Sudan RevisitedJulia Kramer, von 2008 bis 2010 Friedensfachkraft im Sudan, im Gespräch mit dem jungen sudanesischen Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger Mustafa Shatta.JK: Mustafa, wir lernten uns 2008 in Khartoum kennen. Später erlebte ich vor Ort die größtenteils solidarischen Reaktionen auf den Haftbefehl gegen Militärdiktator Bashir, den der Internationale Strafgerichtshof 2009 u.a. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur verhängte. 2010 politisierten die Wahlen viele Menschen, und im Südsudan wurde das Referendum vorbereitet, das schließlich im Juli 2011 zur Unabhängigkeit führte. MS: Das größte Problem ist, dass die Regierung von Omar Al Bashir und der Nationalen Kongresspartei weiter an der Macht ist, die die Konflikte in Darfur, in den Nubabergen und Blue Nile und die interethnischen und wirtschaftlichen Krisen in der Gesellschaft weiter anheizt, und auf jegliche Auseinandersetzung mit Gewalt antwortet. Die Regierung beschneidet die Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, die Rechtstaatlichkeit, und insbesondere die Frauenrechte. Wer nicht gehorcht wird verhaftet, verschwindet, wird zum Schweigen gebracht. Seit 2003 gibt es den gewaltsamen Konflikt in Darfur. UN OCHAUnited Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs, http://www.unocha.org/sudan . berichtet, dass zu den 2014 registrierten 2,5 Millionen Binnenflüchtlingen allein in Darfur 2016 zwischen 87.000 und 200.000 neue dazukamen, v.a. aus der Jebel-Marra-Region. Die klimatischen Veränderungen führen zu Desertifikation und Überflutungen, die neben der Verschlechterung der humanitären Situation auch die Konfliktdynamik verstärken. Wie ist die aktuelle Entwicklung des Darfur-Konflikts, und wie interagiert er mit anderen Konflikten im Sudan? Eine Strategie der Regierung war es ja, die sogenannten "Janjaweed", berittene Milizen, in Darfur einzusetzen, die dann gegen die lokalen Rebellengruppen kämpften. Seit 2006 wurden auch "schnelle Einsatzkräfte" aufgebaut, die direkt dem Präsidenten unterstehen. Ihr Befehlshaber, General Himeti, hat seinen Sitz nun eigenmächtig nach Khartoum verlegt, und es gibt Bedenken, dass seine Truppe sich zu einer unabhängigen Miliz entwickeln könnte, die den Krieg bis in die Hauptstadt trägt. Zur diesjährigen Eskalation in der Jebel-Marra-Region: Aus lokalen Quellen weiß ich, dass u.a. chinesische Firmen im diesem Gebiet Uran abbauen - die Regierung hat also ein großes Interesse daran hier die Kontrolle zu behalten. So wurde dieses Jahr bekannt, dass das Militär Senfgas - eine Chemiewaffe - gegen die Zivilbevölkerung einsetzte.Siehe auch: http://www.tagesschau.de/ausland/sudan-giftgas-101.html . Nach der Unabhängigkeit des Südsudan flammten im Juni 2011 im Süden der Republik Sudan, in den Nuba-Bergen und Blue Nile, ebenfalls wieder Kämpfe auf. Von den regelmäßigen Bombardierungen des Militärs sind auch viele Zivilist*innen betroffen, die deshalb teils in Berghöhlen oder in den - seinerseits kriegsgeschüttelten - Südsudan fliehen. Aljazeera titelt hierzu: "Der Krieg, den die Welt vergaß" http://www.aljazeera.com/programmes/peopleandpower/2016/08/war-world-forgot-160824134809716.html ; empfehlenswert auch der preisgekrönteDokumentarfilm "Beats of the Antonov" von Hajooj Kuka. Ende 2011 schlossen sich die dortigen Rebellengruppen mit den darfurischen Rebellengruppen JEM und SLM/A zur "Sudanese Revolutionary Front" zusammen. Inzwischen ist jedoch deutlich, dass die Führer dieser Gruppen ihre Partikularinteressen verfolgen und darin ein Geschäft sehen. Daher wollen wir jungen Aktivist*innen nicht dem Schatten der Rebellenführer folgen. Leider agiert insbesondere die JEM auch in Deutschland und versucht auch hier, Gelder zu beschaffen und Leute zu rekrutieren. Wir wollen eine zivile, moderne Regierung, eine Gesellschaft von freien Menschen, basierend auf Kooperation, Menschenrechten und Entwicklung. Seit 2010 gibt es immer wieder Protestwellen im Sudan, bei denen Tausende auf die Straße gehen für ein Ende der Diktatur, aber auch zu konkreten Anliegen. Aktuell protestieren z.B. die Ärzt*innen wegen der korruptionsbedingt schlechten Gesundheitsversorgung, sowie die Bevölkerung in Giref gegen Landgrabbing. U.a. hier hat die Regierung fruchtbares, Nil-nahes Land der lokalen Bauern unter Parteimitgliedern aufgeteilt und an Qatar verkauft. Die Proteste werden von Polizei und Militär in der Regel gewaltsam aufgelöst, wobei immer wieder auch Menschen getötet werden. Ich selbst war Zeuge als 2014 zahlreiche Demonstrierende in Khartoum erschossen wurden. Zur Zeit gilt es für die Bewegung, unsere Erfahrungen der letzten Jahre und auch die in Tunesien, Ägypten, Syrien und Libyen zu analysieren und eine neue Strategie zu entwickeln. Einerseits sind wir skeptisch gegenüber den politischen Parteien, die dieselbe machthungrige Mentalität wie die Regierung haben, sowie gegenüber den islamistischen Gruppen und den bewaffneten Rebellen. Gleichzeitig brauchen wir aber auch einen "Post-Revolution-Plan", in den alle, auch die Menschen die heute bewaffnet kämpfen, eingebunden werden können. Wir wollen die Analyse und Ziele in einfacher Sprache den Menschen näherbringen, wollen dass Frauen sich ermächtigen können, und wissen dass wir unsere eigene Mentalität ändern müssen, um z.B. den Tribalismus zu überwinden. Nur die Jugendaktivist*innen wollen diesen Weg gewaltfrei Schritt für Schritt gehen. Die Bundesregierung unterstützt den Prozess des "Nationalen Dialogs" im Sudan, in dessen Rahmen die Rebellen und politischen Parteien mit der Regierung an einem Tisch sitzen, um politische Lösungen für Fragen wie Frieden, Menschenrechte und Wirtschaft zu finden. Zivilgesellschaftliche Gruppen, die ein Ende der Diktatur fordern, nehmen nicht teil. Deutschland sollte aufhören, die sudanesische Regierung zu unterstützen und stattdessen den Druck erhöhen, damit die sudanesische Regierung den Krieg gegen die Zivilbevölkerung beendet. Ich weiß aber, dass dies unwahrscheinlich ist, weil die deutsche Regierung von der Situation profitiert. Das Bild Deutschlands hat sich in den letzten Jahren merklich verschlechtert: Der Eindruck ist, dass die Deutschen nur reden, sich am Ende aber lediglich um ihre eigenen Interessen und Leute scheren. Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute! Julia Kramer ist heute Projektberaterin im Zivilen Friedensdienst bei der KURVE Wustrow - Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion. Mustafa Shatta ist Menschenrechtsverteidiger und Aktivist aus Khartoum, mit darfurischer Abstammung. Nach mehrfachen Gefängnisaufenthalten, zuletzt von August 2015 bis August 2016 in Gedaref, Ostsudan, mußte er aus gesundheitlichen Gründen ins Exil und lebt seit kurzem in Deutschland. Erstveröffentlichung dieses Interviews in FriedensForum 1/2017. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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