50 Jahre 1968 (6): “Prager Frühling - Aufstand für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz”"Achtundsechzig, das ist das lustvolle Zähnefletschen des Gespenstes der Freiheit, der nachhaltige Schrecken für jede Art von Autoritäten und Bürokraten." Im Jahr 2018 ist es also 50 Jahre her, dass die 68er ihre Revolte begannen. Zu kaum einem anderen Inhalt, kaum einer anderen Bewegung gibt es so viele verschiedene, auch häufig verdrehte Berichterstattungen bis hin zu Diskriminierungen. Zeit, noch einmal zu versuchen, sich zu erinnern. Ja, wir sind alt geworden. Aber beileibe keine "Alt-68erInnen". Der Wunsch zur Rebellion und zur Veränderung hat uns nicht verlassen.
Von Ellen Diederich Prager Frühling - Aufstand für einen Sozialismus mit menschlichem AntlitzDie Ökonomie in der Tschechoslowakei stagnierte in den 60er Jahren, das politische System unter dem Partei- und Regierungschef Novotny war nach wie vor stalinistisch geprägt. Die Kritik an den Zuständen im Land wurde lauter. Im Frühjahr 68 wurde Novotny durch Alexander Dubcek als 1. Sekretär der KP abgelöst. Im "Prager Frühling" 1968 versuchten die Reformer um Alexander Dubcek ein Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm durchzusetzen. Die Ziele der Reformer: Sie wollten den Sozialismus nicht abschaffen, sondern einen reformierten, demokratischen Sozialismus schaffen. Der Zentralismus sollte abgebaut werden, die Macht sich nicht mehr auf Einzelne konzentrieren, innerparteiliche Demokratie und ein Parlament, das demokratisch gewählt und demokratisch entscheidet sollte die Politik bestimmen. Der Mensch sollte "Wert über allen Werten sein." Die Abhängigkeit von der Sowjetunion sollte reduziert und ein an die Bedürfnisse des Landes ausgerichteter Sozialismus entwickelt werden. Ein kultureller Pluralismus sollte u.a. die Freiheit von Presse, Wissenschaft und Reise garantieren "Ein Rechtssystem sollte aufgebaut werden, das nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis Anwendung finden sollte und in dem ein Bürger frei seine Meinung äußern und kritisieren dürfen sollte. In diesem Zusammenhang steht auch die häufig geforderte Rehabilitierung der Opfer der Prozesse der fünfziger Jahre". (Wikipedia) Vertreter der Sowjetunion, Bulgariens, Polens, der CSSR und der DDR kamen als die Warschauer Fünf zu mehreren Beratungen zusammen. Die Parteiführungen dieser Länder fürchteten, dass die Bestrebungen in der CSSR sich auf ihre Länder auswirken könnten. Auch in der CSSR gab es konservative Kräfte um Husak, die die Reformbemühungen ablehnten. Am 21. August 1968 marschierten Tausende Soldaten aus der Sowjetunion, Ungarn, Bulgarien und Polen in die CSSR mit massivem Panzeraufgebot ein. Dubcek und andere hochrangige Parteimitglieder des Reformflügels hatten entschieden, keinen militärischen Widerstand zu leisten. Sie wurden verhaftet und nach Moskau gebracht. Die Bevölkerung leistete gewaltfreien Widerstand, der nicht erfolgreich war. Die Stundenten Jan Palach und Jan Zajic verbrannten sich aus Protest auf dem Wenzelsplatz. Etwa 150.000 Tschechoslowaken flohen nach Österreich. Eine halbe Million Parteimitglieder wurden ausgeschlossen. Die APOIn dem berühmten Interview Günther Gaus - Rudi Dutschke entwickelt Rudi die Vorstellung vom Verhältnis Partei-Organisationen - Parlament - außerparlamentarische Opposition. "Günther Gaus: Warum meinen Sie, Herr Dutschke, dass die Veränderungen, die sie wünschen, durch Mitarbeit in den bestehenden Parteien nicht erreicht werden kann? Rudi Dutschke: Wir haben nach 1945 eine sehr klare Entwicklung der Parteien, wo die Parteien nicht mehr Instrumente sind, um das Bewusstsein der Gesamtheit der Menschen in dieser Gesellschaft zu haben, sondern nur noch Instrumente, um die bestehende Ordnung zu stabilisieren, einer bestimmten Apparatschicht von Parteifunktionären zu ermöglichen, sich aus dem eigenen Rahmen zu reproduzieren und so also die Möglichkeit, dass von unten Druck nach oben und Bewusstsein nach oben sich durchsetzen könnte, qua Institution der Parteien schon verunmöglicht wurde. Viele Menschen sind nicht mehr bereit, in den Parteien mitzuarbeiten, und auch diejenigen, die noch zur Wahl gehen, haben ein großes Unbehagen über die bestehenden Parteien. (…) Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar. Wir haben in unserem Parlament keine Repräsentanten, die die Interessen unserer Bevölkerung ausdrücken. (…) Es gibt eine totale Trennung zwischen den Repräsentanten und dem in Unmündigkeit gehaltenen Volk. (…) Die Gesellschaft, die wir anstreben, ist ein sehr langfristiges Prozessresultat, das heißt, wir können jetzt kein großartiges Gebilde der Zukunft entwerfen, wir können aber Gliederungsstrukturen sagen, die sich von den jetzigen prinzipiell unterscheiden. (…) Der grundsätzliche Unterschied (besteht darin), dass in unseren Organisationen keine Berufspolitiker tätig sind, dass bei uns kein Apparat entsteht, dass bei uns die Interessen und Bedürfnisse der an Institutionen Beteiligten repräsentiert sind, während in den Parteien ein Apparat vorhanden ist, die die Interessen der Bevölkerung manipuliert, aber nicht Ausdruck dieses Interesses ist. (…) (Was wir schaffen wollen, ist ein) Transformationsprozess als Prozess der Bewusstwerdung der an der Bewegung Beteiligten zu strukturieren, (um so) die bewusstseinsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen, die es verunmöglichen, dass die Eliten uns manipulieren, dass es eine neue Klasse gibt. (…) Ein Vorbild für uns ist die Pariser Commune von 1871. Eine Herrschaft der Produzenten über ihre Produkte. Keine Manipulation, ständige Wahl und Abwahl usw." "Jeder Versuch, diese Zeit zu fetischisieren, zu idealisieren, ist genauso reaktionär wie der Versuch, sie zu negieren." Rudi Dutschke Achtundsechzig das war viel Theoriearbeit, aber auch lustvoller Spott: "Schon seit einiger Zeit konnte er das weise Marxgesicht über seinem Bett nicht mehr ausstehen. Er hatte es schon einmal verkehrt herum aufgehängt. Um den Verstand abtropfen zu lassen, hatte er einem Freund erklärt. Er sah Marx in die Augen: Was waren deine Träume, alter Besserwisser, nachts meine ich? Warst du eigentlich glücklich?" (Peter Schneider, Lenz) Bestes Beispiel für die Unmöglichkeit, auf lange Zeit hin Partei und Bewegung zusammen zu halten, ist die Grüne Partei. Die Grüne Partei ist auf unserem Rücken, auf dem Rücken der sozialen Bewegungen in die Parlamente gekommen, der Frauen-, der Ökologie-, und der Friedensbewegung. Es schien eine Möglichkeit zu sein, die Interessen der Bewegungen in die Parlamente einzubringen. Über das heutige Resultat dieses Prozesses genügen Stichworte: Atomkonsens, Beteiligung an Kriegen, Gleichstellung der Frauen in der Armee usw., Vernachlässigung der sozialen Frage. Die Ausgangsüberlegungen bis zur Unkenntlichkeit verformt. In einem Satz zusammengefasst, den Antje Vollmer sagte, als sie aus der Abstimmung zum Afghanistan-Einsatz kam: "Mein Ja war eigentlich ein Nein!" 50 Jahre 1968 (1): "68 war nicht der Anfang" 50 Jahre 1968 (2): "Achtundsechzig, das war das Lebensgefühl: Wir werden die Welt verändern" 50 Jahre 1968 (3): "Der Vietnamkrieg" 50 Jahre 1968 (4): "Der Pariser Mai" 50 Jahre 1968 (5): "Black is beautiful! Die Bewegung der AfroamerikanerInnen in den USA" 50 Jahre 1968 (6): "Prager Frühling - Aufstand für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz" 50 Jahre 1968 (7): "Wer war Rudi Dutschke?" 50 Jahre 1968 (8): "Sexuelle und sonstige Selbstbestimmung" 50 Jahre 1968 (9): Die Sache der Frauen 50 Jahre 1968 (10): 68 ist nicht das Ende - "Das Volk von Seattle" und andere Bewegungen Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 08.02.2018. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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