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Verantwortungsethik - was bedeutet das?

Von Ullrich HahnZur Einführung in das Thema "Gewaltfreie Außenpolitik heute - aus verantwortungsethischer Perspektive" (Heidelberger Gespräch" 2014) hat Ullrich Hahn die folgenden Thesen vorgetragen.

1. Der Begriff der Verantwortung

Kommt vom lateinischen respondere (antworten), und in der Verbindung "officio respondere" bedeutet es: seiner Verpflichtung nachkommen. Ursprünglich beschreibt respondere die Aufgabe eines Menschen vor Gericht: auf die dort erhobenen Vorhaltungen oder Anklagen zu antworten.

Im Zusammenhang mit der Politik hat die Rede von einer Verantwortung wohl erst Ende des 19. Jahrhunderts die "Pflicht" abgelöst. Im davor geltenden Weltbild hatten die Menschen je nach ihrem Stand ihre je besonderen Pflichten. Möglicherweise hielten die Menschen dann in der komplexer gewordenen Welt und für- die damit größer gewordenen Freiheiten der einzelnen Akteure die "Verantwortung" für sich als angemessener als das Unterworfensein unter eine Pflicht. "Ich habe Verantwortung" hört sich für unsere Ohren besser an als "ich habe meine Pflichten".

2. Verantwortungsethik

Von einer spezifischen Verantwortungsethik des Politikers hat wohl als erster Max Weber gesprochen ("Politik als Beruf" 1919). Er grenzt sie ab zur Gesinnungsethik: "Wir müssen uns klar machen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: Es kann "gesinnungsethisch" oder "verantwortungsethisch" orientiert sein. Nicht, dass Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt - religiös geredet: "Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim", oder unter der verantwortungsethischen: dass man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat."

In der Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns, den Erfolg, sieht Weber den einen Unterschied zum Gesinnungsethiker, im Gebrauch des Mittels der Gewalt den anderen: "Für die Politik ist das entscheidende Mittel: Gewaltsamkeit hier, an diesem Problem der Heiligung der Mittel durch den Zweck, scheint nun auch die Gesinnungsethik überhaupt scheitern zu müssen. Und in der Tat hat sie logischerweise nur die Möglichkeit: jedes Handeln, welches sittlich gefährliche Mittel anwendet, zu verwerfen. Logischerweise."

3. Der verantwortliche Politiker

Zu Webers Bild des verantwortlichen Politikers ist kritisch anzumerken:

a) Der Bezugsrahmen seiner Verantwortung ist der Nationalstaat, sowie es noch heute in Art. 56 GG in der Eidesformel für die Regierenden heißt: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, … meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werden. So wahr mir Gott helfe." Für die Gesinnungsethiker, gegen die sich Weber abgrenzt (insbesondere Leo Tolstoi und wohl auch den "Weltbürger" Immanuel Kant) war und ist der Bezugsrahmen nicht die eigene Nation, sondern die Menschheit und die in allen Weltkulturen bekannte "goldene Regel" (entsprechend dem kantschen kategorischen Imperativ): "Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu."

b) Die "voraussehbaren Folgen" des Einsatzes "sittlich gefährlicher Mittel", insbesondere der Gewalt sind zunächst einmal sicher: Verletzungen, Zerstörungen, Tod. Unsicher dagegen ist die Prognose der vom Politiker erwarteten guten Fernwirkungen seiner verfolgten Zwecke: Frieden und Gerechtigkeit.

c) Wie die Erfahrung zeigt, bestimmen die eingesetzten Mittel eher den verfolgten Zweck, als dass der angestrebte Zweck die Mittel heiligt. Auch Max Weber ist diesbezüglich skeptisch, obwohl er den Einsatz sittlich bedenklicher Mittel in zahlreichen Fallen für unumgänglich halt, denn "keine Ethik der Welt kann ergeben: wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck, die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenfolgen heiligt".

4. Für was sind wir aber im engeren und weiteren Sinne verantwortlich?

Verantwortlich sind wir zunächst für die Folgen unseres eigenen Tuns und für die verursachten Schäden zur Wiedergutmachung und zum Ersatz verpflichtet. Die Talionsregel des Alten Testaments und in aller alten Kulturen ist in erster Linie eine Plicht zum Schadensersatz: "Auge um Augenersatz, Zahn um Zahnersatz, Wunde um Wundenersatz."

Das Militär der ganzen Welt hält sich an die Regel nur, wenn es um Manöverschäden im eigenen Land geht. Eine Klage der geschädigten Personen im anderen Land wegen Kriegsschäden gegen das Militär, welches diese Zerstörungen angerichtet hat, oder gegen die für den Militäreinsatz verantwortliche Regierung ist völkerrechtlich ausgeschlossen: wo gehobelt wird, da fallen Späne. Für die Folgen ihres Tuns halten sich die entsprechenden Akteure gerade nicht verantwortlich bzw. übernehmen keine Verantwortung.

Zu den strukturellen Folgen eigenen Tuns gehören auch die vielfaltigen Folgeschäden wirtschaftlicher Ausbeutung und asymmetrischer Handelsbeziehungen.

So ist gegen die Piraterie vor den Küsten Somalias eine ganze Kriegsflotte westlicher Staaten im Einsatz zum Schutz der Handelswege. Nach ausdrücklicher Auftragserteilung schützen diese Schiffe aber nicht die somalischen Küstengewässer vor der völkerrechtswidrigen Überfischung durch fremde Fangflotten, die dadurch die wirtschaftliche Existenzgrundlage der einheimischen Fischer zerstören. Das Militär greift also ein, wo uns durch die Folgen des eigenen Tuns selbst Schaden droht. Es werden Symptome des Unrechts bekämpft, nicht seine Ursachen.

5. Erst in einem weiteren Sinne können wir als Einzelne oder auch als Nation Verantwortung fibernehmen -

für eine fremde Not, die nicht von mir oder uns verschuldet ist. Nach Albert Schweizer ist Ethik die ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegenüber allem, was lebt. Man wird seiner Definition die Einschränkung hinzufügen müssen, dass Verantwortung neben dem Wissen um eine fremde Not auch die Macht voraussetzt, tatsachlich helfen zu können (Hans Jonas, das Prinzip Verantwortung).

Unsere Macht, d.h. unsere Mittel und Möglichkeiten als Einzelne und auch als Staat, sind begrenzt. Wir können nicht alles sondern nur etwas tun. Es wäre schon sehr viel, würden wir zumindest die primäre Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns übernehmen.

6. Zur Verantwortung gehört nicht nur,

dass die verfolgten Zwecke gerecht sein sollen; sondern auch die dafür eingesetzten Mittel müssen rechtmäßig sein. Es gehört zum ethischen Grundwissen, dass wir nicht alles machen dürfen, was wir machen können. In der Medizintechnik gilt als selbstverständlich, dass die notwendige Hilfe für einen sterbenskranken Patienten nicht durch eine unfreiwillige Organentnahme bei einem anderen Menschen geleistet werden darf. Leben darf nicht fremdbestimmt auf Kosten anderen Lebens gerettet werden.

Für die Entwicklung von Frieden und Gerechtigkeit mag zwar die Gewinnung von Macht und deren Einsatz erforderlich sein, nicht jedoch Gewalt, zumal nicht in ihrer militärischen Ausprägung. "Macht gehört zum Wesen aller staatlichen Gemeinwesen, Gewalt jedoch nicht." (Hanna Arendt, Macht und Gewalt).

Fußnoten

Veröffentlicht am

20. November 2014

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