Alle sind schuld am afghanischen Opiumanbau - nur der Westen nichtVon Emran Feroz Es gibt manche Schlagzeilen, die jedes Jahr, nicht selten um dieselbe Zeit, immer wieder auftauchen. Eine davon ist jene um den rekordverdächtigen Opiumanbau in Afghanistan. Seit fünfzehn Jahren wird das Thema jährlich aufgerollt. Die neuesten UN-Zahlen werden genannt und die bösen Buben - in diesem Fall wie gewohnt die Taliban - für das Dilemma verantwortlich gemacht. Wer das Geschehen etwas tiefgehender analysiert, wird allerdings feststellen, dass die Verantwortlichen auch im Westen sitzen. Afghanistan hat ein Drogenproblem. Am Hindukusch wird sowohl angebaut, exportiert und konsumiert. Symbolisch hierfür sind nicht nur die Bilder von Mohnfeldern, sondern auch städtische Szenen. Das Kabuler Stadtbild ist, zumindest in einigen Gegenden, weiterhin geprägt von Junkies. Für die Behörden stellen diese ein Problem dar. Immer wieder wird versucht, die meist jungen Männer von öffentlichen Plätzen zu verbannen. Doch einfach in Luft auflösen können sich die Drogenabhängigen nicht. Stattdessen hat sich ihre Anzahl in den letzten Jahren dramatisch vervielfacht. Schätzungen zufolge konsumieren über 4,5 Millionen Afghanen - sowohl in den städtischen als auch in den ländlichen Gebieten - Drogen. Hunderttausende von ihnen sind süchtig. Parallel zu der Anzahl der Abhängigen stieg seit 2002 auch der Opiumanbau im Land permanent an. Kurz vor dem Einmarsch der NATO, sprich, während des Höhepunkts der Taliban-Herrschaft, stammten rund fünf bis zehn Prozent des weltweiten Schlafmohns aus Afghanistan - mittlerweile sind es mehr als neunzig Prozent. Jährlich werden neue Rekordernten erwartet, wie auch die UN-Berichte der vergangenen Jahre deutlich machen. Verantwortlich für die Misere werden oftmals nur die Afghanen gemacht. Dabei wird außen vor gelassen, dass westliche Akteure beim Anstieg der afghanischen Drogenproduktion eine maßgebliche Rolle spielen. Afghanistan war einst bekannt als Land der Granatäpfel, Melonen und Trauben. Auch andere Waren wie Lapislazuli, der berühmte, blau glänzende Stein, gehörten zu den wichtigsten Ausfuhrgütern. Diese einstigen Exportschlager sind allerdings Relikte einer vergangenen Zeit. Gegenwärtig weiß man vor allem, dass der "schwarze Afghane" aus Afghanistan stammt und dass das Land der größte Produzent und Exporteur von Opium ist. Geheimkrieg der CIA spielte maßgebliche RolleObwohl der Drogenanbau in Afghanistan wohl noch nie so hoch war wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt, hat er eine lange Geschichte. Schon die süchtigen Mogul-Herrscher Indiens bezogen ihren Schlafmohn aus einigen Teilen des heutigen Afghanistans. Später, während der anglo-afghanischen Kriege, zeigten auch die Briten Interesse an der Droge. Dass die britische Krone schon damals viel vom Drogenhandel hielt, bewiesen unter anderem der Erste sowie der Zweite Opiumkrieg, der zwischen Großbritannien und dem Kaiserreich China ausgetragen wurde. Beide Male verließen die Chinesen das Schlachtfeld als Verlierer und wurden darauffolgend von den Briten gezwungen, den Opiumhandel zu dulden. Einen wahren Aufschwung erlebte der Opiumanbau am Hindukusch jedoch erst in den 1980er-Jahren, sprich, während des Stellvertreterkrieges zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten. Der geheime Krieg der CIA und deren Unterstützung für verschiedene Mudschaheddin-Gruppierungen förderten den Opiumanbau, der als Finanzierungsquelle für den bewaffneten Kampf betrachtet wurde, massiv. Selbiges gilt allerdings auch für die zahlreichen und verheerenden Bombardements der Roten Armee, die in vielen Landesteilen die sensible Ökologie vernichteten und den Bauern nur der Opiumanbau blieb, um zu überleben. Dies dürfte unter den späteren Bombardements der NATO nicht anders gewesen sein. Ihre kurzsichtige und zerstörerische Politik wollten die Kriegsarchitekten nicht einsehen. "Unser Hauptauftrag war, den Sowjets so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Wir hatten nicht wirklich die Ressourcen oder die Zeit für eine Untersuchung des Drogenhandels. Ich glaube nicht, dass wir uns dafür entschuldigen müssen. Jede Situation hat ihre Schattenseiten", meinte etwa Charles Cogan, der einst für die CIA-Operation in Afghanistan verantwortlich gewesen ist, in einem Interview im Jahr 1995. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges bildete sich Anfang der 1990er eine neue Regierung in Kabul, die hauptsächlich aus jenen Mudschaheddin-Kriegsfürsten bestand, die noch kurz zuvor von westlichen Staaten im Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt wurden. Da die einzelnen Warlords damit beschäftigt waren, sich gegenseitig zu bekriegen und ihre eigenen Territorien auszubauen, hielt die Regierung nicht lange. Im Laufe dieses Zeitraums wurden Städte wie Kabul nahezu vollständig zerstört, parallel dazu schoss der Schlafmohnanbau in die Höhe. Dies war alles andere als verwunderlich. Verbannung unter TalibanDie damaligen Akteure bereicherten sich nicht nur persönlich durch den Drogenanbau, sondern waren auf eine neue Geldquelle angewiesen. Da der Westen sich seit dem Sieg gegen die Sowjets stark zurückgezogen hatte, musste ein anderer Weg gefunden werden, um weiterhin Waffen zu beschaffen. Dies hatte zur Folge, dass allein im Jahr 1994 3.400 Tonnen Opium in Afghanistan produziert wurden. Im darauffolgenden Jahr waren es immer noch 2.300 Tonnen, was zum damaligen Zeitpunkt immer noch einen Großteil der weltweiten Produktion ausmachte. 1996 wurde die Warlord-Regierung aus Kabul verjagt. Mullah Mohammad Omar und seine Taliban-Kämpfer rissen die Macht an sich. Der Opiumanbau nahm allerdings, entgegen der vermeintlichen Glaubensgrundsätze der Taliban, vorerst kein Ende. Stattdessen war das Opiumgeld der Drogenbarone nun die größte Steuereinnahme der Taliban. Der Opiumanbau wurde, vorerst zumindest, nicht verboten, obwohl er den Regeln des Islams eindeutig widersprach. 1999 wurden über 4.000 Tonnen Opium in Afghanistan produziert. Erst nachdem die Staatskasse etwas gefüllt war und die Handelsrouten im Norden des Landes ebenfalls unter Taliban-Kontrolle standen, sagte man den Drogenbossen den Kampf an. Im Sommer 2000 ging daraus eine der erfolgreichsten Anti-Drogen-Kampagnen der Welt hervor. Mullah Omar, der damals unter anderem auch auf Drängen der UN handelte, erklärte den Anbau von Drogen offiziell als "unislamisch" und verbannte ihn. Das Verbot zeigte sich innerhalb kürzester Zeit als äußerst effektiv. Im Jahr 2001 erreichte der Opiumanbau in Afghanistan einen Tiefpunkt von rund 200 Tonnen. In manchen Gegenden, etwa der südöstlichen Provinz Helmand, die einst zu den ertragreichsten Provinzen des Landes gehörte, wurde sogar nichts mehr produziert. Nur auf 8.000 Hektar wurde Opium angebaut. Dank der NATO florierte der Anbau erneutAls ein Jahr später der Einmarsch der NATO begann, änderte sich dies abrupt. Die Taliban wurden gestürzt und plötzlich florierte der Opiumanbau am Hindukusch von neuem. Jahr für Jahr werden neue Rekordzahlen verzeichnet. Laut UN wuchs im Jahr 2016 die Fläche zum Anbau vom Schlafmohn um zehn Prozent auf 201.000 Hektar, was das dritthöchste Niveau seit mehr als zwanzig Jahren darstellt. Demnach stieg die Opiumproduktion um 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 4.800 Tonnen wurden 2016 produziert. 2015 waren es "nur" 3.300 Tonnen. Viele Beobachter machen hierfür den parallel stattfindenden Taliban-Vormarsch im Land verantwortlich. Die Wurzel des Problems wird dabei allerdings übergangen. Der US-Historiker Alfred McCoy, der thematisch wohl zu den weltweit besten Kennern gehört, analysiert treffenderweise, dass ein Großteil der Instabilität in Zentralasien das Erbe des verdeckten Afghanistankrieges der CIA in den 1980er-Jahren sei. Dass der Opiumanbau ab 2001 abermals in die Höhe schoss, ist nicht nur laut McCoy sondern auch laut anderer integrer Analysten ebenfalls die Schuld des Westens. Immerhin waren es die westlichen Streitkräfte, die sich im Kampf gegen die Taliban mit jenen Drogenfürsten verbündeten, die schon in den Neunzigern das Sagen hatten. McCoy kritisiert auch die westliche Afghanistan-Politik im Allgemeinen, indem er hervorhebt, dass in keinster Weise etwas getan wurde, um die heimische und völlig zerstörte Agrarwirtschaft zu stärken, was einfache Bauern in die Arme des Schlafmohns trieb. Gegenwärtig stammen mehr als neunzig Prozent des weltweiten Opiums aus Afghanistan. Bedeutende Produzenten befinden sich etwa in den südlichen Provinzen Kandahar und Helmand. Über die Jahre hinweg lag der Drogenanbau in Kandahar fest in der Hand des Karzai-Clans, aus dem auch der letzte Präsident des Landes, Hamid Karzai, stammt. Einer seiner Brüder, Ahmad Wali Karzai, der 2011 durch ein Attentat getötet wurde, war ein einflussreicher Drogenboss, den man laut "New York Times" unter anderem auch auf der Gehaltsliste des CIA wiederfinden konnte. Dass man die CIA oft mit Drogengeschäften assoziiert, ist übrigens kein Zufall. Der britische "Independent" stellte im Januar 2010 fest, dass der US-amerikanische Geheimdienst jene Flugzeuge, die hauptsächlich für die Entführung sogenannter Terrorverdächtiger benutzt wurden, auch für den Transport von Drogen verwendet hat. Im Wrack eines solchen Flugzeugs, welches 2004 in Nicaragua abgestürzt war, fand man eine Tonne Kokain. Auch die Briten sollen während ihrer Stationierung in Afghanistan Kontakte zu Drogenproduzenten und Schmugglern gepflegt haben. Ende 2011 meinte Yousef Ali-Waezi, ein Regierungsbeamter und Berater Karzais, dass britische Soldaten maßgeblich am afghanischen Drogenhandel beteiligt seien. Konkret hob Ali-Waezi hervor, dass die stationierten Briten in Helmand den dortigen Anbau nicht nur tolerierten, sondern auch förderten. Zum damaligen Zeitpunkt wurde allein in Helmand mehr Opium angebaut als in ganz Kolumbien, Marokko oder Burma. Mehr Terror, mehr DrogenDemnach stammt auch das meiste Heroin auf den Straßen Europas aus dieser Region. Schätzungen zufolge sterben jährlich 100.000 Menschen an aus Afghanistan stammenden Drogen. Das Ganze erscheint in einem besonders zynischen Licht, da Großbritanniens ehemaliger Premierminister Tony Blair einst behauptet hat, dass der Kampf gegen den Drogenanbau einer der Hauptgründe für die Intervention in Afghanistan gewesen sei. Überraschend wird der weiter betriebene Opiumanbau aufgrund der gegenwärtigen Verhältnisse vor Ort weiterhin nicht sein - auch wenn westliche Gazetten dies jährlich so darstellen. Da am Anbau jeder profitiert, sind nahezu alle wichtigen politischen Akteure in Afghanistan mehr oder weniger daran beteiligt. Zudem gewinnt man den Eindruck, dass auch westliche Akteure ein eher profitables Verhältnis zur Drogenproduktion pflegen. Vor allem das Verhältnis der Amerikaner zu den afghanischen Drogen ähnelt jenem in einigen südamerikanischen Staaten und macht deshalb vor allem eines deutlich: Sowohl der "Krieg gegen den Terror" als auch der "Krieg gegen die Drogen" haben weder Terror noch Drogen aus der Welt geschaffen. Stattdessen existiert beides heute mehr als zuvor. Quelle: NachDenkSeiten - 16.11.2016. 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