Maßgeschneidert - Der Entwurf einer Nuklearpolitik für Donald TrumpVon Otfried Nassauer Noch ist es nur ein Entwurf, vielleicht auch noch nicht der endgültige. Auch Donald Trump könnte noch Änderungen verlangen. Aber schon jetzt steht wohl bereits fest: Tailored, maßgeschneidert, so lautet der zentrale Begriff im neuen Nuclear Posture Review , der Blaupause für die nuklear Sicherheitspolitik, die derzeit für Trumps Präsidentschaft entworfen wird. Über 40 mal kommt in dem 64-Seiten-Papier das Wort "tailored" vor, von maßgeschneiderter Abschreckung und maßgeschneiderten Strategien ist die Rede. Die Huffington Post hat das Dokument am Freitag ins Internet gestellt. Maßgeschneidert, dieses Wort könnte dem US-Präsidenten gefallen und ihn dazu bewegen, seine Unterschrift unter ein Dokument setzen, das vorgeblich Krieg und Atomwaffeneinsätze durch Abschreckung verhindern will, aber von anderen Staaten auch als ziemlich konfrontativ und bedrohlich wahrgenommen werden könnte. Auf jeden Fall verspricht es, teuer zu werden. Doch der Reihe nach: Wie jeder zum ersten Mal gewählte US-Präsident muss auch Donald Trump die gesetzliche Vorgabe erfüllen, dem US-Kongress nach einem Amtsjahr einen Nuclear Posture Review (NPR) vorzulegen. Dieser ist so etwas wie eine Blaupause der Nuklearpolitik, die er in seiner Präsidentschaft verfolgen will. Wie soll sich das Nuklearwaffenpotential der USA verändern? Welche Rolle sollen die US-Atomwaffen erfüllen? Wird der Bau neuer oder anderer Kernwaffen verfolgt? Wie geht es mit der nuklear-industriellen Infrastruktur, mit der atomaren Rüstungskontrolle und der Nichtverbreitungspolitik weiter? Das sind nur einige der Fragen, über die der Bericht dem Kongress Auskunft geben soll. Der Entwurf, der Trump jetzt zur Unterschrift vorgelegt wurde, soll sie beantworten. Er entwirft das Konzept einer maßgeschneiderten Abschreckung, einer "tailored deterrence". Maßgeschneiderte Abschreckung - Das KonzeptNeu ist diese Idee nicht. Sie wurde bereits in der ersten Amtszeit von George W. Bush unter Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt und Anfang 2004 im dem Entwurf eines künftigen "Strategic Deterrence Joint Operating Concept" durch das Pentagons vorgestellt. Knapp drei Jahre später, Ende Dezember 2006, wurde daraus eine offizielle, von Rumsfeld unterzeichnete Zukunftskonzeption für die US-Streitkräfte, die den Titel "Deterrence Operations - Joint Operating Concept - Version 2.0" trug. Im gleichen Jahr wurde der Begriff in allgemeiner Form auch in den Quadrennial Defense Review des Pentagons aufgenommen. In der verbleibenden Amtszeit Bushs blieb es allerdings bei einer Konzeption, nicht zuletzt, weil Rumsfeld sein Ministeramt aufgeben musste und der Kongress den Bau von Atomwaffen mit kleiner oder kleinster Sprengkraft nicht unterstütze. Das blieb auch unter Bushs Nachfolger Barak Obama so, der in seinem Nuclear Posture Review 2010 festlegte, er wolle "keine neuen und keine Nuklearwaffen mit neuen Fähigkeiten" entwickeln lassen. Unter Obama griff dessen republikanischer Verteidigungsminister Chuck Hagel die Bezeichnung "tailored deterrence" 2013 auf, um die bilateral mit Südkorea vereinbarte Abschreckungsstrategie gegen Nordkorea zu beschreiben. An der Weiterentwicklung des Konzeptes zu einer potentiellen Blaupause für die US-Nuklearabschreckung arbeiteten unter Obama vor allem Mitarbeiter konservativer Denkfabriken und militärischer Studiengruppen. Wofür steht der Ansatz einer "tailored deterrence"? Im Kern und verkürzt: Um potentielle regionale oder strategische Gegner von einem Atomwaffeneinsatz gegen die USA oder deren Verbündete abzuschrecken oder um sie von einer nuklearen Eskalation eines nicht-nuklearen Konflikt abzuhalten, sollen diese potentiellen Gegner jeweils mit einer maßgeschneiderten Strategie abgeschreckt werden. Dazu gehört u.a., dass die Meinungsbildung, der politische Wille und das Handeln dieser Gegner gezielt so beeinflusst werden soll, dass sie von ihren Plänen für einen potentiellen Nuklearwaffeneinsatz ablassen, weil diese ihnen aussichtslos erscheinen. Man soll dort aufgrund politischen Drucks, militärischer Drohungen und der Einschätzung der militärischen Fähigkeiten der USA zu dem Schluss kommen, dass es nichts zu gewinnen gibt, aber im eigenen Land viele wichtige Ziele zerstört werden würden, während man selbst den USA und deren Verbündeten höchstens begrenzten Schaden zufügen könnte. Dazu bedarf es auf Seiten der USA möglichst flexibel einsetzbarer militärischer Möglichkeiten offensiver und defensiver Art, mit deren Einsatz man solchen Gegnern drohen kann. Die atomaren Waffen der USA müssen möglichst glaubwürdig einsetzbar sein. Ihre Sprengkraft und der ungewollte Schaden, den sie anrichten würden, darf nicht so groß sein, dass die USA vor einem Einsatz zurückschrecken könnten. Bei vielen heute vorhandenen Atomwaffen, vor allem für Langstreckensysteme, bestehe diese Gefahr der Selbstabschreckung, weil deren Sprengköpfe mit 100 oder mehr Kilotonnen Sprengkraft zu groß seien. Das könnte eine Drohung mit deren Einsatz häufig unglaubwürdig machen. Zudem müsse es eine flexible, auch auf regionale Bedrohungen ausgerichtete Raketenabwehr geben, die auf die jeweiligen offensiven gegnerischen Fähigkeiten zugeschnitten ist. Sie muss das Bild einer glaubwürdigen Verteidigung gegen jeden Angriff auf die USA und deren Verbündete vermitteln. Die Tatsache, dass sich mehr als 30 Staaten weltweit auf den Schutz durch die atomaren Waffen Washingtons und damit eine erweiterte Abschreckung verlassen, mache zudem deutlich, wie wichtig es sei, dass die nukleare Abschreckung der USA auch den Verbündeten in unterschiedlichen Weltregionen glaubwürdig erscheine. Angesichts der diversen Fähigkeiten der potentiellen Gegner, der ebenfalls unterschiedlichen Sicherheitssituation in den jeweiligen Region und der verschiedenen Erwartungen der eigenen Verbündeten an eine nukleare Rückversicherung müsse für die USA als Maxime gelten: "No size fits it all" - Es gibt nicht das eine Nuklearpotential, nicht die eine Strategie, die für alle Abschreckungsszenarien geeignet wären. Der Entwurf des Trump’schen NPR diskutiert das Konzept einer maßgeschneiderten Nuklearabschreckung mit Blick auf Russland, China, Nordkorea, den Iran und die Rückversicherung regionaler Verbündeter. Er wirbt für dieses Konzept, indem er es als wirksame Form der Kriegsverhinderung darstellt und zudem als Weg, andere Staaten - notfalls mit Druck oder Drohung - zur Einhaltung von Rüstungskontrollverpflichtungen und Nichtverbreitungszielen zu bewegen. Dass bei der nuklearen Abrüstung derzeit keine Fortschritte mehr erzielt werden, liegt aus Sicht der Verfasser des NPR ausschließlich daran, dass andere Staaten, vor allem Russland, dem guten Beispiel oder den gutgemeinten Vorschlägen der USA nicht folgen, sondern - im Gegenteil - aufgrund nationaler Interessen nuklear aufrüsten und höchst gefährliche Veränderungen bei der Rolle ihrer Nuklearwaffen vornehmen, die die USA und deren Verbündete immer gefährlicher werdenden Bedrohungen aussetzen. Betrachtet man das Konzept der "tailored deterrence" von den dafür geforderten militärischen Fähigkeiten her oder durch die Brille potentieller Gegner, dann fordert es den Aufbau eines glaubwürdigen, möglichst kriegführungsfähigen Nuklearpotentials seitens der USA, das die Schwelle, Atomwaffen einzusetzen, deutlich absenkt, weil dafür zielgenaue Atomwaffen mit kleinster, kleiner oder variabler Sprengkraft benötigt und beschafft werden, bei deren Einsatz der ungewollte Kollateralschaden relativ klein und kalkulierbar ist und mit deren Einsatz deshalb auch glaubwürdig gedroht werden kann. Dafür benötigt man
So betrachtet, ist das Ziel und zugleich das Ergebnis einer "tailored deterrence" ein glaubwürdiges, weil besser einsetzbares nukleares Potential zur Kriegführung. Die Selbstabschreckung sinkt, ein Nuklearwaffeneinsatz wird leichter vorstellbar und die Schwelle, auf diese Option zurückzugreifen, wird - auch für die Politik - niedriger. Die technische Entwicklung befördert die Umsetzung einer solchen Strategie, weil moderne und modernisierte Nuklearwaffen deutlich zielgenauer gebaut werden können, sodass sie mit deutlich kleineren Sprengköpfen als bisher eine ausreichend große Zerstörungswahrscheinlichkeit erreichen. Dass man ihr Konzept auch so interpretieren kann, wissen die Autoren des NPR natürlich nur zu gut. Sie reagieren darauf mit einer prophylaktischen Behauptung des Gegenteils: "Um es klar zu sagen: Dies hat nicht die Intention, zur nuklearen Kriegführung zu befähigen, und es befähigt auch nicht dazu. Es wird auch die Nuklearschwelle nicht absenken. Vielmehr wird die Erweiterung der maßgeschneiderten Reaktionsmöglichkeiten der USA dazu führen, dass die nukleare Schwelle angehoben wird und dazu beitragen, dass potentielle Gegner keinen möglichen Vorteil in einer begrenzten nuklearen Eskalation sehen werden, wodurch ein Nuklearwaffeneinsatz weniger wahrscheinlich wird." Man kann versuchen, ihnen das glauben, muss es aber nicht. Schließlich bringt der NPR-Entwurf das Konzept einer maßgeschneiderten Nuklearabschreckung für zwei neue Szenarien ins Spiel. Auch bei strategischen nicht-nuklearen Angriffen zum Beispiel mit Cyberwaffen gegen zentrale Infrastrukturen oder bei nicht-staatlichen nuklearen Bedrohungen wie dem Nuklearterrorismus biete sich eine maßgeschneiderte Abschreckung als Entgegnung an. Im Extremfall sollte Washington auch in solchen Fällen glaubwürdig mit seinen Nuklearwaffen drohen können. Diese Überlegung ist neu, bewusst vage gehalten und ziemlich flexibel interpretierbar. Sie vergrößert - zumindest theoretisch - die Zahl jener Situationen erheblich, in denen die US-Regierung einen Nuklearwaffeneinsatz für legitim oder gar legal halten könnte. Für Rüstungskontrolle bleibt in einem solchen Konzept weniger Raum. Rüstungskontrollvereinbarungen könnten die eigene Freiheit zur einer möglichst flexiblen und effektiven nuklearen Selbstbewaffnung begrenzen oder behindern - unabhängig davon, ob als Ziel der maßgeschneiderten Abschreckung die Kriegsverhinderung oder die Kriegführungsfähigkeit angenommen wird. Rüstungskontrolle wird deshalb vorrangig als Nichtverbreitung verstanden, die es durchzusetzen gilt. Rüstungsbegrenzung und Abrüstung verlieren an Bedeutung. Sie können im Einzelfall vor allem der eigenen Interessenswahrung oder dem Management der Konkurrenz zwischen Nuklearmächten dienen. Was soll sich ändern?Der Entwurf des NPR hält im Großen und Ganzen an der umfassenden Modernisierung des gesamten US-Nuklearpotentials fest, die Barak Obama’s NPR aus dem Jahr 2010 bereits vorsieht. Die nukleare Triade aus luft-, see- und landgestützten Trägersystemen bleibt unangetastet, die konzeptionelle Einbindung der Raketenabwehr in das Abschreckungskonzept und die nuklear Teilhabe der NATO ebenfalls. Alle Trägersysteme, deren künftige atomare Sprengsätze, die technische Führungs- und Kommunikationsstruktur und die industrielle Infrastruktur für den Atomwaffenbau sollen wie vorgesehen sukzessive modernisiert oder ersetzt werden. Bestandteil der Planung bleiben also zum Beispiel die modifizierte, zielgenauere Atombombe B61-12, die Weiterentwicklung des Sprengkopfes für Marschflugkörper zum Modell W80-4, neue Trägersysteme wie der künftige Bomber B-21 Raider, die neuen Raketen-U-Boote der Columbus-Klasse, der geplante neue luftgestützte Marschflugkörper LRSO und die Entwicklung einer neuen landgestützten Interkontinentalrakete. Hinzu kommen - neben leicht modifizierten Zeitplänen - einige neue Zusatzvorhaben, die den spezifischen Bedarf einer "tailored deterrence" spiegeln. Die wichtigsten:
Zudem werden einige wichtige Vorgaben für die Nuklearpolitik aus der Zeit Obamas in dem Entwurf für einen neuen NPR explizit zurückgenommen oder nicht mehr erwähnt. Hervorzuheben sind insbesondere drei Unterschiede:
Um einen solchen Umbau der vorhandenen Modernisierungsplanung Obamas zu finanzieren sind spätestens im kommenden Jahrzehnt deutlich mehr Finanzmittel erforderlich als bislang vorgesehen. Schon für die bisherige Planung Obamas hätten die eingeplanten Gelder dann nicht mehr gereicht. Darüber herrscht in den USA bei den meisten Generälen Konsens. Sie nutzten die Gelegenheit, die Donald Trump ihnen bot, als er das Verteidigungsministerium mit der Vorbereitung des NPR beauftragte, um zu erklären, dass sie mehr Geld brauchen. Schließlich: Es kommt nicht nur darauf an, was man sagt, sondern auch darauf, wie es ankommt." Beides gilt gerade im Blick auf nukleare Abschreckungskonzepte und ihre Wahrnehmung durch Dritte. Das Konzept einer maßgeschneiderten Abschreckung dürfte aus vielen Gründen verbreitet auf Ablehnung und Skepsis stoßen sowie neue Bedrohungswahrnehmungen und möglicherweise auch Gegenmaßnahmen auslösen. Die Schilderung der Bedrohung durch Russland, China, den Iran und eingeschränkter bei Nordkorea, von der die Autoren ausgehen, ist vorsichtig formuliert, extrem pessimistisch. Man könnte sie aber auch in Teilen auch als bewusstes Zerrbild einer geglaubten Wirklichkeit beschreiben, das nicht auf nachvollziehbaren Beweisen beruhen muss. Die Vorwürfe gegen diese Staaten und die Intentionen, die ihnen im NPR unterstellt werden, werden viele andere Staaten nicht vorgeworfen. Drei Beispiele:
Als bedrohlich scheint den Autoren des NPR bereits zu gelten, wenn diese Staaten sich nicht den Vorstellungen und Erwartungen Washingtons beugen, wie sie sich verhalten sollten. Sie wecken Ängste, zielen wohl primär darauf, einen Ausbau der nuklearen Möglichkeiten der USA zu legitimieren und wecken immer wieder den Verdacht, unter dem Vorwand einer wirksameren Abschreckung deren Fähigkeit zur nuklearen Kriegführung verbessern zu wollen. Der Entwurf des NPRs misst der Flexibilisierung der erweiterten Abschreckung der USA durch in diese Regionen verlegbare oder dort stationierte nukleare und Raketenabwehrfähigkeiten eine erhebliche Bedeutung zu. Dies korrespondiert mit einer überzogenen Betonung des bereits erwähnten Vorwurfs, Moskau verletzte den INF-Vertrag und China ziele möglicherweise darauf, seine Interessen künftig mittels eines regionalen und begrenzten Nuklearwaffenersteinsatzes durchzusetzen. Hinter beidem verbirgt sich die Gefahr einer erneuten substantiellen Auseinandersetzung um die regionale Führbarkeit und die Begrenzbarkeit nuklearer Konflikte. Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS. Quelle: BITS - Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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