Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

MLK’s Kampf gegen Rassismus, Militarismus & Kapitalismus: Historiker Taylor Branch über Kings letzte Lebensjahre

Heute, am 4. April 2018, ist es genau 50 Jahre her, dass Pastor Martin Luther King in Memphis, Tennessee, ermordet wurde. Er war erst 39 Jahre alt. Wir wenden uns jetzt dem Gespräch zu, das Democracy Now! kürzlich mit dem Historiker und Pulitzer Prize-Gewinner Taylor Branch und dem Schriftsteller Trey Ellis geführt hat. Beide arbeiteten gemeinsam an dem neuen Dokumentarfilm King in the Wilderness von HBO, der beim Sundance Film Festival Premiere feierte. Der Film erinnert an die drei letzten Lebensjahre Kings. Er beginnt, nachdem Präsident Lyndon B. Johnson 1965 das Wahlrecht-Gesetz unterzeichnet hatte. Zwar war dieses bahnbrechende Gesetz verabschiedet worden, aber King richtete nun seinen Blick auf neue Kämpfe: Er rief die Armen-Kampagne und eine Kampagne zur Beendigung des Vietnamkrieges ins Leben. Durch seine Entscheidung, sich öffentlich gegen den Krieg zu wenden, isolierte sich King von vielen, die bis dahin seine engsten Unterstützer gewesen waren. 

AMY GOODMAN: Heute, am 4. April 2018, ist es genau 50 Jahre her, dass Pfarrer Martin Luther King in Memphis, Tennessee, ermordet wurde. Er war erst 39 Jahre alt.

Wir wenden uns jetzt dem Gespräch https://www.democracynow.org/2018/1/25/mlks_radical_final_years_civil_rights . zu, das Democracy Now! kürzlich mit dem Historiker und Pulitzer Prize-Gewinner Taylor Branch http://taylorbranch.com/ . und dem Schriftsteller Trey Ellis http://writertreyellis.tumblr.com/ . geführt hat. Beide arbeiteten gemeinsam an dem neuen Dokumentarfilm King in the WildernessTrailer: https://www.youtube.com/watch?v=aVGRg89DbyM . von  HBOHome Box Office, kurz HBO, ist ein US-amerikanischer Fernsehprogrammanbieter mit Sitz in New York City. https://www.hbo.com/ ., der beim Sundance Film Festival https://www.hollywoodreporter.com/review/king-wilderness-review-sundance-2018-1075321 . Premiere feierte. Der Film bewahrt die drei letzten Lebensjahre Kings dem Gedächtnis. Er setzt zu der Zeit ein, als Präsident Lyndon B. Johnson 1965 das Wahlrecht-Gesetz unterzeichnet hatte. Zuerst sprach ich mit Taylor Branch. Er schrieb die Trilogie America in the King Years.

AMY GOODMAN: Lassen Sie uns über die letzten drei Jahre sprechen, in denen Dr. King in den Norden ging. Damals sagte er, er habe niemals so viel Angst gehabt wie in Chicago. Ich denke, bei alledem, was er im Süden erlebt hat, war Chicago …

TAYLOR BRANCH: Stimmt.

AMY GOODMAN: … der Norden der Vereinigten Staaten.

TAYLOR BRANCH: Schon in Selma 1965 hat er gesagt: "Wir müssen in den Norden gehen." Seine Mitarbeiter, darunter auch Diane (NashSiehe Diane Nash ), wollten nicht, dass er ging, sie wollten nicht in den Norden gehen. "Wir müssen noch im Süden arbeiten", sagte Diane. Aber King wurde immer entschlossener. In den frühen Jahren hatte er gezögert. Er versuchte die Bewegung nach oben zu bringen. Er bekommt den Friedensnobelpreis. Andy Young sagte: "Wir wollen Hühnchen zum Abendessen und uns für die 20 Jahre gratulieren." Er sagt: "Nein, wir wollen nach Selma fahren." Als Selma erledigt war, sagt er: "Wir wollen in den Norden gehen, um Amerika zu zeigen, dass das Thema Rasse niemals nur ein rein südliches Thema war oder ist." Die Mitarbeiter wollten nicht.

Dann waren alle Mitarbeiter außer einer Person dagegen, dass er öffentlich auftreten und in der Riverside Church eine Rede gegen den Vietnamkrieg halten würde. Und keiner von den Mitarbeitern - der Film zeigt, wie viele Meinungsverschiedenheiten es bei den Mitarbeitern über die Armen-Kampagne gab und dann über Memphis. In den letzten Jahren wurde King schlechtgemacht und er war gezwungen, Zeuge davon zu werden, dass Sachen, auf die er kein großes Vertrauen setzte, zu einem großen Durchbruch wurden, etwa Dinge wie "I Have a Dream" oder das Bürgerrechtsgesetz von 1965. Er ist also in der Wildnis und er ist einsam, aber noch mehr ist er ein Führer, fast ein besessener Führer. "Wir müssen das tun." Er hielt seinen Mitarbeitern sogar eine Rede, in der er sagte: "Wir müssen das zu einem Ende bringen. In der Offenbarung gibt es den Satz: ‚Wir müssen unseren Prinzipien bis ans Ende folgen, auch wenn uns nur sehr wenig übrig bleibt.’"

AMY GOODMAN: Können Sie uns in die Zeit des Mississippi-Marschs führen - das heißt nach dem Marsch von Selma nach Montgomery, also zu James Meredith - und warum King beschloss, daran teilzunehmen, wegen der Herausforderung durch Stokely Carmichael, der später zu Kwame Ture wurde? Es gibt da unglaubliches Bildmaterial, wie sie öffentlich kämpften, es war mehr eine Schlacht der Ideen und darüber, wer am Marsch teilnehmen sollte. Aber fangen wir mit Meredith an.

TAYLOR BRANCH: Also der Marsch Merediths war eine Wasserscheide in dem öffentlichen Verständnis von der Bewegung. Er war die Geburt der Black Power. Stokeley hatte gerade von John Lewis das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCCDas Student Nonviolent Coordinating Committee war eine der bedeutendsten Organisationen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten. Gegründet 1960. Siehe ebenfalls: Clayborne Carson: Erwachen des Kampfes . Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren.) übernommen. Lewis wurde abgesetzt, weil er Martin Luther King zu ähnlich war: Er bestand zu hartnäckig auf Gewaltfreiheit. Und als auf Meredith geschossen worden war, kamen Dr. King und Stokely zusammen, um den Marsch durch Mississippi fortzusetzen.

AMY GOODMAN: Erklären Sie bitte, was mit James Meredith geschehen war.

TAYLOR BRANCH: James Meredith hatte seinen eigenen Solo-Marsch gegen Furcht durchgeführt, mit dem er versuchte, die schwarzen Bewohner von Mississippi zu ermutigen, die sich fürchteten, zum Rathaus zu gehen und sich gemäß dem Wahlrechtsgesetz für die Wahl registrieren zu lassen. Er sagte: "Wenn sogar ich durch Mississippi marschieren kann, dann braucht ihr schon gar keine Angst davor zu haben, euch registrieren zu lassen." Aber am dritten Tag des Marsches schossen Weiße auf ihn, die wütend waren, weil er versuchte die Schwarzen zusammenzubringen, damit sie wählen gehen.

Viele von den Bürgerrechts-Führern waren wegen dieses Marsches nicht zu Rate gezogen worden, aber sie meinten, sie müssten ihn fortführen, weil er so bekannt geworden war. Und das brachte Dr. King mit dem neuen SNCC-Führer Stokeley zusammen. Stokeley sagte ganz offen, er benutze die Tatsache, dass wegen Dr. King die gesamte Presse erschienen sei, dazu, die neue Doktrin zu verkünden und das Student Nonviolent Coordinating Committee aus der Rolle herauszuholen, die zweite Geige zu spielen. Sie hatten immer gedacht: Dr. King bekommt die Publizität und sie verbringen mehr Zeit im Gefängnis.

Und er sprach diese neue Doktrin aus: "Wir wollen Black Power!" Das faszinierte die Medien. Bis auf den heutigen Tag ist sie bekannter. Es gibt eine Menge Veteranen gewaltfreier Bewegungen, die verlegen wurden, weil sie gewaltfrei waren, denn Black Power wurde so beliebt. Dr. King stritt mit Stokely, während sie auf der Straße marschierten, davon gibt es Bilder. Am Abend stritten sie dann weiter.

AMY GOODMAN: Und zwischen ihnen stand ein Reporter -

TAYLOR BRANCH: Zwischen ihnen stand ein Reporter.

AMY GOODMAN: Er hatte ein Mikrofon in der Hand und wendete sich hin und her.

TAYLOR BRANCH: Ja.

AMY GOODMAN: Und auch die Aufnahme nicht schwarzer Aktivisten in die Bewegung war ein Streitpunkt.

TAYLOR BRANCH: Ja - also - ja - sie wollten - Die Teilnehmer des Marsches waren gemischt beim Marsch gegen Furcht. Denken Sie daran, es sind etwa 220 Meilen (350 Kilometer). Er dauerte fast einen Monat. Er war größer als der Selma-Marsch.

Seine Bedeutung liegt darin, dass er die große Transformation zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit markiert oder die Debatte eröffnet. Stokely sagte: "Wie kommen wir dazu, gewaltfrei zu sein? Wie kommt es, dass Amerika Gewaltfreiheit nur an Schwarzen bewundert, aber im Übrigen bewundert es John Wayne. Und warum müssen wir da gewaltfrei sein?" Dr. King sagt: "Ich sage euch nicht, ihr müsst gewaltfrei sein. Ich sage euch, Gewaltfreiheit ist eine Doktrin der Führung. Sie ist Amerika voraus. Wenn wir Gewalt anwenden, dann werden wir trotzdem nicht wie John Wayne. Wenn wir von Gewaltfreiheit zurücktreten, treten wir von dem Versuch zurück, das Land in Richtung Versöhnung, Wählen, Gewaltfreiheit und Spiritualität zu bewegen."

Sie führten also diesen großen Streit: Musste die Bürgerrechtsbewegung gewaltfrei sein? War sie effektiv? Folgte sie hohen Grundsätzen? Was für eine Führungsstrategie hatte sie? Diese Debatte beherrschte die letzten Lebensjahre Dr. Kings.

AMY GOODMAN: Taylor Branch, Sie sind ein Veteran der Bürgerrechts-Historiker. Sie gewannen den Pulitzer Prize für Parting the Waters. http://www.simonandschuster.com/books/Parting-the-Waters/Taylor-Branch/9780671687427 , zuerst erschienen 1988. Aber auch Sie waren überrascht über die Bildberichte, die Sie im Film King in the Wilderness gesehen haben.

TAYLOR BRANCH: Ja, ich war davon überrascht. Ich habe es geschrieben, aber nicht gefühlt. Ich habe in meinem Buch von diesen Tausenden Weißer geschrieben, die mit Ziegelsteinen warfen. Und Frauen mit Handtaschen, sie schlugen die Leute mit ihren Handtaschen und schrien und kreischten. Aber es ist etwas anderes, wenn man das, auf Quellenmaterial gestützt, aufschreibt, als wenn man in Chicago Nazi-Zeichen sieht und die Leute schreien und kreischen hört. Es war dort damals sehr hart.

AMY GOODMAN: Die Hakenkreuze, dass da Hakenkreuze waren.

TAYLOR BRANCH: Ja. Da waren viele Hakenkreuze und sehr viele junge Leute waren beteiligt. Nun machte Dr. King ein Experiment mit Gewaltfreiheit im Norden und es war in vielerlei Hinsicht sicher. Es gibt keine Geschichten, dass in Chicago auf Seiten der Bewegung Gewaltfreiheit zusammengebrochen wäre, wie das in Memphis der Fall war. Tatsächlich kamen ein paar Bandenführer zu Dr. Kings Apartment und stritten die ganze Nach mit ihm und einige Bandenführer waren auch bei den Märschen dabei. Zum  Beispiel die Blackstone Rangers, einige von ihnen waren bei dem Marsch dabei. In gewisser Hinsicht war es wie ein Versuchslabor, um zu erproben, wer könnte gewaltfrei sein und ob Gewaltfreiheit funktionieren würde oder nicht.

In dem Film sieht man die andere Seite. Dr. King sagte: "Wir müssen Amerika zeigen, dass es im Norden ein Rassenproblem gibt, denn ihr werdet staunen, wie viele Millionen Menschen denken, seit das Bürgerrechts-Gesetz verabschiedet ist, gäbe es kein Rassenproblem mehr." 
Und bei dieser kleinen Aufgabe hatten sie bewundernswerten Erfolg. Nach Chicago behauptete niemand mehr, im Norden gäbe es keinen Rassismus.

AMY GOODMAN: Wurde er in Chicago nicht von einem Ziegelstein getroffen?

TAYLOR BRANCH: Auf demselben Marsch wurde er von einem Ziegelstein getroffen und ein oder zweimal von einem Stein. Natürlich wurde er oft geschlagen, niedergestochen. Gewalt war ihm sein ganzes Leben lang nahe, auch vor Memphis. Das war nicht neu. Aber ich denke, in Chicago, auch was Andy gesagt hat - im Süden gab es ein paar hundert Klan-Mitglieder, vor denen man sich fürchten musste - aber in Chicago waren es Tausende Menschen und sie waren wütend und man konnte sie hören. Es war eine wütende Menge.

AMY GOODMAN: Lassen Sie uns über Vietnam sprechen, und wie King schließlich dazu kam, die Riverside-Ansprache zu halten: "Warum wir gegen den Vietnamkrieg sind".siehe die Rede in dt. Übersetzung auf Lebenshaus-Website: "Jenseits von Vietnam" . Ich wollte, bevor er starb, einen Clip von Vince Harding drehen. Wir hatten ein langes Gespräch https://www.democracynow.org/2014/5/26/remembering_vincent_harding_the_civil_rights . Siehe in dt. Übersetzung: Gedenken an den Bürgerrechtsaktivisten Vincent Harding, der MLKs Rede gegen den Vietnamkrieg geschrieben hat . mit ihm über die Rede und sein Gespräch mit Dr. King. Vince Harding hat diese Rede mit entworfen, das wollte er noch sagen:

DR. VINCENT HARDING: Sie erinnern sich vielleicht daran: Martin sagte gegen Ende seines Lebens, Amerika habe mit drei - er sagte mit einem dreifachen Übel zu tun: dem Übel des Rassismus, dem Übel des Materialismus und dem Übel des Militarismus. Und er betrachtete diese drei als eng miteinander verbunden.

Eigentlich, Amy, sprachen Martin und ich, solange wir uns kannten, über das, was in der Rede vorkam. Wir sprachen über die ungeheuren Schäden, die Krieg bei den Teilnehmern anrichtet, denen, die Opfer des Krieges sind, denen, die alle Möglichkeiten in ihrem Leben durch ihn verlieren. Und wir sprachen immer darüber, was es bedeuten würde, wenn wir versuchten, kreative, gewaltfreie Problemlösungs-Alternativen zum unzeitgemäßen Krieg zu finden.

Als sich dann in den 1960er Jahren Vietnam auf allen Bildschirmen zu entwickeln begann, sprachen wir viel über die Rolle unseres Landes und viel über die Rolle derer von uns, die an die Möglichkeit des gewaltfreien Kampfes für Veränderung glaubten, und welche Verantwortung wir sowohl als Menschen, die an Gewaltfreiheit glaubten, als auch als Anhänger der Lehren und Wege Jesu Christi hätten. Als Martin dann mit sich selbst im Reinen darüber war, dass er eine große öffentliche Ansprache über dieses Thema halten müsse, und zwar so deutlich, wie er nur konnte, suchte er nach einem Umfeld, wo das besonders auf dem Grund seiner religiösen Grundhaltung geschehen könnte. Als dann Klerus und Laien gegen den Vietnamkrieg ihn zu ihrer Versammlung im April 1967 in die Riverside Church einluden, war ihm klar, dass das der Ort war, an dem er tatsächlich die Rede halten sollte, dass er seinen Standpunkt so öffentlich wie möglich vertreten musste.

AMY GOODMAN: Das war Vince Harding, ein enger Verbündeter von Dr. King, der am Entwurf der Rede "Jenseits von Vietnam" oder "Warum ich gegen den Vietnamkrieg bin" beteiligt war. Dr. King hielt diese Rede also am 4. April 1967 in der Riverside Church in New York, auf den Tag genau ein Jahr bevor er in Memphis ermordet wurde. Bitte sagen Sie etwas über Vince Hardings Rolle bei der Rede, Taylor Branch.

TAYLOR BRANCH: Vince Harding war Mennonit und studierte sein Leben lang Gewaltfreiheit. Er lebte in Atlanta nicht weit von Dr. King entfernt. Und als sie die Rede vorbereiteten aus Gründen, die Trey erklären kann, war das eine von wenigen Reden, die er tatsächlich aufschrieb. Er musste es tun - eine Bedingung dafür, dass sie sie veröffentlichen wollten und er seine Ansichten nach außen tragen wollte, war, dass sie vorher schriftlich formuliert worden war. Sie wollten also eine schriftliche Version der Rede. Normalerweise -

AMY GOODMAN: Dass Dr. King sie aufschrieb.

TAYLOR BRANCH: Ja. Normalerweise improvisierte Dr. King und redete aus dem Stegreif. Er war wie ein Jazz-Musiker, aber dieses Mal brauchte er eine formelle Rede. Er rief einige Leute zusammen, aber vor allem machte Vince Harding den ersten Entwurf für die Rede, um zu versuchen - um es, wenn er sprach, gut hinzubekommen. Die Idee war - seine Mitarbeiter wollten eigentlich nicht, dass er die Rede halte, aber sie sagten: "Wenn du sie schon hältst, dann tu es wenigstens auf eine Weise, dass du nicht  - die Presse wird ihre Aufmerksamkeit darauf richten. Halte die Rede nicht mit vielem ‘Hey, hey, Lyndon B. Johnson, wie viele Kinder’, also mit Plakaten im Hintergrund. Tu das nicht!"

AMY GOODMAN: "Wie viele Kinder hast du heute umgebracht?"

TAYLOR BRANCH: "’Wie viele Kinder hast du umgebracht?’ Mach das nicht - keine Provokation. Mach es auf nette Weise, wende dich an Clergy and Laity Concerned und Dick Fernandez." Trey hat Dick Fernandez interviewt und hat ihn darüber befragt, wie sie dorthin gegangen sind. Sie wollten es so angenehm wie möglich machen und der Welt ermöglichen, der umfassenden Argumentation zuzuhören, über die Geschichte Vietnams, über das vietnamesische Volk, darüber, wie dieses Volk es auffasste, dass wir den Anspruch erhoben, aus Sorge um ihre demokratische Zukunft uns so zu verhalten. Er entwarf diese umfassende Rede und es hörte sowieso keiner zu. Sie sagten: "Du bist ein Verräter. Du solltest nicht …" Es war eine der großen Enttäuschungen seines Lebens. Und -

AMY GOODMAN: Und was haben King und Vince Harding gesagt?

TAYLOR BRANCH: Vince hat mir erzählt, dass Dr. King, als sie sich das nächste Mal in Atlanta trafen, sagte: "Vince, du hast mich wirklich in große Schwierigkeiten gebracht und ich bin dabei, dir und dem ganzen Zeug die Schuld zu geben." Aber sie überstanden die Situation mithilfe ihres Galgenhumors. Dr. King war ein Meister darin.

AMY GOODMAN: Gut, Trey, erzählen Sie mehr von der Bedeutung der Rede. Ich will einen weiteren Clip vorspielen, dieses Mal mit Dr. King selbst. Später wurden so viele der Sätze, die er sagte, wichtig.

REV. MARTIN LUTHER KING JR.: Ich spreche als ein Kind Gottes und als Bruder der leidenden Armen Vietnams. Ich spreche für die, deren Land verwüstet wird, deren Häuser zerstört werden, deren Kultur zersetzt wird. Ich spreche für die Armen in Amerika, die den doppelten Preis für die zerstörten Hoffnungen zu Hause und Tod und Korruption in Vietnam zahlen. Ich spreche als Weltbürger, für die Welt, die über den Weg, den wir eingeschlagen haben, entsetzt ist. Ich spreche als einer, der Amerika liebt, zu den Führern unserer Nation: Die große Initiative in diesem Krieg kommt uns zu, die Initiative, den Krieg zu beenden, muss unsere sein.

Als ich bei den verzweifelten, zurückgewiesenen und wütenden jungen Männern war, habe ich ihnen gesagt, dass Molotow-Cocktails und Gewehre ihre Probleme nicht lösen. Ich habe versucht, ihnen mein tiefstes Mitgefühl zu bezeigen, und ich habe meine Überzeugung aufrechterhalten, dass sozialer Wandel am bedeutsamsten durch gewaltfreie Aktion geschieht. Aber sie fragen zu Recht: "Wie ist es mit Vietnam?" Sie fragen, ob nicht unsere eigene Nation eine riesige Menge Gewalt einsetzt, um ihre Probleme zu lösen und die Veränderungen hervorzubringen, die sie haben will. Ihre Fragen trafen den Nagel auf den Kopf. Ich weiß, dass ich niemals mehr meine Stimme gegen die Gewalttaten der Unterdrückten in den Ghettos erheben werde, ohne mich zuvor deutlich gegen den größten Gewalttäter in der heutigen Welt ausgesprochen zu haben, meine eigene Regierung.

AMY GOODMAN: Dr. King sagt also, dass sein Land, die Vereinigten Staaten, der größte Gewalttäter auf Erden sei. Die Privatmedien, die Mainstream-Medien, von der Times über Time Magazine bis Life Magazine, stürzten sich auf ihn. Ich habe noch die Ausgabe vom Life Magazine. Sie schrieben über die Tatsache - sie schrieben, die Rede klinge wie ein Skript von Radio Hanoi. Sie schrieben, er habe der Sache, seinem Land und seinem Volk einen Bärendienst erwiesen. Ich sage zu den jungen Leuten heute, die sagen: "Für King war es leicht, denn alles, was er tat, machte ihn zum Idol,": Tatsächlich wurde er runtergemacht.

TREY ELLIS: Ja, für mich war es faszinierend. Im Dokumentarfilm beginnen wir darüber zu reden und er berührt die Idee der globalen Politik und spricht gemeinsam mit Andrew Young mit Botschafter Goldberg. Jedes Mal, wenn er etwas zu sagen versuchte, das darüber hinausging, weiße Südstaatler sollten von der Segregation ablassen, wurde er angeprangert. King und seine Mitarbeiter versuchten wirklich ihr Möglichstes, wie Taylor sagte, und sagten: "Wie können wir diese harte Aussage so harmlos und schmackhaft  wie möglich machen?"

AMY GOODMAN: Und was danach geschah, ein Jahr vor dem Tag, an dem er ermordet wurde, diese Rede enthält, was King zu sagen hatte.

TREY ELLIS: Ja, es ist erstaunlich, das Zusammentreffen, dass er genau ein Jahr nach dieser Rede in Memphis erschossen wurde. Aber die Gegenreaktion auf die Rede kam nicht nur von den Medien und den Weißen. Auch von Roy Wilkins und der NAACPNAACP = National Association for the Advancement of Colored People, gegründet 1909.. Alle schwarzen Kleriker waren sehr besorgt. Und sogar innerhalb der SCLC war man besorgt.

AMY GOODMAN: Der Southern Christian Leadership Conference.

TREY ELLIS: Die Southern Christian Leadership Conference, die er leitete, war besorgt. Ihnen ging das Geld aus. Er hatte keine Freunde. Und damals sagt Xernona - Xernona Clayton, sein großartiger Ratgeber, gleich zu Beginn unseres Films: Er starb an gebrochenem Herzen. Es war wirklich einer der besonderen Gründe, dass sich alle gegen ihn zu wenden schienen, nachdem er sich gegen den Krieg gewandt hatte.

AMY GOODMAN: Trey, bitte sprechen Sie von den letzten Lebensjahren Dr. Kings und dem Marsch der Armen.

TREY ELLIS: Nachdem er sich deutlich gegen den Vietnamkrieg ausgesprochen hatte - das war wirklich sein Tiefpunkt. Einige Leute meinten und Andy Young sprach es aus: "Das hast du verdient. Wenn du einfach nur weiterexistieren willst, dann übernimm die Riverside Church und lass dich in der Upper West Side von Manhattan nieder, das hast du verdient, weißt du." Stimmt’s? Er sagte: Nein. Er wollte weiterkämpfen.

Das erste Interview führte ich mit Marian Wright Edelman. Wir haben eine Tonaufnahme von der Zeit, als sie mit Bobby Kennedy die Armen von Mississippi besuchte. Bobby Kennedy sagte zu ihr: "Sag King, er soll die Armen nach Washington führen." Das trifft Taylors Punkt, der sagt, Regierung funktioniert am besten, wenn Öffentliches und Privates zusammengehen, dass King und Lyndon B. Johnson zusammenarbeiten sollten. Als sie in Kings Büro kam und ihm diese Botschaft bringen wollte, fand sie ihn sehr, sehr traurig. Sie erzählte ihm von ihrer und Bobby Kennedys Idee und sein Gesicht erhellte sich.

Ich denke, er sah es so, und er spricht über den Marsch nach Washington, die Armen-Kampagne. Er hielt diesen Marsch für wichtiger als die "I Have a Dream"-Rede. Er stellte sich vor, dass das alle Amerikaner betraf - Weiße, Schwarze, Hispanos. Alle Armen würden nach Washington marschieren und das würde zu einer wirklich großen verwandelnden Veränderung führen. Und wenn man sich die Pläne für diesen Marsch ansieht und bedenkt, was aus diesem Marsch hätte werden können, diesem Marsch, der durch die Kugel des Mörders abgebrochen wurde, dann bricht es einem das Herz.

AMY GOODMAN: Taylor Branch?

TAYLOR BRANCH: Ein Grund dafür, dass ihn der Gedanke an einen solchen Marsch ermutigte, war die Idee von Rassismus, Armut und Krieg, wie Sie schon sagten. Er nannte sie die "dreifache Geißel des Bösen". Andy Young erwähnt das in dem Film. Das war kein neuer Gedanke für Dr. King. Es ist das Thema seiner Nobelpreis-Rede: sie sind miteinander verbunden: Rassismus, Armut und Krieg, die Gewalt des Fleisches und die Gewalt des Geistes. Darum hatte er sich mit Rassismus beschäftigt. Er hatte sich mit dem Krieg in Vietnam beschäftigt. Und Armut ist gemäß seiner Weltsicht ebenso gewalttätig. Die Möglichkeit, für diese dritte Komponente dessen, was er " die alte dreifache Geißel" nannte, Zeugnis abzulegen, war, denke ich, etwas, von dem er wusste, dass er es zur Vervollkommnung seiner Botschaft einbeziehen musste. Zwar hatte er von Armut gesprochen, aber er hatte nicht dagegen demonstriert.

AMY GOODMAN: Wir wollen uns jetzt nach Memphis wenden - nicht zu dem letzten Augenblick in Memphis, sondern es waren zwei Teile. Und noch einmal sprechen wir von den starken Spannungen innerhalb der SCLC und Dr. Kings engsten Beratern, die sich Sorgen machten, weil King nach Memphis gehen wollte. Er war eingeladen worden, den Müllarbeitern bei dem Versuch, sich gewerkschaftlich zu organisieren, beizustehen.

TAYLOR BRANCH: Ich will etwas von den Anfängen von Memphis erzählen. Wie der Film zeigt, hatte er große Mühe, seine Mitarbeiter dazu zu bringen, dass sie die Armen-Kampagne unterstützten. Es gab viele Meinungsverschiedenheiten. Einige sagten: "Wenn du nicht bewirken kannst, dass der Vietnamkrieg aufhört, ist alles andere vergeblich." Andere sagten: "Im Süden und Norden haben wir immer noch Rassentrennung und damit sollten wir uns beschäftigen." Schließlich brachte er sie dazu, auf die Kampagne der Armen und ihre Pläne einzugehen, und dann geschah das Ereignis in Memphis.

Der Streik begann, weil zwei Müllmänner im hinteren Teil eines Trommel-Müllwagens zerquetscht worden waren, als man ihnen erlaubt hatte, sich dort vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Alle waren schwarz und ihre Regeln erlaubten ihnen nicht, sich in einem weißen Viertel unterzustellen, weil das die Weißen beleidigt hätte. Der einzige Ort, an dem sie vor dem Regen geschützt waren, war im Müll, direkt im Müll. Und ein Besen fiel um und traf einen Hebel und die Trommel drehte sich und presste sie zusammen, zerdrückte sie regelrecht. Das ist der Ursprung des Spruchs "Ich bin ein Mensch" [und kein Müll]. Sie wählten diesen Spruch, denn zwar war der ganze Streik wirtschaftlich bedingt, aber im Wesentlichen ging es um Menschenwürde. Sie waren wie der Müll, den sie sammelten, zerquetscht worden und niemanden kümmerte das.

AMY GOODMAN: Deshalb trugen sie die Plakate, auf denen stand: "Ich bin ein Mensch."

TAYLOR BRANCH: Sie trugen diese Schilder. Derjenige, der diese Demonstrationen leitete, war Jim Lawson, einer von Dr. Kings alten Lehrern der Gewaltfreiheit. Er ruft ihn an und sagt: "Martin, kannst du herkommen?" Trey führte die meisten Interviews über Memphis an Ort und Stelle. Dr. King hatte gesagt: "Ich muss nach Memphis gehen. Wenn wir nicht darauf eingehen - ja, es ist ein Umweg, aber der Ruf kommt von Jim Lawson, und wenn die Leute dort nicht das verkörpern, worum es in der Armen-Kampagne geht, dann tut es gar keiner." Er schleppte also seine Mitarbeiter wieder nach Memphis, das eine Ablenkung von der Kampagne der Armen war.

TREY ELLIS: Ja, ich denke, es -

AMY GOODMAN: Also, Trey, fangen Sie dort an.

TREY ELLIS: Ja, es ist wirklich verblüffend. Jedes Mal, wenn er nach Norden gehen wollte, wenn er sich gegen den Krieg wenden wollte, wurde er von seinen Mitarbeitern zurückgehalten. Nun gibt es solche Meinungsverschiedenheit, dass sie tatsächlich - hat er nicht einen kleinen Hungerstreik abgehalten? Andy Young würde sagen: Es ist das erste Mal, dass er zu ihnen durchdrang. Er musste einfach etwas wirklich Extremes tun, damit sie ihm zuhörten.

Ein außergewöhnlicher Augenblick ist der, als er zum ersten Marsch in Memphis geht und es schlecht läuft. Einige - die Gründe sind unklar - in den hinteren Reihen ergreifen ihre hölzernen "Ich bin ein Mensch"-Schilder und zerschlagen damit Fensterscheiben oder es sind Provokateure. So geschieht es und der Marsch ist eine Katastrophe. Am meisten beeindruckt mich Dr. King in dem Film, als er sagt: "Ja, es war schrecklich, ich hätte den Marsch besser organisieren müssen. Ich hätte mich nicht einfach unbedachtsam in den Kampf stürzen dürfen." Ich habe keinen einzigen Politiker in meinem ganzen Leben einen solchen Fehler zugeben hören. Als er dann zurückkam, verdoppelte er wirklich seine Anstrengungen, um dieses Mal alles richtig zu machen.

AMY GOODMAN: Ich will jetzt zu dem Clip mit Dr. King vom 3. April 1968, am Abend vor seiner Ermordung, übergehen.

REV. MARTIN LUTHER KING JR.: Ich weiß nicht, was jetzt geschehen wird. Vor uns liegen einige schwierige Tage. Aber es macht mir jetzt nichts aus, denn I’ve been to the mountaintop. So wird MLK’s letzte Rede genannt. https://en.wikipedia.org/wiki/I%27ve_Been_to_the_Mountaintop . Die gesamte Rede: http://www.americanrhetoric.com/speeches/mlkivebeentothemountaintop.htm . Dt. Übersetzung: "Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen" . Es macht mir nichts aus. Wie jeder möchte ich gerne lange leben. Langlebigkeit hat ihren Platz. Aber ich mache mir jetzt darüber keine Sorgen. Ich will nur Gottes Willen erfüllen. Und er hat mir erlaubt, auf den Berg zu steigen. Und ich habe hinübergesehen und habe das gelobte Land gesehen. Es kann sein, dass ich nicht mit euch hineinkomme, aber ich möchte, dass ihr heute Abend als Volk wisst, wir werden in das gelobte Land kommen! Ich bin heute Abend so glücklich. Ich bin über nichts beunruhigt. Ich fürchte keinen Menschen! Meine Augen haben den Ruhm der Ankunft des Herrn gesehen.

AMY GOODMAN: Dr. Martin Luther King sprach am 3. April 1968. Weniger als 24 Stunden später wurde er in Memphis ermordet. Heute vor 50 Jahren, 1968. Besuchen Sie  democracynow.org. Dort finden Sie das gesamte Gespräch https://www.democracynow.org/2018/1/25/mlks_radical_final_years_civil_rights . mit dem Historiker Taylor Branch, der den  Pulitzer-Preis gewonnen hat, mit Trey Ellis und Peter Kunhardt, dem Regisseur des HBO-Dokumentarfilms King in the Wilderness

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

Quelle:  Democracy Now! vom 04.04.2018. Originalartikel: MLK’s Fight Against Racism, Militarism & Capitalism: Historian Taylor Branch on King’s Final Years . Der ursprüngliche Inhalt dieses Programms steht unter der Lizenz von Creative Commons Attribution-Noncommercial-No Derivative Works 3.0 United States License .

Fußnoten

Veröffentlicht am

09. April 2018

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von