Eine Pipeline in den KriegWie die Eskalation in Syrien mit Waffenlieferungen über den Balkan angeheizt wurdeVon Claudia Haydt Der Export von Rüstungsgütern in Spannungs- und Kriegsgebiete ist sowohl nach deutschem Recht, als auch durch entsprechende EU-Richtlinien und selbst durch internationales Recht (ATT - Arms Trade Treaty) verboten. Dennoch finden Waffen aus Deutschland und solche aus anderen westlichen Ländern immer wieder ihren Weg in diese Regionen, so auch im Fall von Syrien. Besonders in den ersten Jahren des Bürgerkrieges wurde das Land mit Waffen, die überwiegend aus alten Armeebeständen im Balkan stammten, regelrecht geflutet. Das machte die Eskalation des Bürgerkrieges in diesem verheerenden Ausmaß erst möglich. Auch wenn noch längst nicht alle Fakten der gezielten Destabilisierung bekannt sind, sind zwischenzeitlich doch einige der Mechanismen, über die der Aufstand in Syrien militarisiert und hunderttausende Menschenleben zerstört wurden, nachvollziehbar. Waffen in SpannungsgebieteWenn aus Deutschland Waffen in Drittstaaten verkauft werden, dann unterschreiben diese Staaten eine sogenannte Endverbleibserklärung. Da die ministerielle Bürokratie zwar viel Wert auf das Abheften dieser Erklärungen legt, aber keinerlei personelle Ressourcen zur Kontrolle des Verbleibs der Waffen hat, ist hier dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche der Waffen, besonders im Bereich der Kleinwaffen, die in den letzten Jahren in die Golfstaaten oder auch in die Türkei geliefert wurden, auf diesem Weg auch nach Syrien kamen. Zudem sind zahlreiche der Waffen, die zu Ausbildungszwecken von der Bundeswehr und ihren NATO-Verbündeten in den Irak geliefert wurden, zwischenzeitlich bei den Truppen des Daesh/IS gelandet. Der WDR berichtete: "Sturmgewehre vom Typ G3, Baujahr 1986, werden auf den Märkten zu einem Preis von 1.450 bis 1.800 US-Dollar angeboten. Die Pistole P1 des deutschen Herstellers Walther lag im Schaufenster eines Waffengeschäftes in Suleymanniya aus - sie wurde für 1.200 US-Dollar angeboten und war noch in einem Karton mit deutscher Beschriftung originalverpackt.""Bundeswehr-Waffen auf dem Schwarzmarkt im Nordirak", NDR.de vom 21.01.2016 ( http://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/Bundeswehr-Waffen-auf-dem-Schwarzmarkt-im-Nordirak-,pressemeldungndr16758.html ). Viele der Waffen dürften aber auch ohne den Umweg über den irakischen Schwarzmarkt den direkten Weg nach Syrien gefunden haben, da zahlreiche Kämpfer - nicht nur, aber auch abhängig davon, wer den besten Sold bezahlt - ihre Loyalitäten wechseln.Veranschaulicht wird das u.a. durch das vom US-Verteidigungsministerium geförderte "Mapping Militants"-Project der Stanford University ( http://web.stanford.edu/group/mappingmilitants/cgi-bin/ ). Im Falle Syriens ist auffällig, dass neben dieser fast schon "normalen" Form der Proliferation von Waffen auch eine massive und systematische Ausrüstung von Rebellenformationen stattgefunden hat. Das Recherchenetzwerk "Balkan Investigative Reporting""Making a Killing - The 1.2 Billion Euro Arms Pipeline to Middle East", Bakan Arms Trade Projekt des BIRN ( http://www.balkaninsight.com/en/article/making-a-killing-the-1-2-billion-euros-arms-pipeline-to-middle-east-07-26-2016 ). hat akribisch nachvollzogen, wie seit 2012 nahezu eine "Waffen-Pipeline" aus dem Balkan in den Nahen und Mittleren Osten entstand. Dutzende von Frachtflugzeugen mit Waffen und Munition, die noch aus jugoslawischen Beständen stammten, belieferten bereits kurz nach Beginn des Aufstandes Gruppierungen in Syrien. Die Flugzeuge starteten von Zagreb aus, die Ladung wurde von saudischen Geldgebern bezahlt und das Entladen fand in Jordanien oder der Türkei statt. Die Verbindung zwischen Käufern und Verkäufern soll laut einem Bericht der New York Times in Washington hergestellt worden sein. Zuerst handelte es sich überwiegend um ältere Waffen aus den 1970er und 1980er Jahren. Besonders beliebt waren Panzerabwehrwaffen, Munition für Maschinengewehre, Projektile für Mörser und Ähnliches. Die Behörden in Bulgarien, Kroatien und anderen Balkanländern verwiesen darauf, dass sie die Waffen nur in die Golfstaaten exportieren würden und dass gegen diese kein Waffenembargo bestehe. Dass Flugzeugladungen voller alter Waffen sowjetischer Bauart zum Verbleib in den Golfstaaten, die sonst nur die modernsten Waffen für ihre Armeen einkaufen, vorgesehen sind, ist jedoch äußerst unwahrscheinlich. Ein ganz normales Geschäft?Im Juni 2015 sorgte ein tödlicher Unfall dafür, dass aus der vermuteten Kooperation zwischen Rüstungsproduzenten im postsowjetischen Balkanraum, US-amerikanischen Geldgebern und syrischen Rebellen Gewissheit wurde. Ein Mitarbeiter der US-Firma Purple Shovel"Making A Killing…", a.a.O. löste beim Munitionieren eines Raketenwerfers auf einem bulgarischen Testgelände eine Explosion aus; er kam dabei ums Leben, zwei weitere US-Bürger und zwei Bulgaren wurden verletzt. Purple Shovel hatte für insgesamt 28,3 Millionen Dollar einen Auftrag vom US-Amerikanischen Special Operations Command (SOCOM) erhalten, syrische Kämpfer mit Waffen und Munition auszurüsten und sie im Einsatz dieser Waffen zu trainieren. Diese Aufgaben überträgt das SOCOM vorzugsweise Söldnern wie dem Navy-Veteranen, der bei diesem Zwischenfall verstorbenen ist. Den öffentlich einsehbaren Bilanzen des SOCOM ist zu entnehmen, dass dies keineswegs der einzige vergleichbare Auftrag war. Vertreter des Recherchenetzwerks BIRN sprachen 2015 mit Rebellen-Kommandeuren aus Idlib und Aleppo, die beschrieben, wie die Verteilung der Waffen aus dem Balkan an die oppositionellen Kräfte über zwei sogenannte "military operations rooms" in der Türkei und in Jordanien abgewickelt wurde. Die Rüstungsgüter wurden im Anschluss im LKW über die Grenze nach Syrien gebracht oder aus Militärflugzeugen abgeworfen. Insgesamt wurden seit 2012 über die Balkanroute Waffendeals im Wert von mindestens 1,2 Milliarden Euro vertraglich abgewickelt. Allein Saudi-Arabien bestellte seit 2012 Waffen im Wert von 829 Millionen Euro, die mit größter Wahrscheinlichkeit nicht für die eigene Armee gedacht sind. Um einen Einblick in die Natur dieser Waffendeals zu geben, sei hier kurz der Inhalt einer einzelnen saudischen Bestellung"Making A Killing…", a.a.O. aus dem Jahr 2013 dokumentiert: Eine Waffenbestellung aus Saudi-Arabien 2013
Während die Balkanroute für die Flüchtlinge, die auch eine Folge dieser Exporte sind, längst geschlossen ist, gehen die Waffengeschäfte weiter. Da zwischenzeitlich offensichtlich die Bestände aus Zeiten vor 1990 weitgehend geleert sind, stammen die Waffen, die auf diesem Wege auf die Schlachtfelder in Syrien (und manche wohl auch in Jemen) geschickt werden, aus aktuellerer Produktion. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sei an dieser Stelle daran erinnert, dass der Waffenhandel zwischen Staaten wie Deutschland, Frankreich oder den USA und den Golfstaaten - finanziell betrachtet - einen wesentlich größeren Umfang hat, als die Rüstungsgüter, die aus dem Balkan in die Region fließen. Allein im "Jahr 2015 und im ersten Halbjahr 2016 genehmigte die Bundesregierung Rüstungsexporte im Gesamtumfang von über 750 Millionen Euro an Saudi-Arabien.""Making A Killing…", a.a.O. Allerdings handelt es sich bei diesen Waffenlieferungen in der Regel um deutlich komplexere Waffensysteme, deren Produktion längere Zeiträume umfasst und deren Anwendung nur nach aufwändiger Trainingsphase möglich ist. Die oben beschriebenen Lieferungen aus dem Balkan zeigen die unbedingte Entschlossenheit der Auftraggeber (USA und Golfmonarchien), den Bürgerkrieg in Syrien mit Waffen und Munition zu versorgen, die sofort einsatzbereit sind. Durch dieses gezielte Fluten von aufständischen Milizen mit Waffen, deren Nutzung in der Region jeder gelernt hat, der seinen Wehrdienst abgeleistet hat, wurde der Konflikt in Syrien bewusst umfassend militarisiert. In diesem Kontext war ziviler politischer Protest nahezu unmöglich und aus dem innersyrischen Konflikt wurde ein Stellvertreterkrieg, in dem sowohl regional als auch global Zug um Zug mehr Akteure mitmischten. Die Opfer des KriegesDie sehr schnelle Militarisierung des Aufstandes in Syrien machte nahezu alle Bevölkerungsgruppen in Syrien zu Verlierern. Etwa eine halbe Million Menschen starben bisher. 1,2 Millionen wurden zum Teil schwer verwundet und etwa die Hälfte der Bevölkerung befindet sich auf der Flucht. Sie halten sich als Binnenflüchtlinge im eigenen Land oder in den Nachbarländern auf oder sie versuchen, den zunehmend abgeriegelten Westen auf immer gefährlicheren Routen zu erreichen. Wer den Menschen in Syrien wirklich helfen will, muss dafür sorgen, dass einerseits sämtliche Waffenlieferungen umgehend eingestellt werden und andererseits den Flüchtlingen aus der Region legale und sicherere Wege aus dem Bürgerkrieg geöffnet werden. Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - IMI-Analyse 2017/04. FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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