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Wider§pruch - Eine Kampagne gegen Atomwaffen im Prozess

Warum neun Menschen aus zum Teil sehr unterschiedlichen Lebenszusammenhängen gemeinsam einen Flugplatz für Tornados in Rheinland-Pfalz besetzen. Und dann noch über Jahre miteinander vor Gericht ziehen.

Von Katja Tempel

In einer vom Jugendnetzwerk für politische Aktionen JunepA geplanten und von Menschen aus dem Spektrum von ZUGABe (Netzwerk Ziviler Ungehorsam, Gewaltfreie Aktion, Bewegung) unterstützten Aktion gelangten wir neun Aktivist_innen an einem frühen Septembermorgen 2016 durch einen Crash-Zaun am südlichen Ende des Flugfeldes auf die mehrere Kilometer lange Start- und Landebahn des Fliegerhorsts Büchel.

Nicht einmal Sachbeschädigung war notwendig: Der Zaun ist so konstruiert, dass er bei einem Not-Crash der Tornados (hoffentlich ohne Atombomben) einfach umfällt und wenig Schaden an den Militärmaschinen anrichten soll. Auch für uns öffnet sich der Zaun mit zwei Handgriffen.

Wir haben es geschafft:

Mit Luftballons und Transparenten gehen wir bei der Morgendämmerung auf das Militärgelände. Wir verhindern so für einige Stunden den Start von Tornado-Kriegsflugzeugen, die theoretisch jederzeit starten könnten, um eine der zwanzig dort lagernden Atombomben abzuwerfen - natürlich nur "im Verteidigungsfall".

Ständig sehen wir Militärfahrzeuge, doch wir werden nicht entdeckt. Wir benutzen unsere Rückfalloption: Blockierer_innen draußen informieren das Militär - wir wollen uns nicht in eine Situation bringen, in der wir mit Schusswaffengebrauch konfrontiert werden.

Endlich werden wir entdeckt. Nach Ingewahrsamnahme durch die Bundeswehr werden wir Stunden später der Polizei übergeben.

Im September 2017 findet die erste Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Cochem statt.

Das Urteil lautet auf 30 Tagessätze wegen Hausfriedensbruch - aber wir nehmen das Urteil nicht an und legen Widerspruch ein.

Wir sind alle unterschiedlich politisiert und aufgewachsen. Einige von uns leben in Widerstandsprojekten, andere studieren, eine steht voll im Berufsleben, einer hat seine Berufstätigkeit beendet und kann sich ganz dem Widerstand und der Arbeit bei der IPPNW widmen.

Wir sind zwischen 18 und 63 Jahre (zum Tatzeitpunkt). Wir sind Anarchist_innen, Antikapitalist_innen, Anti-System-Aktivist_innen, Ökos, nutzen Klarnamen oder Pseudonyme.

Wir sind Männer und Frauen und Menschen mit flexibler Zuordnung. Einige haben schon Erfahrungen mit Gerichten, andere mit Gefängnisaufenthalten. Einige betreten Neuland. Wir sind das Gegenteil von homogen. Und trotzdem verbinden uns Ideen, die bei JunepA und ZUGABe wichtig sind: Verbindlichkeit, Raum geben für Bedürfnisse, Entscheidungen nach dem Konsensprinzip. Dabei ein achtsamer Umgang mit jedem/jeder, der/die/* uns begegnet und mit uns selber.

Im Laufe der Zeit werden wir weniger. Einige entschließen sich, die Geldstrafe zu zahlen.

Zu sechst starten wir dann vor einigen Monaten die Prozesskampagne Wider§pruch - Vom Atomwaffenlager bis in den Gerichtssaal.

Uns ist klar:

Wenn wir es schaffen wollen, durch mehrere Instanzen die Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffen zu thematisieren, den Zivilen Ungehorsam zu rechtfertigen bzw. ihn als legitimes Mittel gegen eine Massenvernichtungswaffe zu etablieren und gleichzeitig anderen Mut zum Handeln zu machen, brauchen wir eine Struktur. Diese geben wir uns, indem wir eine Kampagne starten, die wir für die skizzierten Ziele nutzen wollen.

Wir etablieren unsere Strukturen angelehnt an die erfolgreiche Prozesskampagne der Gewaltfreien Aktion GÜZ abschaffen: Es braucht ein Spendenkonto, eine Homepage, einen Infobriefverteiler, einen aktuellen Presseverteiler, einen Flyer und Aktive, die bereit sind, über Wochen, Monate und Jahre kontinuierlich ihre Aktion gegen die Atomwaffen in der Öffentlichkeit und vor Gericht zu vertreten. Auch in wechselnden Lebensphasen - zwei von uns halten sich gerade für mehrere Monate in Ungarn und Polen auf, wer weiß, wer noch schwanger wird, wer irgendwann einen festen Job hat.

Wir legen uns mit Bundeswehr, Polizei und Gerichten an. Dies ist der konflikthafte, konfrontative Aspekt unserer Arbeit. Gleichzeitig arbeiten wir miteinander emanzipatorisch im Sinne des konstruktiven Programms von Gandhi: Wir bilden uns gegenseitig weiter; organisieren (bisher) einen Fachtag zum Völkerrecht und dem Rechtfertigenden Notstand; wir fordern uns gegenseitig heraus, kritisieren einander, wachsen miteinander.

Einzelne halten sich und ihre Vorstellungen manchmal zurück, wir nähern uns an, öffnen uns für andere Sichtweisen, beschäftigen uns mit Inhalten, die sonst zum Establishment gehören; wir nehmen die Rechtsbrüche in unserer Gesellschaft deutlich wahr und Einzelne sind damit auch im Konflikt mit ihrer anarchistischen Haltung: Wenn wir uns auf den Rechtfertigenden Notstand beziehen, bauen wir auf ein Regelsystem, dass Einzelne von uns eigentlich ablehnen.

Ich merke, ich kann immer wieder neu an einzelnen Punkten eine Anerkennung für bestimmte Gesetze oder auch die zum Teil sehr achtsam formulierten Passagen im Völkerrecht spüren und fühle mich damit nicht recht wohl. (Gedanken einer nicht gut im gewaltfreien Anarchismus gebildeten Autorin)

Andere von uns halten die bundesdeutsche Demokratie sicherlich für eine gute Idee und das Grundgefühl ist eher: Wir sind Kämpfer_innen für eine antimilitaristische, demokratische Bundesrepublik, die an einzelnen Punkten verbessert und nachgebessert werden muss. In dieser Ambivalenz bewegen wir uns in dieser Prozesskampagne, haben aber kaum Raum dafür, diese grundsätzlichen Unterschiede zu thematisieren.

Vielmehr sind wir mit dem politischen Alltag beschäftigt. Dazu gehört einiges an "Commitment". Was treibt uns an?

Einige von uns haben das für Pressemitteilungen bereits formuliert: Da andere zivilgesellschaftliche und politische Initiativen zur nuklearen Abrüstung bislang weitgehend ins Leere liefen, werden Aktionen Zivilen Ungehorsams, wie die Besetzung in Büchel, zwar nicht als Allheilmittel, aber als dringend notwendigen und als legitimer Teil der Widerstandsbewegung gegen Atomwaffen angesehen.

Oder auch Fragen an uns selbst gegenüber nachfolgenden Generationen: Haben wir genug getan? Waren wir laut genug? Uns beunruhigt der Zustand der Welt so, dass wir nicht stillhalten können, sondern weiter Unruhe stiften möchten.

Gemeinsam arbeiten wir als Prozessgruppe mit Unterstützung vom Rechtshilfebüro Hamburg, der Anwaltskanzlei Mertens, der KURVE Wustrow, der IPPNW, der Kampagne Atomwaffenfrei.jetzt und Aktiven von JunepA und unterstützenden Gruppen in Koblenz, wo am Landgericht im April 2018 die erste Berufungsverhandlung stattfand.

Wir sind auf dem Weg, durch die Gerichte, aber auch durch eine neue Erfahrungswelt als generationenübergreifendes Politikprojekt. Wir sind in Bewegung und lassen uns bewegen. Wir haben einen langen Atem und viele Ressourcen - persönlich und politisch.

Wir fühlen uns den anderen Antimilitarist_innen verbunden, die gegen das GÜZ in Sachsen-Anhalt regelmäßig die Bußgelder zurückweisen und vor Gericht gehen. Auch hier entwickelt sich gerade eine neue "Gerichtsbewegung" mit einer antimilitaristischen Stoßrichtung. Uns gelingt es dabei bisher nicht, eine Struktur aufzubauen, die alle Aktivist_innen mit auffängt, die wegen Aktionen Zivilen Ungehorsams in Büchel vor Gericht stehen. Und noch weniger können wir zum jetzigen Zeitpunkt eine Unterstützung für alle antimilitaristisch aktiven Menschen anbieten, die bereit sind, ihren Widerstand auch in die Gerichte zu tragen.

Das scheitert zur Zeit noch an unseren Kräften - vielleicht wird es in Zukunft innerhalb der Kampagne "Wider§pruch" möglich sein.

Kontakt & Infos

widerspruch-atomwaffen@riseup.net 

http://junepa.blogsport.eu/aktionen/widerspruch/

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Quelle: graswurzelrevolution 429, Mai 2018.

Weblink:

Veröffentlicht am

05. Juni 2018

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