Leonardo Boff: Immer wartet jemand auf GodotVon Leonardo Boff Ich kannte einmal einen Mann, der alles Mögliche in seinem Leben gemacht machte. Man sagt, er wäre erst Marxist gewesen, denn wäre er Söldner in der französischen Fremdenlegion geworden und hätte viele Menschen erschossen. Plötzlich bekehrte er sich, wurde Mönch, ohne sich jedoch von der Welt zurückzuziehen. Er begann, als Hafenarbeiter zu arbeiten, doch er verbrachte all seine freie Zeit mit Gebet und Meditation. Tagsüber rezitierte er Mantren: "Jesus, steh mir bei", "Jesus, vergib mir meine Sünden", "Heilige mich, Jesus", "Jesus, mach mich zu einem Freund der Armen", "Jesus, mach mich so arm wie die Armen". Interessanterweise hatte er seine eigene Gebetsweise: Er dachte: Wenn Gott in Jesus Mensch geworden ist, dann war Er wie wir: Er pieselte, weinte wie ein Baby um Nahrung, hatte Wutausbrüche, wenn etwas Ihn ärgerte sowie wenn Seine Windel voll war. Anfangs mochte Er Maria möglicherweise lieber, dann mochte Er Josef mehr, wofür die Psychologen die passenden Erklärungen haben. Und Er wuchs genauso auf wie unsere Kinder, spielte mit Ameisen, jagte Hunde, warf mit Steinen nach den Eseln, und dieser Schlingel hob auch die Röcke der Mädchen, um sie wütend zu machen, wie Fernando Pessoa sich respektloserweise vorstellte. Er betete zu Maria, der Mutter des Kindes Jesu, und stellte sich vor, wie sie Jesus in den Schlaf wiegte, wie sie Seine Windeln im Teich wusch, wie sie Seine Babynahrung zubereitete und ein gehaltvolles Mahl für ihren Mann, den guten Josef, kochte. Und bei solchem Nachsinnen war er glücklich, denn er fühlte sie und lebte es wie etwas, das seinem Herzen wichtig war. Er weinte auch oft aus spirituellen Glücksgefühlen. Als er Mönch wurde, entschied er sich für diejenigen, die die Welt zu ihrer Mönchszelle machen, und er lebte in radikaler Armut gemeinsam mit den Armen: den Kleinen Brüdern von Foucauld. Er gründete eine kleine Kommunität in der ärmsten Favela der Stadt. Er hatte wenige Anhänger. Das Leben war sehr hart: mit den Armen arbeiten und meditieren. Es waren nur drei, die so mit ihm lebten, doch schließlich gaben sie auf. Ein solch hartes Leben war nichts für sie. Er lebte in verschiedenen Ländern, wurde stets von den Militärdiktaturen vom Tode bedroht. Er musste sich verbergen und in andere Länder flüchten. Dort geschah ihm jedoch stets dasselbe. Doch er fühlte sich geborgen in Gottes Hand. Darum lebte er sorglos. Die institutionelle Kirche war ihm unbehaglich wie die fromme Christenheit, die sich nicht für Gerechtigkeit für die Armen einsetzte, doch schließlich arbeitete er in einer Gemeinde, die mit dem und für das Volk da war. Er arbeitete mit den Landlosen, den Obdachlosen und einer Gruppe Frauen. Die Prostituierten hieß er willkommen, die kamen, um sich bei ihm auszuweinen. Getröstet gingen sie wieder von ihm. Er hatte den Mut, öffentliche Demonstrationen vor dem Rathaus zu organisieren und ermutigte zur Besetzung von unbebautem Land. Und als es den Land- und Heimatlosen gelang, sich dort niederzulassen, hielt er mit ihnen schöne ökumenische Zelebrationen mit vielen Symbolen, den sogenannten Mystikern, ab. Jeden Tag zog er sich nach der Nachmittagsmesse für eine ganze Weile in die dunkle Kirche zurück. Lediglich das Nachtlicht spendete einen schwachen Lichtschein, der die toten Statuen in lebendige Geister verwandelte und die aufragenden Säulen in merkwürdige Hexen. Dort blieb er, reglos, die Augen auf den Tabernakel gerichtet, bis der Küster kam, um die Kirche zu schließen. Eines Tages ging ich in die Kirche, um ihn aufzusuchen. Ich fragte ihn direkt: "Kleiner Bruder (seinen Namen möchte ich nicht nennen, es würde ihn betrüben), fühlst du Gott, wenn du nach der Arbeit hierher in die Kirche kommst, um zu meditieren? Spricht Gott zu dir?" Mit einer großen Ruhe wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwacht, schaute er mich seitlich an und sagte: "Ich spüre nichts. Seit langem habe ich die Stimme meines Freundes (so nannte er Gott) nicht mehr gehört. Einmal fühlte ich Ihn. Es war faszinierend. Es füllte meine Tagen mit Musik. Jetzt höre ich nichts mehr. Vielleicht wird der Freund nicht mehr zu mir sprechen." Ich fragte ihn darauf: "Warum kommst du dann immer noch hierher in die heilige Dunkelheit der Kirche?" "Ich komme noch immer", antwortete er, "weil ich bereit sein möchte. Sollte der Freund kommen, um Sein Schweigen hinter sich zu lassen und zu reden, dann bin ich hier, um Ihm zuzuhören. Stell dir vor, Er käme, um mit mir zu sprechen, und ich wäre nicht da! Denn zu jeder Gelegenheit kommt Er nur einmal … Was geschähe mit mir untreuem Freund des Freundes?" Ja, er gab nicht auf, "auf Godot zu warten". Und er rührte sich nicht vom Fleck, wie im Stück von Samuel Beckett. Ich ließ ihn zurück in seiner vollkommenen Verfügbarkeit. Ich ging rätselnd und meditierend davon. Dank dieser Menschen ist die Welt sicher und schenkt Gott Seine Gnade denen, die Ihn vergessen oder Ihn für tot halten, wie ein Philosoph sagte, der verrückt wurde. Doch da gibt es diejenigen, die wachen und warten, sie warten auf Godot, voller Hoffnung. Und dieses Warten macht jeden Tag neu und voller Freude. Eines Tages fand der Küster ihn über die Kirchenbank gebeugt. Er dachte, er würde schlafen, doch er bemerkte, dass sein Körper kalt und steif war. Da der Freund nicht kam, ging er hin, um Ihn zu finden. Nun braucht er nicht mehr auf das Kommen Gottes zu warten. Er wird mit dem Freund sein, eine Freundschaft feiern, wie man sie sich nicht freudvoller vorstellen kann, und diese Feier wird kein Ende haben. Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission Quelle: Traductina , 29.05.2017. 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