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Angriffskrieger lassen sich straffrei stellen

Von Martin Singe

Mehrfach haben Personen aus der Friedensbewegung und auch aus dem Grundrechtekomitee Strafanzeigen gegen verschiedene Mitglieder von Bundesregierungen wegen des Führens von Angriffskriegen gestellt. Völkerrechtswidrig waren u.a. die Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen. Heute sind die Beteiligung am Syrienkrieg, ebenso wie die Beteiligung der Bundesregierung an den von Ramstein aus gesteuerten Drohnenmorden der USA völkerrechtswidrig. Die standardisierte Antwort des Generalbundesanwaltes auf Strafanzeigen lautete stets: Im Strafgesetzbuch (StGB § 80) sei nur die Vorbereitung eines Angriffskrieges, nicht die Führung eines solchen unter Strafe gestellt. Das stimmt formal, aber nicht inhaltlich. In der Bundesdrucksache V/2860 zum Strafrechtsänderungsgesetz von 1968 hieß es: "Paragraph 80 umfasst nicht nur, wie der Wortlaut etwa annehmen lassen könnte, den Fall der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern erst recht den der Auslösung eines solchen Krieges."

So fordert auch das Grundgesetz in Art. 26 Abs. 1 ausdrücklich, friedenstörende Handlungen generell unter Strafe zu stellen. Bislang wurde zwar von Juristen eine Strafbarkeitslücke darin gesehen, dass im StGB nur die Vorbereitung des Angriffskrieges ausdrücklich unter Strafe gestellt war. Als Begründung dafür wurde angegeben, dass es bislang keine hinreichende völkerrechtliche Definition des Angriffskrieges gebe, um dessen Führung unter Strafe zu stellen.

Nun trat zum 1. Januar 2017 ein Gesetz in Kraft, nach dem der Angriffskrieg strafrechtlich sanktioniert werden soll ( Bundesgesetzblatt 3150 ). Artikel 80 StGB wird aufgehoben, dafür wird im Völkerstrafgesetzbuch ein neuer § 13 eingefügt, der in Anlehnung des in Kampala 2010 geänderten Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) mit dem Titel "Verbrechen der Aggression"  überschrieben ist. Auf den ersten Blick denkt man: endlich mal ein Fortschritt. Auf den zweiten Blick erkennt man allerdings, dass es eigentlich um eine umfassende Straffreistellung von Regierenden und Soldaten geht, die einen Angriffskrieg auslösen oder sich daran beteiligen. Die schon engen IStGH-Vorgaben werden noch enger ausgelegt, was mit den Vorgaben des Grundgesetzes und seines Friedensgebotes nicht vereinbar ist. Übrig bleibt rein symbolisches Strafrecht, dessen Anwendung nie vollzogen werden wird.

Erstens: Das Gesetz schließt sämtliche Kriegshandlungen aus, die nicht "offenkundig" völkerrechtswidrig sind ("Schwellenklausel"). "Offenkundig bedeutet, dass der Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen für jeden Betrachter von außen auf der Hand liegen und jenseits jeden Zweifels liegen muss". Durch diese "Filterfunktion"  werde "nur ein Teilbereich völkerrechtswidriger Gewaltanwendung tatbestandlich erfasst". "Damit ist nicht jede völkerrechtswidrige staatliche Gewaltanwendung zugleich ein Aggressionsverbrechen. Rechtlich umstrittene Einsätze, wie im Rahmen humanitärer Interventionen und Fälle von nicht hinreichender Intensität sollen davon (vom Gesetz, d.V.) gerade nicht erfasst werden" ( BT-Drs. 18/8621 ). Somit werden sämtliche Kriegseinsätze, die z.B. als "humanitäre Interventionen", als präventive Selbstverteidigung oder Terrorismusbekämpfung ausgegeben werden, aus der Strafbarkeit herausgenommen.  Bezug genommen wird dabei auch auf das "Völkergewohnheitsrecht", d.h. wenn Regierende lang genug gegen Völkerrecht verstoßen, hat eben das Recht verloren.

Zweitens: Das Gesetz schließt die Verantwortlichkeit von Soldaten für ihre Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen aus. Die sog. Führungsklausel beschränkt den Straftatbestand auf den Täterkreis höchster "Staatenlenker". Statt den Widerspruch dieser Führungsklausel zu Art. 26 GG anzuerkennen und gesetzlich zu beseitigen, argumentiert die Bundesregierung in ihrer Gesetzesbegründung mit einer "völkerrechtlichen Fortentwicklung". In Wirklichkeit wird sich vom Grundgesetz fort-entwickelt. Eine Beschränkung auf "oberste Staatenlenker" exkulpiert sämtliche Militärangehörige von ihrer eigenen Verantwortung, auf die die KSZE in einer Vereinbarung von 1994 ausdrücklich hingewiesen hatte und die auch im deutschen Recht bislang galt - in Anlehnung an die Nürnberger Prinzipien: Während Vorgesetzte Befehle nur im Einklang mit dem Völkerrecht erteilen dürften, entbinde diese Verantwortung der Vorgesetzten "die Untergebenen nicht von ihrer individuellen Verantwortung" (vgl. Jürgen Rose , Gehorsam oder Gewissen? In FriedensForum 6/2009).

Drittens: Das Gesetz verwirft das Weltrechtsprinzip, indem es die Verantwortung der Bundesregierung auf Fälle begrenzt, die einen Bezug zur Bundesrepublik haben: die Täter müssen Deutsche sein oder es muss eine Bedrohung der Bundesrepublik durch die Tathandlung ausgelöst werden. Art. 26 GG enthält diese Beschränkung gerade nicht. Die neue Rechtslage bedeutet, dass nichtdeutsche Aggressionskrieger von einer Strafverfolgung von vornherein ausgeschlossen werden. Anklagen, wie sie z.B. gegen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck erhoben wurden, sind nun von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Bundesregierung argumentiert, dass durch den ausdrücklichen Deutschlandbezug auch einer Überlastung der deutschen Justiz entgegengewirkt werden solle. Arme deutsche Justiz!

Kurzum: die Neuregelungen der Strafbarkeitsbestimmungen von kriegerischen Aggressionshandlungen widersprechen dem Grundgesetz sowohl hinsichtlich seiner Präambel, "dem Frieden der Welt zu dienen", als auch direkt dem Artikel 26 Grundgesetz. Die Summe der Einschränkungen, denen die neue gesetzliche Regelung unterliegt, bedeutet, dass überhaupt keine Anklagen wegen des Aggressionsverbrechens mehr denkbar sind. Die Hürden einer Strafverfolgung werden so hoch gesetzt, dass zumal von einem regierungsweisungsgebundenen (Gewaltenteilung!?) Generalbundesanwalt endgültig keine einzige Anklage mehr erwartbar ist. Sämtliche völkerrechtswidrigen Kriege seit dem Angriff auf Jugoslawien wurden mit völkerrechtsverdrehenden Begründungen verkauft, so dass die "Offenkundigkeit" von kriegerischen Aggressionen in Staatsjuristenaugen auch in Zukunft nie gegeben sein wird. Zudem sind die Herausnahme sämtlicher nichtdeutscher Täter von möglicher Strafverfolgung und die Generalexkulpation deutscher SoldatInnen skandalös.

Als letzte Frage bleibt, warum Deutschland die internationalen Vorgaben relativ schnell in nationales Recht überführt hat. Nur wenn ein Nationalstaat Aggressionsverbrechen nicht ernsthaft verfolgt, ist eine Überstellung von Kriegsverbrechern nach Den Haag möglich. Hatten die deutschen Regierenden bis hin zu allen Abgeordneten, die völkerrechtswidrigen Kriegen regelmäßig zustimmen - wir haben ja ein "Parlamentsheer" - bei der Gesetzesverabschiedung Angst vor Den Haag? Jedenfalls können deutsche Angriffskrieger nun wieder in Ruhe schlafen.

Martin Singe ist Referent beim Komitee für Grundrechte und Demokratie

Quelle: Komitee für Grundrechte und Demokratie - 11.01.2017.

Veröffentlicht am

20. Januar 2017

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