Türkischer Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke erhielt VorladungVor zwei Tagen wurde der türkische Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Bilecik zur Polizei vorgeladen. Er sollte eine Aussage bezüglich der gegen ihn neu aufgenommenen Verfahren zu Desertion und Befehlsverweigerung machen. "Damit verletzt die Türkei in eklatanter Art und Weise ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Falle von Osman Murat Ülke", so heute Rudi Friedrich vom Internationalen Kriegsdienstverweigerungs-Netzwerk Connection e.V. "Alle Verfahren gegen ihn wie andere Kriegsdienstverweigerer in der Türkei müssen unverzüglich eingestellt, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt werden." Osman Murat Ülke war einer der ersten Kriegsdienstverweigerer, der in der Türkei inhaftiert wurde. Er hatte am 1. September 1995 öffentlich seine Einberufungspapiere auf einer Pressekonferenz in Izmir verbrannt. In den darauf folgenden Jahren unterlag er wiederholt Verhaftungen und Inhaftierungen. Sein Fall wurde dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt. Dies verurteilte am 24. Januar 2006 die Türkei, da sie gegenüber Osman Murat Ülke gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen habe. "Die zahlreichen Anklagen in Verbindung mit der Möglichkeit, dass er einer lebenslangen Strafverfolgung unterliegen könnte, stehen im Missverhältnis zu dem Ziel, die Ableistung des Militärdienstes sicherzustellen." Das Leben im Geheimen, dass Osman Murat Ülke aufgrund seiner Gewissensentscheidung als Kriegsdienstverweigerer führen müsse, sei als "ziviler Tod" zu bezeichnen. Die Türkei erkennt nach wie vor die Kriegsdienstverweigerung nicht an. Kriegsdienstverweigerer unterliegen einem Teufelskreis aus Einberufung, Verweigerung und strafrechtlicher Verfolgung, der ein Leben lang andauern kann, da in der Türkei die Wehrpflicht erst dann als erfüllt angesehen wird, wenn der derzeit 12 Monate dauernde Militärdienst abgeleistet wurde. Folgende Erklärung gab Osman Murat Ülke am 21. November 2017 gegenüber der Polizei in Izmir ab: "Ich gehe davon aus, dass die mir übergebene Aufforderung, eine Aussage zu machen, auf den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bilecik im Fall Nr. 2017/2776 beruht. Ich nehme daher an, dass es um die Anklage wegen "Desertion" aus dem Jahr 1999 geht. Ein Blick in die Akte und die davor liegenden Verfahren sollte für jede dritte Partei klarstellen, dass die vorliegende Angelegenheit nicht beschrieben werden kann als eine Reihe von unabhängig voneinander erfolgten Desertionen oder Befehlsverweigerungen. Neun Anklagen wegen Befehlsverweigerungen, zwei Anklagen wegen Desertion und zwei Anklagen wegen "Distanzierung des Volkes vom Militär", all diese Fälle resultieren aus meiner ein für alle Mal getroffenen Entscheidung der Kriegsdienstverweigerung, zu der ich weiterhin stehe. Daher müssen alle Ermittlungen und Verfahren als Teil ein und desselben Verfahrens angesehen werden. Der eigentliche Ausgangspunkt dieses Verfahren kann bis in das Jahr 1990 zurückverfolgt werden, als ich zum ersten Mal meine Kriegsdienstverweigerung öffentlich machte, folgend mit 1992, dem Tag der ersten gegen mich gerichteten Ermittlungen wegen Distanzierung des Volkes vom Militär basierend auf einen von mir veröffentlichten Artikel. In anderen Worten: Ich wurde heute vorgeladen wegen eines Verfahrens, das bereits 25 bis 27 Jahre dauert, mein gesamtes Leben als Erwachsener. Ich halte es nicht für nötig, ein weiteres Mal meine Gründe auszuführen, warum ich Kriegsdienstverweigerer wurde. Die oben genannten Akten sind gefüllt mit meinen über die Jahre hinweg gegebenen Erklärungen. Stattdessen möchte ich betonen, dass die aktuelle Situation zeigt, dass die Regierung es versäumt hat, das Urteil Ulke vs. Turkey des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte umzusetzen. Mehr noch, die Ermittlungen werden aktiv betrieben. Das bedeutet, die mir gegenüber ausgesprochene Vorladung zur Abgabe einer Erklärung widerspricht nicht nur allen Zusicherungen der Regierung, individuelle und allgemeine Regelungen zu treffen oder zumindest die Situation zu lindern, sondern es ist auch eine offene Verletzung des Urteils. Die Dokumente, die ich vorlege, zeigen deutlich, dass die Regierung wiederholt dem Ministerkomitee des Europarates versicherte, individuelle und allgemeine Maßnahmen würden getroffen werden. In einem dieser Dokumente unterstreicht der Außenminister in meinem Fall zu Recht, dass nach Artikel 90 der Verfassung die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vor nationalem Recht stehen. Dennoch sind wir Zeugen davon, dass nach elf Jahren keine dieser allgemeinen oder individuellen Maßnahmen umgesetzt wurden und die Regierung durch die Aufrechterhaltung der Ermittlungen nicht nur jede Maßnahme blockiert, sondern das Gerichtsurteil sogar offen verletzt. Vor drei Jahren reichte ich bezüglich des nicht umgesetzten Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Beschwerde beim Verfassungsgericht ein. Ich erhielt lediglich die Mitteilung, dass mein Antrag eingegangen ist und ein Verfahren eröffnet worden sei. Meine Forderung an die Staatsanwaltschaft in Bilecik ist, die Ermittlungen einzustellen. Was das Verfassungsgericht angeht, muss dieses die unhaltbare Situation beenden. Offensichtlich hat die Exekutive nicht nur die Umsetzung allgemeiner und individueller Maßnahmen verzögert, sondern nie die Absicht gehabt, diese umzusetzen. Die einzige Absicht meiner heutigen Erklärung ist, die aktuelle Situation des Verfahrens zu beleuchten. Mein Anwalt wird unsere rechtlichen Forderungen detailliert vorlegen und sich an die Staatsanwaltschaft in Bilecik und weitere relevante Institutionen wenden."
Quelle: Connection e.V. - Pressemitteilung vom 23.11.2017. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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