Herzhafter Protest gegen die harte Abschiebepolitik der Landesregierung - 4000 Unterschriften für Abschiebestopp nach Afghanistan übergebenBis zu 300 Menschen haben am 15.03.2017 in Tübingen unter dem Motto "Mit Herz gegen Härte" friedlich gegen die Flüchtlings- und Abschiebepolitik der baden-württembergischen Landesregierung protestiert. Landesinnenminister Dr. Thomas Strobl, der am selben Abend im Saal der Museumsgesellschaft vor geschlossener Gesellschaft einen Vortrag mit dem leider völlig ironiefreien Thema "Mit Herz und Härte - Grundlagen unserer humanen und konsequenten Flüchtlingspolitik" halten wollte, wurde mit lautstarkem und buntem Protest vor dem Museum in Empfang genommen. Bereits zuvor hatten sich bei einer Auftaktkundgebung auf dem Tübinger Holzmarkt Redner_innen aus verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Spektren deutlich gegen den harten Kurs der baden-württembergischen Landesregierung in der Flüchtlingspolitik ausgesprochen. Flüchtlingspolitik nur im Konsens möglichProf. Matthias Möhring-Hesse, Inhaber des Lehrstuhls für Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen ging in seinem Redebeitrag vor allem auf die Bezeichnung "Gesinnungsethiker" ein, mit dem die ehrenamtlich in der Geflüchtetenarbeit engagierten Menschen von Seiten der Abschiebebefürworter auch aus den Reihen der Regierungsparteien zunehmend diffamiert würden. Dieser Begriff sei auch historisch schon ein rein polemischer Kampfbegriff gewesen, der in sachlichen Debatten noch nie etwas Konstruktives beigetragen habe. Möhring-Hesse betonte, dass die Abschiebepolitiker sich durch die Verwendung dieses Begriffes entgegen ihrer mutmaßlichen Absicht eben gerade nicht selbst automatisch als vernünftig und human handelnde Verantwortliche darstellen könnten und betonte, dass eine verantwortliche und humane Flüchtlingspolitik nur im Konsens mit den ehrenamtlich engagierten Flüchtlingshelfern möglich sei. Werner Hörzer vom Sprecherrat der Flüchtlingsunterstützergruppen sprach stellvertretend für die ca. 2000 ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagierten Menschen, die im Landkreis Tübingen in ca. 40 verschiedenen Unterstützerkreisen organisiert sind. Er betonte, dass durch die aktuellen politischen Vorgaben der Landesregierung und der Kommunen ein partnerschaftliches Zusammenwirken von Ehrenamtlichen und Behörden hin auf gelungene Integrationsanstrengungen behindert werde. Hörzer kritisierte auch das städtische Konzept der Anschlussunterbringung von bereits länger in Deutschland lebenden Geflüchteten. Von diesen würden einerseits intensivere Integrationsbemühungen als zu Beginn ihres Aufenthalts in Deutschland verlangt, andererseits würden z.B. in der kommunalen Anschlussunterbringung Europastrasse in Tübingen durch das Zusammenpferchen von jeweils zwei wildfremden Personen, die sich ein kleines Zimmer von 10-12 m² ohne jegliche Rückzugsmöglichkeiten teilen müssten, diese Integrationsbemühungen strukturell wieder zunichte gemacht. Afghanische Geflüchtete: Wir sind gekommen, weil wir einen endlosen Krieg in unserem Land habenZwei junge afghanische Geflüchtete betonten, dass es im Moment nirgendwo in Afghanistan sichere Gebiete gebe und alle in dieses Land abgeschobenen Menschen in Lebensgefahr kämen. Sie selbst seien unter großen Gefahren nach Deutschland geflüchtet, um eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben, Sicherheit und Bildung zu haben. Beide gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, ihre in Deutschland erworbenen Kenntnisse irgendwann auch beim Wiederaufbau ihres von Krieg und Terror zerstörten Herkunftslandes einzubringen, sobald eine Rückkehr dorthin in Würde und Sicherheit möglich sei. Sie erklärten sich solidarisch mit dem politischen Protest gegen die Abschiebepolitik der Regierung und mit allen nach Deutschland geflüchteten Menschen aus Ländern wie den Balkanstaaten, Irak und Syrien, die wie sie selbst ebenfalls akut oder in absehbarer Zukunft von einer Zwangsrückführung in Krieg, Elend und lebensbedrohliche Umstände bedroht seien oder zunehmend massiv zur sogenannten "freiwilligen Ausreise" genötigt würden. Bereits zu Beginn der Kundgebung hatte Auftaktrednerin Gisela Bleicher-Kehrer vom Friedensplenum Tübingen kritisiert, dass sich das "Abschiebemusterländle" Baden-Württemberg als einziges von Grünen mitregiertes Bundesland jüngst im Bundesrat für eine Einstufung der Maghreb-Staaten, in denen ebenfalls große Teile der Gesellschaft von staatlicher oder sozialer Repression bedroht seien, als sogenannte "sichere Herkunftsländer" ausgesprochen habe. Auch die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel warf der Landesregierung in ihrer kurzen Ansprache eine zynische und menschenverachtende Haltung in der Flüchtlingspolitik vor. Sie kritisierte vor allem auch die Pläne der Bundesregierung, in offensichtlich repressiven und undemokratischen nordafrikanischen Ländern wie Ägypten Lageranstalten für aus Deutschland zwangsabgeschobene Geflüchtete zu etablieren. Henning Zierock von der "Gesellschaft Kultur des Friedens" wies abschließend auf die bestehenden Zusammenhänge zwischen weltweiter Flucht und Vertreibung, Waffenexporten und Militäreinsätzen westlicher Staaten sowie globaler wirtschaftlicher Ausbeutungsprozesse hin. Strobls Abschiebungs-Orgie: Politischer Erfolg wird an Abschiebungszahlen gemessenFast wöchentlich finden Sammelabschiebungen aus Baden-Württemberg statt, insbesondere in die zu "sicheren Herkunftsländern" erklärten Balkanstaaten. Julian Staiger vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg informierte in seinem Redebeitrag, dass in den ersten zweieinhalb Monaten des Jahres bereits 668 Personen aus Baden-Württemberg in 43 Länder abgeschoben wurden. Wenn dies so weitergeht, wird dies im Wahljahr zu einer Verdopplung der Abschiebezahlen im Vergleich zum Vorjahr führen. Für diese Entwicklung zeichnet Innenminister Strobl verantwortlich. Staiger wies darauf hin, dass bei den Abschiebungen auf menschliche Schicksale keine Rücksicht mehr genommen werde und dass selbst der rechtliche Rahmen scheint immer wieder nicht eingehalten zu werden: "Neben den Geflüchteten, als größte Opfer dieser Abschiebepolitik, leiden wir Unterstützer und Unterstützerinnen. Diese Abschiebepolitik ist keine Politik mit "Herz und Härte". Diese Abschiebepolitik ist eher eine Politik unter dem Motto "Unmenschlichkeit und staatliche Brutalität".
"Strobl ins Museum - da gehört er hin!"Im Anschluss an die Protestveranstaltung auf dem Holzmarkt zogen bis zu 300 Menschen, darunter viele Geflüchtete und Flüchtlingsunterstützer_innen, nach kurzer Verzögerung durch die Polizei gemeinsam in einem Demonstrationszug vom Holzmarkt zum Lustnauer Tor und versammelten sich dort zu einer bunten, lauten und friedlichen Abschlusskundgebung vor dem Museum, um Innenminister Strobl als Repräsentant der Landesregierung mit Herz, aber ohne Härte, zu empfangen. Eine Fahrspur der Wilhelmstrasse wurde dabei von den Protestierenden für Rettungsfahrzeuge und Busse freigehalten. Die Teilnehmer_innen des Protestes verkürzten sich die etwas längere Wartezeit auf das Eintreffen von Herrn Dr. Strobl, indem sie immer wieder lautstark ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge, ein Ende der Illegalisierung von geflüchteten Menschen und ein Ende der von der Landesregierung forcierten Abschiebungspolitik forderten. Auch die Versuche von Politikern aus den Reihen der Regierungskoalition, nach rechts abgewanderte Wählergruppen aus wahltaktischen Gründen durch rechts-populistische Forderungen und immer weitere Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik zurückzugewinnen und dies auf dem Rücken der schutzbedürftigen Menschen auszutragen, die nach Deutschland geflüchtet seien, wurden deutlich und stimmgewaltig kritisiert. Die zu diesem Zeitpunkt bereits anwesenden geladenen Gäste der Veranstaltung im Museum wurden ebenfalls mit Flugblättern und in Gesprächen über das Anliegen und die Hintergründe des Protestes informiert. Gegen 20.45 Uhr kam Innenminister Strobl dann am "Museum" an. Er musste sich seinen Weg durch die lautstark protestierende Menge bis zum Eingang bahnen: "Say it loud say it clear, refugees are welcome here" und in Abwandlung "Say it loud say it clear, Strobl is not welcome here", "Stop deportations!" und "Kein Mensch ist illegal!" waren einige der Sprechchöre, mit denen die Protestierenden auf der Wilhelmstrasse gegenüber dem Minister ihrem Widerspruch gegen seine politischen Forderungen Ausdruck verliehen. Mit der spontan formulierten Parole: "Strobl ins Museum - da gehört er hin!" machten etliche weitere Demonstrierende vor dem Eingang des Museums deutlich, was sie von der rückwärtsgewandten und auf nationaler Abschottung beruhenden Grundhaltung des Landesinnenministers in Sachen Flüchtlingspolitik hielten. 4.000 Unterschriften für einen Abschiebestopp - Grüne müssen jetzt zu ihren Grundsätzen stehenDie vom Bündnis Bleiberecht Tübingen in den letzten Wochen gesammelten 4.000 Unterschriften der Petition "Tübinger Aufruf: Keine Abschiebungen nach Afghanistan - gegen Krieg und Terror überall!" wollte der mit deutlicher Verspätung eintreffende Innenminister dann leider nicht in aller Öffentlichkeit entgegennehmen; sie durften ihm aber später von einem Delegierten der Protestierenden im Rahmen der geschlossenen Veranstaltung überreicht werden. Im zwei Tage später erschienenen Zeitungsartikel im Schwäbischen Tagblatt lässt sich Strobl dann folgendermaßen zitieren: "Ich werde mich da nicht beirren lassen", betonte Strobl: "Abschiebungen sind nie fröhlich. Es ist ein bitteres Geschäft, Menschen an einen Ort zu bringen, an den sie nicht wollen." Man vollziehe in Baden-Württemberg Bundesrecht. Gleichzeitig müsse die EU ihre Außengrenzen besser schützen." (Schwäbisches Tagblatt 17.3.17) Das Bündnis Bleiberecht hält jedoch fest:Herr Dr. Thomas Strobl kann sich in seiner Funktion als Landesinnenminister (seit Juni 2016) nicht scheinheilig hinter einem seit Jahren auf Bundesebene stetig weiter verschärften Asyl- und Aufenthaltsrecht verstecken, dessen immer zynischere und inhumanere Ausgestaltung er selber seit vielen Jahren als CDU-Bundestagsabgeordneter von 1998 bis 2016 auf der bundespolitischen und parlamentarischen Bühne aktiv vorangetrieben hat und in seinen weiteren Funktionen als amtierender Vizevorsitzender der Bundes-CDU und Merkel-Stellvertreter immer noch, als einer der obersten Scharfmacher seiner Partei, ungehemmt betreibt und mitverantwortet. 4.000 Menschen haben bis zum Mittwoch mit ihrer Unterschrift klar gemacht, dass sie die Abschiebepolitik dieser Landesregierung und dieses Innenministers nicht mehr mittragen ( Tübinger Aufruf: KEINE ABSCHIEBUNGEN NACH AFGHANISTAN! GEGEN KRIEG UND TERROR - ÜBERALL! ). Und damit es nicht vergessen wird - die zentralen Forderungen dieser Petition lauten:
Hier erwartet das Bündnis Bleiberecht insbesondere von den Grünen eine Abkehr von ihrer menschenrechtsfeindlichen Konsenspolitik mit der CDU. Das Bündnis kritisiert hierbei auch den faulen Kompromiss zwischen Grünen und CDU im Land, den der Koalitionsausschuss am 7. März getroffen hat. Dieser sieht vor, dass weiter nach Afghanistan abgeschoben werden, aber jeder Einzelfall soll noch genauer geprüft werden. Das zuständige RP Karlsruhe soll sogar proaktiv auf Bleibemöglichkeiten hinweisen. Dass dieser "Kompromiss" nicht mehr ist als eine öffentlichkeitswirksame Beruhigungspille für die grüne Basis, die sich zwischenzeitlich verschiedentlich für einen Abschiebestopp stark machte, dürfte offensichtlich sein.
Gelungene ProtestaktionenDas Bündnis Bleiberecht Tübingen, das zu den Protesten aufgerufen hatte, sieht in den von einem breiten Spektrum aus progressiven Kräften, Geflüchteten, ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer_innen und bis weit ins bürgerliche Lager hinein unterstützten Kundgebungen und Aktionen vom Mittwochabend ein deutliches Signal, dass sich immer mehr Menschen weigern, die von der grün-schwarzen Landesregierung politisch forcierte Spaltung in vermeintlich "schlechte" Flüchtlinge, die man abschieben müsse, um Raum für die vermeintlich "guten" Geflüchteten zu schaffen, stillschweigend mitzutragen. Es sei gelungen, Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen zu Protesten gegen den aktuellen Kurs der Landesregierung in der Flüchtlingspolitik und für die Menschenrechte von Geflüchteten zu mobilisieren. Viele Menschen seien nicht länger dazu bereit, die aktuell von der Landesregierung praktizierte zynische und menschenverachtende Art der Aufenthaltsbeendigung und Zwangsrückführung schutzsuchender, in die Mitte unserer Gesellschaft geflohener Menschen hinzunehmen. Politisch Verantwortliche wie Thomas Strobl müssten auch in Zukunft damit rechnen, dass sie mit ihrer Politik der Härte gegen Geflüchtete und ihrem offensichtlichen Anbiedern an nationalistische und menschenfeindliche Positionen auf den breiten und direkten Widerspruch einer kritischen Öffentlichkeit jenseits der Bierzelte und Stammtische treffen würden. Das Bündnis, ein offener Zusammenschluss von einzelnen Menschen und verschiedenen Gruppen, die sich gemeinsam für ein Bleiberecht aller Geflüchteter und gegen Abschiebungen in Krieg, Terror und Elend einsetzen, rief dazu auf, sich auch zukünftig an weiteren Aktionen gegen die Aufenthaltsbeendigungspolitik der Landesregierung und zu konkreter, praktischer Solidarität für alle von Zwangsrückführung bedrohten Mitmenschen zu beteiligen. Dokumentation:
Quelle: Bündnis Bleiberecht Tübingen - Pressemitteilung und Aktionsbericht vom 17.03.2017. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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