Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Protestkundgebung gegen Afghanistan-Abschiebungen in Gammertingen

Etwa 50 Menschen, darunter zahlreiche afghanische Geflüchtete, nahmen am 27. März 2017 anlässlich der vierten Sammelabschiebung nach Afghanistan an einer Protestkundgebung in der Kleinstadt Gammertingen auf der Schwäbischen Alb teil. Bei der von Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg organisierten Veranstaltung protestierten sie gegen unmenschliche Zwangsrückführungen ins Bürgerkriegsland Afghanistan und solidarisierten sich mit den Betroffenen. Zu hören waren Redebeiträge von Michael Schmid und Katrin Warnatzsch. Gudrun Scheuerle und Walter Märkle trugen Texte von Kurt Marti und Konstantin Wecker vor. Ein aktueller Kommentar des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig wurde vorgelesen.

"Menschenleben auf diese Weise zu gefährden, geht überhaupt nicht!"

Michael Schmid führte aus, dass Afghanistan eines der gefährlichsten, gewalttätigsten und krisengeschütteltsten Länder der Welt sei. Die Schreckensmeldungen rissen nicht ab. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) habe in seinem im Auftrag des Bundesinnenministers verfassten Berichts vom 22.12.2016 festgestellt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan im Laufe des vergangenen Jahres nochmals drastisch verschlechtert habe. Das gesamte Staatsgebiet Afghanistans sei von einem "innerstaatlichen bewaffneten Konflikt" im Sinne des europäischen Flüchtlingsrechtes betroffen, habe UNHCR festgestellt. Aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage könne man nicht zwischen sicheren und unsicheren Regionen in dem Bürgerkriegsland unterscheiden. Doch der Bundesinnenminister und verschiedene abschiebebereite Bundesländer würden diese sachgerechte und eindeutige Lageeinschätzung nicht zur Kenntnis nehmen und scheinbar unbeeindruckt von dieser zunehmend katastrophaleren Situation nun seit Ende Dezember 2016 Sammelabschiebungen aus Deutschland nach Afghanistan durchführen. Es sei absurd, unmenschlich und rechtswidrig, Menschen in die jetzige Situation hinein nach Afghanistan abzuschieben. Und deshalb gebe es reichlich Protest gegen diese Abschiebepolitik. Protest von Menschenrechtsorganisationen, Kirchen aber auch von einigen Bundesländern.

Heftige Kritik übte Michael Schmid daran, dass ausgerechnet Baden-Württemberg mit einem grünen Ministerpräsidenten an allen bisherigen Sammelabschiebungen beteiligt gewesen sei. Das habe nicht zuletzt auch bei den Grünen selber ziemlichen Protest hervorgerufen. Es reiche allerdings nicht aus, dass Ministerpräsident Kretschmann seine Sorgen über die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan zum Ausdruck bringe und vom Bundesaußenminister eine neue Einschätzung der Sicherheitslage fordere, gleichzeitig aber mittrage, dass aus Baden-Württemberg afghanische Schutzsuchende  in den Hindukusch abgeschoben würden. Es hätte auch sicher große Auswirkungen auf die Abschiebepolitik der Bundesregierung, wenn Baden-Württemberg sich, wie andere Bundesländer, nicht mehr an den Abschiebungen beteiligen würde. Deshalb erwarte er von den Grünen im Land, dass sie einen sofortigen Stopp der Afghanistan-Abschiebungen erwirken sollen. Diese Forderung richtete er ebenfalls an die Bundesregierung. Zudem sei Geflüchteten aus Afghanistan ein sicherer Aufenthaltsstatus zu gewähren, der das Recht auf Familiennachzug beinhaltet. Weiter seien Fluchtursachen zu bekämpfen und nicht geflüchtete Menschen. "Wir fordern also eine Politik, die sich der eigenen Mitverantwortung für globale Fluchtbewegungen stellt und Fluchtgründe wie Krieg, politische Verfolgung, Armut, Klimawandel usw. aktiv bekämpft."

"BAMF setzt Wunsch nach Senkung der Schutzquote für afghanische Schutzsuchende um"

In einer weiteren Rede ging Katrin Warnatzsch vor allem auf die Rolle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Hintergründe für die drastische Zunahme von Ablehnungsbescheiden für afghanische Schutzsuchende ein. Als im Herbst 2015 besonders viele Schutzsuchende in Deutschland angekommen seien, habe Bundesinnenminister Thomas de Maizière formuliert: Afghanistan stehe inzwischen bei der Zahl der Flüchtlinge auf Platz zwei der Liste der Herkunftsländer. Das sei inakzeptabel. "Wir wollen, dass in Afghanistan das Signal ankommt: ‘Bleibt dort! Wir führen euch aus Europa (…) direkt nach Afghanistan zurück!’" Sein Ziel sei es gewesen, dem Anstieg der Flüchtlingszahl aus Afghanistan "Einhalt" zu gebieten, wie es das Innenministerium auf seiner Website formuliert habe. Kurze Zeit später sei eine drastische Zunahme von Ablehnungen der Asylanträge von afghanischen Schutzsuchenden festzustellen gewesen. Habe die Schutzquote für Afghaninnen und Afghanen in Deutschland 2015 bei immerhin 78% gelegen, so sei sie 2016 trotz verschärfter Sicherheitslage in Afghanistan auf rund 60% gesenkt worden.

Diese deutliche Zunahme der Ablehnungen, die mit der politischen Einflussnahme auf das BAMF zu tun habe, zeige sich ganz drastisch bei den in Gammertingen lebenden afghanischen Schutzsuchenden. Neun von ihnen hätten dieses Jahr einen Bescheid des BAMF erhalten. Davon gebe es eine einzige Anerkennung des Flüchtlingsstatus und acht Ablehnungen! Das entspreche einer rechnerischen Ablehnungsquote von über 88 %! "Das ist absolut unmenschlich angesichts der Zustände im Bürgerkriegsland Afghanistan! Wenn ich diese ablehnenden Textbausteinbriefe lese, bin ich fassungslos und  wütend." Sie erlebe mit, so Katrin Warnatzsch, wie die Empfänger dieser Ablehnungsbescheide in Angst und Schrecken versetzt würden. Und die anderen, die mit Angst und Bangen dem eigenen Bescheid zu ihrem Asylantrag entgegenfiebern, seien fast ebenso betroffen davon. "Dies alles ist offensichtlich politisch gewollt: Abschreckung, Zermürbung, daraus folgend der Verzicht auf Rechtsmittel, ‚freiwillige Rückkehr’, notfalls dann die Abschiebung…".

Den ablehnenden Bescheiden könne allerdings mit einer Klage beim Verwaltungsgericht begegnet werden. Durch das Lebenshaus Schwäbische Alb würden die abgelehnten Schutzsuchenden dabei unterstützt werden, diesen Klageweg zu gehen. Abschließend forderte Katrin Warnatzsch von der Leitung des BAMF, dass jeglicher Druck auf Anhörer und Entscheider seitens der Bundesregierung zugunsten deren "politischen Willen" aufs Schärfste zurückgewiesen werde. Und vor allem von der Bundesregierung und den Landesregierungen forderte sie einen völligen Kurswechsel in Bezug auf afghanische Schutzsuchende. Diesen sei eine sichere Bleibeperspektive in unserem Land zu gewähren.

"Ich habe einen Traum"

Zwischen den Reden trugen Gudrun Scheuerle und Walter Märkle den Text "die hoffnung" des Schweizer Pfarrers und Schriftstellers Kurt Marti vor, der im Februar im Alter von 96 Jahren verstorben ist. Als weiteren Beitrag lasen sie den Liedtext des Liedermachers Konstantin Wecker mit dem Titel "Ich habe einen Traum" (siehe Links unten) vor. Inspiriert von Martin Luther Kings Rede vom August 1963 in Washington "I have a dream", geht es darin um das Öffnen der Grenzen, um das Teilen, gemeinsames Zusammensitzen, miteinander Tanzen, Lachen und Singen. Das Lied endet mit dem Vers: "Ja, ich hab einen Traum von einer Welt und träume ihn nicht mehr still: es ist eine grenzenlose Welt, in der ich leben will."

Rüdiger Wrana las einen aktuellen Kommentar des Afghanistan-Experten Thomas Ruttig vor. Darin wird darauf hingewiesen, dass jeder Anschlag in Europa größte Beachtung und große Sorgen nach sich ziehe, während der weitaus blutigere Terror in Afghanistan längst zum Alltag gehöre und bei uns auf Verdrängung statt auf Mitgefühl stoße.

Proteste weiterhin sinnvoll und notwendig

Michael Schmid wies zum Schluss der Kundgebung darauf hin, dass angesichts des ungeheuerlichen Unrechts, das mit diesen Sammelabschiebungen geschehe, Proteste weiterhin sinnvoll und notwendig seien. Außer der Teilnahme an Protestveranstaltungen sei es wichtig, wenn in der Flüchtlingssolidarität engagierte Menschen Briefe an ihre Bundes- und Landtagsabgeordneten, an die Bundesregierung, die Landesregierung, an Parteien und Abgeordnete schreiben würden, um ihre Meinung über die Abschiebungen nach Afghanistan zu äußern. Gerade im Wahljahr und angesichts der Tatsache, dass flüchtlingsfeindliche Stimmen sich besonders laut in unserer Gesellschaft äußern, sei es bedeutsam, dass sich diejenigen ebenfalls zu Wort melden, die sich für eine menschliche Flüchtlingspolitik einsetzten.

Mit dem von Anneliese Volz angeregten Lied "We shall overcome" wurde die Versammlung beendet.

Die Gammertinger Protestkundgebung war eingebettet in zahlreiche Protestaktionen gegen Afghanistan-Abschiebungen, die in den vergangenen Tagen stattfanden. So gab es weitere Proteste in Stuttgart, Karlsruhe, Berlin, Frankfurt, Leipzig, am Abschiebegefängnis Mühldorf in Bayern. Über 300 Menschen protestierten am Montagabend ebenfalls am Münchener Flughafen, von dem aus der Abschiebeflieger mit 15 Menschen startete, die zwangsweise nach Kabul verbracht wurden.

(Michael Schmid)

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Veröffentlicht am

29. März 2017

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