Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Paul Schobel: Asozial im feinen Zwirn

Von  Paul Schobel

Hungerküchen, Vesperkirchen und Wärmestuben könnten problemlos geschlossen werden - wenn Reiche ihre Steuern zahlen würden. Unser Autor fragt, wie viele Skandale denn noch aufgedeckt werden sollen, bis die Politik endlich für Gerechtigkeit sorgt.

Vom Paradies auf Erden träumten einst Karl Marx und Genossen. Das gab ein böses Erwachen. Heute sind ganz andere Paradiesvögel unterwegs. Sie verstecken ihre goldenen Eier in Steuer-Oasen rund um den Globus. Lange Jahre saßen sie ziemlich sicher im Nest. Bis investigative Journalisten Witterung aufnahmen und in aller Stille, zum Teil unter Lebensgefahr, Daten und Fakten in den Panama-Papers gebündelt hatten. Oh, welch klingende Namen! Nun ist ein neues Konglomerat aufgeflogen. Auch die Paradise-Papers verraten dieselbe Handschrift: Briefkasten-Firmen, abenteuerliche Finanz-Konstrukte, von ganzen Anwalts- und Beraterindustrien kunstvoll zurecht gezimmert, um Abgaben und Steuern zu vermeiden. Steuervermeidung, Steuergestaltung - was für hübsche und arglose Wortschöpfungen. Ob grade noch legal oder schon illegal: Man erkennt die Absicht und ist verstimmt. Gesellschaft und Gemeinwohl wird vorenthalten, was ihnen gebührt. Ob am Ende der Staatsanwalt ermittelt, ist eigentlich schnuppe.

Steuerhinterziehung ist Teil der kapitalistischen Logik. Steuern kosten Geld und schmälern den Profit. Das geht gar nicht! Gleichzeitig aber kann man mit Steuerbetrug dem Staat, dem lästigen Störenfried, eins auswischen. Der kommt einem mit seinen Regulativen ständig in die Quere. Also heißt es, ihn auszuhungern. Wenn eine Regierung die Wirtschaft in die Pflicht nehmen will, um Wohlstand für alle zu organisieren, ist das anmaßend! Den Staat betrügerisch hinters Licht zu führen, ist die eine Masche, allerdings etwas plump und riskant. Die andere ist raffinierter, nämlich die Sachwalter in den Ministerien mit Lobbyisten zu umgarnen, sie freundlich zu stimmen und ihnen Einblick zu gewähren ins gelobte Land eigener Vorteile, wenn sie wenigstens ihre Ermessensspielräume ausschöpfen und ein wenig entgegenkommen. Das hatte anno dunnemal schon der Prophet Jesaja durchschaut: "Deine Fürsten sind Kumpane der Diebe geworden."

Besonders perfide sind die Akteure, die ohne rot zu werden und Steuern zu zahlen, die Vorteile eines intakten Staatswesens in vollen Zügen genießen. Kitas und Schulen für die lieben Kleinen, Universitäten, eine solide Infrastruktur, ausgebaute Verkehrswege, Rechtssicherheit, Bildung und Kultur. Alles aber fremdfinanziert.

Steueroasen müssen trockengelegt werden

Die Asozialen von heute kommen im feinen Zwirn daher. Wahrhaftig arm sind in der Bibel all jene, die ihr Vermögen für sich behalten. "Die Reichen sollen ihren Reichtum gerne mit anderen teilen. So schaffen sie sich ein sicheres Fundament, um das wirkliche Leben zu gewinnen", schreibt Paulus.

Gewiss: Manche der Vermögenden tun dies sogar und gehen stiften. So lindern sie Not, fördern kulturelle, soziale oder ökologische Projekte. Dabei bestimmen die Stifter freilich selbst die Richtung, statt diese der demokratischen Willensbildung zu überlassen. Aber wenigstens schlägt in denen noch so was Ähnliches wie ein soziales Gewissen. Um die andere Gruppe ist es in den vergangenen Jahren etwas still geworden: Jener Club vermögender Millionäre, die immer wieder fordern, sie doch endlich stärker zu besteuern.

Nun ist die Politik am Zug. Sie kann nicht weiterhin mit zweierlei Maß messen. Immer wieder begegnen mir Arbeitslose, die einen geringen Mehrverdienst nicht angegeben hatten. Sie werden wie Kriminelle vorgeführt, zu Schadenersatz verdonnert und darüber hinaus auch noch sanktioniert. Natürlich ist auch die Erschleichung von Sozialleistungen Missbrauch. Aber der steht in keinem Verhältnis zur Steuerhinterziehung. Offensichtlich wird die Steuerfahndung an der kurzen Leine geführt. Sie sei auch permanent unterbesetzt, hört man, und bekäme kein zusätzliches Personal. Aus Kostengründen? Lächerlich, denn Steuerfahnder amortisieren sich in kürzester Zeit!

Wie viele Papers sind denn noch notwendig, damit endlich gehandelt wird? Gut, dass mutige Journalistinnen und Journalisten Dampf auf den Kessel bringen, indem sie unter erheblichem Risiko Steuersünder entlarven, überführen und brüskieren. Das setzt auch die Strafverfolgung unter Druck. Die Steueroasen, auch die in Europa, sind endlich trocken zu legen und die Maschen enger zu knüpfen, damit die dicksten Fische nicht ständig entwischen. Wer mit Steuerehrlichkeit überfordert ist, muss Steuergerechtigkeit erfahren.

Gerechtigkeit ist für viele zur Lachnummer verkommen

Gerechtigkeit ist in den Ohren vieler Menschen lange eine Lachnummer, ein Reizwort. Da hat eine Arbeiterin ihr Leben lang in einem Textilbetrieb in Schicht und Akkord gejobbt, bis die Bude hops ging. Zwischendurch waren zwei Kinder großzuziehen, auch kein reines Unterhaltungsprogramm. Ebenso wenig wie die Scheidung. Vom Job-Center bekam die Frau dann soviel Druck, dass sie für die letzten drei Jahre noch einen Mini-Job als Reinemachefrau annehmen musste. Jetzt kam der Rentenbescheid: Keine 1000 Euro pro Monat sind das Ergebnis der lebenslangen Schinderei.

Statt die Ernte ihres Lebens einzufahren, Zeit zu haben für die Enkelkinder oder für ihren Freundeskreis, stehen immer mehr alte Menschen täglich im Tafelladen an, gucken nach Schnäppchen und Gelegenheits-Jobs. Manche rücken sogar aus, um Flaschen zu sammeln und damit ihr kümmerliches Salär aufzubessern. Doch da verteidigen bereits Platzhirsche ihre Reviere. Das Alter ist für jene, denen es geschenkt ist, die vorletzte Herausforderung. Wenn die letzten Jahre noch ein wenig Glanz entfalten sollen, dürfen sie doch nicht überschattet sein von materiellen Sorgen.

Die Rente muss auf einer verlässlichen Plattform neu aufgestellt werden. Alle müssen rein, ohne Ausnahme. Und ran müssen alle Einkommen, nicht nur die aus Arbeit, sondern gerade die aus großen Vermögen. Dass nur die umlagenfinanzierte Altersversorgung sicher ist, hat die Finanzkrise dramatisch erwiesen. Wer heute noch auf private Vorsorge setzt, darf sich nicht wundern, wenn seine Rente beim nächsten Crash an den Kapitalmärkten verbrennt. Das gibt ein lustiges Feuerchen.

Immer mehr Menschen von Armut bedroht

Inzwischen bekennt der letzte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kleinlaut, dass fast 16 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet sind, die Quote steigt seit Jahrzehnten. Und das in einem reichen Land! Wird der Winter hart, stehen die Ärmsten täglich vor der Entscheidung, ob sie heute lieber hungern oder frieren. Sich satt zu essen und es gleichzeitig gemütlich zu haben, geht nicht. Im letzten Winter begegnete mir eine alte Frau, die - per Sozialticket - die kalten Tage in der S-Bahn verbrachte. Zuhause hatte man ihr bereits den Strom abgedreht.

Stellt man die aktuellen Social-Papers den schamlosen Panama- und Paradise-Konvoluten gegenüber, entsteht das erbärmliche Bild einer gespaltenen Gesellschaft. Steuer- und Abgabengerechtigkeit vorausgesetzt, wäre es ein Leichtes, einen soliden Sozialstaat zu finanzieren. Dann könnten wir die Tafelläden, Hungerküchen, Vesperkirchen und Wärmestuben morgen schließen und zu Begegnungsorten machen, in denen es um Leben geht - in seiner ganzen Vielheit und Schönheit, und nicht mehr um das Überleben.

Nun steht Weihnachten im Kalender, die große Geburtstags-Sause. Als solche wird dieses Fest in der Gesellschaft allenfalls noch wahrgenommen. Was gibt es da eigentlich zu feiern? Eine Karriere nach unten, nämlich den heruntergekommenen Gott - in des Wortes Zweideutigkeit. Jesus von Nazareth, geboren als eines Zimmermanns Sohn in einem Stall in Bethlehem, politischer Flüchtling und dann später umgeben von Armen, Aussätzigen, zwielichtigen Gestalten und vielen, die es damals schwer hatten. Jesus von Nazareth - sein Name ist Programm für eine gerechte, geschwisterliche Gesellschaft. Schön, dass das Fest seiner Geburt noch viele Herzen anrührt und man die Not in dieser Welt an sich heranlässt. Die Werke der Barmherzigkeit können sich sehen lassen. Aber Liebe will mehr: Sie schreit nach Gerechtigkeit.

Quelle:  KONTEXT:Wochenzeitung - 20.12.2017. Dieser Text wird hier mit freundlicher Genehmigung von Paul Schobel veröffentlicht.

Veröffentlicht am

24. Dezember 2017

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von