“Fluchtursachen bekämpfen”Von Paul Schobel - Rede bei der Abschlusskundgebung des Ostermarsches 2016 am 26. März auf dem Stuttgarter Schlossplatz Liebe Freundinnen und Freunde, Albert Einstein verstieg sich einmal zu dieser Bemerkung: "Der Mensch erfand die Atombombe. Aber keine Maus der Welt käme auf die Idee, eine Mausefalle zu konstruieren." Wir aber sitzen in der selbst konstruierten Falle: Seit Jahrtausenden führt die Menschheit Krieg gegen sich selbst. Unser Menschengeschlecht trägt das Nummernschild "Homo sapiens" vor sich her. Mit der "Weisheit" kann es nicht weit her sein. Man denke nur an den Urnengang vor zwei Wochen. Da ist der Intelligenzquotient unseres Volkes noch einmal um ein paar Punkte tiefer in den Keller gerauscht. Nun darf man gespannt sein, welcher Talentschuppen sich in Bälde da drüben im Landtag konstituieren wird. Aber dies nur nebenbei! Ich meine, wir tragen das Attribut "Homo sapiens" so lange zu Unrecht, wie die Ausgeburt der Dummheit die Welt regiert: der Krieg. Unfähig und Unwillens, Konflikte gewaltfrei zu lösen und endlich aus der Geschichte zu lernen, wäre der gegenwärtige Menschenschlag mit "Homo idioticus" treffender umschrieben. Das ist es, was uns Jahr für Jahr an Ostern auf die Straße treibt, diese Idiotie, der Wahnsinn des Krieges. Daher setzen wir auch heute wieder unverdrossen das Signal: Wir werden uns nie mit Krieg arrangieren. Wir werden keine Ruhe geben, bis dieses Gespenst endlich dorthin verschwindet, wo es hingehört: in die Rumpelkammer der Geschichte. Denn die sind es doch, die sinnlosen Kriege, die Millionen von Menschen in die Flucht treiben. Wer Fassbomben von der eigenen Regierung auf den Kopf bekommt, wer erleben muss, dass ganze Städte pulverisiert werden, wer sich religiös aufgeladenen Banditen und Halsabschneidern gegenüber sieht, dem bleibt nichts anderes, als den letzten Cent für einen Schleuser zusammenzukratzen und abzuhauen. (1) "Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten" (Jürgen Grässlin)Flucht-Ursachen bekämpfen bedeutet daher, den Krieg zu bekämpfen. Er ist ein Massenmörder, er zerstört die Lebensräume ganzer Völker und verwüstet die Seelen der Überlebenden und Hinterbliebenen. Krieg darf um Gottes und der Menschen willen nicht sein. Wenn das so ist, dann müssen wir schon den Handlangern des Krieges, den Waffenproduzenten und Waffenhändlern, das Handwerk legen. Wir wissen ja seit Langem: Rüstung tötet auch ohne Krieg. Gigantische Summen, mühsam aus Erträgen erwirtschaftet, werden in den Rüstungshaushalten verpulvert, in den Tod statt ins Leben investiert. Kostbare Ressourcen und das ganze Potenzial an Kreativität, Phantasie und technischem Können - missbraucht, um Leben zu vernichten statt Leben zu fördern. Und schon stoßen wir auf den "Meister aus Deutschland", den viertgrößten Waffenproduzenten auf diesem Globus. Es ist unglaublich, was ausgerechnet wir weltweit mit den Waffen anrichten, die man verniedlichend "Kleinwaffen" nennt. Nein - das sind keine Käpsele-Pistolen, sondern Schießprügel-Automaten aller Art. 63 von 100 Betroffenen kosten sie das Leben. Rein statistisch werden täglich 114 Menschen durch eine Waffe von Heckler & Koch getötet. Das wundert gar nicht, denn über die Hälfte aller Exporte sind widerrechtlich. So wandert dieses Teufelszeug in dunkle Kanäle und rotiert - langlebig wie es ist - um den ganzen Erdball und wird auf Basaren verhökert. Auch Boko Haram und der so genannte "Islamische Staat" schießen inzwischen deutsch. Wir rüsten unsere eigenen Gegner auf. Es sind unsere Waffen, vor denen die Menschen fliehen. Jürgen Grässlin kann man nur zustimmen: "Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten." Wir selbst sind es, die so permanent den Nachschub an Flüchtlingen organisieren. Daher unsere Forderung: Grenzen dicht für Waffen, Grenzen auf für Menschen. (2) Kapitalismus spaltet die VölkerWir wissen: Die Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge sind ja nur die einen. Die anderen kommen aus den Hunger- und Elendsvierteln dieser Welt. Es sind jene, die wir nun als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge massenhaft zurückschicken in vermeintlich sichere Herkunftsländer. Junge Menschen ohne jede Perspektive, ohne Zukunft. Sie haben - außer ihrem nackten Leben - nichts zu verlieren. Traurig blicken sie mit Hilfe moderner Medien wie durchs Fenster in unsere gute Stube und brechen auf. Nichts wird sie aufhalten, keine Obergrenzen, kein Stacheldraht und keine Mauer. Auch nicht Frau Petrys Schießbefehl. Wir sollten uns nicht täuschen: Was da gerade weltweit geschieht, ist möglicherweise erst der Beginn eines epochalen Umbruchs. Die Verfolgten und Unterdrückten dieser Erde, aber auch all die Hungerleider und armen Schlucker werden aufbrechen und sich ihren Anteil holen. Das ist die Kehrseite der Globalisierung. Eine neue "Weltformel": Teilen, was wir habenMir scheint, die Menschheit hat nur noch ein einziges Spiel frei. Entweder lernt sie das Teilen und macht sich Teilen zum Konzept, oder dieser Planet versinkt in Chaos, Terror und Gewalt. Wenn wir die Güter dieser Welt, Arbeit und Einkommen, nicht miteinander teilen, wird uns die Armut wie ein Tsunami überrollen. Der schert sich einen Teufel um Obergrenzen. Nur eine neue Weltformel, eben das Teilen, kann uns davor bewahren! Was wir praktizieren, ist das genaue Gegenteil. Die kapitalistischen Länder sind keine Unschuldslämmer. Sie haben das mitverursacht, was sie nun als "Flüchtlingskrise" beklagen: Wie Blutsauger machen sich die Konzerne unter den Augen ihrer Regierungen über die armen Länder her, plündern ihre Rohstoffe, fischen ihre Meere leer und verwandeln blühende Landschaften in stinkende Müllkippen. Wir überfluten die Agrarmärkte in Afrika mit Billigimporten aus Europa, liefern Tomaten und Hähnchenteile - und rauben den Menschen ihre Existenzgrundlage. Sie müssen fliehen, um nicht zu verhungern. Und nun überziehen wir die Welt auch noch mit dubiosen Handelsabkommen wie CETA und TTIP. Diese Handelsblöcke werden den "Drittländern" noch vollends den Hals abschnüren. Erst wenn wir anders wirtschaften, solidarisch wirtschaften, die Güter dieser Welt miteinander teilen, ein gemeinsames Sozialprodukt für alle erstellen und gerecht verteilen, werden die Flüchtlingsströme versiegen. (3) Für eine humane Flüchtlings-PolitikNun aber ist es das Gebot der Stunde, dass wir die Flüchtlinge annehmen, aufnehmen, ihnen Schutz gewähren und eine menschwürdige Zukunft eröffnen. Und deshalb appelliere ich an alle Friedensfreundinnen und -freunde:
(4) Revolution der LiebeIn wenigen Stunden schickt sich die Christenheit an, das zentrale Geheimnis ihres Glaubens zu feiern, die Auferstehung Jesu zum Leben, den revolutionären Sieg der Liebe über den Tod. Im Tagebuch des unvergessenen Rudi Dutschke fand man an Ostern 1963 diese Notiz: "Jesus ist auferstanden, Freude und Dankbarkeit sind die Begleiter dieses Tages; die entscheidende Revolution der Weltgeschichte ist geschehen, die Revolution der Welt durch die alles überwindende Liebe. Nähmen die Menschen voll die offenbarte Liebe an, die Wirklichkeit des Jetzt, die Logik des Wahnsinns könnte nicht mehr weiterbestehen." Ja - mit dieser Revolution hätte der Wahnsinn ein Ende! Schließt euch heute noch den "Aufständischen" an. Revolutionieren wir die Welt durch die Liebe. Ich bin überzeugt: Je höher der "Sättigungsgrad" an Verständnis, Solidarität, Barmherzigkeit, desto weniger Raum bleibt für den Hass, den Terror und den Krieg. Paul Schobel ist Betriebsseelsorger im Ruhestand und lebt in Böblingen. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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