Anschlagsopfer! Und die Kriegsopfer?
Der (Terror-)Anschlag verursacht eine enorme Resonanz. Im Kontrast dazu lösen unschuldige Kriegsopfer wenig Betroffenheit aus.
Von Urs P. Gasche
Zuerst einige Fakten:
- Ein in England geborener, sozial und sexuell frustrierter, wahrscheinlich ideologisch verführter und vielleicht angestifteter Secondo ermordet in Manchester 22 Kinder und Jugendliche und verletzt 59 weitere.
- Die SRF-Tagesschau berichtete um 19.30 Uhr insgesamt 13 Minuten lang über diesen (Terror-)Anschlag, mit ausführlichen "Verurteilungen" von Bundesrätin Doris Leuthard, Donald Trump, Angela Merkel und Emmanuel Macron: Alle wollen den "Terror" noch stärker bekämpfen und betonen gleichzeitig, dass solche Anschläge nie ganz verhindert werden können.
- Seit Monaten bombardiert in Jemen eine US-gestützte saudische Koalition namentlich die ganze Infrastruktur des Landes wie Wasser- und Stromversorgung, Brücken, Schulen und Spitäler. Tausende von unschuldigen Kindern, Jugendlichen und Familien sind ums Leben gekommen, schwer verletzt oder hungern. Nach Angaben von Dominik Stillhart vom IKRK sind bereits 11’000 Menschen an Cholera erkrankt. Wochenlang haben die SRF-Tagesschau und viele große Schweizer Zeitungen über den Krieg in Jemen und die vielen unschuldigen Opfer kaum berichtet. Auch von Leuthard, Trump, Merkel oder Hollande war und ist nichts zu hören.
- Nach der rücksichtslosen Vertreibung des IS aus dem syrischen Aleppo durch die Russen - unter Inkaufnahme vieler Opfer unter der Zivilbevölkerung - geschieht seit Monaten Ähnliches im irakischen Mossul. Der IS missbrauchte die Zivilbevölkerung auch dort als Schutzschild und verhinderte, wenn immer möglich, deren Evakuation und Flucht. Das Vertreiben des IS aus dem Westteil mit anfänglich 750’000 Einwohnern durch das von den USA gelenkte irakische Militär geschieht - auch aus den genannten Gründen - ohne große Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Eine strenge Kontrolle des Informationsflusses hat mit dazu geführt, dass beispielsweise die SRF-Tagesschau über dieses Drama wochenlang nicht informierte (siehe
"Die SRF-Tagesschau und das Drama in Mossul"
vom 11.4.2017).
- Weitere Kriege wüten zur Zeit im Südsudan, in Somalia, Afghanistan und anderswo. Die vielen unschuldigen zivilen Opfer, darunter viele Kinder und Jugendliche, bringen es bei uns nur ausnahmsweise in die Schlagzeilen. Diese Kriege sind mit ein Grund für die Flüchtlingswelle nach Europa.
Dazu einige Fragen:
- Warum lösen vereinzelte (Terror-)Anschläge in Europa in den Medien und bei den Politikern eine derart breite Resonanz aus, während die vielen zivilen Opfer von Kriegen nur selten eine Erwähnung finden?
- Warum wird nicht heftig darüber debattiert, wie Kriege beendet werden können? Und warum nicht darüber recherchiert und informiert, wer die Kriege finanziert und wer die Waffen liefert?
- Schürt die Art und Weise der Information über die Terroranschläge in Europa irrationale Ängste, welche Regierungen dazu ausnützen können, Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger ungebührlich einzuschränken?
Medien spielen IS in die Hände
Nach dem Attentat in Manchester schickte die ARD sogleich Reporter an Eingänge von Konzertanlässen in Deutschland und fragte Besucherinnen und Besucher, ob sie keine Angst hätten, die Konzerthalle oder das Stadion zu betreten - als ob sie Angst haben sollten oder dann besonderen Mut zeigen müssten.
Tatsächlich ist die Gefahr, wegen eines Terroranschlags ums Leben zu kommen, in Europa vergleichbar mit dem Risiko, durch einen Blitz getroffen zu werden. Tim Harford, britischer Ökonom und Kolumnist der "Financial Times" hat die Wahrscheinlichkeiten, während eines Jahres ums Leben zu kommen, für die USA wie folgt ermittelt:
1: 9’000 durch Verkehrsunfall;
1: 20’000 durch Mord oder Totschlag;
1: 10’000’000 durch einen terroristischen Anschlag.
Terrorangriffe und -attentate können kein westliches Land aus den Angeln heben. Das Ziel des IS und der Terroristen besteht darin, eine irrationale Angst zu verbreiten und zu irrationalen Reaktionen zu verleiten. Das scheint ihnen zu gelingen. Jeder kleinere und größere Amokläufer bringt es zu Sondersendungen und aufgeblasenen Terror-Schlagzeilen.
Quelle:
Infosperber.ch
- 24.05.2017.