heiligkeit des Lebens, von der Verpflichtung nicht nur den Nächsten sondern auch den Feind zu lieben, oder auch von einigen so genannten Grundüberzeugungen, wie sie bei der Ökumenischen Weltversammlung 1990 in Seoul formuliert wurden, etwa "Gott steht auf der Seite der Armen.", "Alle Rassen und Völker sind gleichwertig" , "Gott liebt die Schöpfung" oder "Die Erde gehört Gott". Meiner Meinung nach begründen bereits die 10 Gebote die biblische Spiritualität. Da heißt es z. B., dass nur der Gott, der aus der Sklaverei befreit, verehrt werden soll. Und man soll den Sabbat einhalten, also Mensch, Tier und Natur Ruhepausen gönnen. Man soll für die sorgen, die selbst nicht mehr für sich sorgen können. Und man soll die Gemeinschaft nicht kaputt machen durch Morden, Fremdgehen, Stehlen und Verleumden. Und, sehr wichtig, man soll der Gier keinen Raum geben. Die 10 Gebote sind nicht nur Leitplanken für ein ethisches gemeinnütziges Verhalten. Sie erheben einen religiösen Anspruch. So will Gott die Dinge geregelt wissen, so will er oder sie die Welt haben. Wer sich darauf einlässt, kann sich geborgen wissen und lebt in Übereinstimmung mit Gottes Geist und seiner Weltordnung, die von der Liebe geprägt ist. In einem der Grundsatzdokumente der ÖRK-Vollversammlung von Busan, der so genannten Missionserklärung, heißt es: "Die Liebe, die die Personen der heiligen Dreieinigkeit zusammenhält, durchströmt die ganze Menschheit und Schöpfung. … Diese Spiritualität verleiht unserem Leben eine tiefe Bedeutung und treibt uns zum Handeln an. Sie ist eine heilige Gabe des Schöpfers, die Energie, die uns Kraft gibt, für das Leben einzutreten und es zu schützen." Es ist eine Spiritualität, die eine dynamische Transformationskraft in sich hat; sie wird als transformative Spiritualität wirksam. Diese Transformationskraft richtet sich in erster Linie auf die Heilung und Erneuerung der Schöpfung. Wer sich mit christlicher Spiritualität befasst, muss auch die christliche Mystik zumindest erwähnen. Mystik ist eine Praxis, die auf eine Einswerdung ( unio mystica ) mit Gott zielt, sie ist ein "Gottspüren" oder in einem weiteren Sinn "ein Bewusstsein der unmittelbaren Gegenwart Gottes" (Bernard McGinn). Diese Art von Mystik kommt sogar noch im Pietismus vor, z.B. im Lied von Gerhard Tersteegen "Gott ist gegenwärtig…". Im 5. Vers wird Gott mit der Luft und dem Meer verglichen, ja vielleicht sogar gleichgesetzt: "Luft, die alles füllet, drin wir immer schweben, aller Dinge Grund und Leben. Meer ohn Grund und Ende, Wunder aller Wunder: ich senk mich in dich hinunter. Ich in dir, du in mir, lass mich ganz verschwinden, dich nur sehn und finden." - In intellektuell ausgeprägteren Formen der Mystik, wie etwa bei Meister Eckhart, geht es auch um Gotteserkenntnis, also nicht nur um das Gott-Spüren. 3. Definitionen von SpiritualitätBevor ich mich nun mit nicht-jüdisch-christlichen Formen von Spiritualität befasse, möchte ich einige Definitionen von Spiritualität einschieben.
Damit sind wir schon bei den nichtchristlichen Formen von Spiritualität. Wenn ich diese im Folgenden darstelle, dann nicht deshalb, weil ich der Meinung wäre, sie stünden im Gegensatz zur christlich geprägten Spiritualität. Das ist nicht der Fall. Sie ergänzen sich sehr gut und haben eine überraschend große gemeinsame Schnittmenge. Das ist wichtig zu wissen, wenn man als christliche Organisation mit säkularen Gruppierungen zusammenarbeiten will. 4. Die Gaia-HypotheseGaia - das ist die Große Mutter der griechischen Mythologie, die Mutter Erde. Die in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts von James Lovelock und Lynn Margulis entwickelte Gaia-Hypothese besagt, dass die Erde und ihre Biosphäre wie ein Lebewesen betrachtet werden kann. Sie ist eine riesige Gemeinschaft des Lebens. Dieser Großorganismus hat die Fähigkeit zur Selbstorganisation, insbesondere zur Selbstregulierung: Er schafft neues Leben in immer komplexeren Formen, er gleicht Ungleichgewichte aus und stabilisiert so das Gesamtsystem. Leonardo Boff hat in seinem Buch "Die Erde ist uns anvertraut" das Ökosystem mit folgenden Worten beschrieben: "Alles ist aufeinander bezogen und rückbezogen, bildet Netze und Netze von Netzen, die zusammen das große System des Kosmos, der Erde und des Lebens ergeben." S. 114f.) - Für viele Menschen sind diese regulatorischen und Vernetzungs-Fähigkeiten ein klarer Hinweis auf eine ordnende Intelligenz, die unserer menschlichen Vernunft bei weitem überlegen ist. (Die Naturwissenschaftler, vor allem die Evolutionsforscher und Mikrobiologen, reden definitionsgemäß nicht von einem schöpferischen Geist.) Die Details dieser Hypothese und ihre Probleme lasse ich hier beiseite. Ich begnüge mich mit der Feststellung, dass diese Gaia-Hypothese von Umweltschützern gern aufgegriffen und ausgeweitet wurde. Sie hat die Stellung des Menschen gegenüber der Natur verändert. Der Mensch ist ein Kind der Mutter Erde, er ist ein Erdling. Er bildet nicht ein Gegenüber zur Erde, vielmehr bildet er mit ihr eine Einheit. Er ist eingefügt in eine große Gemeinschaft anderer Lebewesen. Er verfehlt seine Bestimmung, wenn er sich zum ausbeuterischen Beherrscher der Erde aufschwingt. So zerstört er das Geflecht des Lebens; er schändet seine Mutter. Und er wirkt mit an seiner eigenen Auslöschung, 5. Ken Wilber: Nur Spiritualität kann die Selbstzerstörung aufhaltenKen Wilber, geb. 1949, hat Biochemie studiert und gilt als Evolutions-Theoretiker. Er ist ein wortgewaltiger US-amerikanischer Universalgelehrter, der alles systematisiert, was ihm an realen naturwissenschaftlich erfassbaren Erscheinungen und Bewusstseinsentwicklungen in die Finger kommt. Er teilt die Welt in zahlreiche Ebenen, Linien, Drehpunkte, Holons, Holarchien und Quadranten sein. Er ist aber nicht nur Naturwissenschaftler und Psychologe, er versteht sich als Philosoph, spezialisiert auf Spiritualität und Mystik. Das westliche durch die Aufklärung geprägte Daseinsverständnis erscheint ihm als geistiges Flachland; er setzt auf die spirituellen Impulse aus buddhistischen, hinduistischen und taoistischen, vor allem mystischen Traditionen. Er vertritt die These, dass der Westen aus seinem Selbstzerstörungsprojekt nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden einschließlich Ökologie und Effizienzprogrammen herauskommen wird, sondern nur mit Hilfe einer erneuerten Spiritualität, die im göttlichen Urgrund wurzelt. Eines seiner zahlreichen Bücher trägt den Titel "Integrale Spiritualität" und den Untertitel "Spirituelle Intelligenz rettet die Welt". Zur Überwindung der westlichen Fehlentwicklungen, darunter auch der Kapitalismus, ist eine große geistige Leistung nötig, ein Umdenken, ein Sinneswandel, eine spirituelle Erneuerung, eine Umkehr. Ich habe mich vor allem mit seinem Buch "Eine kurze Geschichte des Kosmos" beschäftigt und finde es faszinierend und wegweisend. Er sieht, so ähnlich wie Hegel, bei dem der Weltgeist in aufeinander folgenden höheren Stufen von Gesellschaftssystemen sich selbst entfaltet, im gesamten Kosmos eine Selbstentfaltung des göttlichen GEISTes, der nach dem Urknall in subatomarer Materie, dann in den Atomen, den Molekülen, der Zellbildung, den Organen und Organismen und schließlich der Menschwerdung bis hin zur Noosphäre, also den geistigen Fähigkeiten, sich immer höher entwickelt, wobei kein Ende für die Höherentwicklung in Sicht ist. Dabei wird die einfache Stufe jeweils in die höhere Stufe integriert, wird Teil eines neuen Ganzen. Diese Höherentwicklung vollzieht sich nicht nach einem Zufallsprinzip, auch nicht durch eine Riesenmenge von Mutationen, sondern in Quantensprüngen. Wilber nennt diese schöpferische und wunderbare Entwicklung "GEIST-in-Aktion". Deutlich wird sein Anliegen in seiner Quadrantenlehre, die ich hier nicht auffächern kann. Grob gesagt unterscheidet er unterschiedliche Typen von Wahrheiten, Wahrheiten im Äußeres und Inneren. Äußeres ist alles, was sich naturwissenschaftlich erfassen und abbilden lässt; es sind die objektiven Wahrheiten, die in der sog. Es-Sprache formuliert werden. Die inneren Wahrheiten haben mit subjektiven Bewusstseinzuständen und mit ethischen Werten wie Wahrhaftigkeit, gegenseitigem Verständnis, Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Gerechtigkeit zu tun. Sie werden in der Ich- und Wir-Sprache ausgedrückt. Wilber sagt, in diesen inneren Bereichen lasse sich der GEIST aufspüren, und zwar der "GEIST in uns, in uns allen". Der äußere Typ von Wahrheit, der naturwissenschaftliche und systemische, hat seine Berechtigung, lässt er ja auch etwas von der Kraft des GEISTes aufleuchten, doch hat er auch eine negative Funktion, weil er die Wahrheiten des inneren Typs - Bewusstsein, Sinn, Ethik, Werte, Geist, Kultur, Güte, Schönheit, Würde, Religion - ignoriert. Die Welt wird eindimensional, verflacht, wird zum Flachland. Eine mechanistische Weltsicht bestimmt das Wirklichkeitsverständnis. Der Mensch wird reduziert auf ein Objekt wissenschaftlicher Untersuchung. Dagegen geht Ken Wilber von "der alles durchdringenden Gegenwart des GEISTES" aus (S. 410); er nennt sie auch die vertikale Dimension, die dem Dasein Tiefe verleiht. Die großen Menschheitsprobleme können nur gelöst werden, wenn die auseinandergerissenen Großen Drei: das Gute, das Wahre und das Schöne oder auch die Ethik, die Natur und das Bewusstsein oder auch die Kultur, die Wissenschaft, der Geist wieder integriert werden. Das geht nur, wenn man den Alleinvertretungsanspruch des eindimensionalen Flachlands (der Naturwissenschaft) zurückweist und die anderen Dimensionen der gesamten Menschheitsentwicklung als Selbstentfaltung des Geistes wahrnimmt und einbezieht. Von daher greift K. Wilber gewisse Gaia-Hypothesen an. Wenn sie nicht den göttlichen Ursprung allen Seins und seine GEISTdurchwirktheit in allen Stufen der Evolution mit einbeziehen, wenn sie nur die Verflochtenheit und den Netzwerkcharakter der Natur hervorheben, bleiben sie dem Flachlanddenken verhaftet und können nichts zur Transformation des Menschen beitragen, ja, es könnte sein, dass die Evolution den Menschen als Fehlkonstruktion und Schädling aussortiert. Wenn ich K. Wilber recht verstehe, so meint er, dass sich - um die Begriffe seiner Quadrantenlehre zu verwenden, im Es nichts zum Guten ändern kann, wenn sich beim Ich und Wir nichts ändert. 6. Die Spiritualität indigener KulturenVon den über 1000 indigenen Völkern mit ca. 350 Millionen Menschen will ich hier nur ein Volk herausgreifen, die Aymara, die zum großen Teil in Bolivien und Peru leben. Ihre Sprache ist als Amtssprache in diesen beiden Ländern anerkannt. Das heißt auch: Sie leben nicht mehr nur in mythischer Vorzeit; sie bestimmen das heutige politische Leben mit. Auf ihre Initiativen hin sind in den Verfassungen von Bolivien und Ekuador die "Rechte der Natur" aufgenommen worden. Im Artikel 71 der Verfassung von Ekuador heißt es. "Die Natur oder Pachamama…hat das Recht, dass ihr Dasein, ihre Erhaltung und die Regeneration ihrer Lebenszyklen, Strukturen, Funktionen und Entwicklungsprozesse umfassend respektiert werden." Leonardo Boff meint, dass solche außergewöhnlichen politischen Forderungen sich klar auf das Naturverständnis der Aymaras zurückführen lassen, bei dem es um ein Leben in Gemeinschaft mit dem Universum und der Natur und deren wohl austarierten Gleichgewichten geht. Eine andere Wurzel ist Verständnis der Aymaras vom "buen vivir", im Aymarischen "sumak kawsay", was am besten mit "erfülltes Leben" übersetzt werden kann. Gutes, erfülltes Leben ist bestimmt von einer Ethik der Genügsamkeit. Der Mensch ist Teil einer großen Gemeinschaft, die außer ihm auch die Luft, das Wasser, die Böden, die Berge, die Bäume, die Tiere, Sonne, Mond und Sterne umfasst. Zitat (L. Boff, S. 68 in: Überlebenswichtig): "Es geht darum, einen Weg des Gleichgewichts zu finden und in tiefer Verbundenheit mit der Pacha (der universalen Energie), die sich in der Pachamama (Erde) bündelt, mit den Energien des Universums und mit Gott zu leben." Das erfüllte Leben hat also eine den Alltag bestimmende spirituelle Komponente, die sich aus dem Gefühl speist, Teil eines großen Ganzen zu sein. Dieses Gefühl hat auch eine soziale Dimension, denn die Benachteiligten und Leidenden sind ebenfalls ein wertvoller Teil des großen Ganzen. 7. Die Spiritualität der Tiefenökologie von Joanna MacyIhre Weltsicht deckt sich weitgehend mit der von Ken Wilber, wobei die östlichen Weisheitslehren die gemeinsame Grundlage bilden. Joanna Macy predigt eine ganzheitliche nicht-dualistischen Spiritualität, die die Trennlinien zwischen dem individuellen Selbst und der Umwelt aufbricht. Diese Art von Spiritualität beschränkt sich nicht auf innere Versenkung, sie bewirkt vielmehr, dass Meditation und soziale oder ökologische Aktion eins werden. Zitat: "Diese Ansätze sind ein wesentlicher Zweig im Buddhismus, waren schon immer im islamischen Sufismus vorhanden und tauchen unter dem Begriff der Schöpfungsspiritualität nun auch verstärkt im Christentum auf. Immer mehr Menschen beginnen sich zudem für die erdverbundenen Weisheiten indigener Völker zu interessieren, weibliche Spiritualität entdeckt in den Traditionen uralter Mutter-Göttinnen fast verlorene ganzheitliche Konzepte. All diese Sichtweisen betonen die lebendige Heiligkeit der Welt. Der Weg geistiger Suche wird hier nicht länger als eine Flucht aus der schlechten Welt in irgendeinen paradiesischen Himmel angesehen. Vielmehr wird hier die Welt selbst zum Kloster, die Welt selbst als Arena einer geistigen Transformation verstanden, die Welt selbst zum geistigen Lehrer oder gar zum heiligen Ort." (Aus: Joanna Macy. Die Welt als Geliebte. Geseko von Lüpke im Gespräch mit Joanna Macy. ) Ich muss zum Schluss kommen. Also kann ich hier nicht weitere spirituelle Lehren darstellen. Viel wichtiger dürfte die Frage sein, wie ich selbst ein spiritueller Mensch werden kann. Da ich selbst so gut wie keine spirituelle Praxis habe - ich bin zuallererst ein Verstandesmensch, der eben eingesehen hat, dass es einer spirituellen Transformation bedarf - verweise ich hier auf den Gemeinwohl-Ökonomen Christian Felber. Der hat bei Publik-Forum ein leicht lesbares Büchlein veröffentlicht mit dem Titel "Die innere Stimme. Wie Spiritualität, Freiheit und Gemeinwohl zusammenhängen" Zu seinen Lehrern zählt er Fritjof Capra, Ken Wilber, Buddhismus, Hinduismus und indigene Völker; seine Religion ist die Tiefenökologie. (S.27). Er nennt das Büchlein sein "spirituelles Outing". Er charakterisiert sich in großer persönlicher Offenheit mit den Worten: "Meine Motivation speist sich aus Werten wie Empathie, Zärtlichkeit, Verbundenheit und Liebe." Schon als Kind hatte er magische Erlebnisse: eine tiefe Verbundenheit mit der Natur. Daraus erwuchsen ihm heilige Werte. Zitat: "Wenn alles mit allem zusammenhängt dann ergeben Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Konkurrenz schlagartig keinen Sinn mehr." (S.16) "Die Anbetung des Geldes, des Mammons als Kompass führt in geistiges Ödland, in die spirituelle Wüste." (S 20f.) Spirituelle Menschen hingegen "setzen spontan und natürlich auf Kooperation, Gewaltfreiheit und Ökumene." (S.24). Felber hat keine Scheu, von Gott zu reden. "Für mich ist Gott/Göttin dasselbe wie die Quelle, die kreative Kraft und Intelligenz, das Licht, die universale Energie, der große Geist oder das Mysterium." (S. 28) In dem Abschnitt "Herz-Gehorsam" fragt er: "Wie erfahre ich mich als Teil des größeren Ganzen? … Ich habe einen Weg gefunden. Dieser führt über mein Herz. … Das Herz hat Zugang zur unendlichen Weisheit des Kosmos, es ist die Schnittstelle zum Universum. Das Herz ist die Botschaft Gottes. … Das "Organ" des Herzens ist die innere Stimme. Diese ist leise bis lautlos. …Ich muss aufmerksam werden, still und achtsam. (S. 48f). Er schreibt weiter: "Das Horchen auf das eigene Herz wurde zum Leitmotiv meines Lebens. Das ist nicht immer einfach… Viele Menschen berichten mir, dass sie beim ersten Versuch gar nichts hören. … Die Schubumkehr vom Außengehorsam zum Herzgehorsam (…) kommt einer kopernikanischen Wende im Leben eines Menschen gleich.. Nicht mehr wir kreisen wie willenlose Satelliten um den externen, unsichtbaren "Gott", sondern das Universum tanzt und dreht sich um die Botschaft Gottes in uns." (S.55). "Ich lasse mich durchströmen vom Atem und vom Licht der Quelle." (S.66). Nachdem er uns seine Art von Meditation dargelegt hat, kommt er auf den Zusammenhang von politischem Engagement und Spiritualität zu sprechen, ein Thema, das in der Ökumene oft unter den Stichworten "Kampf und Kontemplation" oder auch "Beten und Tun des Gerechten" verhandelt wurde. Er schreibt, und damit will ich schließen: "…Menschen, die ‚sich gefunden haben’, im Frieden mit sich selbst und in sich ruhend, und die gleichzeitig mit allen anderen Menschen, Tieren, Pflanzen und dem All verbunden sind, sorgen sich aus innerem Antrieb für das eigene und das gemeinsame Wohl. Sie sind zugleich Bindemittel und Stützen der Gesellschaft. … Die Welt wird tendenziell friedlicher, nachhaltiger, kooperativer und menschlicher, je mehr Menschen sich dieses Lebensziel setzen…" (S. 67) Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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