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Syrien: Wo alles begann

Diplomatische Weichenstellungen haben die zügige Offensive der Assad-Armee in Daraa und Quneitra begünstigt

Von Sabine Kebir

Am 18. Juni war die Stoßrichtung klar. Die Regierungsarmee begann ihre Offensive zur Rückeroberung der südlichen Provinzen Daraa und Quneitra. In den Jahren zuvor war dieses Terrain an Verbände der Freien Syrischen Armee, der Al-Nusra-Front und des Islamischen Staats (IS) gefallen. Vorhergesagt wurden die härtesten Kämpfe seit Beginn des Syrienkonflikts. Obwohl das auf die ersten Gefechte tatsächlich zutraf, kam es - durch Vermittlung des unter russischer Ägide stehenden "Zentrums zur Versöhnung der verfeindeten Seiten" - dann relativ schnell dazu, dass ein Großteil der Rebellenverbände die schweren Waffen übergab und das freie Geleit nach Idlib, Richtung Norden, in Anspruch nahm. Dorthin konnten sich bereits Assad-Gegner aus anderen Kampfzonen zurückziehen. Schon Anfang Juli übernahm die Armee wieder die Provinzkapitale Daraa, am 27. Juli schließlich die Stadt Quneitra.

Dabei ist besonders die Rückkehr nach Daraa von symbolischem Wert. Hier begann Anfang März 2011 der Bürgerkrieg, ausgelöst von einer Überreaktion der Polizei gegen politische Demonstrationen junger Syrer. Die Rückeroberung der Provinz Quneitra - sie grenzt an den von Israel annektierten Golan wie den Libanon - ist dagegen von strategischer Tragweite. All jene islamistischen Verbände, die sich dort seit Beginn des Konflikts festgesetzt hatten, vertrieben zum Teil die Blauhelm-Kontingente der Vereinten Nationen, die seit dem israelisch-arabischen Krieg von 1967 auf dem Golan stationiert, aber Israel immer ein Dorn im Auge waren. Während die Weltöffentlichkeit vom stillen Abzug der UN-Beobachter kaum Notiz nahm, blieb es kein Geheimnis, dass die im Raum Quneitra herrschenden Rebellen von Israel ähnlich unterstützt wurden wie in den nördlichen Provinzen operierende Anti-Assad-Freischärler von der Türkei: mit medizinischer Hilfe, Waffen und Geld.

Russland statt der UN

Die womöglich effektivste Hilfe für diese Formationen bestand darin, dass auch die ansässige Zivilbevölkerung in den Genuss großzügiger Unterstützung kam, und zwar in einem Gebiet, das bis zu 200 Kilometer tief in syrisches Kernland hineinragte. So entstand eine "Pufferzone", in der sich Israel möglicherweise längerfristig Einfluss verschaffen wollte. Die Hilfen für die Zivilbevölkerung schlossen humanitäre Projekte ein, bis hin zur Versorgung von syrischen Waisen in israelischen Einrichtungen. So verwunderte es nicht weiter, dass gut 300.000 Menschen, die vor den Kampfhandlungen flohen, sich nicht nur in Richtung Jordanien und Libanon bewegten, sondern in Tuchfühlung mit dem Golan blieben. Hier konnten sie sich relativ sicher fühlen, denn seit 1974 ist die syrische Armee aus dieser Region verbannt.

Während die Regierung Netanjahu gegenüber Demonstranten an der Grenze zum Gaza-Streifen stets äußerste Härte walten lässt, zeigte sie sich gegenüber den an die Golan-Grenze Geflüchteten von einer ganz anderen Seite und versorgte sie mit Nahrungsmitteln sowie Medikamenten. Schließlich wurde vor gut einer Woche sogar die Grenze für den Durchzug von etwa 800 syrischen "Weißhelmen" nach Jordanien geöffnet. Die nur in Rebellenrevieren tätigen Männer wurden der Weltöffentlichkeit oft als selbstlose Helfer der Zivilbevölkerung während der Kampfhandlungen zwischen Rebellen und syrischer Armee gezeigt. Dass sie - wie von den meisten Medien verbreitet - angesichts des Vormarschs der Armee in Todesgefahr waren, ist hingegen ein Fake. Ihnen stand ebenso der Ausweg nach Idlib offen, allerdings unter der Bedingung, einem Sicherheitscheck durch die Regierungssoldaten unterzogen zu werden. Die Armee hält die Weißhelme für von westlichen Geheimdiensten hochgradig ausgebildete Agenten. Dass eine solche Kontrolle unterblieb, es stattdessen freien Abzug nach Israel gab, wird zu den geheimen Abmachungen der Präsidenten Trump und Putin bei ihrem Helsinki-Treffen gerechnet.

Dass Syrien auf diesem Gipfel eines der maßgeblichen Themen war, dafür hatte die viel schneller als vermutet voranschreitende Offensive im Süden gesorgt. Diesem Vorstoß stimmte letztlich auch Benjamin Netanjahu zu, als er kürzlich in Moskau verhandelte, jedoch unter der Bedingung, dass keine aus Iran stammenden Milizen daran teilnehmen und den von Israel kontrollierten Gebieten, also dem Golan, nicht näher als 25 Meilen kommen. Netanjahu hat sich weiterhin vorbehalten, militärische Basen des Iran anzugreifen, die sich tiefer auf syrischem Boden befinden. Womöglich wären derartige Präventivschläge und die Sorge vor einem iranischen Angriff auf Israel unnötig, könnten die UN-Blauhelme auf dem Golan ihrer Schutzfunktion wieder vollends nachkommen. Da sich Israel und die USA jedoch darin einig sind, die Vereinten Nationen in diesem Konflikt - wo es nur geht - herauszuhalten, kommt dies nicht in Betracht.

Dass nun Russland die von UN-Beobachtern verlassenen Posten beziehen soll, um künftig für Stabilität zu sorgen, mag auf den ersten Blick verwundern. Es erklärt sich leichter, wenn man bedenkt, dass Wladimir Putins Engagement für Israels Sicherheitsinteressen auf der Erwartung beruht, als Schutzpatron ehemaliger jüdischer Bürger seines Landes anerkannt zu werden, die heute in Israel beheimatet sind. Ob sich durch die Nähe zwischen Moskau und Tel Aviv ein vielen Analysten als unvermeidlich geltender Schlagabtausch zwischen Israel und Iran noch verhindern lässt, ist ungewiss.

Aus all dem geht hervor: Die USA und Israel scheinen sich mit dem vorläufigen Verbleib von Baschar al-Assad im Präsidentenamt zu arrangieren. Für die israelische Politik ist das nachvollziehbar. So nützlich es war, Rebellen in der unmittelbaren Nachbarschaft gegen Assad zu instrumentalisieren, so wenig konnte eine islamistische Regierung in Damaskus im Interesse Israels liegen. Durch die Existenz der Hamas, deren Gründung als religiöser Verein die Besatzungsmacht einst duldete, um ein Gegengewicht zur PLO zu schaffen, weiß man in Tel Aviv: Islamistische Organisationen bleiben nicht auf ewig kontrollierbar. Sie können sich gegen ihre einstigen Mentoren wenden. Hätte der Islamische Staat samt seiner Satelliten die Macht in Syrien erobert, wäre er für Israel eher früher als später zu einem aggressiveren Gegner geworden, als es der stets berechenbare Assad je war und je sein wird.

Donald Trump wiederum scheint in der derzeitigen Lage darauf bedacht, dass die USA ihre Syrien-Präsenz "nur noch" im recht großen Gebiet nördlich des Euphrat aufrechterhalten, aber gegen eine Ablösung durch andere militärische Kräfte nichts einzuwenden haben. Gedacht ist an Soldaten der Arabischen Liga, vorzugsweise aus den Golfstaaten. Noch ist das für die Kurden unannehmbar, weil es einer Neuauflage der ja von dort dirigierten Invasion des Islamischen Staates zu ähnlich wäre. Doch wissen sie auch, dass der Traum von einer Unabhängigkeit nicht nur im Nordirak, sondern ebenso in Nordsyrien nicht in Erfüllung geht. Zu Wochenbeginn hat vermutlich deshalb die Nordsyrische Demokratische Föderation zugestimmt, in Damaskus über eine Dezentralisierung des syrischen Staates zu verhandeln.

Quelle: der FREITAG vom 05.08.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

09. August 2018

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