Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Ausbeutung dort, Abschottung hier

Wir lassen Menschen in der Dritten Welt wie Sklaven schuften und wundern uns, wenn sie als Flüchtlinge ihr Leben riskieren.

Von Urs P. Gasche

Wirtschaftsflüchtlinge werden weiterhin in Richtung Europa strömen. Sie werden weiterhin auf prekären Barken im Mittelmeer ihr Leben riskieren. Viele werden die befestigten Grenzen rings um die Schengenländer überwinden. Sie werden versuchen, sich in Ländern, in denen sie unerwünscht sind, in fremden Kulturen und Sprachregionen zurechtzufinden. Kaum jemand von ihnen verlässt seine Heimat, seine Familie und Freunde ohne persönliche oder materielle Not.

  • Mitverantwortlich an ihrer Not sind Rohstoff- und andere Konzerne, die mit autoritären Regimes paktieren, um die lokale Bevölkerung als rechtlose Billigstarbeitskräfte auszubeuten.
  • Mitverantwortlich sind auch unfaire Spielregeln des internationalen Handels, die diese Länder im Wettbewerb krass benachteiligen.

Konzerne und Regierungen der Industriestaaten können diese beiden Faktoren beeinflussen. Andere Missstände in den jeweiligen Ländern können sie weniger beeinflussen. Befassen wir uns also mit dem, wofür die Schweiz und andere Industriestaaten mitverantwortlich sind.

Wer von Not und Elend profitiert

Es gibt Profiteure:

  • Internationale Konzerne, etliche davon mit Sitz in der Schweiz, die Rohstoffe mit wenig Rücksicht auf Menschen und Umwelt günstig beschaffen und die Massenprodukte "dank" Hungerlöhnen billigst herstellen lassen, machen lukrative Geschäfte.
  • Konsumentinnen und Konsumenten in den Industriestaaten profitieren von billigen Computern, Handys, Kleidern und tropischen Früchten. Sie können sich eine rohstoffverschleissende Wegwerfmentalität leisten.

Oft wissen diese Konsumierenden nicht, was sie anrichten. Denn die anbietenden Konzerne verschweigen der Käuferschaft wenn immer möglich die skandalösen Arbeitsbedingungen, die in den Herstellungsländern herrschen, und die gravierenden Umweltschäden, die sie dort anrichten.

Über eine Milliarde Mitmenschen leiden unter Elend und Armut

Auf der südlichen Erdhalbkugel, wenige Flugstunden von Zürich oder Genf entfernt, leben 800 Millionen Mitmenschen, die nicht nur extrem arm, sondern obendrein chronisch unterernährt sind. Was die Industriestaaten ihren eigenen Bauern wie selbstverständlich zugestehen - ein genügendes und sicheres Einkommen dank Subventionen, garantierten Preisen und Zollschutz - verweigern sie mit fadenscheinigen Argumenten den Bauern in Afrika, Asien und Südamerika.

Der Internationale Währungsfonds verbietet jenen Staaten, den Bauern Subventionen zu zahlen und einen Zollschutz einzuführen. Die dortigen Bauern (und Regierungen) dürfen sich nicht einmal wehren, wenn die USA, Kanada und die EU sie mit hoch subventionierten Exportprodukten wie Mais, Zucker, Fleisch oder Baumwolle zu Dumpingpreisen auf unfairste Art konkurrieren.

Kümmerliche Pflanzen und leere Lagerhallen

Dazu ein Beispiel: Ein "Hilfsprojekt" in Tansania hatte zum Ziel, Baumwolle für den Weltmarkt zu produzieren. Die Einnahmen der Exporte sollten den Menschen in der Region um die Stadt Muhenda Fortschritt und Wohlstand bringen. Die Landwirtschaft wurde Ende der 1970er-Jahre nach westlichem Vorbild intensiviert, die Felder mit Dünger und Pestiziden auf hohe Erträge getrimmt. Die Regierung in Tansania unterstützte diese "grüne Revolution" mit Hilfsgeldern aus dem Westen.

Etliche Jahre ging das gut. Doch dann brach der Weltmarktpreis für Baumwolle ein - unter anderem weil die USA ihre eigene Baumwollproduktion und ihre eigenen Baumwollexporte noch stärker subventionierten (Siehe Dokumentarfilm "Süßes Gift - Hilfe als Geschäft" ).

Da konnten die Afrikaner nicht mehr mithalten. Folge: Die Baumwollbauern konnten die hohen Kosten für Traktoren, Chemikalien und Sprühpumpen nicht mehr finanzieren. Heute wachsen auf den Feldern nur noch ein paar kümmerliche Pflanzen. Die riesigen Lagerhallen stehen leer. Die Familien im Dorf müssen mit ein paar Cents am Tag überleben.

Um Milliarden Einnahmen geprellt

Ihre eigene Baumwollbranche subventionieren die Industriestaaten mit rund acht Milliarden Franken jährlich. Ohne diese Subventionen wäre der Weltmarktpreis für Baumwolle rund siebzig Prozent höher. Das hat das "International Cotton Advisory Committee" in Washington ausgerechnet. Solange aber die Industriestaaten Agrarprodukte zu "Schleuderpreisen" exportieren, "hat der lokale Bauer keine Chance mehr", konstatierte auch Peter Brabeck, als er noch CEO von Nestlé war.

Den armen und teilweise unterernährten Bauern in Uganda, Burkina Faso, Tschad, Mali, Benin oder Bangladesh und Indien gehen wegen der unfairen westlichen Exporte Milliarden an Einnahmen verloren.

Das Gleiche gilt für die Zuckerproduzenten von Indien über Kuba bis Brasilien, weil die EU ihre Zuckerrüben und den Export von Zucker massiv subventioniert.
Die westlichen Industriestaaten subventionieren ihre Landwirtschaft jedes Jahr insgesamt mit 250 Milliarden Dollar (Quelle OECD).

Auswandern als letzte Hoffnung in der Not

Die Bevölkerung dieser Länder kommt nicht aus der Armutsfalle heraus. So wie verarmte Schweizer im 19. Jahrhundert massenweise auswanderten, versuchen heute immer mehr Menschen aus diesen armen Ländern in reiche Länder - darunter auch die Schweiz - auszuwandern.

Sklaverei nur formell beendet

Früher waren es Sklaven, die Billigprodukte für uns herstellten. Heute werden Arbeiterinnen und Arbeiter wie Sklaven behandelt. Das zeigt die Geschichte der Baumwoll-Arbeiter, die der Geschichtsprofessor Sven Beckert der Harvard University in seinem soeben erschienenen Buch "King Cotton: Eine Geschichte des globalen Kapitalismus" und Edward Baptist in seinem im September erschienenen Buch aufgedeckt haben. "The Half Has Never Been Told: Slavery and the Making of American Capitalism" .

Die Ausbeutung begann im 18. Jahrhundert: Die britische Textilindustrie vertrieb im Süden der USA gewaltsam indianische Stämme, die dort schon seit Generationen lebten, um deren fruchtbare Böden zum Pflanzen von Baumwolle zu nutzen. Darauf importierten die Briten Hunderttausende von Sklaven aus Afrika, um die Baumwolle zu säen und zu ernten. Verarbeitet wurde die Baumwolle in Manchester und Liverpool zu günstigen Kleidern.

Als der amerikanische Bürgerkrieg die billige Baumwollproduktion in den Südstaaten bremste, zwangen die britischen und andere europäische Baumwollfabrikanten die Bauern in Indien und Ägypten ebenfalls, die Nahrungsmittelproduktion zugunsten der Massenproduktion von Baumwolle aufzugeben. Angeblich könnten die Bauern damit mehr verdienen. Die kolonialen Verwaltungen setzten den nötigen Druck auf.

Die Bauern in jenen Ländern konnten von Subventionen oder fixen Preisen nur träumen. Als in den Jahren 1877 und Ende der 1890er Jahre die "Weltmarktpreise" für Baumwolle sanken und gleichzeitig die Lebensmittelpreise stiegen, verhungerten im westindischen Anbaugebiet für Baumwolle Berar und auch im Nordosten Brasiliens nach den Recherchen von Sven Beckert Millionen von Bauern.

Die "gefühllose Gleichgültigkeit", mit der heutige Kleiderkonzerne ihre Ware in armen Ländern wie Bangladesch, Kambodscha, Osteuropa und Afrika herstellen lassen, "gleicht mehr als nur oberflächlich den historischen Ungerechtigkeiten im Namen von ‹King Cotton›", bilanziert Vikas Bajaj, Wirtschaftsredaktor der New York Times. Die Verantwortung auf beauftragte lokale Firmen abzuwälzen, bezeichnet Bajaj als "faule Ausrede".

Folgende Fragen warten auf Antworten

  1. Ist es ethisch vertretbar, nur unseren eigenen Bauern Einkommen und Preise zu garantieren, jedoch Bauern in armen Ländern der Willkür von spekulativen, stark schwankenden Weltmarktpreisen von Mais, Getreide, Reis, Palmöl, Soja, Kaffee, Kakao, südländischen Früchten oder Baumwolle auszuliefern? Ist diese unterschiedliche Behandlung sogar rassistisch?
  2. Mit welchem Recht überschwemmen wir arme Länder mit hoch subventionierten landwirtschaftlichen Überschüssen, treiben mit dieser unfairen Dumpingpolitik Millionen von Bauern in den Ruin und zwingen viele Länder, einen schönen Teil ihrer Eigenversorgung aufzugeben?
  3. Fruchtbares Land wird knapp. Es geht zu denen, die am meisten Geld haben. Ist es richtig, wenn reiche Staaten und Konzerne, auch Schweizer Investmentfonds, weite fruchtbare Gebiete in Afrika oder Südamerika auf Jahrzehnte hinaus pachten, leasen oder kaufen? Um darauf Pflanzen für Agrartreibstoffe sowie Futtermittel für sich zu produzieren?
  4. Warum subventionieren wir bei uns die Fleischproduktion sowie den Fleischexport und fördern gleichzeitig die Viehhaltung in Entwicklungsländern, obwohl der hohe Fleischkonsum zum Bekämpfen der existenziellen Nöte in armen Ländern kontraproduktiv ist?

Zum letzten Punkt: Der mit Subventionen künstlich hoch gehaltene Fleischkonsum, mit den dazu gehörenden Subventionen der benötigten Futtermittel- und Düngerproduktion, führen in eine Sackgasse. Die vorhandenen Hektaren fruchtbaren Landes auf der Erde reichen - selbst bei optimistischsten Annahmen - nicht aus, wenn die dreieinhalb Milliarden Menschen in China, Indien und Afrika alle gleich viel tierische Nahrungsmittel essen wollen wie wir. Um allen einen mässigen Fleischkonsum zu ermöglichen, müssen wir in den Industriestaaten weniger Fleisch essen und die Produktion sowie den Konsum nicht noch subventionieren.

Auf mehr Geld angewiesen als früher

Die Politik der Industriestaaten hat einem grossen Teil der Ärmsten die Grundlagen zur Selbstversorgung zerstört. Früher brauchten die Ärmsten kaum Geld, um ihre existenziellen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Dorfgemeinschaften bauten ihre Behausungen selber, hatten noch genügend Grundwasser und bessere Böden, trieben Tauschhandel und ernährten sich weitgehend selber. Heute arbeiten viele als ausgebeutete Landarbeiter auf Monokulturen. Viele leben als Landflüchtlinge in den Slums der Grossstädte und lassen sich "im besten Fall" von Textilherstellern wie Sklaven halten und ausbeuten.

In den Slums brauchen sie zum Überleben Geld. Deshalb ist die häufig zitierte Weltbank-Statistik, wonach heute weniger Menschen mit weniger als zwei oder einem Dollar Einkommen pro Tag auskommen müssen als vor dreissig Jahren, als Beweis unbrauchbar, dass es heute weniger Menschen im Elend gibt.

Die Politik muss sich daran messen lassen, ob sie die weltweite Armut beseitigen kann. Denn wer sehr arm ist, kann sich keine ausreichende Nahrung leisten. Ausreichende Nahrung ist ein grundlegendes Menschenrecht.

  • Solange internationale (Rohstoff- und Kleider-)Konzerne und die von ihnen abhängigen Subkontrahenten Arbeitskräfte in armen Ländern ausbeuten und in sklavenähnlichen Verhältnissen halten, und
  • solange die Regeln des internationalen Handels derart einseitig zugunsten der Industriestaaten ausgestaltet sind,

werden Wirtschaftsflüchtlinge weiterhin massenweise versuchen, auch bei hohen Risiken die befestigten Schengengrenzen zu überwinden.

Plakativ ausgedrückt:

Entweder billige Computer, Handys, Kleider etc. und dafür viele Wirtschaftsflüchtlinge. Oder für unseren Konsum mehr Geld ausgeben und dafür weniger Elend und Not anderswo.

Siehe auch

Nachtrag

Der EU-Kommissar für Landwirtschaft, Dacian Ciolos, hatte am 16.1.2014 zur Eröffnung der Grünen Woche in Berlin erklärt:

"Unsere Handelspolitik sollte nicht auf Politikinstrumenten zur Exportförderung fussen, die die Möglichkeiten anderer beschneiden, ihre eigene Landwirtschaft aufzubauen, insbesondere in weniger entwickelten Ländern. Ich bin bereit, ein für alle Mal auf die Erstattung für Ausfuhren in diese Entwicklungsländer vollständig zu verzichten - selbst in Krisenzeiten, wenn dieses Instrument noch angewendet werden könnte. Diese Entscheidung wird unsere Agrarpolitik und unsere Entwicklungspolitik vollständig miteinander in Einklang bringen……Landwirte müssen gut von ihrer Arbeit leben können. Deshalb hat die Europäische Kommission kürzlich vorgeschlagen, die Absatzförderung von landwirtschaftlichen Produkten aus Europa zu stärken, sowohl innerhalb der EU als auch auf den internationalen Märkten. Wir haben vorgeschlagen, das Budget für die Absatzförderung bis 2020 zu verdreifachen."

Quelle: Infosperber.ch - 01.01.2018.

Veröffentlicht am

02. Januar 2018

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