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Das meint die “aggressive Anti-Abschiebe-Industrie”

Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt verunglimpft Menschen, die sich für die Interessen von Geflüchteten einsetzen. Beispielsweise spricht er in einem Interview mit Bild am Sonntag von einer "unsäglichen Allianz von Zwangsideologen und Partikularinteressen", die angeblich versucht, den Rechtsstaat zu sabotieren und Abschiebungen zu verhindern. Es sei "nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert wird". Und so weiter und so fort. Inzwischen wurden mehrere Strafanzeigen gegen Dobrindt wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beleidigung erstattet.

Nachfolgend Gedanken von einigen Menschen, die sich zugunsten von Geflüchteten, für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit engagieren.

Statements zu Dobrindts Kritik an einer "aggressiven Anti-Abschiebe-Industrie"

Von den Äußerungen, die Alexander Dobrindt gegenüber der BamS am 6. Mai 2018 gemacht hat, erfuhr ich bereits in den Frühnachrichten des SWR2. Ich war entsetzt: Das war für mich der vorläufige Höhepunkt von Verunglimpfungen und Hetze gegen Anwälte und Hilfsorganisationen. Anfeindungen gab es immer mal wieder, aber eine solche in die Nähe einer Volkverhetzung einzuordnende Diffamierung ist mir bislang nicht zu Ohren gekommen.

Seit mehr als 25 Jahren bin ich in der ehrenamtlichen Verfahrensbegleitung von Geflüchteten engagiert, eine Tätigkeit, die bisher viel gesellschaftliche Wertschätzung erfahren hat, auch wenn es gelegentlich darum ging, Ausreisepflichtige vor menschlich nicht hinnehmbarer Abschiebung zu bewahren. Für mich als Christ und ehemaliger Sozialrichter, der sich dem Rechtsstaat verpflichtet weiß, war und bleibt es ein selbstverständliches Anliegen, auch künftig Menschen in ihrem Asylverfahren mit Rat und Tat beizustehen. Als ich von der (zunächst) verhinderten Abschiebung des Togoers in Ellwangen gehört habe, dachte ich spontan daran, Menschen, die von Abschiebung bedroht sind, mit den Grundsätzen des zivilen Ungehorsams vertraut zu machen.

Das wäre doch die richtige Antwort auf Alexander Dobrindts Angriff auf den Rechtsstaat und seine an die AfD angepasste Abschiebe-Hysterie: Geflüchtete zu befähigen, sich selbst zu organisieren, ihnen gewaltfreie Trainings anzubieten, damit sie sich ihrer Abschiebung ohne Gewalt widersetzen können!

Günter Jung, Reutlingen


Es ist ärgerlich - für unsere Unterstützungsarbeit vor Ort, dass die Debatte nun auch in der Art emotionalisiert wird, dass Unterstützung von Flüchtlingen im Asylverfahren kriminalisiert und grundsätzlich infrage gestellt wird. Jedem Menschen in Deutschland steht ein rechtsstaatliches Verfahren und die Überprüfung einer behördlich getroffenen Entscheidung durch ein unabhängiges Gericht zu - und diese Regelung gilt auch für Flüchtlinge im Asylverfahren. Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem es eine Gewaltenteilung gibt, und dass dieses grundsätzliche Prinzip gerade in Frage gestellt wird, ist letzten Endes gefährlich für alle, die in einem solchen Rechtsstaat leben wollen.

Ines Fischer, Pfarrerin - Asylpfarramt Reutlingen


Wir setzen uns für die Rechte Geflüchteter ein, wir versuchen ehrenamtlich Engagierte zu unterstützen und wir helfen selbst: Auch ich bin ein Mitglied der "Anti-Abschiebe-Industrie", wie Ehrenamtliche im Bereich Migration/Integration derzeit von Politikern genannt werden dürfen.

Zunächst war man uns dankbar, dass wir durch unseren persönlichen Einsatz vieles geschafft haben, was Behörden nicht leisten konnten oder wollten. Nun dürfen wir beschimpft, beleidigt, angegriffen und sogar bedroht werden. Teile der Politik dulden das nicht nur, sie lösen diese Hetzkampagnen gegen uns aus und befeuern sie sogar. Sie locken Elemente unserer Gesellschaft aus ihrem Versteck, die wir längst vergessen glaubten.

In einer solchen Gesellschaft, wie sie uns derzeit droht, möchte ich nicht leben. Deswegen mache ich weiter!

Lucia Brass, 1. Vorsitzende Flüchtlingsrat Baden-Württemberg


Seit vielen Jahren habe ich einen Fable für orientalische Kultur, vor allem Afghanistans. Für mich ist es eine echte Bereicherung, neue Freundinnen und Freunde von dort hinzugewonnen zu haben. Wir sitzen oft zusammen, essen gemeinsam, musizieren und unterhalten uns über Literatur. Es gibt nicht nur über Goethe und Hafiz eine echte Brücke zwischen Orient und Okzident. Mittlerweile geht aber ein Großteil der Zeit dafür drauf, um Probleme mit den Ämtern zu lösen - oft unnötige, weil z. B. eingereichte Papiere bei den Ämtern verschwinden. Unzählige Telefonate, E-Mails und Fahrten zum Landratsamt Biberach (2 x 30 km), nach Ulm … kosten viel Kraft und der Erfolg ist mäßig.

Für mich sind die verbalen Ausfälle Dobrindts nicht nur Beleidigungen gegen ehrenamtlich engagierte Menschen, nicht nur verbale Gewalt, die weite Teile der Menschen diffamieren und verletzen will, sie sind nach meinen Beobachtungen strategisch genau überlegte verbale Kriegsführung. Eine so große Dichte von "Kampfbegriffen" in so einem kurzen Interview ist gezielt vorbereitet. 

Besonders hinterlistig sind die Verdrehungen von Begriffen, die unsere zentralen Werte benennen. "Rechtstaatlichkeit" - die CSU ist verantwortlich für ein Polizeigesetz, wonach nicht nur persönliche Daten unbescholtener Menschen ausgeschnüffelt, sondern auch manipulierte Mails verschickt werden können, die dann einem womöglich zur Last gelegt werden. Damit vertritt sie einen Staat der Willkür. Dieses Gesetz ist ein massiver Angriff auf den Rechtstaat - nicht die Verhinderung einer Abschiebung durch einen Rechtsanwalt.

Dobrindts verbale Attacken pauschalisierend auf ganze Bevölkerungsgruppen, ohne die zermürbenden Einzelschicksale zu sehen, sind die echte Gefahr für den "gesellschaftlichen Frieden", nicht die Arbeit ehrenamtlicher Helfer. Ich halte die CSU-Spitze für weit gefährlicher als die AfD, weil sie neben der verbalen Gewalt auch die strukturelle Gewalt zu verantworten hat - indem sie z.B. Geflüchtete von der Gesellschaft isoliert und in Lagern interniert. Beides - so wissen wir spätestens seit Johan Galtung - schlägt um in offene Gewalt. Gewalt dürfen wir in keiner Form zulassen!

Bernd Geisler, Riedlingen


Für mich als Mitarbeiterin in einem Asyl-Café und Bezugsperson von Flüchtenden, also Menschen, die in sehr großer, persönlicher und psychischer Not sind, ist diese Aussage von Herrn Dobrindt und Herrn Strobl nur als zynisch, frech und menschendiffamierend zu bezeichnen.

Solche globalen Unterstellungen und Verallgemeinerungen machen mich sehr wütend. Sie treiben Keile in die Gesellschaft und stützen so umso mehr rechtspopulistisches Verhalten und verhindern ein friedliches, respektvolles und gesellschaftliches Miteinander. Amtsträgern in demokratischer politischer Verantwortung sollte dies bekannt sein.

"Deutschland flüchte nicht vor Deiner Menschlichkeit" möchte ich allen zurufen!

Gudrun Scheuerle, Gammertingen

Quelle: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 97, Juni 2018. Der gesamte Rundbrief Nr. 97 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 1.008 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren .

Veröffentlicht am

06. Juli 2018

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