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Nachruf auf Uri Avnery von Clemens Ronnefeldt

Von Clemens Ronnefeldt

Nachdem ich bereits viele Jahre Texte von ihm gelesen hatte, lernte ich im Oktober 2006 Uri Avnery bei einer gewaltfreien Demonstration gegen die Sperranlage nahe des Dorfes Bilin, unweit von Ramallah, persönlich kennen. Uri, bereits damals im hohen Alter von 82 Jahren, war zusammen mit seiner Frau Rachel gekommen, um als israelischer Staatsbürger solidarisch mit anderen israelischen, palästinensischen und internationalen Friedensbewegten gegen den Landraub an der palästinensischen Dorfgemeinschaft Bilin zu protestieren, die durch die Sperranlage rund die Hälfte ihrer landwirtschaftlichen Fläche verloren hatte. Uri stand an der Nahtstelle der Gewalt, dort, wo die israelischen Soldaten von ihren Militärfahrzeugen herunter Tränengas verschossen auf die andere Seite der Sperranlage, wo Uri zusammen mit den Demonstrierenden stand. Er reichte mir eine Zwiebel und empfahl mir, kräftig daran zu riechen - damit durch den Tränenfluss das Tränengas schneller aus den Augen entweichen könne.

Einige Monate vor unserer Begegnung hatte im März 2006 der rechtsextreme Aktivist Baruch Marsel die israelische Armee zur "gezielten Tötung" von Uri Avnery aufgerufen.

1923 wurde Uri Avnery in Hannover als Helmut Ostermann geboren. Mit Beginn der Nazi-Diktatur 1933 begaben sich seine Eltern mit ihrem zehnjährigen Sohn auf die Flucht nach Palästina. Schon mit 15 Jahren, im Jahr 1938, schloss er sich der Untergrundbewegung "Irgun" an, die mit Terroranschlägen die britische Besatzungsmacht abschütteln wollte. Er genoss als Jugendlicher, wie er später schrieb, das Verbotene: Mit einer Waffe unter seiner Kleidung an britischen Soldaten unentdeckt vorbeizugehen. Erst mit 19 Jahren nahm er den Namen Uri Avnery an.

Während des israelisch-arabischen Krieges nach dem UN-Teilungsplan 1947 und der Staatsgründung Israels 1948 wurde Uri schwer verwundet. Er schrieb das Kriegstagebuch "Auf den Feldern der Philister", das zum Bestseller wurde und seine persönliche Wandlung vom gewaltsamen Krieger zum Kämpfer für den Frieden einleitete.

Von 1950 bis 1990 war Uri 40 Jahre lang ununterbrochen Herausgeber und Chefredakteur des Nachrichtenmagazins "Haolam Haseh" ("Diese Welt"). 1975 überlebte er einen Mordanschlag, bei dem er mit einem Messer schwer verletzt wurde. Auch durch Bombenanschläge auf die Redaktionsräume ließ er sich nicht von seiner Überzeugung eines gerechten Nahostfriedens abbringen und bezeichnete sich selbst als "Optimist von Natur" aus. In den Jahren 1965 bis 1981 saß Uri in drei Legislaturperioden als Parlamentarier in der Knesset für kleinere linke Parteien, die es heute nicht mehr gibt.

Als erster israelischer Staatsbürger überhaupt traf er sich während des Libanonkrieges 1982 in Beirut zum ersten Mal mit Jassir Arafat, damals Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO. Uri riskierte eine Anklage wegen Hochverrats, weil damals Kontakte mit der PLO noch verboten waren. Im Jahre 2003, während der blutigen zweiten Intifada, ging Uri als menschliches Schutzschild nach Ramallah, um den im palästinensischen Regierungsgebäude unter israelischem Beschuss stehenden Jassir Arafat mit seiner Präsenz zu unterstützen.

Im Jahre 1992 gründete Uri den "Friedensblock" (Gusch Schalom), um dem Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern, der 1991 durch eine Konferenz in Madrid sowie die darauf folgenden Oslo-Verhandlungen Fahrt aufgenommen hatte, Unterstützung zu geben.

Wie bei fast allen größeren historischen Ereignissen in Israel war Uri persönlich anwesend: Beim Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 ebenso wie bei der Ermordung Jitzchak Rabin 1995 in Tel Aviv durch einen israelischen Extremisten - was zum "Sargnagel" der in Oslo anvisierten Zweistaatenlösung wurde, für die Uri sein langes Leben lang eintrat.

Im Jahr 2001 erhielt er - zusammen mit seiner 2011 verstorbenen Frau Rachel, mit der er 58 Jahre verheiratet war - den Alternativen Nobelpreis.

Jede Woche verfasste Uri einen Essay, den er an unzählige Personen weltweit verschickte, mit denen er in Kontakt stand, und der von Freundinnen und Freunden in verschiedenen Ländern übersetzt wurde. Er griff darin aktuelle friedenspolitische Themen auf, die er in unnachahmlicher Weise mit historischen Ereignissen verknüpfte.

Am 7. August 2018 schrieb er seinen letzten Artikel für die Tageszeitung "Haaretz" und kritisierte darin das neue Nationalstaatsgesetz, das nur jüdischen Menschen in Israel Selbstbestimmung gewährt. Kurz danach erlitt er einen Schlaganfall und fiel ins Koma. Am 20. August 2018 starb er in einem Krankenhaus in Tel Aviv.

Die Friedensbewegung - nicht nur in Israel, sondern weltweit - verliert mit seinem Tod einen Menschen, der trotz aller Widerstände nie aufgegeben hat, für den Frieden einzutreten, und dadurch Vorbild bleiben wird.

Veröffentlicht am

22. August 2018

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