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USA/Iran: Der Westen tritt ab

Trumps Vertragsbruch ist noch kein Weltuntergang. Auch wenn eine Weltordnung zum Untergang verurteilt ist, die sich immer mehr jeder Beherrschbarkeit entzieht

Von Lutz Herden

Die USA sind unter Donald Trump von einer unilateralen Obsession erfasst, die dazu führt, Verträge wie den Iran-Deal zu brechen, sofern sich die daraus ergebende Risiken in Grenzen halten und anderen aufgeladen werden können. Werden die geschwächt, ist das für die USA so etwas wie ein "Kollateralnutzen". Bei Europa trifft das zu. Vor dessen Haustür wird sich abspielen, was ansteht, wenn sich die Feindschaft zwischen Israel und Iran hochschaukelt, sollte dort die Uran-Anreicherung wieder hochgefahren werden - in Maßen, aber immerhin.

Einst haben die USA Vereinbarungen zur Begrenzung und zum Abbau von Atomarsenalen - man denke an die SALT- und START-Abkommen oder den INF-Vertrag zur Abrüstung atomarer Mittelstreckensysteme - über Jahrzehnte eingehalten. Sie waren vertragstreu, weil das im Interesse ihrer nationalen Sicherheit lag. Sie waren berechenbar, weil Gleiches für die daraus resultierenden Bedürfnisse galt.

Im Fall Iran ist das anders, die Islamische Republik ist kein ernstzunehmender Gegner. Sie verfügt über keine Kernwaffen, geschweige denn so etwas wie eine strategische Erstschlagkapazität. Wenn Trump den Atomvertrag kündigt, ist die Begründung allein schon deshalb eine Lüge und Teil des Angriffs auf einen Staat, der durch den Irak- und den Syrien-Krieg regional an Statur gewonnen hat. Niemand hat daran einen größeren Anteil als die USA mit ihrer Irak- und Syrien-Politik seit 9/11 - Trumps Vertragskündigung ist Vergangenheitsbewältigung.

Es kursiert die Legende, wonach der jetzige US-Präsident angeblich auf einen Rückzug der USA aus tradierter Weltordnungspolitik bedacht ist. Eine bewusste Irreführung. Weltordnungspolitik wird weiter, aber anders betrieben, grobschlächtiger, unverhüllter und bei verminderten eigenen Risiken. Der auf krisen- und kriegsanfällige Regionen wie den Nahen Osten ausgeübte Einfluss ist nicht minder gefährlich als der Interventionismus von George Bush im Irak oder von Barack Obama in Libyen und Syrien, die freilich beide den gewünschten Erfolg schuldig blieben.

Druck von außen

Was Trump vorschwebt, liegt auf der Hand. Durch den Bruch des Atomvertrages und den Rückgriff auf die "härtesten Sanktionen" die Strangulierung eines Gegners voranzutreiben, dessen Handelsoptionen sich verschlechtern und dessen Investitionsbedarf ins Leere laufen. Eine ohnehin angeschlagene Ökonomie soll weiter Schaden nehmen. Das hätte zur Folge, dass die Regierung von Präsident Rohani ihr Versprechen, durch den Nuklearvertrag werde man sich erholen, mehr Wohlstand und Prosperität gewinnen, noch weniger einhalten kann, als das bisher schon der Fall war. Schließlich hat sich nur wenig von dem erfüllt, was bei Abschluss des Agreements im Sommer 2015 denkbar schien und seinerzeit in Teheran euphorisch gefeiert wurde.

Ein allgemeines Aufbegehren gegen die prekäre soziale Lage von Millionen Iranern, wie es das zum Jahreswechsel 2017/18 bereits gab, ist absehbar. In einem sich daraus entwickelnden Aufstand und einer Tendenz zum regime change besteht das Kalkül Trumps und seiner Entourage: durch Druck von außen den Umsturz im Inneren provozieren.

Auch wenn das womöglich nicht funktioniert, ist damit zu rechnen, dass in Iran repressive und autoritäre Handlungen zum Erhalt des theokratischen Systems die Oberhand gewinnen. Die gemäßigten, reformerischen, nach außen verständigungsbereiten Kräfte unter Hassan Rohani hätten das Nachsehen und werden vielleicht ganz ausgeschaltet.

Israels Benjamin Netanjahu bekäme einen Feind, wie er ihn sich verwerflicher kaum wünschen kann. Er sähe sich bestätigt, gegenüber Teheran stets auf konfrontative Härte gesetzt zu haben. Die EU müsste noch mehr auf Distanz gehen, als sie das allein wegen des Syrien-Konflikts längst tut. Sie geriete unter einen Legitimationsdruck, von dem ihr momentanes Bekenntnis zum Atomvertrag nicht unberührt bliebe. Donald Trump könnte stolz verkünden: dieses Regime ist genau so, wie ich euch das immer gesagt habe. Es hat nichts weiter verdient, als bekämpft zu werden.

Ein Statement riskieren

Bei alledem steht eines außer Frage. "Der Westen" hat aufgehört zu existieren. Trump treibt ihn zum Offenbarungseid. "Der Westen" ist kein homogener, verlässliche Weltenlenker mehr, sondern ein globales Risiko. Er ist außerstande, eigenen Interessen gerecht zu werden, wie das mit diesem Abkommen möglich war. Das ist (noch) kein Weltuntergang, auch wenn eine Weltordnung zum Untergang verurteilt ist, die immer weniger beherrschbar scheint - und genau das nach 1990 mehr denn je sein sollte.

Die drei EU-Unterzeichnerstaaten - Frankreich, Großbritannien und Deutschland - könnten jetzt ein Zeichen des Widerstandes setzen, indem sie ein wirtschaftliches Hilfsprogramm für Iran auflegen. Dies wäre ein politisches Statement und ließe kompensieren, was die USA mit ihren Sanktionen anrichten wollen. Aber wer rechnet ernsthaft mit einer Entschiedenheit, die doch den "westlichen Interessen" im Nahen Osten entgegenliefe und das Verhältnis zu Israel belasten würde?

Tatsächlich hat sich die europäische Politik von Washington treiben lassen und war über alle Maßen konzessionswillig - genutzt hat es nichts.

Quelle: der FREITAG vom 09.05.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

10. Mai 2018

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