Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Winter in Mitteleuropa!

Von Katrin Warnatzsch, Sozialer Friedensdienst im Lebenshaus (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 95, Dezember 2017  Der gesamte Rundbrief Nr. 95 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 482 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail

Die dunklere Jahreszeit hat uns eingeholt, deutlich zu spüren seit dem Tag der Zeitumstellung auf "Winter in Mitteleuropa". Nun müssen wir spätestens um 16 Uhr zum Laufen starten, wenn wir noch bei einigermaßen Tageslicht zurück sein wollen. Das bedeutet Vorverlegung von Terminen oder Verschiebung in die Nacht. Trotzdem erscheint es uns nach wie vor sehr wichtig, das tägliche Laufprogramm durchzuhalten, um unsere Gesundheit und die notwendige Auszeit mit Bewegung beizubehalten.

Auch einige der vor Ort lebenden geflüchteten jungen afghanischen Männer haben uns wieder angefragt, ob wir wieder mit ihnen laufen würden. Das trübe Wetter und die langen Wochenenden ohne Struktur erschrecken sie, haben sie doch die Erfahrung des letzten Winters in Deutschland bereits in den Knochen. Viele warten noch immer auf die erste Gerichtsverhandlung in ihrem Klageverfahren gegen den Ablehnungsbescheid. Sie gehen entweder zur Schule, machen eine Ausbildung oder gehen einer Arbeit nach. In Deutschland gibt es so viele Ferien und Feiertage, das sind sie nicht gewohnt und stolpern dabei regelmäßig über sich selbst. Besonders diese Tage sind es, an denen dann der Wunsch nach Gesprächen, gemeinsamen Unternehmungen und Abwechslung groß wird.

Kommunikation und Zusammentreffen mit Einheimischen

Manchmal höre ich sie klagen darüber, dass sie wenig Kontakt finden zu gleichaltrigen Deutschen, wofür die Ursache schwer nachzuprüfen ist. Viele sind aber zufrieden oder erkennen, dass es sich auch wegen der eigenen Kontaktfähigkeit lohnt, noch besser Deutsch zu lernen. Und manche meinen selbstkritisch, dass sie im ersten Jahr ihres Aufenthaltes hier ja noch nicht viel verstanden hätten, was jetzt für sie klarer werden würde. Und so unterschiedlich die jungen Männer sind, so vielfältig auch z.B. die Erzählungen, ob "man" sich traut, mit gleichaltrigen jungen Frauen zu reden, oder ob das auf keinen Fall in Frage kommt.

Einer ist so überschwenglich und fragt junge Mädchen immer sofort nach der Handynummer - eigentlich doch ziemlich draufgängerisch - oder vielleicht auch übergriffig? Da wäre sicher eine klare Haltung der Angesprochenen hilfreich und würde in der Regel auch respektiert. Und ein anderer verlässt sofort das Fußballfeld, wenn sich eine Jugendliche spielbereit dem Ball nähert. Er erklärt mir nervös, er habe Angst, eine Frau könnte durch seinen Schuss mit dem Ball verletzt werden und in Tränen ausbrechen - was dann! Ich gebe ihm einen Zeitungsartikel über Frauenfußball in Kabul/Afghanistan, laut dem acht Vereine in einer Liga auf nur einem besonders gesicherten Spielfeld spielen und das mit großer Begeisterung. Da erinnert er sich, dass seine Tante, 20 Jahre alt, sich ebenfalls so sehr wünscht, dort mitspielen zu dürfen. Aber natürlich bleiben die Frauen dort abgeschirmt und völlig unter sich.

Und ein Dritter erzählt begeistert, auf der langen Heimfahrt von der Schule im Zug habe er sich neben eine alte Frau gesetzt, nicht ohne höflich vorher zu fragen. Dann habe sie ihn in ein langes Gespräch verwickelt, habe erzählt, dass sie ebenfalls als Kind ihre Heimat verlassen musste und habe neugierig nach seinem Herkommen gefragt. Voller Stolz und Freude nehmen die jungen Männer wahr, dass sie gesehen werden und mit ihrem natürlichen Respekt, vor allem gegenüber alten Menschen, sehr gut ankommen. Das mag hier auf dem Land noch anders sein, als in Städten. Und wir sehen, dass es doch noch Oasen der Freundlichkeit gibt, wo wir uns wohlfühlen miteinander und das als gewachsene Stärke auch in andere Räume hineintragen können.

Auszug

Nach über 4 Jahren im Lebenshaus wird unsere Mitbewohnerin Monicah nun eine neue Bleibe suchen. Ihr Weg hat sie über ein sehr nahes Miteinander in unserm Haus, bei dem wir den Alltag miteinander geteilt und sehr viel voneinander erfahren haben, über eine Stufe der langsamen Verselbständigung im eigenen Wohnbereich im Lebenshaus und die volle Berufstätigkeit nach der Ausbildung geführt. Ihr Anliegen, auch ihren Angehörigen in Kenia finanziell zu helfen, haben wir die ganze Zeit unterstützt, indem wir ihr entgegengekommen sind. Nun hat sie einen weiteren Schritt getan, ihr Leben in Deutschland dauerhaft abzusichern. Wir sind stolz darauf, was wir alles miteinander durchlebt und überstanden haben. Aber auch, wieviel wir von ihr lernen konnten. Alles Gute auf ihrem weiteren Lebensweg soll sie begleiten.

Renovierungen

Nach dem geplanten Auszug von Monicah wird es nötig sein, die für Mitwohnen bestimmten Räume im Lebenshaus wieder einmal zu renovieren und z.B. die seit vielen Jahren stark benutzte Küche in einen bestimmungsgemäßen Zustand zu bringen. Dafür benötigen wir zu Beginn des neuen Jahres sowohl handwerkliche Einsätze als auch zusätzliches Geld. Unser Ziel, durch möglichst energiesparende Geräte (Kühlschrank, Herd) einen Beitrag zur Umweltschonung zu leisten, wollen wir im Auge behalten. Zudem soll es möglich sein, auch für arme Menschen in einer einfachen, aber schönen und zweckmäßigen, sowie finanziell günstigen Umgebung zu wohnen. Wenn jemand hierzu etwas beitragen möchte, ist uns das herzlich willkommen.

Armen eine Chance geben

Wir haben unser Augenmerk in den letzten Jahren verstärkt wieder auf geflüchtete Menschen gelegt, die in großer Zahl als Zugezogene in unserem Wohnort leben. Es haben sich vielfältige Beziehungen entwickelt, die natürlichen Veränderungen unterliegen. Vom zunächst Wahrgenommenwerden als Gruppe von Flüchtlingen mit sich ähnelnden Bedürfnissen hin zur Wahrnehmung der einzelnen, völlig verschiedenen Persönlichkeiten. Das ist ein zutiefst menschlicher, dichter Prozess, bei dem ich erneut selbstkritisch über mich nachdenken kann. Bleibt doch die Herausforderung bestehen, den gesunden Abstand zueinander herauszufinden und flexibel zu bleiben, niemanden festzuschreiben. Und für mich als viel Ältere, den Überblick zu bewahren, im Blick zu behalten, in welchem Lebensabschnitt sich das Gegenüber befindet und welche persönlichen Ziele und Belastungen, z.B. durch im Heimatland zu unterstützende Familienangehörige, zu berücksichtigen sind.

Alle Geflüchteten verbindet jedoch, dass sie materiell zu den Ärmsten in unserer Gesellschaft gehören, vermutlich auch auf lange Sicht. Hinzu kommt bei vielen die in unterschiedlichem Maße fehlende Schulbildung, die es ihnen erschwert, in den hiesigen Schulen und in unserer Arbeitswelt schnell und nachhaltig vorwärtszukommen. Dafür staune ich jedoch über ihre Lebenserfahrung und persönliche Stärken, besonders in ganz existentiellen Bereichen. Überlebensstrategien kann man von Geflüchteten sehr gut lernen! Man glaubt es kaum, aber die mir näher bekannten jungen Männer haben z.B. fast alle Erfahrung mit der Fleischverarbeitung. Es war bei ihnen zuhause üblich, zu Festtagen wenigstens einmal im Jahr ein Lamm zu schlachten und es vollständig zu verarbeiten. Mit dem bei uns am meisten zu  verarbeitenden Schweinefleisch haben sie jedoch mindestens die Schwierigkeit, dass sie es selbst nicht essen würden. Außerdem hat man selbstverständlich Dinge repariert und Ersatzteile beschafft. Fast alle kennen kreative Ideen zur Selbsthilfe. Damit zurechtzukommen, dass hier bei uns alles geregelt ist und man z.B. kaum eine Möglichkeit hat, gegen kleines Geld Gelegenheitsarbeit zu finden, ist schwer für sie zu verstehen und zu akzeptieren. Vielleicht wäre es aber auch für uns bereichernd, wieder mehr über diese Art der Selbsthilfe nachzudenken und die Ressourcen zu nutzen, die mit den überwiegend hilfsbereiten jungen Menschen zu uns gekommen sind.

Geduldig sein und großzügig

Warten auf Weihnachten, das Fest der Geburt, des Neubeginns, es steht bevor. Zuvor durchgehen durch eine dunkle und stille Zeit, manchmal angefüllt mit Ungeduld. Das erleben wir gerade auf sehr persönliche Weise mit dem Warten auf die Erlösung von schwerster Krankheit eines engen Angehörigen. Schock und Trauer haben schon lange ihren Platz eingenommen. Doch das Leben ist ungestüm, besonders, wenn Kinder und junge Menschen es in Anspruch nehmen, ganz natürlich ihren Weg gehen und die Lebendigkeit direkt neben dem Sterben sichtbar wird. Die Schärfe dieser Wahrnehmung ist manches Mal unerträglich, drängt uns nach Überwindung und vielleicht auch Flucht. Viele Fragen nach dem Eigenen werden angestoßen und bleiben im Raum. Zusammenhalt und Verbundenheit werden herausgefordert und stärken uns. Sterben und Leben als Gleichzeitigkeit, auch das gehört unmittelbar zur Weihnacht. Wir wünschen einander Licht und Wärme!

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Dezember 2017

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