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Was eine bestimmte Presse für “schlechtes Behandeln” hält

Von Holdger Platta

Zum Rechtsstaatsverständnis einer Zeitungsredaktion.

Die Lektüre von zwei, drei Tageszeitungen heute Morgen hat mir wieder einmal gezeigt, wieso es eine Website wie "Hinter den Schlagzeilen" (HdS) geben muss! Und: dass wir dankbar sein können dafür, nicht ganz allein kämpfen zu müssen für Wahrheit im Medienbetrieb. Es geht, noch einmal, um Gewalttaten beim G20-Treffen, das vor mittlerweile gut vier Wochen in Hamburg über die Bühne ging. Schrieb ich soeben "über die Bühne ging"? - Nun, wer sich die telegene Inszenierung des offiziellen Programms ins Gedächtnis ruft - mit Fototerminen und Schönrednerei bei den Pressekonferenzen, mit Freundlichkeitsmasken bei Zwiegesprächen und Beethovens Neunter in der Elbphilharmonie -, wird dieser Formulierung wohl zustimmen können. Doch wer bei "Gewalttaten" nur an die Vorkommnisse in Altona denkt, irrt - was sogleich erläutert werden soll, ganz im Sinne unserer Maxime, auch "Hinter die Schlagzeilen" zu schauen.

Heute las ich in unserem Regionalblättchen, der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen" (HNA), unter anderem die folgende Kurznachricht: inzwischen ermittle "die Staatsanwaltschaft" (welche, bleibt ungenannt) auch gegen Polizeibeamte. Der Grund, so die HNA: die Polizei habe in ihrer Gefangenensammelstelle (abgekürzt: GeSa) angereiste Demonstranten "schlecht behandelt". "Schlecht behandelt"? Das klingt merkwürdig harmlos in einem Zusammenhang, wo es offenkundig um Verdacht möglicherweise von Polizisten begangener Straftaten geht! Doch mehr an Wahrheit wollte die HNA uns Lesern offenbar nicht zumuten in diesem Kürzestbericht. Redaktionsarbeit gleich Beschönigungsarbeit? Berichterstattung fast auf dem Level der Null-Information? - Der Verdacht drängt sich auf. Und bestätigt sich sofort, wenn man an anderer Stelle weiterrecherchiert. Bei der sozialistischen Tageszeitung "Neues Deutschland" etwa, bei unseren verdienten Kollegen von den "Nachdenkseiten" und - man höre und staune - weiterrecherchiert sogar beim "Frankfurter Allgemeinen Sonntagsblatt", der FAS.

Was also ist, diesem HNA-Bericht zufolge, "schlechtes Behandeln" - ein Vorgang, der immerhin irgendeine Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen hat? Man bedenke: eine Strafermittlungsbehörde, die in direkter Weisungsabhängigkeit steht zum Justizministerium im jeweiligen Bundesland oder - wenn es sich um die Bundesstaatsanwaltschaft handelt - als nachgeordnete Behörde des Bundesjustizminsteriums fungiert! Voilà, hier der Sachverhalt, der bei "meiner" HNA lediglich als "schlechtes Behandeln" tituliert worden ist, und ich folge hier ganz ausdrücklich und vor allem der Darstellung im konservativen Sonntagsblatt aus Frankfurt am Main, der FAS.

Diesem Bericht zufolge waren - teilweise jugendliche - Demonstranten auf ihrer Busfahrt zur (friedlichen!) Samstagsdemonstration gegen das G20-Treffen Anfang Juli von der Polizei festgehalten worden, über viele Stunden hinweg, ohne jede Begründung. Mitglieder der DGB-Gewerkschaftsjugend waren dabei, Mitglieder der "Grünen Jugend" aus Nordrhein-Westfalen, Mitglieder der "Alevetischen Jugend NRW" nicht zuletzt, und es blieb nicht bei diesem "schlechten Behandeln", das alleine schon das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in der Bundesrepublik außerkraft gesetzt hat (siehe GG Artikel 8!). Die betreffenden Bürgerinnen und Bürger wurden von der Polizei anschließend auch noch in die Gefangenensammelstelle nach Hamburg-Harburg gebracht. Und dort nun - so "Die Falken" in einem Offenen Brief (der wo veröffentlicht worden ist???) - ging es weiter mit der sogenannt-schlechten Behandlung durch die Polizei. Hier das wörtliche Zitat aus dem Offenen Brief:

"In der GeSa wurden wir einzeln nacheinander heraus gebeten und wurden durchsucht. (…) Einige wurden neutral behandelt - andere wurden geschlagen, mit ihren Händen auf dem Rücken abgeführt oder ihnen wurden Handschellen angedroht. Einige der Jugendlichen mussten sich komplett nackt ausziehen (andere bis auf  die Unterwäsche) und wurden dann intensiv abgetastet".

Mit anderen Worten gesagt: Freiheitsberaubung im Amt (Strafgesetzbuch Paragraph 341), Gewaltanwendung gegen die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte (Strafgesetzbuch Paragraphen 106, 107, 108) und Verletzung der Menschenwürde (Grundgesetzartikel 1), diese schwersten Verstöße gegen unsere Rechtsordnung verbergen sich - neben der bereits erwähnten "sachgrundlosen" Außerkraftsetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit - hinter der Formulierung "schlechtes Behandeln", die unsere tapfere HNA-Redaktion - selbstverständlich frei von jeglicher Zensur - für diese Aufhebung aller Rechtsstaatlichkeit mit aller Niedlichkeit ausfindig zu machen verstand. Täusche ich mich, oder wird hier Bagatellisierung zum journalistischen Programm? Jedenfalls irrt sich, wer zukünftig bei "schlechtem Behandeln" lediglich daran denkt, dass einer zu einem anderen unfreundlich ist! Lediglich der HNA zufolge ist partielle Beseitigung jedweder Rechtsstaatlichkeit kein schlimmeres Delikt als die miese Miene eines Schalterbeamten! Heißt:

Die Freiheit der Presse scheint hie und da nur darin noch zu bestehen, alle Freiheit der Presse fahren zu lassen! Nicht mehr von Berichterstattung kann hier die Rede sein, sondern nur noch von Simulation der Berichterstattung! Klarheit und Wahrheit, Unabhängigkeit und Mut, das scheinen für Journalismus dieser Art nur noch Fremdwörter zu sein. Und das Grundgesetz ist in diesen Redaktionsstuben nur noch etwas, das irgendwo in einem Regal verstaubt.

Oder, liebe HdS-Leserinnen und HdS-Leser, verhält es sich ganz andersherum: ich bin derjenige, der andere - womöglich die allerliebsten Kollegen der Welt - mit dieser Glosse übers "schlechte Behandeln" ganz, ganz schlecht behandelt hat?

Dann kann ich nur hoffen, die Betreffenden schicken mir nicht die Polizei ins Haus!

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 01.08.2017.

Veröffentlicht am

03. August 2017

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