50 Jahre 1968 (8): “Sexuelle und sonstige Selbstbestimmung”"Achtundsechzig, das ist das lustvolle Zähnefletschen des Gespenstes der Freiheit, der nachhaltige Schrecken für jede Art von Autoritäten und Bürokraten." Im Jahr 2018 ist es also 50 Jahre her, dass die 68er ihre Revolte begannen. Zu kaum einem anderen Inhalt, kaum einer anderen Bewegung gibt es so viele verschiedene, auch häufig verdrehte Berichterstattungen bis hin zu Diskriminierungen. Zeit, noch einmal zu versuchen, sich zu erinnern. Ja, wir sind alt geworden. Aber beileibe keine "Alt-68erInnen". Der Wunsch zur Rebellion und zur Veränderung hat uns nicht verlassen.
Von Ellen Diederich Sexuelle und sonstige SelbstbestimmungAchtundsechzig bedeutet die Erkenntnis, dass Spontaneität und Vermittlung für ein Denken, das sozialrevolutionär sein will, zusammengehören. Zu den unveräußerlichen Elementen gehören: die Transparenz von Entscheidungen, das Schwinden von Unterordnung, die Beratung und das Prinzip der Delegation von Aufgaben und Befugnissen. Unendliche Diskussionen und Versuche, die Sexualität zu verändern. Der Anspruch, sich nur auf einen Partner, eine Partnerin zu beziehen, wurde infrage gestellt. Das Leben in freier Selbstbestimmung zu entwickeln, war ein wichtiges Ziel. Die antiautoritären KinderlädenAchtundsechzig, das ist die Gründung der antiautoritären Kinderläden. Diese Bewegung hat die gesamte Pädagogik in der BRD nachhaltig verändert. Erziehung bis zu dieser Zeit war äußerst autoritär. Zuhause und in der Schule wurde geschlagen, meine Tochter bekam im Kindergarten ein Pflaster über den Mund, weil sie beim Essen gesprochen hatte. Die Meinungen von Kindern waren wenig gefragt, eine Beteiligung an Entscheidungen im Elternhaus und Schule selten. Beim Vietnam-Kongress in Berlin rebellierten die Studentinnen, die Kinder hatten. Sie sahen nicht ein, dass sie auf die Teilnahme am Kongress verzichten sollten. Sie organisierten beim Kongress einen Kindergarten. Nach dem Kongress trafen sich Eltern, relativ schnell wurden die ersten Kinderläden gegründet. Läden deshalb, weil es in Berlin viele leer stehende Ladenlokale gab, die sich für die Kinderarbeit eigneten. Ich habe 1968 den ersten antiautoritären Kinderladen im Ruhrgebiet initiiert. Was ist antiautoritäre Erziehung und wie kam es gerade im Kontext der StudentInnenbewegung zu diesen Versuchen? "Wir in einer autoritären Gesellschaft aufgewachsenen Menschen haben nur eine Chance, unsere autoritäre Charakterstruktur aufzubrechen, wenn wir es lernen, uns in dieser Gesellschaft zu bewegen als Menschen, denen diese Gesellschaft gehört, denen sie nur verweigert wird durch die bestehenden Macht- und Herrschaftsstrukturen des Systems." (Rudi Dutschke) Antiautoritäre Erziehung will Kindern die Möglichkeit geben, ihre sozialen Fähigkeiten möglichst weitgehend mit Gleichen, d.h. mit anderen Kindern zu entwickeln. Nicht die überstarken Erwachsenen bestimmen, sondern die Kinder selber haben den größtmöglichen Spielraum (im Wortsinn). "Es ist eine möglichst zwangfreie Form der Erziehung von Kindern. Sie steht im Gegensatz zur ‚traditionellen und staatlichen repressiven Erziehung’, unterscheidet sich aber auch grundsätzlich von Laissez faire. ‚Antiautoritär’ beschreibt einen speziellen Weg (und entsprechende Methoden, Haltungen, Settings). Kinder sollen sich zu selbstbewussten, kreativen, gemeinschafts- und konfliktfähigen Persönlichkeiten entwickeln. Sowohl das Ziel als auch der Weg haben die heutige Erziehung nachhaltig geprägt. Antiautoritäre Erziehung richtet sich nicht gegen Autorität, sondern nur gegen die unnötige Unterdrückung der Selbstentfaltung des Kindes, also gegen autoritäre Personen und Systeme." (Wikipedia) In der Folge der Kinderläden entwickelte sich eine breite Debatte in Hochschulen, Schulen, Kindergärten. In die Diskussion, wie diese Erziehung aussehen sollte, nahmen wir Konzepte und Praxis aus verschiedenen Ländern auf, so die Schule Summerhill des britischen Pädagogen Alexander Neill, die Ideen der Befreiungspädagogen Ivan Illich, Paulo Freire und die früherer psychoanalytischer Erziehungskonzepte von Vera Schmidt, Melanie Klein, Otto Rühle und anderen. Die Eltern und teilweise ausgebildete ErzieherInnen arbeiteten gemeinsam in den Kinderläden. Die Diskussionen um die eigenen autoritären Charakterstrukturen waren uferlos. Erziehe ich auch wirklich antiautoritär genug - war die Gretchenfrage. Natürlich gab es viel Kritik und Diskriminierung dieser Erziehungsform. In der Öffentlichkeit entstand zum Teil das Bild einer chaotischen "Erziehung" im Sinne: die Kinder können oder sollen nur das machen, was sie wollen. Andere Ansätze, vor allem in der Jugendarbeit, der Zeltlager- und der Abenteuer- und Erlebnispädagogik verfolgten Ansätze der Mitbestimmung und Selbstbestimmung. Später wurden in Absetzung von dem Begriff antiautoritär in der Diskussion und Praxis Begriffe wie "repressionsarm", "nicht-autoritär" und "emanzipatorisch" geprägt. Mode, Musik, drugs and Rock n’ RollAchtundsechzig, das ist die Musik der Beatles und Stones, Country Joe and the Fish, Jimi Hendrix, Janis Joplin, das ist Woodstock, das sind die Essener Song Tage mit ihrer Mischung zwischen Zappas "Mothers of Invention" über Amon Düül bis zu Franz Josef Degenhardt. Achtundsechzig, das war das Ausprobieren von bewusstseinserweiternden Drogen: "Man beginnt die Umwelt mit den Augen des Kindes zu betrachten, das in dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern ausruft: ‚Aber er ist ja nackt!’ Die Tagesschau wirkt auf einmal komischer als die hirnrissigste Dick und Doof Klamotte. Die pompösen Mienen der Politiker sehen aus wie aufgepappte Faschingsnasen. Ich habe erkannt, dass Herbert Wehner in Wirklichkeit das Rumpelstilzchen ist. Seit ich Rainer Barzel gesehen habe, als ich stoned war, kann mir Buster Keaton nichts mehr bieten." (Die Haschisch-Welle - Tibet ist überall, in: Spiegel Nr. 46, 1969, S. 96) Achtundsechzig das sind Diskotheken wie "The sun is rising in your brain" in meiner Heimatstadt Dortmund, das Fantasio und Paradiso in Amsterdam. Achtundsechzig, das ist Lebenslust, das ist die Veränderung und Befreiung in der Mode. Bei den Frauen vom engen Rock und dem Twinset zum Minirock, zu Schlabberhosen und Jeans, zu knalligen Farben; bei den Männern vom Schlips, Jackett und Nyltesthemden zu weiten Hosen, Phantasiejacken, Jeansanzügen und langen Haaren. Im Swinging London wurde immer mehr ausgeflippte Mode entworfen, die weltweit nachgeahmt wurde. Leider auch schnell kommerzialisiert. 50 Jahre 1968 (1): "68 war nicht der Anfang" 50 Jahre 1968 (2): "Achtundsechzig, das war das Lebensgefühl: Wir werden die Welt verändern" 50 Jahre 1968 (3): "Der Vietnamkrieg" 50 Jahre 1968 (4): "Der Pariser Mai" 50 Jahre 1968 (5): "Black is beautiful! Die Bewegung der AfroamerikanerInnen in den USA" 50 Jahre 1968 (6): "Prager Frühling - Aufstand für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz" 50 Jahre 1968 (7): "Wer war Rudi Dutschke?" 50 Jahre 1968 (8): "Sexuelle und sonstige Selbstbestimmung" 50 Jahre 1968 (9): Die Sache der Frauen 50 Jahre 1968 (10): 68 ist nicht das Ende - "Das Volk von Seattle" und andere Bewegungen Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 21.02.2018. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|