“Ist es schlimm, wenn wir nur Wenige sind?”Von Michael Schmid - Impulsreferat beim Treff im Lebenshaus, 20.01.2007 Wenn wir uns für eine bessere Gesellschaft engagieren, eine Weltgesellschaft, in der es friedlicher und gerechter zugeht als in der heutigen und in der mit unserer Lebensweise nicht die natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden, ist es natürlich nahe liegend, dass wir mit einem solchen Engagement auch Erfolg haben wollen. Allerdings haben wir es oft mit übermächtigen Gruppierungen zu tun, z.B. mit einer Weltherrschaft multinationaler Konzerne, mit dem militärisch-industriellen Komplex, mit Regierungen und internationalen Institutionen, die den Interessen jener Konzerne und Interessengruppen zu Diensten sind. Und wir haben es zu tun mit einem Beharrungsvermögen in uns Menschen selber, das uns oft abhält, notwendige Veränderungen aktiv anzugehen. Dazu kommt eine konservative Weltanschauung von Menschen um uns herum, die leicht dazu führt, denjenigen, die für Veränderungen eintreten, feindselig gestimmt gegenüber zu treten. Wir denken oft, wir müssten diesen mächtigen Gruppen sehr viele Menschen entgegensetzen, also Mehrheiten gewinnen, um etwas erreichen zu können. Nun weiß ich aus über 30 Jahren Engagement in den sozialen Bewegungen, dass es ab und zu Situationen gibt, in welchen wirklich Massen zu mobilisieren sind. Zum Beispiel war dies sehr eindrucksvoll Anfang der 80er Jahre so, als plötzlich eine neue Friedensbewegung zu einer wahrhaften Massenbewegung wurde, mit dem Höhepunkt im Jahr 1983, in dem u.a. die sagenhafte Menschenkette von Stuttgart nach Ulm mit rund 400.000 Menschen gebildet werden konnte. Doch kaum wurden ab November 1983 die neuen Atomwaffen aufgestellt, war es mit der Massenbewegung vorbei. Vielfache Resignation griff um sich. Auch meine persönlichen Gammertinger Erfahrungen in den vergangenen 26 Jahren zeigen, dass es immer wieder Situationen oder gar Phasen gibt, in denen mehr Menschen sich engagieren (z.B. Anfang der 80er Jahre gegen Raketenstationierung, Tschernobyl, Volkszählungsboykott, Golfkrieg). Aber selbst dann, wenn es mehr waren, die sich für eine lebenswertere Welt einsetzten, oder gegen einen Krieg wandten oder gegen Atomenergie, waren wir letztlich eine kleine Minderheit in diesem konservativen Landstrich. Wir sind in der Gammertinger Gesellschaft auf massive Schwierigkeiten gestoßen. Ausgrenzung war die vorherrschende Antwort. Oft auch nachhaltige Anfeindungen. Es waren zum Teil wirklich heftige Erfahrungen. Sicherlich ist dieses Minderheiten-Sein nicht überall so extrem erfahrbar wie hier in unserem ländlichen Raum. Doch auch in größeren Städten macht jede non-konforme Gruppe die Erfahrung, dass sie eine Minderheit darstellt. Es gilt also diese Minderheitensituation wahrzunehmen und anzunehmen. Es bringt uns nicht weiter - im Gegenteil - wenn wir nur darüber jammern, dass wir nicht mehr, dass wir keine Mehrheit sind. Es gilt auch das Potential zu entdecken, das in einer bewussten Minderheit stecken kann. Ich möchte zwei inzwischen leider verstorbene Menschen zu Wort kommen lassen, die für mich in diesem Zusammenhang (und in anderen ebenfalls) Wegweisendes gesagt haben: Dorothee Sölle und Willi Haller. Der Weg der MinderheitDorothee Sölle: "Wenn wir nur `die Herren dieser Welt´ anstarren und die Masse der unschädlich gemachten Einzelnen, dann sehen wir noch nicht mit den Augen des anderen Blickes. Die Weltangst umfängt uns dann und sperrt uns in das besteingerichtete Gefängnis, das es je gab. Das Neue Testament bietet eine andere Perspektive. Sein soziologisches Modell sind weder die Massen noch die einzelne Seele, sondern die Gruppen, die sich gemeinsam auf einen neuen Weg machen. Innerhalb der Geschichte christlicher Mystik beriefen sich die aufrührerisch-mystischen Bewegungen immer wieder auf die Urgemeinde und ihre Lage im antiken Imperium. Sie sprachen damit eine Zeit an, in der nicht eine geordnete patriarchale Hierarchie entschied, was Gottes und was des Kaisers sei, sondern die Gruppen selber die sich auf Gottes Recht gegen das des Kaisers beriefen. (…) Die Urgemeinde verweigerte sich bestimmten gesellschaftlichen Angeboten und Zwängen des Imperiums. (…) Abstinenz, Distanz, Dissens, Widerspruch und Widerstand gingen in ihrer Minderheitskultur ineinander über." Und Dorothee Sölle weiter Bezug auf die heutige Situation: "Die Hoffnungsträger im gegenwärtigen Szenario der `global players´ auf der einen und der isoliert-amüsierten Individuen auf der andern Seite sind Gruppen, die auf Freiwilligkeit, Kritikfähigkeit und eigene Initiative setzen. Diese Nichtregierungsorganisationen (…) sind politisch gesprochen die Trägerinnen von Widerstand. Spirituell gesprochen verkörpern sie ein anderes Subjekt als das im Gefängnis des Konsumismus eingeschlafene." (Sölle, 244f.) Willi Haller geht bei von einem Ansatz zur politischen Veränderung aus, der auf die Instrumente von Macht, Herrschaft und Gewalt verzichtet. Wer dies will, dem bleibt nicht viel anderes übrig, als sich zunächst Gleichgesinnte zu suchen. Es bleibt zweitens, andere im Gespräch zu überzeugen. In diesem Sinn hat Jesus seine JüngerInnen ausgesandt. Bei Matthäus Kap. 10 ist zu lesen: "Wenn ihr in eine Stadt oder in ein Dorf kommt, dann seht euch nach jemand um, der für euere Botschaft offen ist, und es darum verdient, euch aufzunehmen. … Wo man euch nicht aufnehmen und nicht anhören will, da geht aus dem Haus oder der Stadt weg und schüttelt den Staub von den Füßen." Willi Haller sagt, dass also die Gleichgesinnten gesucht und gesammelt werden sollen. Sie bilden gemeinsam die Arbeitsgruppe für die Verwirklichung der gemeinsamen politischen Ziele. Sie treten nach jesuanischer Politik nicht als eine Partei auf, die versucht, an die Macht zu kommen, um ihre politische Überzeugung auch gegen den Willen des Restes durchzusetzen. "Sie betrachten sich vielmehr gemeinsam als eine Pioniergesellschaft, deren Aufgabe es ist, unter Verzicht auf Macht und Mandat ihren politischen Willen innerhalb der eigenen Strukturen zu verwirklichen, also sich selbst individuell und kollektiv in die Pflicht zur Umkehr und zur Veränderung zu nehmen. Sie gleichen so den Pionierpflanzen, die nach Naturkatastrophen oder in unwirtlichen Gebieten als erste den Boden besiedeln und ihn so vorbereiten für die Besiedlung durch andere. Das primäre Ziel der politischen Arbeit im Sinne Jesu ist also nicht die nationalstaatliche Großgesellschaft, sondern die Bildung einer alternativen Gesellschaft innerhalb der Großgesellschaft, ohne sich durch deren Grenzen einschränken zu lassen. Dabei geht es im ersten Schritt um die Bildung von Basisgemeinden, also von überschaubaren solidarischen Gemeinschaften. (…) Die Veränderung der eher ablehnend und feindselig gesinnten Großgesellschaft ist erst als sekundäres, indirektes Ziel ins Auge gefasst (…). Die Vorstellung von der Veränderung der politischen Landschaft der Großgesellschaften basiert nicht auf Mitteln der Macht. Die Veränderung soll also nicht erzwungen werden. Sie ist nicht mehr als ein Angebot, das auf einem konkreten gesellschaftlichen Beispiel aufbaut."(Haller, S. 39f.) Nach Willi Haller ist also das beispielhafte Handeln einer Gemeinschaft der Weg, der letztlich auch zur politischen Veränderung führen soll. "Jesuanische Politik unter Verzicht auf die Ausübung von Macht und Herrschaft kann als Träger für ihre Durchsetzung nur auf die Gemeinschaft der Gleichgesinnten bauen und auf die Hoffnung, dass diese Gemeinschaft wächst, sich mit anderen netzartig verbindet und schließlich für die nationalstaatlichen Großgesellschaften zum nachahmenswerten Beispiel wird. Dieser Weg zur Durchsetzung politischer Ziele beginnt also mit dem Selbstversuch und der Selbstverpflichtung, individuell wie kollektiv. Dabei kann die kollektive Dimension nicht hoch genug bewertet werden. Schließlich geht es vor allem um soziale Probleme und damit um die solidarische Gemeinschaft und Gesellschaft, die irgendwann weltumspannende Dimensionen annehmen muss" (Haller, S. 46) Erfolg - ErfolglosigkeitJede kritische Minderheit, die zu einem anderen Leben beitragen möchte, muss sich mit der Frage nach dem Erfolg auseinander setzen. Bei allen unseren möglichen oder tatsächlichen Handlungen taucht immer wieder die Frage auf: Welchen Sinn hat dieser Protest oder jene Aktion? Was wollt ihr damit schon erreichen? Und wen? Wer sieht das schon? Wie öffentlich wird es? Bildet ihr euch im Ernst ein, dass das Erfolg haben kann? Solche Fragen verunsichern die Parteilichkeit für das Leben selber. Hinter ihnen lauert der Zynismus, der zeigt, wie eingebunden der Einzelne an die Machtverhältnisse ist. Von Martin Buber stammt der Satz: "Erfolg ist kein Name Gottes." Dahinter verbirgt sich eine Haltung, die in den Kategorien der Macht nicht benannt werden kann. Es geht darum, das Ich los zu lassen. Und "das Ich loslassen heißt unter anderem, den Zwang zum Erfolg hinter sich zu lassen. Es heißt ‘hingehen, wo du nichts bist’, und ohne diese Gestalt der Mystik verläuft sich der Widerstand und stirbt vor unseren Augen." (D. Sölle, S. 288) Natürlich soll das Herstellen von Öffentlichkeit, das Gewinnen von Mittätern, die Veränderung von Akzeptanz eine Rolle spielen. "Aber das letzte Kriterium der Beteiligung an widerständigem, an solidarischem Verhalten kann nicht der Erfolg sein, das hieße immer noch nach der Melodie der Herren dieser Welt zu tanzen." (Sölle, S. 289) Die Entmutigung durch jahrelange Erfolglosigkeit in den großen Bewegungen für einen Frieden, der nicht mehr auf Waffen gebaut ist, für wirtschaftliche Gerechtigkeit und Solidarität und für die Bewahrung der Schöpfung ist ein Faktum, bitter und unübersehbar. Dorothee Sölle zieht aus dieser schwierigen Situation die Erkenntnis: "Die Mystik der Ichlosigkeit hilft mir dabei, mit den Niederlagen Gottes in unserer Welt umzugehen. Das Ich loszuwerden heißt, die Wahrheit nicht dem Erfolgsdenken zu opfern. Ledig werden bedeutet, den Erfolg nicht für die letzte Kategorie zu halten." (290) Viele Formen, die wir z.B. in der Friedensbewegung angewandt haben, mit denen wir so etwas wie Widerstand inszenierten, haben etwas von der Narrenhaftigkeit eines Jesus, der als ein Narr, als ein Irrer galt. "Frauen, die an Mahnwachen für gefolterte Gefangene teilnahmen, werden angepöbelt und beschimpft. Frei zu werden von den Zwängen des Erfolg-haben-Müssens ist ein mystischer Kern, der keineswegs immer bewusst ist, aber gerade im Trotz des Weitermachens aufscheint. Der … Spruch ‘Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt’ hat etwas von diesem Trotz der Ichlosigkeit." Es gibt viele mystische Lehrerinnen und Lehrer, die dabei helfen können, Freiheit von dem Zwang zum Erfolg zu erreichen. Thomas Merton, Mönch in einem Trappistenkloster und ein führender Gegner des Vietnamkriegs - auf mysteriöse Weise übrigens bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen - Thomas Merton hat 1966 in einem Brief an James Forest auf den mystischen Grund dieser inneren Freiheit hingewiesen: "Mache dich nicht selbst abhängig von der Hoffnung auf Erfolge. Du musst damit rechnen, dass all dein Bemühen womöglich fruchtlos bleibt oder sich ins Gegenteil auswirkt. Rechne mit dieser Möglichkeit. Wenn du dich daran gewöhnst, wirst du dich allmählich immer mehr auf den Wert, auf das Richtigsein, auf Wahrheit deiner jeweiligen Arbeit konzentrieren, und immer weniger auf ihre Ergebnisse."(Sölle, 290f.) Merton rät dem jüngeren Pazifisten dazu, von dem Bedürfnis frei zu werden, seine eigene Bestätigung zu finden. "Dann kannst du offener für die Kraft sein, die durch dich wirken will, ohne dass du es weißt." Dorothee Sölle: "Ich bin im Jan 1976 mit einer kleinen Widerstandsgruppe aus der katholischen Linken in den USA um Daniel Berrigan vor dem Pentagon gewesen, zu einer symbolischen gewaltfreien Aktion. Wir waren etwa 40 Leute, einige knieten nieder und begleiteten die Aktion durch Gebet. Als ich nach Hause kam, die Presse hatte nichts über unsere Aktion berichtet, und danach Daniel Berrigan traf, da fragte ich ihn: "Wer hört uns denn, wer sieht uns denn, was ändern wir denn, wenn wir so was tun?" Daniel Berrigan hat lange geschwiegen, und dann hat er mir zwei Dinge gesagt. Das eine war: "War es eigentlich je anders?" Damit meinte er diese Grunderfahrung von Christen: in der Minderheit zu sein, nicht in der Mehrheit, nicht an der Macht, sondern unterlegen, wie Christus und kein bisschen besser dran. Das Zweite, das er mir sagte, war: "Du kannst den Erfolg nicht zu deiner letzten Kategorie machen. Wenn du nur das tust, was Erfolg verspricht, dann machst du dich selbst kaputt. Wenn für dich das Entscheidende in deinem Handeln das Erfolghaben ist, dann zerstörst du deinen eigenen Anspruch auf Wahrheit, dann zerstörst du den Menschen, der du eigentlich bist." Dorothee Sölle meint, je mehr ihr bei gemeinsamen Aktionen in den USA klar wurde, wie sehr sie selber von der Frage nach dem Erfolg geprägt war, "desto mehr wuchs mein Erstaunen darüber, dass meine Freunde in der mystischen, vom "Catholic Worker" geprägten Friedensbewegung sie hinter sich gelassen hatten. Sie waren von ihr ‘frei geworden’, und ihre Freiheit erschien mir größer als die, die ich besaß." (291) ZusammenfassungWer sich auf langfristiges Widerstehen einstellen, wer den langen Atem für sein notwendiges Engagement behalten möchte, der wird wohl nicht umhin kommen, Erfolg nicht zur obersten und einzigen Kategorie bei seinem Handeln zu machen. Es gibt einfach Dinge, die musst Du tun, unabhängig davon, ob sie unmittelbaren Erfolg versprechen oder nicht. Das andere ist, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und sich in und trotz der Minderheitenposition auf den Weg zu machen, um das zu verändern, was durchaus schon verändert werden kann, ohne dass Mehrheiten mitmachen. Natürlich dürfen wir dabei auch hoffen, dass unser Tun nicht völlig folgenlos bleiben wird. Willi Haller hat uns für diesen Weg durchaus auch Mut gemacht. Er meinte, dass den schöpferischen Pionierleistungen und ihrer ständigen Wiederholung eine entscheidende Schlüsselrolle zukommt. "Ohne Macht, Zwang und Gewalt schafft sie neue Formen und neue Normen, die die weitere Wiederholung bis hin zur allgemeinen Selbstverständlichkeit immer mehr erleichtern, so dass schließlich auch die großartigen prophetischen Visionen, etwa die nach Jesaja 2 und Micha 4, Wirklichkeit zu werden vermögen."(S. 51) In die gleiche Richtung weisen Untersuchungen aus den USA über den Prozess der Durchsetzung von sozialen Innovationen. Es heißt dort, dass 5 % der Bevölkerung genügen, um eine Idee fest zu verwurzeln. Hat die Idee erst einmal 20 % der Bevölkerung erfasst, so wird sie unaufhaltsam. Allerdings ist offen, wie lange diese beiden Schritte dauern. Jedenfalls braucht es aber nicht von vornherein die Mehrheit, auf die wir mit unserer machtpolitischen Prägung starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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