Afrika: China war hungrigerDeutschland verabschiedet die Almosenmentalität und geht zur Investitionsoffensive über - viel zu spätVon Michael Krätke Vor knapp zwei Jahren hat die damalige Große Koalition eine neue Afrika-Politik eingeleitet. Bis ins Kanzleramt hatte sich herumgesprochen, dass man den Strom von Migranten aus den Nachbarregionen und -kontinenten nur steuern kann, wenn man sich um die Lebensbedingungen in deren Herkunftsländern zu kümmern beginnt. "Bekämpfung der Fluchtursachen", hieß das und beschrieb ein weites Feld. Es reicht in Afrika von Armut über ökologische Dauerkatastrophen, extreme Lebensumstände wie fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser bis zur Ausnutzung des Kontinents als Müllkippe für Europas Industrieschrott. Seit die Flüchtlingsfrage drängt, besucht Angela Merkel jedes Jahr einige afrikanische Länder. 2016 reiste sie plötzlich nach Mali, Niger und Äthiopien, 2017 flog sie nach Tunesien, Ägypten und an die Elfenbeinküste. In diesem Sommer ging es nach Ghana, Senegal und Nigeria. Zugleich geben sich afrikanische Staatschefs in Berlin die Klinke in die Hand. Seit zwei Jahren wird der sich verdichtende diplomatische Verkehr mit dem Label Neue Afrika-Politik versehen. Diese soll helfen, den Zustrom von Migranten aus der Sahelzone und Westafrika einzudämmen, und bewirken, dass sich die Außengrenze Europas nach Afrika verschiebt, indem beispielsweise in nordafrikanischen Staaten sogenannte Ankerzentren für Flüchtlinge eingerichtet werden. Dadurch sollen Fluchtströme ebenso aufgefangen werden wie durch Rücknahmeabkommen mit Ländern wie Nigeria, von wo aus die meisten Menschen nach Europa aufbrechen. Um dem Einhalt zu gebieten, zieht man in Berlin und der EU-Zentrale am gleichen Strang, um potenziellen Aussiedlern die Europa-Träume auszureden. Daran arbeiten inzwischen Beratungszentren in Hauptstädten wie Lagos oder Accra, die von EU-Mitteln getragen werden. Jahrzehntelang war die deutsche Afrika-Politik von Gebermentalität und Helfermodus geprägt: Almosen plus Entwicklungshilfe. Inzwischen hat Merkel entdeckt, dass sie ihre traditionelle Rolle als Speerspitze der deutschen Exportindustrie auch in Afrika nicht ablegen muss. Sie hat regelmäßig Wirtschaftsdelegationen im Schlepptau, um neben Waren made in Germany auch Investitionen anzupreisen und Platz elf im Nationenranking der Afrika-Investoren hinter sich zu lassen. Basis dafür sind der Marshall-Plan für Afrika und die "Compact with Africa"-Initiative der G20-Länder. Um in deren Genuss zu kommen, sollen die Partner ihre Staaten in Ordnung bringen und abwanderungswillige Bürger im Zaum halten. Ähnlich agiert Premierministerin Theresa May, die Afrika als Zielregion für den britischen Handel nach dem Brexit ausgemacht hat. Nur dürften weder Deutschland noch Großbritannien den Vorsprung wettmachen, den sich China als Weltwirtschaftsmacht in Afrika verschafft hat, um über politischen Einfluss und Zugang zu benötigten Ressourcen zu verfügen. Rohstoff- und Energiehunger beherrschen eine Afrika-Politik, die in eine langfristige Going-Global-Strategie eingebunden ist. Gegenüber Europas Ex-Kolonialmächten haben die Chinesen den Vorteil, als Erben einer überaus erfolgreichen antikolonialen Revolte gegen Japan auftreten zu können - und effizient zu sein. Sie finanzieren und bauen mit einer Investition von gut 12,5 Milliarden Dollar Infrastrukturprojekte wie in Kenia die Eisenbahntrasse von Nairobi in die Hafenstadt Mombasa ( der Freitag 32/2018 ). Sie geben 460 Millionen Dollar für einen Dammbau in Guinea und 416 Millionen für Äthiopiens Staatsbahn. Bei keinem dieser Vorhaben wird erwartet, dass die Partnerländer die Kredite je zurückzahlen. In der Regel stellen die Chinesen den Maschinenpark, zumeist auch Baumaterialien und ingenieurtechnisches Personal. Die Afrikaner revanchieren sich mit Rohstoffen und Konzessionen, mit billiger Energie, billigen Arbeitskräften und politischer Assistenz für Chinas Anliegen in den Vereinten Nationen. Und sie hoffen auf chinesische Privatfirmen, die nach dem Abschluss von Projekten Arbeitsplätze schaffen. Für Schutzzölle spricht einigesFür China lohnt sich das Engagement. Allein der Handel mit Afrika hat sich seit 2000 mehr als verzwanzigfacht auf ein Volumen von heute mehr als 170 Milliarden Dollar. Im Juli 2017 übernahm zudem die chinesische Volksbefreiungsarmee in Dschibuti am Golf von Aden ihren ersten Stützpunkt in Afrika. Zu nicht militärischen Zwecken wurden Ländereien gepachtet, um die Kontrolle über Anbauflächen zu bekommen, die im eigenen Land nicht beliebig zu vermehren sind. Als erfolgreich erweisen sich die Chinesen auch beim Aufbau von Produktionszentren, die den Weltmarkt mit Billigprodukten fluten und von afrikanischen Arbeitskräften hergestellt werden: Afrikanische Billigproduktion unter chinesischer Kontrolle ersetzt Billigproduktion in China. Dafür werden unter anderem die 60 Milliarden Dollar gebraucht, die Präsident Xi Jinping im September beim China-Afrika-Gipfel in Peking zugesagt hat. China hat Deutschland beziehungsweise die EU in Afrika klar abgehängt, auch die Briten können der geballten Macht chinesischer Staatskonzerne wenig entgegensetzen. Der für Dezember in Wien vorgesehene Europa-Afrika-Gipfel wird daran wenig ändern, denn die EU betreibt seit Jahr und Tag gegenüber den meisten afrikanischen Ländern eine Handelspolitik, die verheerend für afrikanische Bauern und das afrikanische Handwerk ist. Der vertraglich abgesegnete Freihandel führt dazu, dass die Märkte von der Sahelzone bis nach Namibia und Südafrika mit subventionierten Agrarprodukten bedient werden. Schön für die europäische Agrarindustrie, die dank reichlich fließender EU-Agrarhilfen diese Märkte leicht erobern kann. Gegen eine solche Zäsur rebelliert in der EU die Angst, man könnte auf Dauer von Lebensmittelimporten aus außereuropäischen Ländern abhängig werden. Womit offenbar wird, dass Europa die Geschichte der eigenen Industrialisierung vergessen hat. Die beruhte gerade darauf, dass die Pionierländer des Fortschritts eine neue internationale Arbeitsteilung akzeptierten und sich - wie England - von Getreideeinfuhren aus Russland, Polen und Deutschland abhängig machten. Schlecht gefahren sind die Europäer damit nicht. Quelle: der FREITAG vom 23.10.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 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