Nach Fukushima: Du sollst den Kern nicht spaltenVon Franz Alt Der Super-GAU von 2011 hat Fukushima einen dunklen Ruf beschert. Verdient haben diese Ruf aber eher der Atomkraftbetreiber Tepko und die japanische Atomlobby - hier in Japan "Nuclear Village" genannt. In kaum einem anderen Land war der Glaube an die nukleare Sicherheit so tief verwurzelt wie in Japan, nun ist er ebenso tief erschüttert. Ein sonniger Herbsttag 2016 im Land der aufgehenden Sonne. Der Shinkansen, der japanische ICE, war mit 370 Stundenkilometern von Tokio nach Fukushima gerast. Vorbei an vielfarbigen Wäldern in gelb, dunkelbraun, orange und grün. Indian Summer mitten in Japan. Am Bahnhof in Fukushima, der Stadt der großen Katastrophe des Jahres 2011, sehe ich als erstes eine Fotoausstellung über erneuerbare Energien: Sonne, Wind, Wasserkraft, Erdwärme und Bioenergie. Bis 2030 will die Region komplett erneuerbar sein. Von hier aus, sagt mir später der Bürgermeister von Fukushima, Kaoru Kobayashi, soll die Erneuerung für das ganze Land Japan ausgehen. Ist Japan erneuerbar? Fukushima-City ist mit 300.000 Einwohnern scheinbar eine ganz normale Großstadt. 62 Kilometer von hier entfernt tobte am 11. März 2011 die Dreifach-Katastrophe: Tsunami, Erdbeben und Atomreaktor-Gau. "Das Ende des Atomzeitalters" hatte der "Spiegel" damals getitelt. "Warum immer wieder Japan?" frage ich mich jetzt. In Hiroshima und Nagasaki war ich schon früher zu Vorträgen eingeladen. Mein Thema: "Vom Atomzeitalter ins Solarzeitalter". Jetzt also Fukushima. 1945 waren die ersten Atombomben der Geschichte auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden - 140.000 Soforttote und nochmal mehr als 200.000 Folgetote. Und noch heute bis zu 3.000 Tote durch atomare Verstrahlung jedes Jahr als Folge der Atombomben des Jahres 1945, hatte mir der Bürgermeister von Nagasaki schon früher einmal gesagt. Und dann in Fukushima am 11. März 2011 die Katastrophe durch die "friedliche" Nutzung der Atomkraft. Warum also immer wieder Japan? Der Super-GAU von 2011 hat Fukushima einen dunklen Ruf beschert. Verdient haben diese Ruf aber eher der Atomkraftbetreiber Tepko und die japanische Atomlobby - hier in Japan "Nuclear Village" genannt. In kaum einem anderen Land war der Glaube an die nukleare Sicherheit so tief verwurzelt wie in Japan, nun ist er ebenso tief erschüttert. Doch Regierung, Atomindustrie und Aufsichtsbehörden spielen die Gefahren für Mensch und Umwelt noch immer herunter. Dabei hatte Japan 2011, heute vor sechs Jahren, Glück im Unglück, weil der Wind vom havarierten AKW aus nicht Richtung Fukushima-City und auch nicht in Richtung Großraum Tokio wehte, wo über 50 Millionen Menschen wohnen, sondern ins Meer hinaus. Spätestens jetzt hätte die Welt lernen können, dass Atomkraft russisches Roulette bedeutet. Jedes Atomkraftwerk ist ein Anschlag auf die Schöpfung. Wie hätten denn im Großraum Tokio um die 50 Millionen Menschen evakuiert werden sollen? Jedes AKW hat ein atomares Restrisiko, habe ich erst 1986 nach Tschernobyl vom Chef der dortigen Aufräumarbeiten Professor Wladimir Tschernousenko gelernt. Wie er so war auch ich als damals braves CDU-Mitglied für die "friedliche" Nutzung der Nuklearenergie. Erst durch den sowjetischen Super-Gau war der glühende Anhänger der Atomkraft vom Saulus zum Paulus geworden. Er wurde, von Gorbatschow berufen, im havarierten AKW in Tschernobyl verstrahlt und wusste, dass er bald an Krebs sterben werde. Ihn fragte ich in einer ARD-Sendung: "Aber die deutschen AKW sind doch die sichersten der Welt?" "Das stimmt", war seine Antwort, " aber wissen Sie, was das heißt? Sie werden etwas später explodieren. Es gibt weltweit kein einziges 100% sicheres AKW. Atomares Restrisiko heißt so, weil es uns jeden Tag den Rest geben kann". Als Folge der Nuklearkatastrophe von 2011 mussten damals 180.000 Menschen, die im 20-Kilometer-Umkreis der Fukushima-Blöcke lebten, umgesiedelt werden. Nur knapp die Hälfte konnte bis heute zurückkehren. Erst vor wenigen Tagen wurde am havarierten Reaktor in Fukushima die höchste radioaktive Strahlendosis gemessen - 650 Sievert pro Stunde. Viele Junge sind für immer weggezogen. Nach meinem Vortrag in Fukushima-City sagt mir der Bürgermeister der Stadt: "Als ich am fünften Jahrestag der Katastrophe am Reaktor war, wurden dort nukleare Strahlenwerte gemessen, die 10.000 mal über den gesetzlichen Grenzwerten liegen. Wenn ich dort hineinginge, wäre ich nach einer Sekunde Asche". Im Sarkophag von Fukushima schlummert noch eine Radioaktivität von etwa 10.000 Hiroshima-Bomben. Das Desaster in Japan im Jahr 2011 führte zu einer weltweiten Atomangst und in Deutschland zum zweiten Atom-Ausstieg - diesmal von einer konservativen Regierung. Die Fukushima-Schäden werden bisher auf weit über 100 Milliarden Dollar geschätzt. 120.000 Gebäude wurden zerstört. 15% der Umgesiedelten sind krank, berichten von Angstzuständen, Schuldgefühlen und Depressionen. Das Schlimmste sind die psychischen Folgen. Die radioaktive Verseuchung breitet sich noch weiter aus. Das ist die strahlende Zukunft der Atomenergie wirklich. Die Betreiber-Firma Tepco rechnet noch mit weiteren 30 bis 40 Jahren Aufräumarbeiten. Sechs Jahre nach der Katastrophe sind täglich bis zu 7.000 Menschen im Einsatz, bisher insgesamt um die 50.000. Noch immer sind die geschmolzenen Reaktorkerne nicht gefunden. Die tödliche Strahlung macht eine Annäherung unmöglich. Das Schicksal der in Fukushima eingesetzten Helfer ist eine Tragödie. Überwiegend werden Arbeitslose, Obdachlose und Hilfsarbeiter rekrutiert. Ihre Arbeitseinsätze sind wegen der hohen Strahlenbelastung oft nur kurz. Danach werden sie entlassen. Obwohl ihnen die hundert- bis hundertfünfzigfache Strahlendosis gegenüber der offiziell zugelassenen zugemutet wurde, kümmert sich niemand um sie. Insider berichten, dass viele dieser Arbeiter kurz nach ihrem Einsatz krank werden und sterben. Offiziell werden diese Krankheits- und Todesfälle bestritten. Alles ei in Ordnung. Schilddrüsenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind jedoch um 20 bis 30 mal höher als vor der Reaktorkatastrophe oder als in nichtverstrahlten Regionen Japans, erzählt mir ein Arzt. Wissenschaftliche Untersuchungen unter Leitung von Professor Joji Otaki an der Universität von Okinawa ergaben
Vergleichbare Messergebnisse liegen aus der Ukraine um den Reaktor in Tschernobyl vor. Dort kommen allerdings zahlreiche Missbildungen bei Vögeln hinzu - an Augen und im Gefieder. 40% der männlichen Vögel sind steril und sterben früher. Die Gehirne der Tiere werden kleiner. Ein Forscherteam von Greenpeace hat 2016 die Folgen der Reaktorkatastrophe in Fukushima zu Wasser und zu Land untersucht. Der Greenpeace-Report lässt aufhorchen: Vor allem Süßwasserfische im Mündungsgebiet der Flüsse sind radioaktiv verseucht. Pflanzen an Land nehmen radioaktive Elemente aus dem Boden auf und konzentrieren sie. Pollen aus der japanischen Sicheltanne sind stark mit Cäsium belastet. Bei Tieren und Pflanzen treten Mutationen auf. Doch Japans Ministerpräsident Ade sagt: "Die Lage ist unter Kontrolle". Anderes kann er kaum sagen, denn er will die 51noch immer stillgelegten AKW wieder ans Netz bringen. Aber zwischen 70% und 80% der Japaner sind heute gegen Atomkraft. Selbst unter den Anhängern der Regierungspartei des Ministerpräsidenten sind mehr gegen Atomkraft als dafür. Das könnte Ministerpräsident Abe bei den Wahlen in diesem Jahr den Sieg kosten, vermutet die angesehene Zeitung "Japan Times". Dass die Atomenergie auch in Japan problemlos zu ersetzen ist, zeigt ein Blick auf die derzeitige Stromerzeugung: nur noch 0.9 Prozent des japanischen Stroms wird zurzeit aus drei Atomkraftwerken erzeugt. Beim Stromsparen haben die Japaner in den letzten sechs Jahren eine beeindruckende Meisterleistung des Gemeinsinns vollbracht: Der Strom von 13 AKW wurden schlicht eingespart. Solaranlagen ersetzen während der sommerlichen Stromlastspitze bereits mehr als zehn AKW. Allmählich kommt auch die Windenergie in Fahrt. Bei der "1. World Conference Community Power" im letzten November spreche ich am Abend nach dem Bürgermeister von Fukushima und stelle den Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Atomnutzung her, den Zusammenhang zwischen Hiroshima, Nagasaki und Fukushima. Gerade die Japaner wissen, dass es keine Atombomben geben kann ohne den Stoff, den ein AKW produziert. Viel Zustimmung bekomme ich für diesen Satz: "Ohne AKW keine Atombombe. Und solange es Atombomben gibt, besteht die Gefahr von Atomkriegen. Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg in der Geschichte der Menschheit. Denn danach gäbe es keine Menschen mehr, die noch Kriege führen könnten". In Japan wird dieser Zusammenhang besser verstanden als sonst wo auf der Welt. Hiroshima, Nagasaki, Fukushima - Wenn wir überleben wollen, werden wir ein elftes Gebot lernen müssen: Du sollst den Kern nicht spalten! Quelle: (c) Franz Alt 2017 - www.sonnenseite.com . Dieser Text wird hier mit freundlicher Genehmigung von Franz Alt veröffentlicht. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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