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Herren der Welt

Beim Fall Khashoggi zeigt der Westen einmal mehr, was er von Menschenrechten wirklich hält

Von Sabine Kebir

Es spricht für die Realitätsferne des Königshauses in Riad, dass es offenbar glaubte, der Weltöffentlichkeit unterjubeln zu können, Jamal Khashoggi hätte sich am 2. Oktober nach seinem Besuch im saudischen Konsulat irgendwo in Istanbul verkrümelt. Denn nach den allerersten Verlautbarungen sollte er das Gebäude ungehindert verlassen haben. Unvorstellbar ist es für die Royals wohl gewesen, dass eine Frau - die laut eigener Gesetzgebung bis vor Monaten nicht einmal hätte Auto fahren dürfen - auf ihren zu Recht misstrauischen Verlobten in der Nähe, wahrscheinlich in einem Wagen, gewartet haben könnte. Aber das Misstrauen Khashoggis war nicht ausreichend. Die mit seiner Verlobten vereinbarte Zeitspanne, nach deren Ablauf sie die türkische Polizei informieren sollte, war zu lang.

Von Anfang an stand mehr oder weniger fest, dass Khashoggi ermordet wurde. Und alle Forderungen nach Beweisen in westlichen Staaten waren nur als Versuch anzusehen, Zeit zu gewinnen, um Sprachregelungen für Konsequenzen zu finden, die eine sich selbst unablässig beschwörende Wertegemeinschaft ihrem Publikum schuldig zu sein glaubt. Pervers wird es, wenn Außenminister Maas zunächst die genaue Aufklärung aller Details verlangt, ehe Entscheidungen für Sanktionen fallen könnten. Für deren Verhängung wäre - genau genommen - schon Riads Erklärung Grund genug, dass man Khashoggi im Konsulat offenbar allzu stürmisch davon überzeugen wollte, nach Saudi-Arabien zurückzukehren. Auch das wäre nicht als Kleinigkeit abzutun, denn damit verdiente der Fall ähnliche Aufmerksamkeit wie die Opfer an der Berliner Mauer. Schließlich ist die Freizügigkeit einer der wichtigsten Grundsätze eines westlichen Wertekanons, nicht zuletzt auch Zankapfel in Sachen Brexit-Szenario. Hinzu käme die Feststellung, dass es sich beim Gebrauch von Gewalt gegen einen Journalisten um eine der massivsten Verletzungen von Meinungsfreiheit handelt, die überhaupt denkbar ist.

Arabischer Frühling? Ha, ha

Khashoggi wusste nur zu gut: In der Heimat erwartete ihn vermutlich nichts anderes als eine öffentliche Hinrichtung. Insofern war sein Gang ins Istanbuler Konsulat eine Probe aufs Exempel für die Ernsthaftigkeit des Versprechens von Kronprinz bin Salman, seinem Land einen "Arabischen Frühling von oben" zu gönnen. Denn Khashoggis Kolumnen in der Washington Post griffen den Herrscher direkt an. Am 3. Januar hatte er unter dem Titel "Warum Saudi-Arabiens Kronprinz über die Unruhen im Iran beunruhigt sein müsste" dargestellt, dass die Massendemonstrationen im Nachbarland Ausdruck einer bereits errungenen Freiheit seien, eines politischen Mechanismus zwischen Führung und Volk, auf den das saudische Volk sehnsüchtig warte. Diese Dynamik hätte in Iran im vergangenen Jahrhundert zu sechs Regimewechseln geführt, die keineswegs durch saudische Medien ausgelöst worden seien, die jetzt hysterisch einen weiteren Wechsel herbeirufen wollten.

Auf Lobhudeleien der New York Times, die dem Bemühen des Kronprinzen um einen "Arabischen Frühling in saudischem Stil" huldigte, reagierte Khashoggi, indem er schrieb, das Volk Saudi-Arabiens könne sich nur wundern, wenn "das von seinem Staat gefeierte Recht auf Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit nur den Iranern vorbehalten sein soll". Der Autor hielt sich nicht dabei zurück, auf missglückte Interventionen im Irak, in Syrien, im Libanon und Jemen hinzuweisen, die dazu beigetragen hätten, den Einfluss des Schiitentums auszuweiten. Dieser verlaufe nun als mächtiger "Bogen vom Mittelmeer bis Teheran" und habe somit eine Ausdehnung, die mit der Länge der amerikanisch-mexikanischen Grenze vergleichbar sei - ein Seitenhieb auf Präsident Trump.

Es sollte auch deutschen Medien zu denken geben, dass sich ausgerechnet die als konservativ geltende Washington Post einen Kolumnisten leistete, der sich so klar über die Qualität des Bündnisses zwischen Trump und bin Salman äußerte, zugleich aber realistisch auf die Rolle Irans hinwies.

Mit Donald Trump ist die einst durch einen Präsidenten wie den Demokraten Jimmy Carter (im Amt 1977 - 1981) eingeleitete ideologische Offensive, mit der sich der Westen für berufen hielt, die Menschenrechte weltweit durchzusetzen, an ihr Ende gekommen. Dass sie nicht nur wegen des Einsatzes unverhältnismäßiger Gewalt, die im Gegensatz zu angestrebten Zielen stand, missglückte, ist offensichtlich. Solide Hegemonie erwirbt man weder durch Krieg noch durch Korruption, sondern durch das Prestige eines Gesellschaftsmodells. Und dass Interessenpolitik jetzt wieder so ungeschminkt vertreten und durchgesetzt werden soll, stößt bei vielen US-Amerikanern auf Empörung. Daher kann der Fall Khashoggi in der amerikanischen Innenpolitik noch an Bedeutung gewinnen.

Vermehrt wird dort wieder verlangt, dass Trump Steuererklärungen öffentlich machen müsse, aus denen seine von ihm bisher nicht zugegebenen Geschäftsverbindungen nach Saudi-Arabien hervorgehen könnten. Sollten die Demokraten bei den anstehenden Kongresswahlen eine Stimmenmehrheit erhalten, kann er dazu gezwungen werden. Das sollte dann freilich nicht schon als Wende in der Politik der Demokraten gegenüber Saudi-Arabien gewertet werden. Es ist bekannt, dass Hillary Clintons Stiftung enorme Summen aus Riad für ihren Wahlkampf bekommen hat.

Wie ein Großteil der US-Bürger will auch die Europäische Union ihre Rolle als moralische Wertegemeinschaft erhalten, ohne ihre Nahostpolitik grundsätzlich in Frage zu stellen. Daher fällt es in Brüssel oder eben Berlin so schwer, im Fall Khashoggi Entscheidungen zu treffen. Außer Frage steht: Das saudische Königreich wäre getroffen, würden sich Sanktionen auf den Handel mit Erdöl beziehen. Also genau auf jenes Geschäft, das Präsident Trump für Iran ab Anfang November unmöglich machen will - in der Hoffnung, das dortige Regime in die Knie zu zwingen. Dazu braucht er mehr Öl aus Saudi-Arabien, das seit langem seine Förderquoten nicht nur den ökonomischen, sondern auch den politischen Interessen des großen Partners flexibel angleicht. Insofern ist mit Sanktionen nicht zu rechnen. Ein Waffenembargo hat Trump ebenfalls ausgeschlossen. Mit Waffen will er das Erdöl ja bezahlen, zumal er sich als Schutzpatron der Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie sieht. So wird es wohl beim Abbruch weniger bedeutender Handelskontakte durch einzelne US-Unternehmen bleiben, was sich gegebenenfalls propagandistisch noch etwas aufblasen lässt.

Frau Klöckner darf sprechen

Ähnliches trifft auf Europa zu. Ausgerechnet Julia Klöckner, Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft, wurde für eine Erklärung vorgeschickt, wonach es nur dann zu Sanktionen kommen könne, wenn einzelne Unternehmen diese selbst beschließen würden. Schließlich könne die Bundesregierung keinen Druck auf die Wirtschaft ausüben. In anderen Fällen von Sanktionsverhängung - zum Beispiel, wenn es sich um Russland dreht - hat sich der Staat gegenüber der Wirtschaft durchaus als durchsetzungsfähig gezeigt.

Dass man gegenüber den saudischen Royals keineswegs an allzu viel Härte denkt, wird auch an einem wenig bekannt gemachten Detail deutlich: Die kurzzeitig wegen kritischer Äußerungen des ehemaligen Außenministers Gabriel zur "Abenteuerpolitik" Riads in die Krise geratenen diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und Riad wurden nur wenige Tage nach dem Verschwinden Khashoggis durch den Wiedereinzug des saudischen Botschafters in seine Berliner Niederlassung repariert.

Die Minimalfolgerung, die Europa aus dem Fall Khashoggi zu ziehen hätte, wäre die Aufrechterhaltung des Atomabkommens mit Iran ohne Wenn und Aber. Doch hat Trump beim Management der Khashoggi-Krise seinen Verbündeten von Anfang an gezeigt, wer Herr der Welt ist. Er ließ es die Türken wissen, die ihre Geisel Pastor Andrew Brunson freilassen mussten, um sich im Fall Khashoggi überhaupt mit den USA abstimmen zu können, auch wenn sie mit ihren Informationen nur teilweise an die Öffentlichkeit gehen durften. Er hat es genauso den Saudis gezeigt, indem er sie zwang, ein Schuldbekenntnis abzulegen, mit dem das Weiße Haus gut leben kann. Schließlich wurde den Europäern bedeutet, sich mit ihrer Empörung zurückzuhalten, bis Eingeständnisse auf dem Tisch lägen. Um ihnen die Wartezeit etwas zu erleichtern, erklärte Trump zwölf Tage nach dem Mord, dass er eine Verstrickung Wladimir Putins in den versuchten Giftmord an dem Ex-Agenten Skripal für sehr wahrscheinlich halte - eine Stellungnahme, die europäische Medien wohlwollend verbreiteten. Die Zeit ließ sich davon zu einer ausführlichen Darlegung plus Karikatur inspirieren, wonach Putin ebenso wie bin Salman Staatsterrorismus unter den Teppich kehre. Nach westlichem Verständnis kann der Urheber eines Verbrechens eine Minderung seiner Strafe erwarten, gesteht er die Tat. Vom Eingeständnis der Tötung des Journalisten Khashoggi kann die in Riad herrschende Clique samt Kronprinz schon jetzt profitieren.

Freund und Feind

So strebt Riad nach der Vorherrschaft im Nahen Osten

Zielobjekt

Jemen ist seit drei Jahren Ziel saudischer Luftangriffe. Dadurch sollen die Huthi-Rebellen gestürzt werden, die 2014 den Präsidenten Hadi vertrieben haben. Der lebt seither im saudischen Exil.

Nebenfeind

Syrien sichert durch Präsident Assad die "schiitische Brücke" von Teheran über Damaskus bis zur schiitischen Hisbollah in Beirut. Im syrischen Bürgerkrieg alimentiert Riad islamistische Rebellen.

Glaubensbrüder

Die Türkei und Saudi-Arabien verbinden der sunnitische Islam und ihre Interessen in Syrien. Doch zwingt die Wirtschaftskrise Präsident Erdogan zur Vorsicht gegenüber Riad.

Erzfeind

Iran ist wegen seiner schiitischen Mehrheit und Regionalmacht erklärter Feind der saudischen Royals. Vorerst wird der Konflikt an Schauplätzen wie Syrien und dem Libanon ausgetragen.

Waffenbrüder

Die USA sehen in Saudi-Arabien neben Israel den strategischen Partner in Nahost und werden Waffendeals mit Riad auf absehbare Zeit nicht einstellen. Es gibt Aufträge für 450 Milliarden Dollar.

Quelle: der FREITAG vom 30.10.2018. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

02. November 2018

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