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USA/Pakistan: Eine informelle Koalition mischt mit

Weshalb Islamabad in Afghanistan auf die Taliban setzt und damit Donald Trump erzürnt

Von Lutz Herden

Man konnte darauf warten und wurde nicht enttäuscht. Als Donald Trump am 22. August in Virginia seine "Wir greifen in Afghanistan wieder an"-Rede hielt, galt ein erster - wenn auch rhetorischer - Angriff Pakistan, mit dem die Amerikaner eine Hassliebe verbindet. Wofür es etliche Gründe und eine beliebte Unterstellung gibt: Regierungen in Islamabad wie der Geheimdienst ISI seien Schutzpatron der afghanischen Taliban. Bis heute fänden die in Pakistan ein Refugium, wann immer das gebraucht werde. Der Legende mag glauben, wer Halbwahrheiten für die ganze Geschichte hält.

Tatsächlich lag die Keimzelle der Taliban in Pakistan, genauer: in der Madrasa, der traditionellen Islamschule. Mit den 1980er Jahren kamen deren Religionsstudenten (Taliban) vorwiegend aus afghanischen Flüchtlingscamps in Pakistan. Sie wuchsen auf, ohne ihre Heimat zu kennen, und hörten an der Madrasa von einem idealen Reich, das der Prophet Mohammed 1400 Jahre zuvor begründet hatte. Dieser reinen Lehre sollte wieder Geltung verschafft werden, wozu die Taliban in Afghanistan den Guerilla-Krieg von Auswüchsen befreien und selbst führen wollten. Dies wäre ein frommer Wunsch geblieben, hätten die Gottesfürchtigen nicht einen Aus- und Aufrüster wie die CIA von sich überzeugen können. Insofern sind die radikalen Koranschüler Geschöpfe vieler Väter, ohne je Diener eines Herrn zu sein, was der Bindung an Pakistan keinen Abbruch tat.

Ende April wurde dies deutlich, als der Warlord Gulbuddin Hekmatyar von der Islam-Partei (Hizb-i Islami) aus pakistanischem Exil nach Kabul wechselte und dies wie die Heimkehr des verlorenen Sohns zelebriert wurde. Präsident Ashraf Ghani persönlich empfing den ehedem brutalen Krieger, als sei der Vorbote von Versöhnung und Frieden erschienen.

Es ist nicht auszuschließen, dass Hekmatyar eines Tages eine Exekutive in Kabul führt, die Taliban als Partner gewinnt und Pakistan an seiner Seite weiß. Warum? Weil eine solche Regierung den Status quo zwischen beiden Staaten respektieren, vor allem die auf britische Kolonialmacht zurückgehende Grenzziehung anerkennen würde. Gemeint ist die Durand-Linie, wie sie die Briten 1893 quasi mit sich selbst aushandelten und zur Übereinkunft zwischen der Kolonie Britisch-Indien und dem Vereinigten Königreich erklärten. Die Demarkationslinie sollte aus strategischen Gründen den Lebensraum von 40 Millionen Paschtunen, der größten Volksgruppe am Hindukusch, durchtrennen. Die meisten afghanischen Regierungen betrachteten sie daher als Provisorium und beriefen sich darauf, dass dem Grenzvertrag eine Laufzeit von hundert Jahren zuerkannt war.

China plant Großes

Folglich besteht seit 1993 ein vertragsloser Zustand, nur Gewohnheitsrecht erhält, was zur Disposition steht. Präsident Hamid Karzai (2001 - 2014) ging ebenso von einer ungelösten Grenzfrage aus wie der letzte Staatschef der säkularen Demokratischen Volkspartei, Mohammed Nadschibullah (1986 - 1992). Der weigerte sich im September 1996, nachdem die Taliban Kabul erobert hatten, als Geste der Ergebenheit die alte Kolonialgrenze per Unterschrift zu bestätigen. Sein schreckliches Ende - er wurde zu Tode gefoltert und an einen Laternenpfahl gehängt - hatte mutmaßlich damit zu tun. Keinerlei Dissens über die Südgrenze gab es hingegen zwischen 1996 und 2001, als die Taliban in Afghanistan ihr Kalifat betrieben. Nicht zufällig wurde deren Regime weltweit von drei Staaten anerkannt: Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten - und Pakistan. Insofern wäre Islamabad hochzufrieden, käme in Kabul erneut eine Regierung der Taliban zustande. Deren Nähe zu Pakistan wäre eine Gewähr gegen auflodernden Grenzstreit. Die Vorliebe für eine solche Zäsur teilt Pakistan mit seinem Alliierten China, dem wenig an einer Macht des Koran, aber viel an Stabilität in Afghanistan liegt.

Mit anderen Worten, setzen die USA dort wieder auf mehr Soldaten im Kriegseinsatz, geschieht dies wohl auch, um den Chinesen in die Parade zu fahren. Deren "One Belt, One Road"-Projekt schließt einen "China-Pakistan Economic Corridor" zwischen Karatschi, Islamabad, Ürümqi und Peking ein. Diesen großen Wurf stört ein weiter auf innere Zerreißproben reduziertes Afghanistan. Um dem ein Ende zu machen, hat sich eine lockere Allianz aus China, Russland, Iran, Pakistan und einigen Golfstaaten formiert, deren Gesandte in diesem Jahr bereits zweimal in Moskau zusammenkamen und auf eine Teilnahme der USA verzichteten. Als Konsens war unüberhörbar: Ohne die Taliban kann und wird es nicht gehen. Was und wen haben die Amerikaner dieser informellen Koalition entgegenzusetzen, außer auf mehr militärische Präsenz bedacht zu sein? Die NATO-Partner vermutlich nicht, denn die werden sich kaum über das derzeitige Maß hinaus exponieren.

Erneut wird erkennbar, die Konkurrenz zwischen den USA und China scheint in Asien überall durch, im Südchinesischen Meer ebenso wie auf der koreanischen Halbinsel und in Mittelasien. The Great Game, wie im 19. Jahrhundert der Kampf zwischen Russland und Großbritannien um Afghanistan genannt wurde, hat längst andere Akteure vorzuweisen, die das "Spiel" definieren und die Regeln bestimmen. Inzwischen sind China und Pakistan am Zug, wie das noch nie der Fall war, und können es sich ersparen, wie Kriegsparteien aufzutreten.

Quelle: der FREITAG vom 02.09.2017. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

05. September 2017

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