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EU/USA: Noch ist Zeit

Die Europäer können durch eine Korrektur ihrer Russlandpolitik verhindern, von der künftigen US-Regierung abgehängt zu werden. Sie sollten einmal über sich hinauswachsen

Von Lutz Herden

Das kann die EU gar nicht falsch verstehen, das sollte sie als Affront deuten, als Zeichen dafür, von Donald Trump nicht übermäßig ernst genommen und gleich einmal richtig vorgeführt zu werden. Der designierte amerikanische Präsident empfängt als ersten europäischen Politiker mit dem Briten Nigel Farage den Ex-Chef der UK Independence Party (UKIP), von der die EU nicht unbedingt mit ungebremster Sympathie beschenkt wird.

Der Vorgang konterkariert das allseits artikulierte Unvermögen, jetzt noch nichts Verbindliches über Ziele und Begehrlichkeiten der kommenden US-Administration sagen zu können. Man müsse erst das Personal kennen, das sich ab Januar um Außen- und Sicherheitspolitik kümmern werde, so die Floskel. Doch werden davon bestenfalls Nuancen wie Umgangsformen, Rhetorik und Prioritäten beeinflusst. Im Kern lässt sich absehen, was bis 2021 Donald Trumps Maximen sein werden, will er keine allzu großen Abstriche an seinen Wahlversprechen riskieren.

Am Haushaltszügel

Absehbar muss die nationalkonservative, restaurative Wende die eigene Wähler- und Anhängerschaft bei Laune halten. Es ist zudem dringend Abhilfe geboten gegen die soziale Segregation der US-Gesellschaft, die einen hyperkritischen Wert erreicht zu haben scheint. Das heißt, der von den Republikanern verteufelte Staat wird als Moderator und Investor vor enorme Herausforderungen gestellt.

Wer sonst sollte das übernehmen? Freilich legen Budget und Verschuldung dem Zügel an, der mit ihnen zu zügellos verfährt. Mit anderen Worten, Trump wird sich auf keine überbordende äußeren Belastungen einlassen können. Schon unter Obama war absehbar, dass sich die USA mit ihren Staatsschulden eine interventionistische Außenpolitik alten Stils kaum mehr leisten können - auch wenn Vizepräsident Mike Pence den Eindruck erweckt, bald sei wieder das Gegenteil der Fall.

Trump kann international nur das wollen, was ihm zuhause weder Instabilität beschert noch den angesagten Kurbetrieb für die abgehängten weißen Arbeiterschichten und verunsicherten Mittelschichten unterläuft. Als da wären - ein dosierter, wenn nicht gar weitreichender Protektionismus, eine den fossilen Energien gewogene Klimapolitik, keine (!) neoliberale Sozialpolitik - dazu ein Interessenabgleich mit Großmächten wie China, vor allem jedoch Russland, auf das die Amerikaner dort treffen, wo bisher ihre sensiblen Interessenspähren lagen: In Europa und im Nahen Osten.

Höchst lächerlich

Für die EU kann das nur bedeuten, darauf achten zu müssen, weder abgehängt noch überrollt zu werden, wenn passiert, was sich abzeichnet. Sie sollte schon jetzt, bevor Trump seinen ersten Gipfel mit Wladimir Putin zelebriert, auf ein Prinzip zurückkommen, zu dem man sich ohne viel Selbstentsagung bekennen kann: Sicherheit in Europa wie dessen Souveränität sind besser mit als gegen Russland zu haben. Folglich sollten unverzüglich die Weichen für eine Wiederannäherung an Moskau gestellt werden, bevor Donald Trump den imperialen Ausgleich sucht und bekommen wird.

Dies kann erreicht werden, indem man Russland auf Augenhöhe gegenübertritt und nicht als zivilisatorischen Paria abqualifiziert. Was inzwischen mehr als lächerlich wirkt, wenn man sich das türkische Regime als Allianzpartner in der NATO leistet.

Die Sanktionen endlich aufzuheben, erscheint schon deshalb ratsam, weil sie bisher nicht im Mindesten dazu angetan waren, als repressiver Wagenheber von Ukraine-Diplomatie brauchbar zu sein. Zugleich sollte man sich auf einen neutralen Status der Ukraine verständigen und alle NATO-Aufnahmeoptionen aufgeben. Mit anderen Worten, die EU-Außenpolitik oder was davon an Resten möglich ist, sollte Trump als Mahnung und Chance begreifen, nicht abgehängt zu werden.

Im Augenblick kann noch eine freie Entscheidung sein, was später zur erzwungenen Überwindung wird. Lieber die USA mit eigener Entschlusskraft konfrontieren, als von ihnen vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Wer das ignoriert, schadet der Staatenunion.

Totgeburt EU-Armee

Eine revidierte Russlandpolitik wird die EU mehr stärken als die gerade - zum wievielten Mal? - beschworene europäische Armee, bei der als ausgemacht gilt, dass eine Mehrheit der Staaten Osteuropas die transatlantischen nicht gegen europäische Bande tauschen will.

Es wäre im Übrigen auch ohne den anstehenden US-Präsidenten eine unumstößlich Tatsache, dass die gesamte globale Architektur zunehmender Diffusion verfällt, die Karten der Geopolitik neu gezeichnet werden. Wie kann man in solcher Lage derart verstiegen sein, sich in der internationalen Komfortzone zu wähnen und dem Irrglauben anzuhängen, sich ein konfrontatives Verhältnis mit Russland leisten zu können?

Ob Donald Trump nun ein beschränktes Weltbild hat oder nicht, es hat zumindest gereicht, dies besser zu verstehen als mancher Europäer mit seinem ideologisierten Politikverständnis, das sich auf einen Wertekanon rausredet, der regelmäßig vergessen wird, wenn wertfreie Interessen im Spiel sind - wie gegenüber der Türkei, Saudi-Arabien und den Golfemiraten, Ägypten und so weiter.

Schwester Ratched

Sicher, vor allem für die deutsche Regierung oder die französische wäre Hillary Clinton besser gewesen als Trump, auch besser als Obama. Von einer solchen Präsidentin konnte man annehmen, dass sie darauf bedacht gewesen wäre, möglichst schnell aus dem Schatten des in den vergangenen Monaten außenpolitisch eher introvertiert wirkenden Barack Obama zu treten.

Die Kandidatin hatte im Wahlkampf mehrfach für Flugverbotszonen über Syrien plädiert, was unweigerlich zum Konflikt mit der Assad-Armee und dem russischen Syrien-Korps geführt hätte. Clinton verstand es, als Außenministerin der ersten Obama-Administration 2011 die Intervention gegen Muammar al-Gaddafi in Libyen voranzutreiben. Man sah sie jüngst in einer Arte-Dokumentation in ein entzücktes Lachen ausbrechen, als die Nachricht eintraf, dass Gaddafi gefangen und von einem Mob gelyncht wurde.

Da erinnerte sie lebhaft an die skrupellose Oberschwester Ratched aus Miloš Formans Spielfilm Einer flog über das Kuckucksnest von 1975, die notfalls über Leichen geht, um sich durchzusetzen. Beim "Unternehmen Libyen", das einen weiteren Failed State hinterließ, hatte es ab Frühjahr 2011 eine von NATO-Kräften durchgesetzte Flugverbotszone gegeben, gegen die Gaddafi nichts ausrichten konnte, weil er keine Verbündeten hatte - bei Baschar al-Assad ist das anders. Trump dürfte das nicht entgangen sein.

Quelle: der FREITAG vom 14.11.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

15. November 2016

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