General Assembly: Charta des 21. JahrhundertsAls die französische Nationalversammlung am 26. August 1789 die "Erklärung der Rechte der Menschen und Bürger" verabschiedete, war dies ein revolutionärer Akt, der erst später auch Verfassungsrang erhielt - und ihn bis heute nicht verloren hat. Alle folgenden Menschenrechtserklärungen schließen an die Erklärung von 1789 an. Die hier dokumentierte "Charta für das 21. Jahrhundert" entstand unter Mitwirkung von medico international und medico-Partnern und wurde von der "General Assembly" verabschiedet: der Generalversammlung des Globalen Dritten Standes. Sie trat auf Initiative des Theaterregisseurs Milo Rau im November 2017 in der Berliner Schaubühne zusammen. Die General Assembly ist heute noch kein Verfassungsorgan, und ihrer Charta kommt deshalb auch kein Verfassungsrang zu: noch nicht. Mit allen anderen Beteiligten wird medico weiter dafür streiten, dass das sich ändert. Charta für das 21. Jahrhundert, ausgearbeitet und beschlossen von den Abgeordneten und politischen Beobachtern der General Assembly am 18. Dezember 2017VorbemerkungVom 3. bis 5. November fand in Berlin an der Schaubühne die erste Zusammenkunft des Weltparlaments statt, unterstützt von über 30 Organisationen, vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), medico international bis zu Brot für die Welt, um nur einige zu nennen. In drei Tagen sprachen und debattierten 60 Abgeordnete und stimmten über 15 Tagungspunkte ab, die vorher eingereicht und gemeinsam mit den Antragstellern und unabhängigen politischen Beobachtern (Armen Avanessian, Ulrike Guérot, Anu Muhammad, Wolfgang Kaleck, Chantal Mouffe, Jo Seoka) ausgearbeitet worden waren. Die Abgeordneten stammten aus rund 20 Ländern. Zudem haben sich der "General Assembly" aber auch 8 Mitglieder des deutschen Bundestags angeschlossen. Aus den vom Plenum angenommenen Anträgen und den diskutierten und eingereichten Erweiterungsvorschlägen wurde in den vergangenen Wochen in Zusammenarbeit mit den Abgeordneten und den politischen Beobachtern der folgende "Entwurf einer Charta für das 21. Jahrhundert" erarbeitet. Denn natürlich war die erste Zusammenkunft des Weltparlaments bloß ein Entwurf - und wie jeder Entwurf voller Fragen. Wie sollen die Abgeordneten des Weltparlaments in Zukunft ausgewählt werden? Nach welchen Regeln sollen sie tagen? Welche politischen Fragen und Entscheidungen sollen tatsächlich Bestandteil der "General Assembly" werden - und welche bei den Regional- und Nationalparlamenten verbleiben? Wie kann das Auswahl- und Entscheidungsverfahren weiter demokratisiert und wirklich auf alle Bedürfnisse und Forderungen abgestimmt werden? Kurz: Wie kann aus dem utopischen Entwurf ein tatsächliches Weltparlament werden, eine tatsächlich demokratisch legitimierte Institution - legitimiert von allen, die auf diesem Globus leben? Der folgende Entwurf dokumentiert den Beginn der Debatte um eine Demokratisierung der transnationalen globalen Beziehungen - seien sie ökonomischer oder kultureller, menschlicher oder nicht-menschlicher Art. PräambelMehr als 200 Jahre nach der Erklärung der Menschenrechte durch die französische Nationalversammlung sind ein instrumentelles Verhältnis zu diesen Rechten und ihre willentliche Verachtung wesentliche Gründe für das öffentliche Unglück dieser Welt und die Verderbtheit ihrer Regierungen. Aus diesem Grund stellt die Generalversammlung des Globalen Dritten Standes in der Präambel ihrer "Charta des 21. Jahrhunderts" ausdrücklich fest:
Im gemeinsamen Widerstand gegen das öffentliche Unglück und die Verderbtheit der Regierungen beschließt die Generalversammlung des Globalen Dritten Standes dazu die "Charta für das 21. Jahrhundert". Charta für das 21. JahrhundertArt. 1. Militärische Interventionen und finanzielle wie logistische Unterstützung von Armeen dürfen nur durch eine unabhängige transnationale demokratische Versammlung von Weltbürgern oder ihren designierten Repräsentant*innen beschlossen werden. Die Auswahl der Mitglieder und die Verfahren dieser Versammlung sollen der Prävalenz von regionalen, nationalen bzw. partikulären supranationalen politischen und ökonomischen Interessen bei den Entscheidungsfindungsprozessen entgegenwirken. App. Die politischen Interessen von Menschen, die von den Entscheidungen direkt betroffen sind, aber auf regionaler oder nationaler Ebene von demokratischen Strukturen ausgeschlossen (zum Beispiel vertriebene oder unterdrückte Bevölkerungsgruppen) oder darin nicht ausreichend vertreten sind, müssen in den Entscheidungsfindungsprozessen in besonderem Masse berücksichtigt werden. Dabei müssen alle möglichen Maßnahmen getroffen werden, um diese Menschen direkt zu konsultieren oder möglichst genaue Informationen über ihre Situation und ihre Bedürfnisse zu erhalten. Art. 2. Diese transnationale demokratische Versammlung muss denjenigen Menschen eine Stimme geben, die von nationalen Regierungen gewaltsam unterdrückt werden. Indem die politischen Parteien der Opposition und der nach Unabhängigkeit strebenden Gebiete als Repräsentanten und Verhandlungspartner anerkannt werden, kann lokale Selbstbestimmung und Souveränität der Bevölkerung jenseits der Nationalstaaten neu definiert werden. App. Auf globaler Ebene müssen Institutionen geschaffen werden, die Menschenrechtsverletzungen und die gewaltsame Unterdrückung von Teilen der Bevölkerung durch nationale Regierungen untersuchen und verfolgen. Dementsprechend müssen individuelle und staatliche Akteure, die verbrecherische Regierungen - durch Waffenlieferungen, diplomatische Anerkennung oder anderes - unterstützen, dafür sanktioniert werden. Art. 3 Die Kompetenzen der internationalen Justiz müssen weiter ausgebaut werden. Es müssen Gesetze und Institutionen geschaffen werden, auf deren Grundlage neben Kriegsverbrechen auch ökonomische und Umweltverbrechen verfolgt werden können. Durch eine transnationale demokratische Versammlung oder eine Versammlung der Weltbürger, die Richter, Ankläger und Ermittler ernennt und die Aktivitäten der Institutionen überwacht, kann die internationale Justiz unabhängiger und unparteiischer werden. Die internationale Justiz wirkt subsidiär, wenn eine nationale Strafverfolgung nicht möglich oder nicht gewollt ist. Die Auslieferung von Personen an andere Staaten muss erfolgen, wenn ein faires Verfahren garantiert werden kann. Art. 4. Korruption, Landgrabbing und Menschenrechtsverletzungen von multinationalen Unternehmen in Zusammenarbeit mit Regierungen müssen international untersucht und verfolgt werden. Wenn diese Verbrechen nicht auf der Grundlage bestehenden lokalen Rechts (Verfassung) und der Menschenrechte beurteilt und entsprechend sanktioniert werden können, müssen auf internationaler Ebene angemessene Gesetze geschaffen werden. Art. 5. Die Grundrechte sämtlicher Akteure in Herstellungs- und Lieferketten müssen jederzeit gewährleistet werden. Sämtliche Akteure von den Arbeitern, den Produzenten, den Zwischenhändlern, bis zu den Konsumenten - aber insbesondere die Entscheidungsträger in multinationalen Unternehmen, die Herstellung und Handel dominieren - können für Rechtsverletzungen in der Lieferkette und insbesondere für schwere Menschenrechtsverletzungen oder Ökozide zur Verantwortung gezogen werden. Sind nicht-menschliche fühlende Wesen in Herstellungs- und Lieferketten oder andere Prozesse einbezogen, ist für sie das Schutzrecht vor Folter jederzeit zu gewährleisten. Art. 6. Um die Machtfülle der Konzerne in der globalen Wirtschaft zu begrenzen, müssen transnationale demokratische Strukturen geschaffen werden, die weltweit bindende Regulierungen und Gesetze beschließen, um Gesetze und Regulierungen auf regionaler und nationaler Ebene zu ergänzen oder zu stärken. Art. 4 und Art. 5 müssen dabei garantiert werden. Die Regulierungen des Welthandels dienen dem globalen Gemeinwohl und im Besonderen dem Gemeinwohl der Bevölkerung in den Regionen, in denen Rohstoffe abgebaut oder für den Welthandel bestimmte Konsumgüter hergestellt werden. Wenn Handelsregulierungen auf globaler Ebene eingeführt werden, muss genau beobachtet werden, wie sich diese auf die Wirtschaft und den Handel in besonders verwundbaren Ländern und Regionen auswirkt, um gegebenenfalls flankierende Maßnahmen zu beschließen. Art. 7. Wirtschaftliche Integrationsprozesse - vom Freihandelsabkommen bis zur Währungsunion - dürfen nicht zu einem Verlust der politischen, sozialen und kulturellen Rechte der davon betroffenen Bürger*innen und Gemeinwesen führen. Die am Zusammenschluss beteiligten Regierungen und internationalen Organisationen müssen unter die Kontrolle einer transnationalen demokratischen Instanz gestellt werden, in der alle Regionen vertreten sind. Art. 8. Das Recht auf Freizügigkeit ist ein Menschenrecht, ein Recht für alle. Dabei soll die Unterscheidung zwischen Wirtschaftsmigranten und Flüchtlingen nicht mehr gelten: Wir sind alle Migrant*innen. Das Recht auf Freizügigkeit impliziert das Recht auf Schutz, das Recht auf Arbeit und auf ein Auskommen, wo auch immer sich eine Person niederlässt, wie auch soziale Rechte. Das Recht zu wählen ist eine Vorbedingung für die politische Partizipation der mobilen Bürger. Darüber hinaus umfasst politische Partizipation auch das Recht auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung gehört zu werden und an den Entscheidungen teilzuhaben. Europa hat eine historische Verantwortung gegenüber Flüchtlingen und Migrant*innen und gemäß dieser muss der Anspruch auf Schutz für alle garantiert werden. Niemand, der sich aktiv für das Recht auf Freizügigkeit einsetzt, darf aufgrund seiner Forderungen kriminalisiert oder gefangen genommen werden. Art. 9. Alles Wissen und alle Informationen müssen für alle Weltbürger zugänglich sein. Institutionen, die Wissen und Informationen verwalten und verarbeiten, müssen immer unter transnationaler demokratischer Kontrolle stehen, um Machtmissbrauch durch Intransparenz zu vermeiden. App. Um die Persönlichkeitsrecht im digitalen Zeitalter zu wahren, müssen wir die Definition der Persönlichkeit in der Verfassung so erweitern, dass sie die Technologien mit einbezieht, mit denen wir unser Selbst erweitern und anreichern. Wissen und Information über Menschen muss den Individuen selbst gehören. Institutionen, die Wissen und Informationen verwalten und verarbeiten, müssen dezentralisiert werden, um Machtmissbrauch durch zentralisierten Besitz und Kontrolle von Informationen zu vermeiden. Art. 10. An die Stelle einer nationalen und elitären Erinnerungspolitik müssen transnationale demokratische Aushandlungsprozesse treten, in denen die Bedeutung von historischen Ereignissen und Verbrechen, ihre Gedenkstätten und die Wiedergutmachung von vergangenem Unrecht mit der Partizipation der Betroffenen einer fortlaufenden Neubestimmung unterworfen sind. Art. 11. Die Zerstörung von Lebensräumen von Menschen, Tieren oder Pflanzen muss durch global verpflichtende Bestimmungen und Gesetze aufgehalten werden, die in demokratisch legitimierten Institutionen, in denen die betroffenen Gruppen vertreten sind, beschlossen werden. Dabei haben die Besitzansprüche natürlicher oder traditioneller Bewohner betroffener Lebensräume Vorrecht. Art. 12. Die weltweite Produktion von Nahrungsmitteln, Verbrauchsgütern und Energie muss durch global bindende und durch die Weltbürger demokratisch legitimierte Maßnahmen so reguliert und ihr massenhafter Konsum so eingedämmt werden, dass weitreichende Schäden und unkontrollierbare Folgen für das Ökosystem und die Lebensgrundlagen verhindert werden. App. Fühlende Lebewesen dürfen nicht als bloße Ressourcen, Produktionsmittel oder Waren angesehen und benutzt werden. Stattdessen müssen ihre Interessen in den genannten demokratischen Entscheidungsprozessen mit einbezogen werden. App. Durch globale Entwicklungen (z. B. durch Klimawandel, Umweltverschmutzung etc.) aktuell und in Zukunft betroffene Bevölkerungsgruppen müssen durch die konkreten Verursacher oder - falls diese nicht haftbar gemacht werden können - durch die Weltgemeinschaft entschädigt werden. Ausgearbeitet, debattiert und per Mehrheit beschlossen von:den politischen Beobachtern der "General Assembly" ARMEN AVANESSIAN (Philosoph und politischer Theoretiker) den Abgeordneten der "General Assembly" HUDA ABUZEID (libysche Filmemacherin) Die "General Assembly" wird unterstützt durch:Agit Polska, Bahrain Watch, Berlin Postkolonial, Brot für die Welt, Bundesweiter Koordinationskreis gegen Menschenhandel, Club der polnischen Versager, Diem25, European Alternatives, European Center for Constitutional and Human Rights - ECCHR, FUTURZWEI, Germanwatch, Gesellschaft für bedrohte Völker, Initiative Schwarze Frauen in Deutschland - ADEFRA, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland - ISD, int.ie, Kampagne für ein Parlament bei der UNO / Democracy Without Borders, Kinder- und Jugendparlament Tempelhof-Schöneberg, Kurdische Gemeinde Deutschland, medico international, Oficina Precaria Berlin / 15 M, Open Knowledge Foundation Deutschland, Palästinensische Stimme, Plough Back The Fruits - basflonmin.com, PowerShift, Reporter ohne Grenzen, Rettet den Regenwald, RomaTrial, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Tierfabriken Widerstand, Urgewald, Voix des Migrants, Welthungerhilfe u. v. a. Quelle: medico international - 06.02.2018. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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