Mit Hochgeschwindigkeit zum Verbot von AtomwaffenVon Otfried Nassauer Nach nur zwei Verhandlungsrunden einigten sich am 7. Juli 2017 122 der Staaten dieser Welt in New York auf den Text eines Vertrags über das Verbot atomarer Waffen ( hier die deutsche Fassung ). Das ging schneller als erwartet, denn noch ist es nicht einmal ein ganzes Jahr her, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Mandat zu diesen Gesprächen erteilt hatte. Der Vertrag verbietet seinen Mitgliedsstaaten die Entwicklung, das Testen, die Produktion, den Erwerb und Besitz sowie die Lagerung und den Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen und anderen nuklearen Explosionskörpern. Er untersagt auch die direkte oder indirekte Weitergabe der Kontrolle über Nuklearwaffen, deren Lagerung auf dem Territorium der Vertragsmitglieder, sowie jede direkte oder indirekte Unterstützung bei der Verletzung der in dem Vertrag ausgesprochenen Verbote. Während der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die am 20. September 2017 beginnt, soll der Vertrag zur Unterzeichnung ausgelegt werden. Sobald ihn 50 Staaten ratifiziert haben, tritt er binnen 90 Tagen in Kraft. Der Atomwaffenverbotsvertrag wurde von einer Koalition der Willigen aus dem Kreis der nicht-nuklearen Staaten ausgehandelt. Treibende Kräfte waren unter anderem Österreich, Mexiko, Neuseeland und Südafrika. Alle Nuklearwaffenstaaten und fast alle europäischen Staaten blieben den Verhandlungen fern. Lediglich Irland, Liechtenstein, Österreich, Malta, Schweden, die Schweiz, der Vatikan und Zypern stimmten mit Ja. Die Niederlande, deren Parlament die Regierung zur Teilnahme aufgefordert hatte, gaben als einziger Verhandlungsteilnehmer eine Nein-Stimme ab. Singapur enthielt sich. Die US-Regierung unter Barack Obama hatten ihre Verbündeten schon vor der Abstimmung über das Mandat im Herbst 2016 aufgefordert, solche Verhandlungen abzulehnen. In einem mehrseitigen Schreiben der US-Botschaft bei der NATO wurden die europäischen NATO-Staaten eindringlich davor gewarnt, der nukleare Schutz Washingtons für seine Verbündeten in Europa und im Pazifikraum könne durch einen solchen Vertrag delegitimert oder rechtswidrig und somit gefährdet werden. Diesem Druck beugte sich ein Großteil der Staaten und argumentierte, ein solcher Vertrag sei das falsche Mittel zum falschen Zeitpunkt, um Fortschritte bei der nuklearen Abrüstung zu erreichen. Auch die Bundesregierung entsandte keine Verhandlungsdelegation. Konkrete, praktische Schritte zu einer Abschaffung nuklearer Waffen in naher Zukunft wird der jetzt ausgehandelte Vertrag mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Folge haben. Alle Nuklearwaffenstaaten arbeiten derzeit an der Modernisierung oder sogar an einem Ausbau ihrer Potentiale. Der Nuklearwaffenverbotsvertrag wird deshalb in den nächsten Jahren vor allem als politisches Druckinstrument zur Delegtimierung nuklearer Waffen und der nuklearen Abschreckung Wirkung entfalten. Diese Wirkung des Vertrages sollte keinesfalls unterschätzt werden. Nicht einmal das Schreiben der USA an ihre Verbündeten tat dies. Sie steht in einem direkten Zusammenhang und in Wechselwirkung mit einem anderen nuklearen Rüstungskontrollvertrag, dessen große Bedeutung gerade jene nuklearen und nicht-nuklearen Staaten immer wieder hervorheben, die jetzt die Verhandlungen boykottiert oder abgelehnt haben: Dem Atomwaffensperrvertrag oder nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV). Der 1970 in Kraft getretene NVV beruht im Grunde auf einem Geschäft auf Gegenseitigkeit. Während er den fünf damaligen Nuklearwaffenstaaten den Besitz nuklearer Waffen vorläufig zugesteht, mussten sie den nicht-nuklearen Staaten das Versprechen geben, sich ernsthaft um die völlige Abschaffung dieser Waffen zu bemühen. Die nicht-nuklearen Staaten versprachen im Gegenzug ihrerseits, sich keine Nuklearwaffen zuzulegen und sich vorübergehend mit einem völkerrechtlich verbindlichen Vertragswerk zwischen Ungleichen, den rechtmäßigen "Haves und Have Nots", abzufinden. Völkerrechtliche Verträge sind im Normalfall Abkommen, die gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle Vertragsparteien enthalten. Der NVV sollte deshalb nach 25 Jahren von den Mitgliedern überprüft werden. Sie sollten über die Zukunft und weitere Gültigkeit des Vertrages befinden. Diese Überprüfung fand 1995 statt. Das war ein ausgesprochen günstiger Zeitpunkt für die Nuklearwaffenstaaten. Das nur wenige Jahre zurückliegende Ende des Kalten Krieges und die dadurch möglich gewordenen atomaren Abrüstungsschritte ließen für die Folgejahre deutliche Abrüstungsschritte bei den nuklearen Potentialen erwarten. Gegen eine zeitlich unbegrenzte und nicht an Bedingungen geknüpfte Verlängerung des NPT regte sich deshalb kein großer Widerstand. 10 Jahre später wendete sich das Blatt erneut. Die NVV-Überprüfungskonferenz 2005 konnte sich nicht mehr auf ein Abschlussdokument einigen und die Regierung George W. Bushs verweigerte zudem einer Aktualisierung oder Weiterführung der 2000 vereinbarten konkreten Schritte zur Zukunft der nuklearen Rüstungskontrolle ihre Zustimmung. Die Konferenz endete deshalb ergebnislos. Erstmals wurden Befürchtungen laut, die Nuklearwaffenstaaten könnten die bedingungslose und zeitlich unbegrenzte Verlängerung des NVV als unbegrenzte Legitimation ihres nuklearen Sonderstatus interpretieren und daraus ein eternalisiertes Recht auf die Unterscheidung zwischen Haves und Have Nots ableiten. Die Überprüfungskonferenzen 2010 und 2015 vertieften dieses Misstrauen. Zwar war die Vision einer atomwaffenfreien Welt durch US-Präsident Barack Obama 2009 wiederbelebt worden, zugleich aber wurden bei allen Atommächten Planungen zur Modernsierung ihrer Nuklearwaffen erkennbar, die auf eine Beibehaltung ihrer Kernwaffenpotentiale bis weit in die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts hindeuteten. Auch die Hoffnungen auf bereits geplante Gespräche über die Zukunft nuklearer Waffen im Nahen und Mittleren Osten zerschlugen sich. Der Abrüstungsteil jenes Geschäftes auf Gegenseitigkeit im NVV drohte zu einem leeren Versprechen für die ferne Zukunft zu werden. Die Bereitschaft, verbesserte Instrumente zur Durchsetzung der Nichtverbreitung zu akzeptieren, sank ebenfalls. Schon 2013 begann ein erster Versuch, aus dem sich abzeichnenden Dilemma auszubrechen. Die sogenannte "Humanitären Initiative" stellte die Legitimität nuklearer Waffen aus der Perspektive des humanitären Völkerrechts in Frage. Federführend agierten dabei Länder wie Österreich, Mexiko oder Südafrika und eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen, die sich in dem weltweiten Bündnis IACN zusammen fanden. Bei der NVV- Überprüfungskonferenz 2015 trugen 159 Staaten, also mehr als drei Viertel aller Staaten der Welt, eine gemeinsame Stellungnahme mit, in der es hieß: "Es ist im Interesse des nackten Überlebens der Menschheit, dass nukleare Waffen nie wieder eingesetzt werden, unter welchen Umständen auch immer. (…) Der einzige Weg um zu garantieren, dass Nuklearwaffen nie wieder eingesetzt werden, besteht darin, sie vollständig abzuschaffen." Zu jenen Staaten, die diese Stellungnahme nicht mittrugen, gehörten die Nuklearwaffenstaaten und fast alle NATO-Staaten, darunter Deutschland. Aus dem Entwurf für ein Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz 2015 war deutliche Unzufriedenheit der nicht-nuklearen NVV-Mitglieder mit den derzeit erreichbaren Fortschritten bei nuklearer Abrüstung zu entnehmen. Sie mündete in einer Aufforderung an die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Herbst 2015 eine unbefristete Arbeitsgruppe einzusetzen, die Vorschläge dafür erarbeiten sollte, wie durch multilaterale Verhandlungen mehr Fortschritt im Bereich atomarer Abrüstung erreicht werden könnten. Das Abschlussdokument der Überprüfungskonferenz 2015 wurde nicht angenommen. Auch unter Präsident Obama endete damit erstmals eine solche Konferenz ergebnislos. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen kann Beschlüsse mit Mehrheit fassen. Sie setzte auf diesem Weg noch im gleichen Jahr die unbefristete Arbeitsgruppe ein. Diese erarbeitete binnen eines Jahres eine Vielzahl von Vorschlägen und präsentierte ihren Abschlussbericht bei der UN-Vollversammlung im Herbst 2016. Dort wurde erneut mit Mehrheit der Vorschlag aufgegriffen, Verhandlungen über einen Vertrag zum Verbot nuklearer Waffen ein Mandat zu erteilen. Dieser Vertragsentwurf liegt nun vor. Zu seinen Wirkungen kann übrigens auch eine Stärkung der Bemühungen um die Nichtverbreitung atomarer Waffen gehören. Ein Anzeichen dafür ist, dass auch der Iran dem Vertragsentwurf zugestimmt hat. Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS Quelle: BITS - Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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