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Konstantin Wecker: Wie weit soll diese AfD-Arschkriecherei noch gehen, Herr Lindner?

Die FDP wird ja momentan, verstärkt kurz vor der Wahl, von den Medien in unerträglicher Weisen nach vorne gevotet. Ganz im Gegensatz zu anderen nicht im Parlament vertretenen Parteien lächelt Lindner smart und stoppelbärtig auf allen Kanälen, so als wollte die Presse auch den letzten, der’s noch nicht kapiert hat, darauf stoßen, dass sie denselben Kapitalinteressen dient, von der auch die "Freidemokraten" beseelt sind. Relativ neu ist, dass Linder in der Tradition des seligen Jürgen Möllemann nun auch rechts wildert und durch "Härte" gegen Flüchtlinge sein bräunlichgelbes Profil zu schärfen sucht. Konstantin Wecker setzt eine Botschaft der Menschlichkeit dagegen: unteilbare Menschenrechte für alle. 

Von Konstantin Wecker

Liebe Freunde,

nun hat sich Christian Lindner also auch in die unselige Linie der Gaulands und Höckes & Co. eingereiht.

Oder will er sie rechts überholen?

"Es gibt kein Menschenrecht, sich seinen Standort auf der Welt selbst auszusuchen", meinte der studierte Philosoph und Reserveoffizier und lässt sich dafür von der BILD feiern.

Herr Lindner, hätten Sie das auch im Nazideutschland zu den Millionen Juden gesagt, die dem Terror entfliehen wollten?

Sie haben Philosophie studiert? Dann haben Sie doch sicher Hannah Arendt gelesen?

"(…) Es ist, als ob eine globale, durchgängig verwebte zivilisatorische Welt Barbaren aus sich selbst heraus produzierte, indem sie in einem inneren Zersetzungsprozeß ungezählte Millionen von Menschen in Lebensumstände stößt, die essentiell die gleichen sind wie die wilder Volksstämme oder außerhalb aller Zivilisation lebender Barbaren", schreibt sie in "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".

Die FDP will ja den Flüchtlingen den Weg zum Arbeitsmarkt und zur Ausbildung vereinfachen bzw. ermöglichen. Klingt ja erst mal nicht schlecht.

Aber Sie sagten wörtlich, Herr Lindner: "Wenn man unsere Kriterien nicht erfüllt, muss man gehen." Man halte sich vor Augen, wer Ihrer Meinung nach nicht würdig ist in Deutschland zu leben: Die Ärmsten der Armen:

Menschen, die nicht arbeitsfähig, also erwerbstätig sind (körperlich oder seelisch Kranke, Alte, Kinder), Menschen, die arbeitslos sind, Menschen, die von ihrem Einkommen ihre Familie nicht ernähren können und Menschen, die ein gewisses sprachliches Niveau - nur die deutsche Sprache betreffend! - nicht erreichen. (Da müsste man etliche Deutsche sofort abschieben…)

Was sind denn bitte Menschenrechte für Sie? Nur die Rechte, die Menschen wie Sie gewillt sind, ihnen zu verleihen?

Oder sollten das nicht die Rechte sein, die allen Menschen - egal ob sie verzogene kleine Jungs sind, die um jeden Preis politisch Karriere machen wollen oder arme, hungernde und verfolgte Menschenkinder - zukommen?

Denn genau das muss die Lehre aus Nationalsozialismus und Holocaust sein: dass wir nicht mehr darüber diskutieren, ob einer Person das Recht, Rechte zu haben (DAS EINE Menschenrecht, nach Arendt), zukommt oder nicht.

Wenn wir unseren Mitmenschen die basalen Rechte nicht zugestehen, die zu schützen Aufgabe des Staates wäre, aus dem diese Menschen fliehen, dann produzieren WIR Unzivilisiertheit. Denn der Staat, aus dem sie fliehen, will oder kann sie nicht schützen.

Deshalb sind sie Schutzbedürftige und bei uns.

Jeder Mensch, Herr Lindner, hat das Recht auf Würde und Hilfsbereitschaft. Und ja: warum denn bitte sollen Menschen, die nun mal nicht wie die Made im Speck leben können, sich nicht auch das Recht herausnehmen menschenwürdig leben zu wollen?

Haben Sie sich denn Ihren Wohlstand und den Standort Deutschland, den Sie so vehement gegen alle, denen es nicht so gut geht, verteidigen - haben Sie sich das verdient?

Oder war es vielleicht einfach nur Glück, nicht in einem von unseren Waffen zerstörten Kriegsgebiet aufwachsen zu dürfen?

Wie weit soll diese AfD-Arschkriecherei eigentlich noch gehen? Was sind Sie noch alles zu tun bereit, um einen sicheren Platz im Parlament zu bekommen?

Hier zeigt - durch Sie - dieser menschenverachtende neoliberale Chauvinismus wieder mal seine Zähne:

Milliardäre haben doch immer das Recht, sich ihren Standort auszusuchen! Besonders gern suchen sie sich aus ausschließlich niederträchtigen Gründen Plätze wo sie keine Steuern zahlen müssen. Und wirbt nicht Ihre Partei um reiche und gut ausgebildete Einwanderer?

Nur den Armen, den Verfolgten und Gejagten, denen, die von Ihrem Elitekreis grundsätzlich ausgeschlossenen sind - sagen wir’s nur, denn Sie sollten es auch ehrlich so aussprechen: den "Untermenschen" - wird kein Recht auf Menschsein zugestanden.

Ich nenne so eine Haltung unverblümt Herrenmenschentum!

P.S.:

Da Sie mir sowieso nicht glauben werden, möchte ich noch einmal die großartige Hannah Arendt zitieren, die uns allen in diesen Zeiten so fehlt:

"Daß es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben - und dies ist gleichbedeutend damit, in einem Beziehungssystem zu leben, in dem man aufgrund von Handlungen und Meinungen beurteilt wird -, wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen aufgetaucht sind, die dieses Recht verloren haben und zufolge der neuen globalen Organisation der Welt nicht imstande sind, es wiederzugewinnen."

Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 08.09.2017.

Veröffentlicht am

11. September 2017

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