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Israel und das Szenario eines Präventivschlags gegen Iran

Von Clemens Ronnefeldt

Nico Fuhrig und Kevin Kälker, Israel und das Szenario eines Präventivschlags gegen Iran, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2017, 304 Seiten, 49.- Euro.

Buchvorstellung von Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes

Zu den Autoren

Nico Fuhrig und Kevin Kälker konnten 2017, als sie ihr Buch veröffentlichten und das Atomabkommen mit Iran noch nicht von US-Präsident Trump aufgekündigt war, vermutlich nicht ahnen, wie dramatisch aktuell ihre Überlegungen ein Jahr später werden würden. Ihre Diplomarbeit hatten beide an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung zur israelischen Sicherheitspolitik gegenüber Iran geschrieben, wo beide 2012 bis 2015 studierten.

Ihre Arbeit zum Präventivschlag-Szenario vertieft in vier Hauptkapiteln ihre Diplomarbeit:

Sie beginnen mit der Kultur militärischer Prävention (konstruktivistische Antwort), untersuchen im zweiten Teil innenpolitische Entscheidungsprozesse in Israel (liberale Antwort), beschreiben Sachzwänge des Sicherheitsdilemmas (realistische Antwort) und kommen und im vierten und letzten Teil zu Angriffsszenarien (logistische Antwort).

Zum Angriff in Irak 1981

In ihrer Einleitung stellen die Autoren die Frage: "Wann greift Israel den Iran an?" (S. 12) und betonen: "Die geopolitisch weitgehend isolierte Lage des Landes am Rande des östlichen Mittelmeerbeckens lässt die Notwendigkeit präventiver Militäreinsätze allgemein erscheinen. So verleiht der Präventivschlag dem israelischen Ordnungsanspruch Geltung".

Bereits am 30. September 1980, nur acht Tage nach Beginn des irakisch-iranischen Krieges 1980 bis 1988, flog die iranische Luftwaffe einen Angriff auf die Baustelle des irakischen Atomreaktors Osirak bei Bagad, "ohne diesen jedoch stark zu beschädigen" (S. 62).

Auf Seite 70 zeigen die Autoren auf, dass Saddam Hussein den irakischen Reaktor laut dessen eigener Verlautbarung kurz nach dem iranischen Angriff auf den Osirak-Reaktor gegen die zionistische Entität ("the zionist entity") und nicht gegen Iran nutzen wollte, ein Zitat, das der israelische Ministerpräsident Menachem Begin zur Rechtfertigung der Zerstörung anführte. Die beiden Autoren schreiben dazu: "Jedoch musste die israelische Regierung wenig später eingestehen, dass diese Zitation fehlerhaft gewesen ist, da es ein derartiges Zitat weder in der irakischen Presse noch von Seiten offizieller Stellen des irakischen Regimes jemals gegeben hatte".

Die Autoren zeigen auch auf, welche Maßnahmen die israelische Regierung bereits vorher ergriffen hatte, um den Reaktor in Irak zu verhindern: "So kam es am 6. April 1979 in einem Lagergebäude im Hafen der französischen Küstenstadt La Seyne-sur-Mer zu einer schweren Explosion, die beide Reaktorkerne, die für die Anlagen Tammuz-I und II (anderer Name für den Osirak-Komplex, Anm.: von C. Ronnefeldt) vorbestimmt waren, stark beschädigte. Am 13. Juni 1980 wurde der hochrangige ägyptische Atomwissenschaftler Yahya El Mashad tot in seinem Pariser Hotelzimmer aufgefunden. Er war mit der Leitung des irakischen Nuklearprogramms betraut. Am 7. August 1980 explodierten drei Bomben auf dem Gelände einer italienischen Firma, die weitere Anlagen für das irakische Atomprogramm liefern sollte. In allen Fällen werden israelische Nachrichtendienste für die Zerstörungen verantwortlich gemacht". (S. 70).

Zev Chafets, der damalige Direktor des israelischen staatlichen Pressebüros, wurde "im Juli 1980 zu diversen internationalen Zeitungsredaktionen und Fernsehanstalten entsandt, um diese von einer vermehrten Berichterstattung über das irakische Nuklearprogramm zu überzeugen". (S. 70).

Auf Seite 72 wird deutlich, dass das Ausbleiben einer militärischen Vergeltung keine Selbstverständlich war: "Dass ein grundsätzliches Potenzial für eine militärische Vergeltung vorlag, bewies der damalige lybische Machthaber Muammar al-Gaddafi, der im Zuge seines panarabischen Selbstverständnisses eine Kollektivpflicht zur militärischen Vergeltung einforderte, indem er infolge des israelischen Luftangriffs alle arabischen Länder aufrief, den israelischen Nuklearreaktor in Dimona anzugreifen".

Bereits in ihrem ersten Hauptkapitel "Zur Kultur militärischer Prävention" erinnern die Autoren an den 7. Juni 1981, als acht israelische Kampfflugzeuge einen "militärisch" genutzten Nuklearreaktor mit konventionellen Waffen zerstörten (S. 18). Es fehlt allerdings eine Begründung, worin die militärische Nutzung bestanden hat - zumal der Reaktor noch gar nicht in Betrieb war und unter Kontrolle der Internationalen Energieorganisation (IAEO), auch als Energieagentur (IAEA) bezeichnet, in Wien stand.

Reaktionen auf den Angriff der IAEA und der UN

Die Autoren beschreiben die harsche Kritik des Leitungsgremiums der IAEA am israelischen Vorgehen, die mit 29 gegen zwei Stimmen mit breiter Mehrheit angenommen wurde, weil "der Angriff jeder nachvollziehbaren Rechtfertigung" entbehre: "Israel habe durch seinen Angriff diese Verantwortlichkeit (der IAEA, Anm.: C. Ronnefeldt) untergraben und die Wirksamkeit der Safeguards (Schutzmechanismen, Anm.: C. Ronnefeldt) in Frage gestellt, kritisierte die IAEA in ihrer Resolution vom 12. Juni1981, die entgegen der Stimmen Kanadas und der USA mit großer Mehrheit angenommen worden war. Dennoch beschränkte sich die Verurteilung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen lediglich auf die Verabschiedung der Resolution 487 vom 19. Juni 1981, die zwar mit Zustimmung der USA angenommen wurde, jedoch außer einem maßregelnden Wortlaut keinerlei Sanktionen beinhaltete. (…) Somit genoss Israel eine weitgehende diplomatische Rückendeckung der USA, aus der eine Blockade völkerrechtlicher Sanktionsmechanismen der Vereinten Nationen folgte". (S. 74).

Nicht erwähnt wird im Buch der Wortlaut der Resolution 487, in welcher der israelische Angriff als "danger to international peace and security created by the premeditated (…) attack" (SRRes. 487 (Präambel) und "clear violation of the Charter of the United Nations and the norms of international conduct (SRRes. 487) bezeichnet wird und die Aufforderung an Israel ergeht, "to refrain in the future from any such attacks or threats thereof" (SRRes. 487) http://www.ipw.rwth-aachen.de/pub/paper/paper_01.html ..

Weil diese Resolution des UN-Sicherheitsrates völkerrechtlich bindend ist, wäre eigentlich nach dem Angriff 2007 in Syrien sowie den zahlreichen israelischen Zerstörungsdrohungen gegenüber iranischen Atomanlagen, der Ermordung mehrerer iranischer Atomwaffenwissenschaftler, deren Tötung mit hoher Wahrscheinlichkeit von israelischen Diensten zu verantworten ist sowie der Einschleusung des Computervirus "Stuxnet" in Iran zur Zerstörung von Zentrifugen - einer gemeinsamen israelisch-us-amerikanischen Aktion -, eine Wiederbefassung samt Verurteilung der israelischen Politik angestanden; diese blieb aber aus.

Innenpolitische Gründe des Angriffs 1981

Beiden Autoren beschreiben auch die innenpolitischen Gründe für den Angriff 1981 im Detail: "Denn die innenpolitische Rückendeckung für Ministerpräsident Begin zur Durchführung des Präventivschlags kann nicht als Resultat militärischer Notwendigkeit, sondern vielmehr als Folge einer Instrumentalisierung und Mittel der innenpolitischen Zielerreichung gesehen werden. Zur historischen Kontextierung muss erwähnt werden, dass auf den Präventivschlag vom 7. Juni 1981 die israelischen Parlamentswahlen am 30. Juni 1981 folgten. (…) Tatsächlich konnte sich Menachem Begin mit seiner konservativen Likud-Partei mit 48 zu 47 Sitzen als stärkste Kraft gegenüber dem oppositionellen Mitte-links-Parteienbündnis Alignment unter Führung von Shimon Peres durchsetzen. Wahlprognosen vor der Abstimmung erwiesen sich als sehr volatil (wechselhaft, instabil, Anm.: C. Ronnefeldt). Im Januar 1981 wurden noch 20 Sitze für die Likud-Partei und 58 für Alignment prognostiziert, was eine herbe Niederlage für die Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Begin bedeutet hätte. Eine Umfrage von Mitte Juni 1981 - nach dem Präventivschlag - hingegen sah 45 Sitze für die Likud-Partei und nur noch 39 für Alignment voraus. Ford führt diesen Umbruch und den letztendlichen Wahlerfolg Begins auf die Durchführung des Präventivschlags zurück". (S. 75f).

Dass der irakische Diktator Saddam Hussein Drohungen gegen Israel auch in Taten umsetzte, wurde zehn Jahre nach dem israelischen Angriff auf den Reaktor deutlich. Während des Golfkrieges 1991 ließ Saddam Hussein 39 konventionell bestückte Scud-Raketen auf Israel abfeuern. Für den Fall, dass die Raketen mit chemischen Sprengköpfen bestückt worden wären, sahen israelische Überlegungen den Einsatz von Atomwaffen gegen Irak vor.

Der Angriff in Syrien 2007

Auf Seite 19 schreiben die Autoren, dass "ein syrischer Nuklearreaktor kurz vor seiner Fertigstellung im Jahr 2007 durch einen Angriff der israelischen Luftwaffe zerstört wurde und so die syrischen nuklearen Ambitionen beendet werden konnten". Im Anmerkungsteil erfolgt die Präzisierung: "Öffentlich war es lange umstritten, ob die 400 Kilometer nordöstlich von Damaskus am Ufer des Euphrat gelegene Anlage al-Kibar tatsächlich zweifelsfrei ein syrischer Nuklearreaktor gewesen ist. Im April 2008 wurden jedoch aus US-Nachrichtenkreisen detaillierte Informationen bekannt, die einen Nuklearbezug des Komplexes als äußerst plausibel erscheinen lassen".

Woher die beiden Autoren, denen die Täuschungen von US-Nachrichtenkreisen bei der Rechtfertigung des US-Angriffs 2003 bezüglich behaupteter, aber nicht vorhandener irakischer Atomwaffen bekannt sein dürfte, ihr Vertrauen in die Glaubwürdigkeit dieser "detaillierten Informationen" nehmen, bleibt trotz des Hinweises auf eine Studie von David Albright und Paul Brannan offen.

Auf Seite 76ff beschreiben Nico Fuhrig und Kevin Kälker den Angriff vom 6. September 2007 im Detail, wobei beide dem israelischen Geheimdienst Mossad und der us-amerikanischen CIA einen größeren Vertrauensvorschuss entgegenbringen als dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad: "Denn entgegen dieser von Syrien propagierten Harmlosigkeit bot sich dem Mossad ein deutlich anderes Informationsbild, wonach das Gebäude eindeutig als syrischer Nuklearreaktor zu identifizieren war. Unter anderem sollen Mossad-Agenten am 7. März 2007 in das Wiener Hotelzimmer von Ibrahim Othman, dem damaligen Chef der Atomic Energy Commission of Syria (AECS), eingedrungen sein und geheime Unterlagen fotographiert haben. Darüber hinaus soll eine israelische Spezialeinheit im August 2007 Bodenproben in unmittelbarer Nähe zu al-Kibar genommen haben. (…) So gab die CIA exklusive Hintergrundinformationen an Journalisten weiter, nach denen sie die israelische Bewertung teile". (S. 78f).

Gegenüber der IAEA betonte die syrische Regierung, dass jene von der IAEA im Juni 2008 vor Ort gefundenen Uranpartikel von den Raketen der israelischen Kampfflugzeuge stammten und die Anlage eine Einrichtung ohne Nuklearbezug gewesen sei.

Die beiden Autoren zitieren einen IAEA-Untersuchungsbericht vom 24. Mai 2011: "Darüber hinaus konstatierte die IAEA, dass der Reaktor eindeutig mit dem nordkoreanischen Atomreaktor in Youngbyon zu vergleichen gewesen wäre" (S. 79).

Nico Fuhrig und Kevin Kälker folgern aus der Aussage, dass das Gebäude "was very likely a nuclear reactor": Diese Einschätzung ist zeitgleich (vermutlich gemeint ist "zugleich", Anm.: C. Ronnefeldt) die Grundlage, um den syrischen Nuklearreaktor al-Kibar als potenzielle Gefahr für Israel einzustufen und somit den israelischen Luftangriff als Präventivschlag einzuordnen". (…) "Amerikanische Nachrichtendienste ließen verlautbaren, dass sich der Reaktor zum Zeitpunkt seiner Zerstörung zwar in der Endmontage befand, jedoch noch nicht mit Uran befüllt worden war. (…) Auffällig ist, dennoch, dass Israel im Vorfeld dieses Präventivschlags - im Gegensatz zum Angriff auf den Osirak-Reaktor 1981 - keine öffentlichkeitswirksamen Medienkampagnen, diplomatischen Offerten oder merkliche Sabotagesanktionen durchgeführt hat". (S. 80).

An dieser Stelle versäumen die beiden Autoren, weiter zu forschen und Widersprüche und Ungereimtheiten aufzudecken. Wenn nach Aussage der amerikanischen Nachrichtendienste der mutmaßliche Reaktor zum Zeitpunkt seiner Zerstörung noch nicht mir Uran befüllt worden war, woher stammten dann die erst im Juni 2008 von der IAEA gefundenen Uranpartikel?

Zweifel an der Atomanlage-These in Syrien

Die Frage, ob in al-Kibar 2007 tatsächlich eine syrische Nuklearanlage zerstört wurde, scheint im Jahr 2018 keineswegs so sicher oder zumindest wahrscheinlich, wie im IAEA-Bericht von 2011 vermutet.

Auch wegen der aktuellen Bombardierungen im Mai 2018 in Syrien, wo die israelische Luftwaffe schwere Angriffe auf iranische Militärstützpunkte flog und der Gefahr, dass es zu einer Eskalation zwischen Israel und Iran in Form direkter Angriffe auf Nuklearanlagen in Iran kommen kann, möchte ich nachfolgend auf diesen Angriff 2007, zu dem sich die israelische Regierung erstmals im Frühjahr 2018 offiziell bekannt hat, etwas ausführlicher eingehen.

In zwei BeiträgenINAMO, Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten (Hg.),Gareth Porter, Wie Israel einen angeblich syrischen Atomschlag verkauft, Heft 93, Berlin, Frühjahr 2018,  http://www.inamo.de/heft/ . der Fachzeitschrift "Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten" (INAMO) bezweifelt Gareth Porter, unabhängiger Investigativjournalist und Historiker der U.S. nationalen Sicherheitspolitik, die vielfach verbreitete Auffassung, beim israelischen Angriff 2007 in Syrien sei eine Atomanlage nordkoreanischer Bauart zerstört worden.

Er schreibt: "Das irakische Fiasco mit den Massenvernichtungswaffen (im Vorfeld des Irak-Krieges 2003, Anm.: C. Ronnefeldt) ist keineswegs das einzige Beispiel für die Fälschung geheimdienstlicher Erkenntnisse durch politischen Druck. Im September 2007 drehte Israel der CIA einen zweifelhaften Hinweis auf einen angeblichen nordkoreanischen Atomreaktor in der Syrischen Wüste an. Die Israelis konnten den Mossad überzeugen, dass es sich um einen Nuklearreaktor handelte. Was die Israelis wirklich wollten, so Gareth Porter, dass die USA Luftschläge durchführen gegen die Munitions- und Waffenlager von Hizbullah und Syrien". (…)

"Yousry Abushady, Top-Spezialist der IAEO für nordkoreanische Nuklearreaktoren, erkannte schnell, dass die CIA vom israelischen Geheimdienst dreist in die Irre geführt worden war und informierte umgehend im Mai 2008 die beiden höchsten Repräsentanten der in Wien ansässigen IAEO, den Generaldirektor Mohamed ElBaradei und den stellvertretenden Generaldirektor für Sicherheitsfragen, Olli Heinonen, dass die Schlussfolgerungen der CIA nicht vereinbar waren mit grundlegenden technischen Anforderungen für einen derartigen Reaktor. Aber schnell musste Abushady feststellen, dass die Spitzenrepräsentanten der IAEO nicht daran interessiert waren, seine Einschätzung des angeblichen syrischen Reaktors zu berücksichtigen. Im Juni 2008 entnahm ein IAEO-Team, das aus Heinonen und zwei weiteren Inspektoren bestand, Proben an der al-Kibar-Anlage".

Als wichtigste Gründe, die dagegen sprechen, dass es sich bei der 2007 zerstörten syrischen al-Kibar-Anlage um eine Nuklearanlage nordkoreanischer Bauart gehandelt hat, nennt Gareth Porter u.a.:

  • "Das erste, was Abushady auffiel, war, dass das Gebäude zu klein war, um einen Reaktor wie jenen in Yongbyon zu beherbergen. (…) Abushady schätzte die Höhe des nordkoreanischen Reaktorgebäudes auf etwa 50 Meter (165 Fuß) und das Gebäude in al-Kibar auf wenig mehr als ein Drittel davon." (…)
  • "Der aufschlussreichste Hinweis darauf, dass das Gebäude kein GCGM-Reaktor sein konnte, war für Abushady die Nichtexistenz eines Kühlturms zur Reduzierung der Temperatur des Kohlendioxidgases in einem derartigen Reaktor". (…)
  • "… ein weiteres kritisches Element, das Abushady vermisste, war eine Kühlbecken-Vorrichtung für verbrauchten Brennstoff". (…)
  • "Aber den definitiven und unwiderlegbaren Beweis, dass es keinen GCGM-Reaktor in al-Kibar gab, ergaben die Bodenproben, die von der CIA im Juni 2009 vor Ort entnommen worden waren. Ein derartiger Reaktor hätte nukleares Graphit enthalten, erläuterte Abushady. Und wenn die Israelis tatsächlich einen GCGM-Reaktor bombardiert hätten, wären nukleare Graphitpartikel über die gesamte Anlage verstreut worden." (…)

Ob dieser Beweis tatsächlich "definitiv und unwiderlegbar" ist, dürfte selbst von tief in der Materie bewanderten Fachleuten schwer zu bestätigen sein.

Als wahrscheinlichste Funktion der al-Kibar-Anlage beschreibt Gareth Porter in seinem Artikel, dass es sich um ein Raketenlager und eine Abschussrampe gehandelt habe.

Die Gründe für die Zerstörung der al-Kibar-Anlage sind brandaktuell, wie Gareth Porter im Rückblick auf das Jahr 2007 schreibt:

(…) "Die Israelis machten kein Geheimnis aus ihrem Wunsch, ein US-Luftschlag möge die angebliche Atomanlage zerstören. Ministerpräsident Ehud Olmert rief Präsident Bush (…) an und sagte, so die Darstellung in Bushs Memoiren: ‘George, ich ersuche Sie, die Anlage zu bombardieren’. Cheney, der als persönlicher Freund Olmerts galt, wollte noch weitergehen. Bei Besprechungen im Weißen Haus in den folgenden Wochen plädierte er nachdrücklich für einen Angriff nicht nur auf die vorgebliche Reaktoranlage, sondern auch auf Waffenlager der Hizbullah in Syrien. Der damalige Verteidigungsminister Robert Gates, der an diesen Besprechungen teilnahm, erinnerte sich in seinen eigenen Memoiren, dass Cheney, der auch nach einer Gelegenheit suchte, einen Krieg gegen den Iran zu provozieren, zum einen darauf hoffte, ‘Assad dermaßen zu erschüttern, dass er seine enge Beziehung zu Iran beenden würde’ und zum andern, ‘Iran eine eindringliche Warnung zu senden, seine nuklearen Ambitionen aufzugeben.’"

Was auch immer 2007 in Syrien zerstört wurde - spannend sind im Rückblick von mehr als zehn Jahren die Reaktionen auf diesen Angriff, die Nico Fuhrig und Kevin Kälker in ihrem Buch beschreiben: "Abgesehen von Syrien, kamen die einzigen internationalen Verurteilungen tatsächlich ausschließlich aus Russland, Iran, Nordkorea und der Türkei. Die Staaten der Arabischen Liga (AL) brachten lediglich am 17. Juni 2008 ein Statement in die 52. Generalversammlung der IAEA zur israelischen nuklearen Befähigung ein, in der sie auf die mangelnde internationale Kontrolle der israelischen Nukleareinrichtungen hinwiesen und die Schaffung einer nuklearwaffenfreien Zone (NWFZ) im Mittleren Osten unter Einbeziehung Israels nachdrücklich einforderten, ohne jedoch explizit auf den israelischen Luftschlag gegen Syrien selbst einzugehen. Aus vertraulichen Dokumenten der US-Regierung geht hervor, dass der Text bewusst keine Verurteilung Israels enthielt, um nicht durch öffentliche Provokation das langfristige Ziel einer NWFZ in der Region sowie einen Beitritt Israels zum Atomwaffensperrvertrag zu behindern". (S. 85).

Bis heute hat sich die Zurückhaltung der Arabischen Liga jedoch in keinster Weise ausgezahlt.

Zur weitergehenden Absicht des Angriffs 2007 schreiben die beiden Autoren: "So interpretieren zahlreiche Beobachter die Militäraktion Israels als deutliches Zeichen an den Iran und dessen aufstrebendes Nuklearprogramm, nicht an der israelischen Entschlossenheit zur Bekämpfung derartiger Vorhaben in der Region zu zweifeln". (S. 86).

Am 21. März 2018 berichtete die Süddeutsche Zeitung unter dem Titel "Alte Geschichte als frische Warnung", dass sich die israelische Regierung erstmals offen zum Angriff von 2007 bekannt hat: "Was den Wirbel in Israel und darüber hinaus verursacht, ist die Botschaft, die sich an die Veröffentlichung knüpft: Verteidigungsminister Avigdor Lieberman warnte, niemand solle Israels Streitkräfte unterschätzen. Und Premier Benjamin Netanjahu sagte, ‘die israelische Regierung, die Armee und der Mossad haben Syrien davon abgehalten, nukleare Kapazitäten zu entwickeln. Israels Politik bleibt konstant: zu verhindern, dass unsere Gegner nukleare Waffen bekommen’. Jüngst hatte die Luftwaffe erstmals seit mehr als 30 Jahren den Abschuss eines Kampfjets hinnehmen müssen - ausgerechnet durch Syriens Luftabwehr. Generalstabschef Gadi Eizenkot sagte, Israel werde ‘nicht die Entstehung von Fähigkeiten zulassen’, die seine Existenz bedrohten. ‘Das war 2007 unsere Botschaft, das bleibt unsere Botschaft, und das wird in naher und ferner Zukunft weiter unsere Botschaft sein.’ Und Geheimdienstminister Israel Katz stellte klar, was ohnehin offenkundig war: ‘Damals Syrien, heute Iran.’ (…)". http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-alte-geschichte-als-frische-warnung-1.3915646 .

Mögliches Angrifssziel Iran

Auf Seite 90 taucht erstmal die Überschrift "Mögliches Angriffsziel Iran" auf, jenes Thema, das im Zentrum des gesamten Buches steht, und das auf den folgenden mehr als 200 Seiten in den verschiedensten Facetten thematisiert wird.

Als Gründe gegen einen Angriff werden u.a. die große Zahl iranischer Nuklearanlagen genannt, deren teilweise sehr gute Härtung und Unzerstörbarkeit in unterirdischen Anlagen sowie die Tatsache, dass Wissen in den Köpfen von Nuklearfachleuten nicht durch Bomben zerstört werden kann. Die Autoren schreiben: "Darüber hinaus warnen Cordesman und Toukan, dass nach der Zerstörung des iranischen Busher-Reaktors hunderttausende Zivilisten in Anrainerstaaten des Persischen Golfs von einer akuten atomaren Verseuchung betroffen wären. Auch würde eine Verstrahlung der Ballungszentren Teheran und Isfahan riskiert". (S. 101).

Auf Seite 100 wagen die beiden Autoren eine steile These: "Wie bereits dargestellt, scheint das iranische Nuklearprogramm jedoch nun bereits in der Lage zu sein, Nuklearwaffen hervorbringen zu können, wonach es zwar die demarkierte israelische, nicht aber die amerikanische ‘rote Linie’, klar überschritten hätte".

Weder wurde dies von den Autoren "bereits dargestellt", noch gibt es in den Berichten der IAEA über die Fortschritte des iranischen Atomprogramms belastbare Aussagen, die einen solchen Satz rechtfertigen könnten.

Die beiden Autoren schreiben vor dem Hintergrund der diplomatischen Verhandlungen über das Atomabkommen: "Mitunter wurde durch Presseverlautbarungen der israelischen Regierung versucht, die durch die Verhandlungen mit dem Iran in den Hintergrund geratene militärische Option medial wiederzubeleben. (…) Daher scheint der Ruf nach diesem Präventivschlag mitunter aus diplomatischem wie wahlkampftaktischem Kalkül eingesetzt zu werden und dessen Einforderung somit weiteren politischen Zwecken - wie etwa der eigenen Wiederwahl oder der Einstellung von kompromissbereiten Verhandlungen dienen zu können". (S. 103).

Als Zwischenfazit ziehen die Autoren auf Seite 103 und 104:

"Diese strategisch-kulturelle Kodifizierung militärischer Präventivschläge ergibt sich, als Ausdruck einer militärstrategischen Notwendigkeit zum Erhalt der ‘Pax Israeliana’, aus der jüngeren genozidalen Erfahrung des jüdischen Volkes wie auch der israelischen Selbstwahrnehmung als isolierter Staat in Vorderasien und der empfundenen Konfrontation mit einer quantitativen militärischen Übermacht umliegender arabischer Staaten. Das Bewusstsein der eigenen Verwundbarkeit ruht insbesondere auf der geographischen Ausgestaltung des israelischen Staates und dessen besonderer Vulnerabilität gegenüber Auswirkungen gegnerischer Einsätze von Massenvernichtungswaffen". (S. 103).

"Sobald ein potenzielles militärisches Atomprogramm eines anderen Staates eine drängende Gefahr durch baldiges Erreichen der nuklearen Schwelle darstellt, dessen feindliche Absicht zu erkennen sowie dem Präventivschlag durch eine gewisse Vulnerabilität des Ziels eine Aussicht auf nachhaltige Eindämmung zuzusprechen ist, entfaltet die israelische Kultur einen dominanten Einfluss auf den politischen Entscheidungsprozess Israels zur Durchführung des Präventivschlags". (S. 104).

Zu ergänzen wäre diese Einschätzung durch die Tatsachen, dass Israel mit seinen beiden unmittelbaren arabischen Nachbarn Jordanien und Ägypten bereits Friedensverträge geschlossen hat, in der Initiative der arabischen Liga von 2002 alle 22 Mitgliedsstaaten dem Staat Israel im Gegenzug zu einer Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 die Anerkennung zugesagt haben - und mit Saudi-Arabien inzwischen der militärisch stärkste arabische Staat - wegen der gemeinsamen Feindschaft zu Iran - sich zu einem strategischem Partner entwickelt hat.

Durch die Kämpfe in Syrien mit erheblichen Verlustzahlen der für Iran kämpfenden Soldaten - darunter viele Schiiten aus Afghanistan - sowie die extrem angespannte Wirtschaftslage in Iran, ist Iran im Jahre 2018 verletzlicher als noch in den vergangenen Jahren.

Innenpolitische Faktoren in Israel

Am 30. April 2018 entschied das israelische Parlament mit 62 gegen 41 Stimmen, dass der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu "unter extremen Umständen" mit Zustimmung des Verteidigungsministers, derzeit Avigdor Lieberman, einem anderen Land den Krieg erklären kann. http://www.sueddeutsche.de/politik/israel-blankoscheck-fuer-netanjahu-1.3964298 .

Diese Ausschaltung des Parlamentes und des Sicherheitskabinetts, in dem in der Vergangenheit vor allem der Generalstabschef erheblichen Einfluss hatte, hat in Israel die Gefahr einer militärischen Konfrontation mit Iran erhöht.

Allerdings fand auch Benjamin Netanjahus Vorgänger Menachem Begin eine Möglichkeit, Kontrollmechanismen zu umgehen: "Laut Gesetz erfordern Kriegsbeschlüsse und Entscheidungen zu erheblichen militärischen Operationen die Zustimmung des gesamten Kabinetts. Die praktische Umsetzung diesbezüglich weicht jedoch von der Norm ab. So ließ Ministerpräsident Menachem Begin 1981 über den Angriff auf den irakischen Nuklearreaktor erst von der Gesamtregierung abstimmen, als die Kampfjets bereits in der Luft waren, unterwegs in Richtung Irak. Zwar hätte der Angriff noch abgebrochen werden können, die Praxis zeigt jedoch, dass die Zustimmung aller Regierungsmitglieder nach erfolgter Entscheidung durch das Sicherheitskabinett nur noch eine Formalität ist" (S. 120).

Zum gegenwärtigen Ministerpräsidenten schreiben die beiden Autoren: "Netanjahu wird durchgängig als ‘hardliner’ beschrieben. Das Thema Iran präsentiert er mit einer Dringlichkeit wie kaum ein anderer israelischer Politiker. Bereits 2006 und 2008 zog er drastische Vergleiche heran, um die Bedrohungslage zu umreißen. Er setzte den Iran mit Deutschland unter den Nationalsozialisten gleich: ‘It´s 1938 and Iran ist Germany. (…) While the Iranian president denies the Holocaust (…) he is preparing another Holocaust fort he Jewish state’." (S. 126).

Die beiden Autoren weisen darauf hin, dass Benjamin Netanjahu bereits in der Vergangenheit die angebliche iranische Bedrohung für innenpolitische Zwecke instrumentalisierte: "Innenpolitisch drohten die sozialen Proteste aus dem Jahr 2011 Mitte des Jahres 2012 erneut zu eskalieren. (…) Mit einer eindringlichen Warnung vor dem Iran konnte Netanjahu darauf hoffen, von diesen innenpolitischen Problemen abzulenken und einen ‘rally around the flag’-Effekt ("Sich um die Flagge scharen-Effekt", Übersetzung: C. Ronnefeldt) zu erreichen. Dies war wichtig, weil eines seiner persönlichen Interessen die Wiederwahl zum Ministerpräsidenten 2013 war". (S. 127).

Aktuell steht der israelische Ministerpräsident unter erheblichem Druck wegen Korruptionsvorwürfen, u.a. im Zusammenhang mit der Bestellung atomar bestückbarer U-Boote aus Deutschland.

Im Jahre 2012 waren es vor allem das israelische Militär und der einflussreiche Generalstabschef Benny Gantz, die - obwohl es im Sicherheitskabinett "einer knappe Mehrheit für einen Militärschlag gegeben" hat (S. 138), den Krieg gegen Iran verhinderten.

"Netanjahu hatte nach Gantz einen Generalstabschef gesucht, der zu einem Angriff auf den Iran bereit wäre, und die Ernennung immer wieder hinausgezögert. Mit Eisenkot hat Israel einen neuen Generalstabschef, der gemäßigt eingestellt ist wie Benny Gantz und einen Militärschlag gegen den Iran ablehnt", schreiben Fuhrig und Kälker auf Seite166.

Im November 2017 allerdings sprach sich Gadi Eisenkot bezüglich Saudi-Arabien "für einen ‘Austausch von Geheimdienstinformationen’ aus, um den Plänen des Iran ‘zur Kontrolle des Mittleren Osten’ zu begegnen. Eisenkot betonte, Israel und Saudi-Arabien hätten ‘viele gemeinsame Interessen’." https://www.derstandard.de/story/2000067971785/israel-bereit-zur-kooperation-mit-saudi-arabien-gegen-iran .

Zum derzeit ebenfalls einflussreichen und im Sicherheitskabinett vertretenen Bildungsminister Naftali Bennett schreiben die Autoren: "Bennett verkündete offen, dass ein schlechtes Abkommen zu Krieg führen würde. (…) Dieser Argumentation folgend wurde die israelische Politik durch Bennett in jedem Fall aggressiver" (S. 151f).

Verteidigungsminister Avigdor Liebermann, der mit Benjamin Netanjahu seit Mai 2018 die alleinige Verfügungsgewalt über einen Kriegsbeginn hat, sprach bereits 2009 gegenüber Vertretern der Volksrepublik China, "der Iran sei die größte Bedrohung für den Weltfrieden und Stabilität. 2014 fügte der (damalige, Anm.: von C. Ronnefeldt) Außenminister hinzu, die Islamische Republik sei der größte Terror-Exporteur der Welt. (…) Einmal ging er sogar noch weiter, als er äußerte, Israel werde mit dem Iran genauso wie mit dem Irak und Syrien verfahren" (S. 157f).

Die beiden Buch-Autoren zitieren den renommierten israelischen Militärhistoriker und Militärtheorethiker, Prof. Martin van Creveld, den sie im Juli 2106 persönlich interviewten:

"Jedes Mal, wenn wir damit drohen etwas zu tun, weil wir - angeblich - keine andere Wahl haben, kommen die Amerikaner und die Deutschen mit Milliarden und Waffen. Wir brauchen so etwas nur anzudeuten und zu behaupten, wir würden gezwungen, dieses oder jenes zu tun. Im Hinblick auf das Atomabkommen mit dem Iran fangen wir in spätestens acht Jahren wieder damit an, egal wer Premierminister in Israel ist". (S. 196).

Zur Rolle der US-Regierung

Fuhrig und Kälker gehen auch auf den letzten US-Wahlkampf zwischen Donald Trump und Hillary Clinton ein: "Im Kontext der Verhandlungen zwischen Washington und Jerusalem für eine Ausweitung der amerikanischen Militärhilfen bis 2018 meldete sich ein Berater des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten (Donald Trump, Anm.: C. Ronnefeldt): Netanjahu solle mit dem Abschluss der Verhandlungen noch warten, da Trump nach gewonnener Wahl Israel ein besseres Angebot als die derzeitige US-Administration unterbreiten würde" (S. 203). Interessant ist der Hinweis der Autoren zu Donald Trump: "So forderte er beispielsweise noch im März 2016, Israel solle US-Militärhilfen zurückzahlen". (S. 203).

Zum Verhältnis USA und Israel bilanzieren die beiden Autoren:

"Auch wenn Trump mit seinen polarisierenden Aussagen im Wahlkampf sehr umstritten war, (…), so zeigt sich doch eine mögliche Tendenz für die US-Außenpolitik auf, die erneut einen Angriff Israels gegen den Iran begünstigen könnte. Dann nämlich, wenn Israel sicher ist, dass die USA einen unilateralen Angriff des jüdischen Staats auf die Islamische Republik stillschweigend billigen würden" (S. 204).

Seit dem Ausscheiden von Rex Tillerson als US-Außenminister sowie dem Amtsantritt des aktuellen Außenministers Mike Pompeo - unterstützt zusätzlich von der Beratertätigkeit John Boltons - kann diese "Billigung" im Mai 2018 vorausgesetzt werden.

Zu logischen Überlegungen

Bezüglich des Angriffs in Syrien 2007 schreiben die Autoren, dass im Vorfeld israelische Spezialeinheiten Beweisfotos vor Ort geschossen und Bodenproben in unmittelbarer Nähe der Anlage al-Kibar genommen hätten: "Die eingesetzten Angehörigen der Sayeret Matkal - einer Aufklärungseinheit des israelischen Nachrichtendienstes, in der bereits Benjamin Netanjahu und Mosche Jaalon (von 2013 bis 2016 israelischer Verteidigungsminister, Anm.: C. Ronnefeldt) gedient haben - sollen hierbei Berichten zufolge Uniformen syrischer Militärangehöriger getragen haben. Elf Monate später wurde der enge Vertraute des syrischen Machthabers Assad, General Mohammed Suleiman, während eines Abendessens in seinem Strandhaus nahe der westsyrischen Küstenstadt Tartus, durch einen Präzisionsschuss getötet. Er galt als Projektverantwortlicher der zuvor zerstörten syrischen Nuklearanlagen. In ehemals eingestuften Dokumenten bezeichnet die National Security Agency (NSA) diesen Vorfall als ‘first-known instance of Israel targeting a legitimate government official". (S. 207).

Zur Sayeret Matkal-Aufklärungseinheit, beschreiben die beiden Autoren noch eine weitere Aktionsplanung aus der Vergangenheit: "Dass die Einheit routiniert auch Operationen weit hinter den feindlichen Linien durchführt, bezeugen der Öffentlichkeit nunmehr zugänglich gemachte Informationen zur Operation Bramble Bush. So sollte Sayeret Matkal 1992 eingesetzt werden, um den irakischen Machthaber Saddam Hussein auf einer Beerdigungsfeier nahe Tikrit als Vergeltung für irakischen Scud-Beschuss während des Zweiten Golfkriegs zu töten. Wegen eines Trainingsunfalls wurde die Mission letztlich abgesagt - die Autorisierung durch Ministerpräsident Jitzchak Rabin war jedoch bereits erfolgt". (S. 222).

Das Buch beschreibt ausführlich die einzelnen nuklearen Einrichtungen in Iran, die weit verstreut und teilweise 90 tief unter der Erde verbunkert liegen - und auch den enormen Sicherungsaufwand der Regierung in Teheran: "Knapp 12.000 Soldaten der iranischen Streitkräfte sind mit Angelegenheiten der Luftverteidigung betraut" (S. 217).

Detailliert gehen die Autoren auch auf die logistischen Möglichkeiten und Herausforderungen ein, vor denen die israelischen Streitkräfte angesichts der iranischen Atomanlagen stehen, wie z.B. die großen Distanzen für die israelische Luftwaffe, die nur mittels Luftbetankung überwunden werden können.

Schlussfolgerungen

Ab Seite 240 fassen Fuhrig und Kälker ihre Schlussfolgerungen knapp zusammen.

"Die Einsicht in die eigene Verwundbarkeit zwingt den jüdischen Staat, Bedrohungen bereits in der Entstehung einzudämmen" (S. 240).

Aus Sicht der Friedensforschung und deren friedenslogischer Ansätze wäre allerdings genau das gegenteilige Handeln - sofern diese Eindämmung militärisch geschieht - zielführend für einen stabilen Zustand in der Region. Gerade weil der jüdische Staat verwundbar ist, wäre ein Interessenausgleich und der Ansatz, über Verhandlungen wie im Atom-Abkommen, welches das nukleare Gefahrenpotential Irans eingehegt hat, im sicherheitspolitischen Interesse der israelischen Regierung.

Auf Seite 242 schreiben die Autoren: "Die höchste Angriffswahrscheinlichkeit käme einem Szenario gleich, in welchem Israel an militärischer Überlegenheit gegenüber Iran verliert, während sich zeitgleich die Beziehungen zwischen Washington und Iran deutlich entspannen und sich in der Konsequenz Israel und die USA zusehends entfremden. In dieser Konstellation sind die systemischen Anreize für Israel groß, sich für einen Angriff zu entscheiden".

Durch die iranischen Stützpunkte in Syrien, die im Mai 2018 von der israelischen Luftwaffe weitgehend zerstört wurden, hat die israelische Regierung die militärische Überlegenheit gegenüber Iran wieder hergestellt, die zuvor durch den jüngsten Abschuss eines israelischen Kampfflugzeuges durch eine syrische Rakete sowie z.B. iranische Militärstützpunkte in der Nähe der Golanhöhen infrage gestellt war.

Es stellt sich die Frage, ob die iranische Führung diese massive Demütigung mangels erfolgversprechender Alternativen einfach langfristig wegstecken wird - oder bei weiteren Militäraktionen der israelischen Regierung innenpolitisch so unter Druck gerät, dass sie sich doch noch zu Vergeltungsschlägen entscheidet.

Dieses Szenario würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einen größeren Regionalkrieg mit unabsehbaren Folgen münden.

Die Unterstützung von Präsident Barack Obama für das iranische Atomabkommen bei gleichzeitiger Entfremdung zu Benjamin Netanjahu ist Geschichte. Mit US-Präsident Trump und seinen Entscheidungen zur Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels sowie der Verlegung der US-Botschaft, würde eigentlich nach der These der Autoren das Kriegsrisiko sich vermindern.

Da allerdings einige andere bereits ausgeführte Parameter sich in den letzten Monaten drastisch verschärft haben, ist die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Israel und Iran weiterhin gegeben.

Fazit:

An etlichen Stellen hat das Buch inhaltliche Schwächen und Ungenauigkeiten.

Auf Seite 63 zitieren die beiden Autoren eine Studie von Adam Garfinkle aus dem Jahre 1999, in der dieser über eine "florierende Medienlandschaft und den lebendigen politischen Diskurs vieler kontroverser Ansichten in Israel" schreibt. Fast 20 Jahre später gibt es zwar immer noch die links-liberale Zeitung "Haaretz", ansonsten allerdings ist die mediale Vielfalt in Israel in den letzten beiden Dekaden stark zurück gegangen.

Gerade vor dem Hintergrund der Entscheidung der US-Regierung zur Anerkennung von Jerusalem als ungeteilter Hauptstadt Israels, fällt auf mehreren Seiten (u.a. S. 73, 99) auf, dass die Autoren von "Jerusalem" schreiben und damit die israelische Regierung bzw. den israelischen Staat als Ganzes meinen. Vor dem Hintergrund, dass die Palästinensische Autonomieverwaltung nach wie vor auf Ostjerusalem als Hauptstadt des Staates Palästina besteht, kann "Jerusalem" nicht Synonym weder für die israelische Regierung noch für den Staat Israel sein.

Dass der israelisch-palästinensische Hintergrund in ihrem Buch nahezu vollständig ausgeblendet bleibt, wird auch an zahlreichen Stellen deutlich, an denen die Autoren vom "jüdischen Staat" (u.a. S. 159, 166, 167, 168, 188) schreiben - und damit die rund 20-prozentige palästinensische Minderheit in Israel unter den Tisch fallen lassen, ebenso wie die christliche Minderheit in Israel, die beide in einem säkularen Staat leben möchten, der die Bürgerrechte aller Menschen gleichermaßen achtet.

Als Ziel ihrer Arbeit geben die Autoren an, "mögliches zukünftiges Handeln Israels im Sinne der untersuchten Variablen transparenter und vorhersehbarer zu machen" (S. 20). Ihr Buch erfüllt diesen Selbstanspruch in hohem Maße und kommt zur richtigen Zeit.

An mehreren Stellen betonen die Autoren die Shoa bzw. den Holocaust als grundlegende geschichtliche Erfahrung hinter einem möglichen Angriff auf die iranischen Atomanlagen.

In seinem Buch "Hitler besiegen. Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss" (Frankfurt 2009) schreibt der ehemalige Berater von Shimon Peres, Vorsitzende der Jewish Agency und Sprecher der Knesset, Avraham Burg, Sohn des früheren israelischen Innenministers Josef Burg:

"Wenn wir aufwachen, wird die Geschichte wieder weitergehen. Das Leben wird zum Leben zurückkehren, und es wird klar werden, dass es unmöglich ist, sich für immer in den Gräben zu verschanzen, die sich zwischen den Friedhöfen erstrecken. Jemand wird erklären: `Das war´s. Es ist vorbei´. Ein anderer wird erklären: `Wir können Hitler besiegen´. Weil es möglich ist, müssen wir es tun. Wir müssen das Tal der Tränen, die Schatten des Todes hinter uns lassen und den Berg der Hoffnung und des Optimismus erklimmen. Wir werden uns erinnern, aber heil sein. Narben haben, aber ganz und ausgeglichen sein" (S. 264).

Die Erfüllung dieser Vision könnte ein Schlüssel dazu sein, den gesamten Nahen und Mittleren Osten - möglicherweise im Rahmen einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit und der zivilen Lösung der brennenden Sicherheitsfragen der Region wie z.B. einer massenvernichtungswaffenfreien Zone - in eine friedvollere Zukunft zu führen.

Fußnoten

Veröffentlicht am

31. Mai 2018

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