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Humanitärer Appell von PRO ASYL und Paritätischem Wohlfahrtsverband an Bundeskanzlerin Merkel

Zum Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs auf Malta

Im Vorfeld des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs auf Malta kritisieren PRO ASYL und der Paritätische Wohlfahrtsverband in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel die derzeitige "Flüchtlingsabwehrpolitik" der Europäischen Union scharf. Die Vorschläge der EU-Kommission zur Abriegelung der sogenannten Mittelmeerroute seien ein erneuter "Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik" und zielten vorrangig auf die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes nach Libyen und andere nordafrikanische Staaten, obwohl den Schutzsuchenden dort nachweislich Gefahr für Leib und Leben droht. Die Organisationen appellieren an Bundeskanzlerin Merkel, die Umsetzung des Kommissions-Vorschlags zu verhindern. Statt einer weiteren Abschottung Europas, seien legale und gefahrenfreie Zugangswege zu gewährleisten, so eine der zentralen gemeinsamen Forderungen.

Die Vorschläge der EU-Kommission sehen unter anderem vor, die libyschen Grenzbehörden, Küstenwache und Marine auszubilden und zu finanzieren, damit diese sowohl die libysche Südgrenze als auch die Seegrenze nach Europa abriegeln. 200 Millionen Euro sollen allein 2017 und vor allem an Libyen fließen. Gerade in Libyen drohen den Schutzsuchenden jedoch die menschenunwürdigsten Zustände in Lagern, warnen die Organisationen, wie jüngst auch ein Bericht des Auswärtigen Amtes bestätigte. Exekutionen, Folter und Vergewaltigungen seien dort an der Tagesordnung.

"Die vorliegenden Vorschläge zielen nicht in erster Linie auf die Rettung von Menschenleben, sondern stellen den Versuch Europas dar, sich seiner humanitären Verantwortung zu entziehen", so Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes. "Wer es ernst meint mit dem Schutz von Menschenleben und dem Kampf gegen das menschenverachtende Vorgehen von Schleusern und Menschenhändlern, der muss humanitäre Aufnahmeprogramme und legale Zugangswege schaffen. Ziel einer vernünftigen Flüchtlingspolitik muss es daneben sein, humanitär akzeptable Bedingungen für Menschen in ihren Herkunftsregionen zu schaffen."

"Die Bundeskanzlerin darf den Plänen der EU nicht zustimmen und die Menschenrechte nicht verdealen", betont PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Dem Abschluss von Flüchtlings- bzw. Migrationsabkommen mit Regimes, wie beispielsweise Libyen, erteilen die Organisationen daher auch grundsätzlich eine klare Absage. "Die Kooperationspläne der EU mit nordafrikanischen Staaten sind eine Schande", so Burkhardt. "Aus dem Mittelmeer Gerettete landen in libyschen Haftlagern. Mit europäischem Geld soll Libyen den Fluchtweg aus der eritreischen Diktatur versperren. In Eritrea Verfolgte haben kaum noch eine Chance, aus der Diktatur zu fliehen."

Bei den Schutzsuchenden, die über die Mittelmeerroute fliehen, handelt es sich nach Angaben von Pro Asyl unter anderem um Flüchtlinge aus Eritrea, die in Deutschland klar als schutzbedürftig anerkannt werden. Circa 16 Prozent der in Italien Ankommenden sind Kinder, die meisten von ihnen unbegleitet .

Der Offene Brief im Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mit großer Sorge haben PRO ASYL und der Paritätische Gesamtverband die Agenda des nächsten Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU am 3. Februar auf Malta zur Kenntnis genommen.

Unter der Überschrift "Steuerung der Migrationsströme entlang der zentralen Mittelmeeroute" soll über einen Vorschlag der Kommission beraten werden, mit dem der Zugang zu Schutz in Europa weiter erschwert werden soll. Die EU setzt einmal mehr auf Libyen als Partner, wo es einem aktuellen Bericht des Auswärtigen Amts zufolge zu "allerschwersten, systematischen Menschenrechtsverletzungen" kommt. Konkret: "Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung."

Wir appellieren an Sie, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die Umsetzung dieses Vorschlags der EU-Kommission zu verhindern! Darüber hinaus bitten wir Sie, dem Ansinnen der maltesischen EU-Präsidentschaft, das Schlüsselelement des internationalen Flüchtlingsschutzes, das Zurückweisungsverbot, zu relativieren, eine klare Absage zu erteilen.

Die EU will Geld und Technik liefern, um eine Art Doppelmauer gegen Flüchtlinge zu bauen - für Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer und für Grenzanlagen an der südlichen Grenze Libyens. 200 Millionen Euro sollen allein 2017 und vor allem an Libyen fließen. Die EU darf diese Gelder nicht genehmigen. Opfer der geplanten Flüchtlingsabwehrpolitik der EU sind unter anderem Flüchtlinge aus Eritrea, die oft den Fluchtweg über den Sudan nach Libyen nehmen.

Libysche Grenzbehörden, Küstenwache und Marine sollen von der Europäischen Union ausgebildet und finanziert werden, um sowohl die libysche Südgrenze als auch die Seegrenze nach Europa abzuriegeln. In der Folge wären Zehntausende von Schutzsuchenden dazu gezwungen, in einem Land zu verharren, welches die Menschenrechte dieser besonders schutzbedürftigen Menschen eklatant verletzt.

Ein Abfangen von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer, um sie sodann nach Nordafrika zurückzubringen, ist weder mit Artikel 3 EMRK noch mit dem Schutz vor Kollektivausweisung (Artikel 4 des 4. Prot. zur EMRK) vereinbar. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 2012 in einem Grundsatzurteil ( Case of Hirsi Jamaa and Others v. Italy ) entschieden.

Laut Vereinten Nationen ist Libyen "not a safe country for return" ( UNHCR-Bericht, S. 8 ). Laut aktuellem UNHCR-Bericht drohen den in Seenot Geretteten bei der Rückkehr in Libyen die unmenschlichsten Zustände in den Lagern . Zugang zum Asylverfahren oder zu Anwältinnen und Anwälten haben Schutzsuchende nicht. In Libyen existiert kein Asylsystem, weder in der Gesetzgebung noch in der Praxis ( UNHCR-Bericht, S. 12 ).

Wir halten es für dringend geboten, Seenotrettungsmaßnahmen massiv auszubauen, auch vor der libyschen Küste, um das tausendfache Sterben zu beenden. Offensichtlich zielt der vorliegende Kommissionsvorschlag aber nicht in erster Linie auf die Rettung von Menschenleben, sondern stellt einen weiteren Versuch Europas dar, sich seiner Verantwortung zu entziehen. Denn wenn die Schutzsuchenden nicht mehr von europäischen, sondern libyschen Booten gerettet würden, droht ihnen der Rücktransport in die desaströsen Verhältnisse in Libyen. Pull-Back-Operationen libyscher Schiffe auf Geheiß der EU innerhalb afrikanischer Gewässer würden Schutzsuchenden schwersten Menschenrechtsverletzungen aussetzen.

Die vorgelegten Vorschläge der Kommission stellen einen Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik dar. Wie bereits mit den Reformvorschlägen der Kommission für das Gemeinsame Europäische Asylsystem erfolgt ein weiterer Versuch, die Verantwortung für den Schutz von Flüchtlingen aus Europa heraus in Erstaufnahme- und Transitstaaten zu verlagern.

Wie die rechtliche und tatsächliche Lage der Schutzsuchenden in diesen Ländern ist, bleibt ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass bereits jetzt 86% aller Schutzsuchenden in der unmittelbaren Herkunftsregion leben.

Auch wir sind der Ansicht, dass das oft menschenverachtende Vorgehen von Schleusern und Menschenhändlern inakzeptabel ist. Um ihnen die Grundlage für ihr schmutziges Geschäft zu entziehen, muss die EU legale und gefahrenfreie Zugangswege eröffnen. Hierzu gehören neben dem Zugang zu individuellem Asylrecht, die Einrichtung und Umsetzung von großzügigen Resettlement-Programmen und humanitären Aufnahmeprogrammen, die Erteilung humanitärer Visa sowie die rechtliche wie auch praktische Ermöglichung der Familienzusammenführung. Ziel einer vernünftigen Flüchtlingspolitik muss es daneben sein, humanitär akzeptable Bedingungen für Menschen in ihren Herkunftsregionen zu schaffen. All diese Maßnahmen müssen endlich umgesetzt werden. Dem Abschluss von Flüchtlings- bzw. Migrationsabkommen mit Regimes, in denen gravierende systematische Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind, erteilen wir eine klare Absage.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, sie haben in dankenswerter Klarheit gegenüber dem US-Präsidenten Trump die Magna Charta des Flüchtlingsschutzes verteidigt. Wir bitten Sie, in diesem Sinne auch beim Europäischen Rat für die elementaren Flüchtlingsrechte an Europas Südgrenzen einzutreten.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender Paritätischer Gesamtverband
Günter Burkhardt, Geschäftsführer PRO ASYL

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - Pressemitteilung vom 02.02.2017.

Veröffentlicht am

02. Februar 2017

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