Redebeitrag bei Protestkundgebung gegen Abschiebungen nach Afghanistan am 31.5. in Gammertingen80 Menschen versammelten sich am 31. Mai 2017 zu einer Kundgebung in Gammertingen (Landkreis Sigmaringen), um gegen die ursprünglich für diesen Abend vorgesehene sowie gegen weitere geplante Sammelabschiebungen nach Afghanistan zu protestieren. In einer Rede ging Michael Schmid vom Veranstalter "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V." auf aktuelle Ereignisse sowie Hintergründe und Zusammenhänge der Afghanistan-Abschiebungen ein.
Von Michael Schmid
Für den heutigen 31. Mai hat die Bundesregierung die nächste, also die sechste Sammelabschiebung nach Afghanistan geplant. Sie wollte erneut Menschen, die vor einem endlosen Krieg, vor dem Terror von Taliban und IS oder vor sonstiger Verfolgung geflohen sind, zwangsweise und mit hohem Kostenaufwand nach Afghanistan zurückverfrachten. Nun haben sich heute die Ereignisse überschlagen: Es gab einen weiteren verbrecherischen Anschlag in der afghanischen Hauptstadt Kabul mit hunderten von Toten und Verletzten. Das hat offensichtlich dazu geführt, dass Bundesinnenminister de Maizière den für heute geplanten Abschiebeflug hat stornieren lassen. Ich möchte zunächst zu einer Schweigeminute einladen, in der wir in Stille der Opfer des heutigen Anschlags in Kabul gedenken und all der Opfer von Gewalt, die es in den vergangenen Wochen in Afghanistan gegeben hat. (Schweigeminute)
Gegen diese Politik wird heute an zahlreichen vielen Orten in ganz Deutschland protestiert. Und, wie der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bekanntgemacht hat, finden heute allein in unserem Bundesland Protestkundgebungen an neun Orten statt. Das bedeutet, dass es in Baden-Württemberg mehr Proteste gegen die Sammelabschiebungen nach Kabul als je zuvor gibt. Das zeigt auf erfreuliche Weise, dass es viele Menschen gibt, die nicht bereit sind, Abschiebungen nach Afghanistan zur Normalität werden zu lassen. Es ist empörend, dass die Bundesregierung in menschenverachtender Weise weiterhin sämtliche Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks und anderer seriöser Organisationen über die Sicherheitslage in Afghanistan verharmlost und ignoriert und diese Abschiebungen einfach fortsetzen möchte. Die verbrecherischen Angriffe in Afghanistan wie der von heute zeigen deutlich: Die Bundesregierung lügt, wenn sie behauptet, dass es in Afghanistan sichere Gebiete gäbe, in die abgeschoben werden könne. In Kabul kommt es regelmäßig zu Anschlägen auf Zivilisten, die viele Menschenleben fordern - dass die Bundesregierung die Stadt trotzdem als sicher genug einstuft, um monatlich mehrere Afghanen dorthin abzuschieben, ist einfach zynisch. T Die Sicherheitslage am Hindukusch hat sich dermaßen verschlechtert, dass inzwischen die NATO plant, den Militäreinsatz wieder deutlich zu verstärken. Weder staatliche noch internationale Akteure sind in der Lage, sich selbst oder abgeschobene Flüchtlinge zu schützen. Auch das Auswärtige Amt hat seine Reisewarnungen für Afghanistan seit dem 22.05.2017 weiter verschärft: "Der Aufenthalt in weiten Teilen des Landes bleibt gefährlich. Jeder längerfristige Aufenthalt ist mit zusätzlichen Risiken behaftet….". Aber das gilt nur für Deutsche, für abgeschobene Afghanen dagegen offensichtlich nicht. Im Dieser politische Druck hat bereits erhebliche Auswirkungen auf die Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Bekamen 2015 noch annähernd 80 Prozent der afghanischen Asylsuchenden Schutz, sank die Zahl in den ersten vier Monaten 2017 auf 46,6 Prozent. Am stärksten von Ablehnungsbescheiden betroffen sind "alleinreisende junge Männer", wie diese Gruppe im Politikerjargon bezeichnet wird. Für sie gibt es nahezu gar keinen Schutz mehr durch das BAMF. Sie können offensichtlich ja wieder ruhigen Gewissens zurück ins Bürgerkriegsland Afghanistan geschickt werden! Die Auswirkungen dieser menschenverachtenden Politik können wir hier vor Ort leider miterleben. In den vergangenen Wochen und Monaten kam für die hier in Gammertingen lebenden afghanischen Männer ein Ablehnungsbescheid nach dem anderen. 16 von 17 Bescheide des BAMF enthielten Ablehnungen. Das entspricht einer unglaublichen Ablehnungsquote von über 94 Prozent hier vor Ort! Ich schäme mich für das Leid, das durch die P Natürlich hoffen wir, dass zumindest die Klagen gegen diese Bescheide beim Verwaltungsgericht erfolgreich sein werden. Und auf diesem Weg begleiten und unterstützen wir euch auch. Aber wie das alles ausgehen wird, ist noch ungewiss. Wer die reale Gefahrenlage in Afghanistan zur Kenntnis nimmt, weiß: Abschiebungen sind unverantwortlich und gefährden Menschenleben. Deshalb fordern wir:
Weiter solidarisieren und engagieren!Damit afghanische Geflüchtete hier dauerhaft einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten und eine neue Lebensperspektive, ist unsere Solidarität, ist unser Engagement erforderlich. Allen hier unter uns lebenden Afghanen möchte ich versichern: wir stehen an eurer Seite und werden alles in unserer Macht Stehende tun, um euch zu schützen. Wir sind solidarisch mit euch, indem wir die Umstände Eurer Verfolgung und Flucht und Eure persönliche Situation öffentlich machen und ebenso die aktuelle Situation in Afghanistan. Wir machen gemeinsam deutlich, dass eure Abschiebung gegen die Menschenrechte verstößt. Und wir tragen unsere Empörung über diese unmenschliche Politik auf die Straße, so wie heute hier in Gammertingen und an vielen anderen Orten.
Vielen Dank für die Teilnahme an unserer Veranstaltung heute Abend! Weitere Kundgebungsbeiträge: Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, haben sich rund 40 afghanische Flüchtlinge aus dem Landkreis Konstanz zusammengetan und einen Hilferuf an die deutsche Politik formuliert. Dieser Aufruf wurde bei der Gammertinger Kundgebung zunächst von Zubair in Dari, dann von Katrin Warnaatzsch die deutsche Übersetzung vorgelesen.
Gudrun Scheuerle und Walter Märkle trugen den Text von Michael Gleich vor:
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