Leonardo Boff: Es ist Zeit, Schulter an Schulter zu stehenVon Leonardo Boff Meine Artikel zur Lage der Umwelt haben möglicherweise nicht wenig Angst bei meinen Lesern ausgelöst. Und dies ist gut so, denn Angst weckt uns aus der Trägheit, lässt uns nachdenken, lesen, mit anderen reden, diskutieren und versuchen, neue Wege zu finden. In dunklen Zeiten, wie in der unsrigen, wäre Gelassenheit unverantwortlich. Wir müssen uns in Bewegung setzen, um eine neue Art und Weise zu definieren, auf diesem Planeten zu existieren, wenn wir weiterhin auf ihm leben wollen. Die Zeiten des Überflusses und des Komforts gehören der Vergangenheit an. Was gerade geschieht, ist keine simple Krise, sondern etwas nicht Umkehrbares. Die Erde hat sich so verändert, dass sie den Umkehrgrenzpunkt bereits überschritten hat, und wir müssen uns mit ihr ändern. Die Zeit des Bewusstwerdens und der Endlichkeit von allem hat begonnen, selbst von dem, das uns unbegrenzt zur Verfügung zu stehen schien: die Fortdauer der Vitalität der Erde, das Gleichgewicht der Biosphäre und die Unsterblichkeit der menschlichen Spezies. All diese Wirklichkeiten unterziehen sich einem Chaos-Prozess. Zu Beginn erscheint dies destruktiv, als würde alles, was zufällig nur angehäuft wurde, kurz und klein geschlagen, doch dann zeigt dieser Prozess seine Kreativität, indem er allem Beständigen und Lebensnotwendigen eine neue Form verleiht. Bisher haben wir in einer Ära gelebt, in der die Macht der geballten Faust, der Unterwerfung und der Zerstörung galt. Die Ära der geöffneten und zum Bauen ausgestreckten Hand muss nun beginnen, und dabei müssen alle Hand in Hand mitmachen, in einer kooperativen und solidarischen Anstrengung "zum Gemeinwohl aller" und zum Gemeinwohl der Erde und der Menschheit. Wir müssen uns vom eingefleischten Individualismus verabschieden und umfassende Kooperation in die Wege leiten. Wie die Astrophysiker und die Kosmologen uns versichern, entwickelt sich das Universum immer noch und befindet sich einem Prozess der Expansion und der Selbst-Erschaffung. Es gibt eine Hintergrund-Energie, die allen Ereignissen zugrunde liegt, jedes Lebewesen (aufrecht)erhält und alle Energien nach vorn, nach oben und zu noch komplexeren und bewussteren Formen leitet. Wir sind ein kreatives Erscheinen dieser Energie. Diese Hintergrund-Energie ist immer in Aktion, aber ganz besonders aktiv ist sie in Zeiten von systemischen Krisen, wenn Kräfte sich ballen, die das Zerreißen und enorme Sprünge verursachen. Dann nämlich treten "Erscheinungen" auf: etwas Neues, das noch nicht existiert, aber in den Möglichkeiten des Universums enthalten ist. Ich glaube, wir stehen an der Schwelle einer dieser "Erscheinungen": die Noosphäre (Geist und Herzen vereint), die planetare Phase des Bewusstseins und des Eins-Werdens der menschlichen Spezies, vereint in ihrem Gemeinsamen Heim, dem Planeten Erde. Dann werden wir uns als Brüder und Schwestern erachten, die zum Tisch der Geselligkeit kommen, um zu essen, zu trinken und uns an den Früchten von Mutter Erde zu erfreuen, nachdem wir in einer kooperativen und die Natur respektierenden Weise gearbeitet haben werden. Wir werden auf diese Weise bestätigen, was der Philosoph des Prinzips Hoffnung, Ernst Bloch, sagt: "Die Schöpfungsgeschichte ist nicht an ihrem Anfang, sondern an ihrem Ende." Ich mache mir die Worte Thomas Berrys zu eigen, des Vaters der Nordamerikanischen Ökologie, des Theologen und Kultur-Anthropologen: "Es wird uns niemals an den notwendigen Energien mangeln, die Zukunft zu gestalten. Tatsächlich leben wir eingetaucht in einen Energie-Ozean, der größer ist, als wir uns vorstellen können. Diese Energie ist unsre, jedoch nicht durch ihre Beherrschung, sondern indem wir sie anflehen." Wir müssen diese fundamentale Energie erbitten. Sie ist immer vorhanden und erhältlich. Wir brauchen uns ihr nur zu öffnen, bereit sein, sie willkommen zu heißen und die Veränderungen zu vollziehen, zu denen sie uns inspiriert. Da sie eine wohltätige und kreative Energie ist, lässt sie uns mit dem Poeten Thiago de Mello, inmitten der Sackgassen und Gefahren, die unsre Zukunft bedrohen, verkünden: "Es ist dunkel, doch ich singe." Ja, wir werden das Kommen dieses "Erscheinens" besingen, das für die Erde und die Menschheit etwas Neues ist. Da wir Sterne lieben, haben wir keine Angst vor Dunkelheit und Nacht. Unsre Wurzeln sind in den Sternen, denn wir sind aus Sternenstaub gemacht. Sie werden uns leiten und wieder scheinen lassen, denn dafür erschienen wir auf diesem Planeten: um zu scheinen. Dies ist der Zweck des Universums und der Plan des Schöpfers. Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission Quelle: Traductina , 31.10.2010. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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