Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Hildegard Goss-Mayr: Predigt zum Weltfriedenstag 2016

Von Hildegard Goss-Mayr

Mit vielen Tausenden für Frieden in Gerechtigkeit engagierten Menschen wissen wir uns heute verbunden. Wir wollen die Bibeltexte dieses Sonntags befragen, worin unser eigener bescheidener, aber unerlässlicher Beitrag zu diesem weltweiten Friedens-Netz bestehen kann.

In der 1. Lesung1. Lesung Amos 8,4-7. erkennen wir die Forderung, die Wirklichkeit unserer Zeit anzusehen und diese Wahrheit zu bezeugen. Im 8. Jh. vor Christus wird der Prophet Amos in das Nordreich Israels gesandt, um das dort herrschende schwere Unrecht anzuprangern. Die oberen Schichten entwürdigen die Menschen niederer Herkunft, sie brechen das ,,Gottesrecht". Deshalb muss er um ihre Umkehr ringen. Ähnlich wie sein Zeitgenosse Jesaja wird auch Amos angesichts dieser ungeheuerlichen Aufgabe Gott widersprochen und gesagt haben: "Ich kann nicht sprechen, ich bin ja nur ein sündiger Mensch." Da berührte ein Serafim seine Lippen mit einer glühenden Kohle und seine Schuld wurde getilgt. Und Gott fragte: Wen soll ich senden? Ich antwortete: ,,Hier bin ich. Sende mich" (Jes.6,1-8)

Wie diese Propheten müssen auch wir unser Gewissen der Wirklichkeit, dem ungeheuren Unrecht unserer Zeit öffnen und dagegen klar Stellung beziehen: so z.B. die brutalen Machtkämpfe um die Ressourcen der Erde, die Milliardenausgaben für Rüstung, die Millionen Menschen in Armut, Abhängigkeit oder Flucht treiben, den Waffenhandel - auch den österreichischen -, der die Kriege in Nahost und Afrika ermöglicht, die Gier, die die Umwelt ausbeutet und zerstört oder politische Manipulation von Religion. Und bei uns selbst: populistische Verzerrung der Wirklichkeit, ausgrenzender Nationalismus, Aushöhlung der Menschenrechte durch Schüren von Angst, um nur einiges zu nennen.

Wie Amos oder Jesaja fühlen auch wir uns oft ohnmächtig, kraftlos gegenüber dieser Situation. Resignation, Rückzug werden uns zur Versuchung. Wir fühlen uns müde und schwach. Doch gerade heute wollen wir den Appell Gottes zum Bezeugen der Wahrheit neu hören. Denn durch unsere Taufe auf Jesus Christus sind wir zu Prophetischem Zeugnis berufen, durch unsere Firmung ist uns die Kraft des Geistes Gottes für jeden Tag zugesagt. Und deshalb wollen wir bekräftigen: Hier bin ich, Herr, sende mich! Wir wollen für Wahrheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde und Frieden eintreten, dort, wo wir die Möglichkeit haben: in der Familie, unter Freund_innen, Bekannten, im Beruf, in den sozialen Medien, in der Öffentlichkeit und durch unser Gebet. Wir wissen, dass unser Land vor einer Richtung gebenden Entscheidung steht und dass jeder und jede dafür Mitverantwortung trägt.

Wir sind uns bewusst, dass das Bezeugen der Wahrheit auch in unserer Zeit Konsequenzen hat; denn wir widerstehen den Mächten der Un-Menschlichkeit. Mit Amos und Jesus von Nazareth wollen wir diese Schwierigkeiten, das Kreuz, auf uns nehmen. Die 2. Lesung und das Evangelium werden uns helfen zu erkennen, wie dieses für Leben in Würde für ALLE auf uns genommene Kreuz den Weg zu Befreiung und Frieden, zu öffnen vermag.

Die 2. Lesung und der Text aus der Bergpredigt2. Lesung 1 Tim. 2,1-8, Ev.: Mt. 5,38-42. führen uns über die Verantwortung zur Verurteilung des Unrechts hinaus auf den Weg zu schöpferischem Dienst am Frieden durch Gewaltfreiheit, zu Schritten, die Neues gestalten, die das Unrecht an seiner Wurzel im Gewissen des Menschen angreifen. Sie gründen auf einer radikal neuen Sicht des Menschen, die die tödliche Spirale von Gewalt und Vergeltung durchbricht.

Schon bei Jesaja wird in den Gottesknechtliedern aufgezeigt, wie die Kraft des Guten, eine Liebe, die sich für den Andern, für den Gegner hinschenkt, Frieden und Befreiung bewirken. Karl Jaspers stellte fest, wie in dieser Menschheitsperiode (zwischen 800 und 200 v.Chr .) unabhängig von einander geistige Aufbrüche in die Richtung Menschenrechte, Gewaltfreiheit, Friedenschaffen wirksam wurden, aus denen große, bis heute einflussreiche Weltreligionen hervorgingen: Ahimsa - nicht töten, nicht verletzen in Indien, ergänzt durch Buddhas Wohlwollen gegenüber allem Lebendigen, das Yen des Konfuzius - elementare Mitmenschlichkeit und Menschenliebe, wie das Tao von Laotse - das Gutsein als höchste Wirkkraft im Reich der Ideen. Sie alle markieren Auswege aus einem durch Opfer und Gewalt geprägten Leben (vgl. Georg Baudler, Töten oder Lieben, 5.106/107).

In der 2. Lesung aus dem Brief an Timotheus2. Lesung 1 Tim. 2,1-8. geht es um die Sicht des Menschen. Paulus durchbricht den Blick, der ausschließlich auf die gerichtet ist, die so sind wie wir, der ausgrenzt. Er reißt den Horizont auf im Gebet für ALLE Menschen und bezeichnet Jesus Christus als den Menschen schlechthin: Als den, der alle ausnahmslos achtet und liebt: die Freunde und die Gegner, die Nahen und die Fernen, Frauen und Männer, die Mächtigen aller Art. Dieser Mensch Jesus verurteilt das Unrecht kompromisslos. Doch er glaubt an den Menschen, dem Gott innewohnt, an jeden Menschen, an seine Fähigkeit um-zu-denken und mitzuwirken am Aufbau einer gerechteren und versöhnten Gesellschaft. Er liebt uns Menschen bis zur letzten Konsequenz. Der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas, dessen Familie im Holocaust vernichtet wurde, spricht es so aus: Wenn ein Mensch mich anblickt, bin ich für ihn verantwortlich (Ethique et Infini). Das Leben des Menschen ist heilig und unantastbar.

Sind wir davon wirklich überzeugt? Existieren nicht in der Tiefe unseres Herzens Vorurteile: Das ist ein Roter, ein Blauer, eine Schwarze, ein Banker, ein Waffenhändler eine Mitläuferin,  ein Islamist: Und wir schreiben sie ab, unnütz sie anzusprechen. Mein Wunsch ist, dass am Tag des Weltfriedens in mir, in uns, das Vertrauen auf die Menschlichkeit jedes Menschen neu zu Gewissheit werde.

In der Textstelle des Evangeliums aus der BergpredigtEv.: Mt. 5,38-42. öffnet sich die Antwort auf unsere Frage: wie kann ein entschiedener Einsatz, ein Kampf um mehr Achtung, um mehr Gerechtigkeit, mit der Unantastbarkeit des Menschenlebens verbunden werden? Denn ein gutes Ziel kann nur durch gute Mittel, d.h. durch Mittel, die nicht erniedrigen, verletzen oder töten, errungen werden. Das Beispiel vom Hinhalten der anderen Wange berichtet aus der Praxis der Zeit Jesu - Meister straften Untergebene durch Schlagen mit dem rechten Handrücken auf die rechte Wange - macht eine doppelte Befreiung sichtbar. Einmal die Befreiung der Opfer: sie brechen aus aus der Passivität, aus der Unterwerfung, die das bestehende Unrecht stützt, und leisten Widerstand aus der Kraft der Wahrheit, der Gewaltfreiheit. Dieser Widerstand durchbricht die Spirale der Gewalt. Sein Ziel ist nicht Sieg, Unterwerfung des Gegners, sondern ihn aus seiner Verstrickung in das Böse zu befreien. Jesus wird vor dem Hohen Rat von einem Diener auf diese Weise geschlagen. Er fragt: Warum schlägst du mich, habe ich Unrecht getan, beweise es, warum folgst du einem ungerechten Befehl? Werde ein neuer Mensch. Es geht darum, die Gegner zu erreichen, eine Brücke zu ihnen zu bauen, ihre Wahrheit anhörend, den Dialog aufnehmen, gemeinsam an der Bewältigung des Unrechts oder Konfliktes zu arbeiten. So eröffnet sich die Möglichkeit Unrecht zu mindern und Versöhnungsschritte anzubahnen. Das ist unsere Waffe: der Einsatz der befreienden Kraft der Gewaltlosigkeit, der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe mit der Bereitschaft, die Konsequenzen dieses Handelns freiwillig und bewusst auf uns zu nehmen. So kann Neues wachsen in Versöhntheit von Mensch zu Mensch, in Familien und Gemeinschaften, im sozialen und politischen Bereich und in unserer Kirche.

Diese befreiende und Frieden schaffende Kraft ist lebendig in unserer Welt. Ungezählte bilden ein Friedensnetz und kämpfen um Leben in Würde für alle. Wir sind ihnen geschwisterlich verbunden:

  • Haben nicht viele Tausende in unserem Land freiwillig oder beruflich Flüchtlinge in Solidarität unterstützt, betreut, aufgenommen? Ärzte, Sozialarbeiter_innen, Lehrer_innen, Psycholog_innen, Kindergärtner_innen, Pat_innen? Freiwillige setzen sich auch heute dafür ein, dass Integration unter Achtung der Verschiedenheit gelingen kann, dass langsam bei uns und in Europa - wie schon öfter in unserer Geschichte - sich eine neue Kultur entfalten kann.
  • Hat nicht in diesem Sinn der junge Journalist Antoine Leiris, dessen Frau am 17. November 2015 im Musikclub Bataclan in Paris ermordet wurde, vor der Welt bezeugt: ,,Meinen Hass bekommt ihr nicht"? Die Botschaft ging um die Welt, von Millionen mit-getragen bis heute.
  • Besuchten nicht in Italien im Juli dieses Jahres nach der Ermordung eines Priesters in Frankreich 15.000 Muslime spontan katholische Kirchen, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen? Sie verurteilten Gewalt ohne Abstriche.
  • Setzen sich nicht Hunderttausende beharrlich gegen die neu wachsende Rüstung und den Waffenhandel - auch den österreichischen - ein, die jene Milliarden verschlingen, die zur Überwindung von Hunger und Armut und zur Beendigung der Kriege erforderlich sind?
  • Kämpfen nicht viele gegen die Ausbeutung von Ackerboden, Wasser und Bodenschätzen durch Großunternehmen, die der einheimischen Bevölkerung die Lebensgrundlage rauben?
  • Nehmen nicht viele Tausende in aller Welt ihre Verantwortung wahr, sich Menschenrechtsverletzungen, populistischer Manipulation, Missbrauch von Religion für Machtansprüche zu widersetzen und nehmen dafür Opfer und Leid auf sich?
  • Stärken nicht Ordensleute aller Religionen sowie unzählige alte Menschen durch ihr Gebet die geistigen Kräfte, die die Hoffnung und Beharrlichkeit der Friedensengagierten stützen?

Alle dieses weltumspannenden Friedensnetzes wollen wir in der Eucharistiefeier vor Gott tragen und dafür danken, mit der Kraft der Gewaltfreiheit des Evangeliums zu Mitgestalter_innen seines Reiches der Gerechtigkeit und Liebe in der Welt berufen zu sein.

Predigt gehalten am 18.09.2016 in der Donau-City-Kirche Wien.

Quelle: Spinnrad Nr. 3 / 2016 - Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes - Österreichischer Zweig .

Fußnoten

Veröffentlicht am

26. Dezember 2016

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