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Tunesien: Das verflixte siebte Jahr

Politisch hat sich der Arabische Frühling hier als einziges durchsetzen können. Doch wirtschaftlich geht es den meisten Tunesiern schlechter als vorher

Von Sabine Kebir

Wer immer noch an die Mär glaubt, Demokratie sorge automatisch für das soziale Wohlergehen der Bürger, schaue nach Tunesien. Es gilt zu Recht als das einzige Land, in dem sich der Arabische Frühling politisch ausgezahlt hat. Wirtschaftlich jedoch geht es den meisten Tunesiern schlechter als zur Zeit von Diktator Ben Ali. Ungeachtet der demokratischen Fortschritte hätten "Arbeitslosigkeit, Elend und regionale Ungleichheiten zugenommen", so Massaoud Romdhani, Sprecher des Tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte. Eine NGO, die es unter Ben Ali nicht geben durfte.

Gegen Ende des verflixten siebten Jahres nach der "Revolution" Anfang 2011, wie der damalige Umbruch noch immer genannt wird, erlebt das Land Massenproteste, die zu Straßenkämpfen, Plünderungen, gut 800 Festnahmen und einem toten Demonstranten geführt haben. Zumeist werden der wegen latenter Terrorgefahr starke Einbruch der Tourismusbranche und eine nach wie vor grassierende Korruption für die Misere verantwortlich gemacht. Eine Ursache ist - wegen der dadurch entfesselten gesellschaftlichen Dynamik - auch die Demokratisierung selbst. Tunesien hatte schon immer gut organisierte Gewerkschaften, die maßgeblich am Fall Ben Alis beteiligt waren. Die vielen Streiks, mit denen seither nun versucht wird, die Rechte der Arbeitenden geltend zu machen, lassen das ökonomische Getriebe zuweilen stottern. So ruhte in Gafsa die Gewinnung von Phosphat, eine der wenigen natürlichen Ressourcen des Landes, für fünf Jahre, weil soziale Forderungen des Personals nicht mit profitablen Produktionsbedingungen vereinbar waren. Überdies fehlt es Tunesien an Investitionen in die Infrastruktur. Einen über vier Jahre laufenden Kredit von 2,4 Milliarden Euro hat der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Land 2016 nur zuerkannt, weil im Gegenzug öffentliche Ausgaben gekappt wurden und ökonomische Reformen in den Abbau sozialer Rechte mündeten. So sah der staatliche Finanzplan für 2018 erhöhte Preise und Steuern vor, inklusive der auch die Ärmsten belastenden Mehrwertsteuer.

Dagegen wird mit der jetzigen Revolte aufbegehrt. Nicht ohne Erfolg. Präsident Bédji Caïd Essebsi hat sich mit Vertretern der Gewerkschaften, der Unternehmer und regierenden Koalitionsparteien zur Krisenrunde getroffen. Der Ertrag bestand in einem Aktionsplan der materiellen Hilfe für die Prekarisierten, indem die Sozialhilfe für Familien von 150 auf bis zu 210 Dinar (etwa 70 Euro) aufgestockt wurde. Zudem soll es wieder ein für alle zugängliches System medizinischer Versorgung geben. Wie ernst die Lage war, wird daran erkennbar, dass Essebsi nach diesen Entscheidungen selbst in ein Armenviertel ging, um dort anzukündigen, was gelten soll. Zugleich sehen sich die Streitkräfte vergattert, künftig Produktionsstätten zu schützen, um streikbeflissenen Gewerkschaften Grenzen zu setzen.

Dass in ehemals kolonisierten Ländern Demokratie und Wohlstand gleichermaßen Bestand haben, wird durch das gegenwärtige Weltwirtschaftssystem nicht eben begünstigt. Tunesien zeigt, dass es immer wieder ein Anspruch sein muss, auf soziale Rechte und politische Freiheit gleichermaßen zu achten, damit Gesellschaften nicht explodieren. Dies gilt besonders dann, wenn Klassenkämpfe kaum mehr von religiöser Mystifizierung vernebelt werden, sondern als normale Existenzform der bürgerlichen Gesellschaft anerkannt sind.

Quelle: der FREITAG vom 18.01.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

18. Januar 2018

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