Assoziationen zu MutlangenVon Andreas Buro, 1993 Mutlangen, damals vor 10 Jahren war die Welt der sozialen Bewegungen noch in Ordnung. Keiner fragte uns, wo bleibt denn die Friedensbewegung? Keine ehemals linken Konvertiten machten das, woran sie einst selbst geglaubt hatten und für das sie eingetreten waren, für alles Böse verantwortlich. Menschen aus sehr vielen Segmenten der Gesellschaft waren hoch motiviert, tödliche Bedrohung aus der Stationierung der Mittelstreckenraketen abzuwenden. Gewaltfreie Blockaden an dem Symbolort Mutlangen schienen ihnen angemessene Mittel hierzu zu sein. Mutlangen wurde zum Symbol für eine breite gesellschaftliche Empörung. Was der Friedensbewegung in früheren Jahren des Ost-West-Konfliktes nie gelungen war, eine überwältigende Mehrheit der Deutschen stimmte mit ihrer Forderung überein, diesen weiteren Schritt der Eskalation von Bedrohung nun nicht mehr zu tun. Als trotzdem der Bundestag die Trotz dieser demokratisch positiven Zuordnung der Mutlanger Zeit gab es auch eine ganz gegenläufige Verhaltensweise, die sich verhängnisvoll auswirkte. Man war in hohem Maße auf die Regierungspolitik fixiert. Viele glaubten und sagten, eine Entscheidung gegen die Stationierung müsse durch den Druck der Demonstrationen erzwungen werden. Eine immer wiederkehrende Unklarheit in den sozialen Bewegungen machte sich breit, als seien diese politische Entscheidungsinstanzen oder könnten doch in besonderen Situationen dazu werden. Viele vergaßen unter solchen Wunschvorstellungen die spezifische Rolle und Aufgabe der sozialen Bewegungen, nämlich die Organisierung gesellschaftlicher Lernprozesse. Diese können in günstigen Fällen Parteien, die auf die Maximierung ihrer Wählerstimmen bedacht sind, progressive Verhaltensweisen ermöglichen, sie aber in aller Regel mitnichten zwingen. Dies ist auch gut so, gehen doch soziale Bewegungen notwendigerweise häufig von minoritären Positionen aus, die bestenfalls erst im Laufe ihrer Kampagnen eine Akzeptanz in der Gesellschaft finden. Diese zu erreichen und dabei selbst Klärungsprozesse zu durchlaufen, ist ihre eigentliche Aufgabe. Das Verhängnisvolle der Fixierung auf die Regierungspolitik und des Vergessens der eigenen Rolle wurde sehr schnell nach dem Stationierungsbeschluss des Bundestages deutlich. Die Entscheidung war gefallen, man konnte nichts mehr ändern, die Motivation sehr vieler brach zusammen. Mutlangen war im Gegensatz hierzu mit seinen Aktionen weit über den November 1983 hinaus ein Zeichen für den Durchhaltewillen im Protest, für den oft beschworenen langen Atem und den Mut, der langen würde. Es gelang jedoch nicht, die Motivation für einen langen aktiven Einsatz auf die Friedensbewegung insgesamt zu übertragen. Als schließlich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre dank Gorbatschows neuer Politik, die Bedingungen für wirklich große Abrüstungsschritte - und nicht nur für die Umrüstung - so gut wie noch nie waren, kam eine breite dauerhafte Mobilisierung nicht zustande: wiederum Fixierung auf Regierungspolitik, als ob die da oben Demilitarisierung aus eigenem Antrieb ernsthaft betreiben würden. Mutlangen assoziiere ich auch mit einer deftigen Lektion in Sachen Rechtsstaat. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Den Rechtsstaat halte ich für eine ganz wichtige Errungenschaft, an der festzuhalten und die weiter auszubauen ist. Dazu ist jedoch zu begreifen, dass geltendes Recht selbst ein Produkt historischer Auseinandersetzungen und Interessen sowie sich wandelnder Wertvorstellungen ist. Zu begreifen ist auch, dass Recht selbstverständlich auch zu einem politischen Kampfinstrument werden kann, wovon unsere Geschichte reichlich Zeugnis ablegt. Die Anwendung des Nötigungsparagraphen 240 des Strafgesetzbuches auf die BlockiererInnen hat dieses vielen Menschen sehr deutlich vor Augen geführt - häufig zu ihrem eigenen großen Erstaunen. So mag das wichtigste Verdienst der großen Auseinandersetzung um den § 240 nicht in den klugen juristischen Argumentationen liegen, vielleicht auch nicht in den bedeutsamen Auseinandersetzungen innerhalb der gerichtlichen und staatsanwaltlichen Apparate, sondern in der Erkenntnis sehr vieler Menschen, dass um Rechte und ihre Interpretation im Sinne der Demokratisierung der Gesellschaften gestritten werden muss, ohne dass dadurch das Prinzip des Rechtsstaates in Frage zu stellen ist. Welch didaktisch großartige Lektion erteilten uns die Richter, die uns BlockiererInnen wegen "gewaltfreier, verwerflicher Nötigung aus höchst achtbaren Motiven" verurteilten! Wichtig für uns alle war auch die Erfahrung, dass angesichts des gewaltfreien zivilen Ungehorsams mit seiner sehr breiten Zustimmung innerhalb der Gesellschaft die rechtsstaatlich organisierte Abwehrstrategie der Diskriminierung und Kriminalisierung scheiterte und sich dabei selbst in hohem Maße diskreditierte. Die Verankerung des Zivilen Ungehorsams setzte den Polizeiaktionen Grenzen. Repressive Brutalität des staatlichen Zwangs konnte nicht legitimiert werden. Der Versuch der Kleinarbeitung durch die Gerichte und der Abschreckung von weiterem zivilen Ungehorsam versagte. Die herrschende Stationierungspolitik konnte sich nicht glaubhaft ausweisen. Der Bundestag erwies sich gleichzeitig als unfähig, die rechtlichen Strafmittel so zu verändern, dass sie legitimiert eingesetzt werden können. Der gleiche Sachverhalt macht mir jedoch auch zu schaffen. Das relativ tolerante Umgehen miteinander zwischen Staat und Demonstranten in einer so lebenswichtigen Frage lässt in mir Furcht vor Ritualisierung des Protestes aufkommen. Entsteht nicht ein festgelegtes Zusammenspiel zwischen der Obrigkeit und den Protestierenden, das nicht nur dem zivilen Ungehorsam die Wirkung weitgehend beschneidet, sondern auch zu einer Ausgrenzung wirklich hartnäckigeren gewaltfreien Widerstandes führen kann. Was bedeutet es, wenn sich ziviler Ungehorsam auf das Versammlungsgesetz beruft und wenn Blockaden als Sitzdemonstrationen deklariert werden? In die gleiche Problemrichtung weist die Aussage von polizeilichen Einsatzleitern, man brauche nicht " abzuräumen", da noch andere, nicht blockierte Zufahrten zu dem jeweiligen Gelände offen seien. Selbstverständlich verkenne ich nicht, ein breit getragener Protest bedarf unterschiedlich risikoreicher Demonstrationsformen, um nicht Gefahr zu laufen, sich elitär zu verselbständigen. Trotzdem, ziviler Ungehorsam darf nicht zum Papiertiger werden! Ein weiterführender Schritt in der Auffächerung entschiedener gewaltfreier Handlungsformen scheint mir erforderlich. Militärische und nichtmilitärische, gewaltsame und gewaltfreie Konfliktbearbeitung sind konkurrierende Prinzipien, in deren Spannungsverhältnis menschliche Geschichte sich entwickelt. Mutlangen, der Konflikt um die Raketen dort, fasste diese Grundsituation geradezu symbolhaft zusammen und machte sie für jedermann und jedefrau erkennbar. Die Form des Protestes gegen die Raketengewalt ging weit über die politischen Forderungen hinaus. Während politisch das Verlangen nach Abbau der Raketen im Vordergrund stand, verwies die zivile und gewaltfreie Form des Protestes auf die Alternative zur militärischen Austragung von Konflikten. Diese Bedeutung von Mutlangen hat in den vergangenen 10 Jahren immer mehr Gewicht bekommen. Heute sprechen wir von einer Situation der Weichenstellung. Während einerseits die großen politischen Parteien der Bundesrepublik sich mehr oder weniger unverhohlen auf die Möglichkeit des globalen und durch die Verfassung nicht mehr beschränkten Einsatzes der Bundeswehr zu bewegen, demonstrieren die schon manifesten Konflikte, wie auch die bereits einschätzbaren zukünftigen in Südost- und Osteuropa, aber auch in der armen Welt, dass nur nichtmilitärische Konfliktbearbeitung eine sinnvolle Strategie ist. Dies gilt auch für den reichen und militärisch starken Westen, der sich so sehr als Sieger des Ost-West-Konfliktes empfand, dass er glaubte, seine neue Weltordnung leichterhand und mit militärischem Nachdruck installieren zu können. Heute sind solche Allmachtsphantasien verflogen, selbst wenn unsere Koalitionspolitiker mit ihren Wüstensandspielen in Somalia immer noch hoffen, an die G 7 Weltmachtpolizei anschließen zu können. Für Friedensbewegung im deutschen und im gesamteuropäischen Raum jedoch gewinnt die Aufgabe an Konturen, die Elemente einer zivilen, nichtmilitärischen Strategie der Konfliktbearbeitung zu entwerfen und in die gesellschaftliche Diskussion einzuführen. Für diese Aufgabe haben wir, so meine ich, historischen Rückenwind, auch wenn die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Frage des militärischen Eingreifens im ehemaligen Jugoslawien aus humanitären Gründen anderes zu signalisieren scheint. Es ist fraglich, ob die zu gestaltende Strategie als gewaltfrei im strengeren Sinne zu bezeichnen sein wird, denn ist Embargo gewaltfrei? Wie steht es um die Elemente struktureller Gewalt, die nicht in diesem Schritt aufgehoben werden können? Trotzdem wird die Auseinandersetzung um eine solche Neuorientierung der Konfliktbearbeitung und Problemlösung einen enormen Fortschritt im Sinne der Verminderung von Gewalt und der Steigerung konstruktiver Konfliktbearbeitung bringen können. Diese ist nicht allein der regierungspolitischen Ebene zuzuschieben. Sie wird sicher höchst komplexer Natur sein und auch die Gesellschaften auf ihren unterschiedlichen Ebenen mit einbeziehen müssen. Eine wichtige Aufgabe der Friedensbewegung wird es neben der Diskussion über die Strategieentfaltung sein, bereits heute und so bald wie nur irgend möglich einzelne Elemente, die ihr in ihrer Praxis zugänglich sind, zu verwirklichen und auf ihre Realitätstauglichkeit zu testen. Wahrscheinlich ist das Bild der Weichenstellung nicht gut gewählt. Man denkt dabei an einen einmaligen Akt, nach dem der Zug eindeutig in die neue Richtung weiter rollt. So wird es nicht kommen. Über einen langen Zeitraum werden konkurrierend militärische und nicht- militärische Konfliktbearbeitungsstrategien nebeneinander bestehen. Gelänge es uns, den zivilen Konfliktaustrag als gesellschaftliche Aufgabe zu entfalten, so eröffneten sich damit viele neue Handlungsmöglichkeiten und Sinnorientierungen auch für alle die Menschen, die heute ihre Aggressionen nicht produktiv und sinnstiftend einsetzen können, und Gewaltsamkeit, Feindbildern und daraufbasierenden rassistischen Ideologien verfallen. Mutlangen bedeutet mir deshalb nicht nur eine sicherheits- und außenpolitische Auseinandersetzung, sondern ist für mich auch einer der wichtigsten Ansatzpunkte für meine Hoffnungen auf emanzipatorische und demokratisierende Veränderungen in, durch und für unsere Gesellschaft. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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