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Nordkorea-Sanktionen: Der Ruf verklagt sein Echo

Wer wie die fünf UN-Vetomächte das eigene Nukleararsenal stetig modernisiert und einsatzbereit hält, ist kaum legitimiert, Strafen über andere zu verhängen

Von Lutz Herden

Sicher, Nordkorea verstößt gegen die Normen internationaler Sicherheit. Seine Raketentests gefährden die Nachbarschaft und sind ein globaler Störfaktor. Ganz abgesehen davon, dass nukleare Aufrüstung nicht allein betrieben wird, um abschrecken, sondern um zuschlagen zu können. Wer sich Atomwaffen zulegt, tut dies in der Absicht, notfalls davon Gebrauch zu machen.

Dass der Sicherheitsrat dieser zynischen Logik entgegentritt, indem er Staaten, die ihr folgen, mit Sanktionen bestraft, ist ein existenzielles Gebot. Doch wirkt es fragwürdig, wenn dies Länder übernehmen, die Status und Macht gleichfalls thermonuklearer Anmaßung verdanken. Für die UN-Vetomächte USA, Frankreich, Russland, China und Großbritannien trifft das ausnahmslos zu. Insofern hinterlassen die Ende Dezember gegen Nordkorea einstimmig beschlossenen Strafmaßnahmen einen zwiespältigen Eindruck. Sie sind notwendig und fragwürdig zugleich - Letzteres besonders in rechtlicher Hinsicht.

Jede Atommacht, zumal eine aufstrebende wie die in Nordostasien, ist eine zu viel und sollte zur Umkehr nicht nur veranlasst, sondern genötigt werden. Dennoch verdient Beachtung, dass Pjöngjang Anfang 2003 seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) erklärt hat, wozu dessen Artikel X jeder Vertragspartei "in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität" das Recht einräumt. Das muss man nicht begrüßen, doch verstößt Pjöngjang weder gegen Vertrags- noch Gewohnheitsrecht, wenn es nationale Sicherheit auf nukleare Selbstermächtigung gründet. Alle seit Jahrzehnten etablierten Atommächte rechtfertigen ihre Potenziale, die um einiges zerstörerischer ausfallen als die Kim Jong-uns, kaum anders. Mehr noch, sie unterlaufen als NPT-Staaten - ebenfalls seit Jahrzehnten - Artikel VI dieses Abkommens, der sie "zur Beendigung des atomaren Wettrüstens in naher Zukunft und zur atomaren Abrüstung" verpflichtet.

Der Ruf kann nicht sein Echo verklagen, der Täter schwerlich den Nachahmungstäter. Genau das geschieht mit einer UN-Resolution, die Nordkorea den Ölhahn zudreht und sich auf den kollektiven Willen von Staaten beruft, die Kernwaffenarsenale besitzen, modernisieren und einsatzbereit halten. Es ist nicht allein der hybride Geltungsdrang eines Autokraten, der eine ganze Region in ein sicherheitspolitisches Dilemma stürzt, es sind auch die doppelten Standards der Atommächte, die dazu beitragen. Dabei zeugt nicht zuletzt Chinas Sanktionsvotum von eindrucksvoller Ambivalenz und dem Faible für taktische Manöver. Es sei dahingestellt, ob unter der Hand weiter Erdöl geliefert wird, wie das Donald Trump behauptet.

Die entscheidende Frage lautet: Erwärmt sich Peking plötzlich für einen von außen provozierten Wirtschaftskollaps Nordkoreas, der womöglich zum regime change führt, oder vertraut es weiter auf den strategischen Vorteil, der sich mit dem Regime in Pjöngjang verbindet? Nordkorea, wie es leibt und lebt, bleibt für China ein Joker, um die USA im Wettbewerb um das künftige Ranking im Pazifik unter Druck zu setzen.

Nur zweierlei muss garantiert sein. Peking darf um seiner Reputation willen nicht im Geruch der Kumpanei mit dem nuklearen Newcomer stehen. Und dessen Führer Kim Jong-un muss daran gehindert werden, aus dem Ruder zu laufen, indem er die USA übermäßig provoziert. Da können Sanktionen disziplinierende Wirkungen entfalten. Sie zu beschließen, heißt nicht, sich penibel daran halten zu müssen.

Quelle: der FREITAG vom 05.01.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

05. Januar 2018

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