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Die Welt ist unsicherer geworden - auch dank NATO

Was hat die NATO-Erweiterung zu unserer Sicherheit beigetragen? Nichts, im Gegenteil: eine prominente Analyse aus den USA.

Von Christian Müller

Haben 20 Jahre NATO-Expansion irgend jemanden sicherer gemacht? Have 20 Years of NATO Expansion Made Anyone Safer?

Unter dieser Headline publizierte die US-amerikanische Zeitschrift The Nation am 18. Oktober eine bemerkenswerte Analyse des Russland-Spezialisten Stephen F. Cohen Stephen F. Cohen ist emeritierter Professor für Russistik; er lehrte an der Princeton University in Princeton / USA und später an der New York University in New York City. Cohens Großvater war ein jüdischer Einwanderer aus dem damals zum Kaiserreich Russland gehörenden Litauen.. Es sind fünf Punkte, die von Cohen spezifisch beleuchtet wurden:

1. Die Expansion der von den USA angeführten Militär-Allianz NATO, die in Deutschland 1948 mit 13 Mitgliedsländern startete und sich mittlerweile mit 29 Mitgliedsländern bis an die Grenze Russlands erstreckt, ist das größte und schnellste Wachstum einer "Einfluss-Zone" in der modernen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg. In der gleichen Zeit dagegen wurde Russland wiederholt beschuldigt, es strebe eine "Sicherheitszone" an, auch wenn diese an ihren eigenen Grenzen angedacht war.

Die Expansion der NATO umfasst in zweierlei Formen gegenüber Russland abgegebene, aber nicht eingehaltene Versprechen, was der Kreml seinerseits natürlich nicht zu vergessen bereit ist. 1990 hat die Bush-Administration zusammen mit der Regierung Westdeutschlands dem Sowjet-Führer Michael Gorbatschow versichert, als Gegenleistung für die Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands, die NATO würde keinen Zentimeter Richtung Osten erweitert. (Diese Zusicherung wird zwar immer noch bestritten, ist aber aufgrund der vorliegenden Akten belegbar.) Und nicht eingehalten wurde das Versprechen mit dem heute für jeden sichtbaren unentwegten Aufbau von Militärbasen entlang dem russischen Territorium, inklusive Raketen-Abwehrsystemen. Die NATO-Erweiterung - "Enlargement", "Erweiterung", wie sie von ihren Promotoren beschönigend genannt wird - geht weiter. Im Jahr 2017 ist Montenegro dazu gestoßen. Darüber hinaus, so sagt die NATO, sei die Türe für die ehemaligen Sowjet-Republiken Georgien und Ukraine "weit offen".

2. Die NATO ist denn auch mehr als der Welt größter militärischer Verbund. Mit großzügig gegründeten Büros, Repräsentationen, Think Tanks und anderen Vertretungen nicht nur in Brüssel, sondern auch in etlichen anderen westlichen Hauptstädten, ist die NATO auch eine politisch-ideologische und auch eine Lobby-Institution - vielleicht überhaupt der Welt mächtigste Organisation, wenn man ihre vielen Angestellten in der Brüsseler Administration und anderswo mit einrechnet. Allein schon in den USA vergeht kaum eine Woche ohne Medien-News und Kommentare, die von der NATO nahestehenden Autoren und anderen NATO-Quellen stammen (siehe zum Beispiel das Atlantic Council oder Newsweek).

3. Die Frage, ob die NATO-Erweiterung zu mehr Sicherheit oder Unsicherheit geführt hat, kann nur nach der Einbeziehung der Folgen etlicher Kriege, die die NATO geführt hat oder in die die NATO-Mitglieder seit 1997 involviert waren, beantwortet werden. Es sind dies

  • Der Jugoslawien-Krieg: 1999 bombardierte die NATO in Serbien ohne Auftrag der UNO, der Kosovo wurde von Serbien abgetrennt und unabhängig gemacht - und zwar (noch) nicht in die NATO integriert, aber mit einer riesigen US-Militärbasis ausgestattet.
  • Der Irak-Krieg 2003 war für alle involvierten Parteien eine Katastrophe und gleichzeitig ein entscheidender Faktor bei der Entstehung des organisierten Terrorismus, inkl. Islamischer Staat, auch außerhalb des Nahen und Mittleren Ostens. Derselbe Mechanismus spielte sich auch beim Krieg gegen Libyen im Jahr 2011 ab. Auch aus der Kurzzeit-Geschichte wurde nichts gelernt.
  • Das NATO-Versprechen an Georgien, der NATO beitreten zu dürfen, war aller Wahrscheinlichkeit nach einer der Hintergründe des Georgisch-Russischen Krieges 2008, der eigentlich ein Amerikanisch/Russischer Stellvertreter-Krieg war. Das Resultat dieses Krieges war ein ruiniertes Georgien. Die NATO ist dort nach wie vor aktiv.
  • Eine ähnliche NATO-Offerte an die Ukraine induzierte auch die dortige Krise im Jahr 2014, die in die Annexion der Krim durch Russland mündete und den noch immer anhaltenden Bürgerkrieg im Donbass mitverursachte. Auch dies ist de facto ein Stellvertreterkrieg Amerika/Russland.
  • Unterdessen, notabene, gibt es auch noch Afghanistan, ursprünglich eine NATO-Kriegsintervention, mittlerweile aber der längste Krieg der amerikanischen Geschichte - und wohl auch derjenige mit der kleinsten Chance auf eine friedliche Lösung.

Alle diese Kriege haben im Effekt mehr Unsicherheit als Sicherheit gebracht - oder zumindest nur eine Pseudo-Sicherheit in weiterhin brennend heißen Krisengebieten.

4. Die NATO-Erweiterung hat auch politisch-ideologische Unsicherheiten mit sich gebracht. Ihre ununterbrochene und allgegenwärtige Medien-Präsenz und ihr Lobbying in den westlichen Hauptstädten, nicht zuletzt auch in den USA selber, ist auch eine Hauptursache des neuen Kalten Krieges und der omnipräsenten Russophobie. Eine gefährliche Folge ist das nahe Ende der Diplomatie USA-Russland und die fast totale Militarisierung der Beziehung USA-Russland. Allein schon dies ist eine tiefgehende Ursache von Unsicherheit: ein möglicher direkter Krieg USA/Russland.

5. Zur Lösung internationaler Krisen - zu denen die Wirtschaftspolitik in Europa gehört mit ihren Auswirkungen zur Stärkung von Sezessionsbewegungen, der internationale Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten, die Flüchtlingskrise, aber auch das neue nukleare Wettrüsten der USA und Russlands - zur Lösung all dieser internationalen Krisen hat der mittlerweile immens große Mitteleinsatz zur NATO-Erweiterung nach Osten bisher kaum etwas beigetragen. Und auch zur Lösung NATO-interner Krisen, man denke an die zunehmende Annäherung des NATO-Mitgliedes Türkei an Russland oder an die Demokratie-Probleme in den NATO-Ländern Polen und Ungarn, hat die NATO-Erweiterung bisher nichts beigetragen. Nicht zu vergessen die gleichzeitig immer stärker werdende Anti-NATO-Allianz um Russland, China und Iran herum - die ihrerseits eine Folge der zwanzigjährigen NATO-Erweiterung nach Osten ist.

Stephen F. Cohens Fazit: Seit 1997 hat die wohl mächtigste Organisation der Welt mehr Unsicherheit als Sicherheit bewirkt.

… und ein kleiner Nachtrag: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg begründete am 7. November 2017 an einer Medienkonferenz in Brüssel den gegenwärtigen Ausbau der NATO erneut mit dem Vorgehen Russlands in der Ukraine. So einfach werden Ursache und Wirkung einfach ausgetauscht.

Weiterführende Informationen:

Quelle: Infosperber.ch - 08.11.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

12. November 2017

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