Lebenshaus-Tagung “We shall overcome” 2018Vor fünf Jahren, anlässlich des 20-jährigen Jubiläums von "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie", haben wir die erste Tagung mit dem Titel "’We shall overcome!’ Gewaltfrei aktiv für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht" in Gammertingen durchgeführt. Damals war das zunächst als einmalige Veranstaltung gedacht. Doch das Echo war so außerordentlich positiv, dass wir in den Folgejahren Veranstaltungen mit dem gleichen Grundkonzept organisierten. Und so waren wir nun im Jahr unseres 25-jährigen Jubiläums bei der 6. Tagung "We shall overcome!" angekommen. Diese Tagung, zu der sich an einem wunderschönen Oktoberwochenende 47 Menschen einfanden, fand wieder großes Lob seitens zahlreicher Teilnehmenden. Im Mittelpunkt standen die gehaltvollen Vorträge von Katja Tempel, Peter Bürger und Andreas Zumach, über die Axel Pfaff-Schneider nachfolgend ausführlich berichtet. Von Axel Pfaff-Schneider (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 99, Dez. 2018 Der gesamte Rundbrief Nr. 98 kann hier heruntergeladen werden: PDF-Datei , 987 KB. Den gedruckten Rundbrief schicken wir Ihnen/Dir gerne kostenlos zu. Bitte einfach per Mail abonnieren .) Katja Tempel: "Mit brennender Geduld - gelassen kämpfen"Katja hatte die weiteste Anfahrt aus dem Wendland. Ich stellte die Sozialpädagogin und Hebamme vor als eine Frau, die schon eine lange Liste an Aktivitäten und Aktionen vorzuweisen hat. Und ich fragte mich, wie sie das als berufstätige Frau mit zwei mittlerweile erwachsenen Töchtern alles geschafft hat. Katja formulierte dann gleich vorneweg ihre Botschaft: sie wolle ermutigen, aktiv zu sein, auch in Form von zivilem Ungehorsam, oder besser gesagt in Form von "gezielter Regelüberschreitung". Geboren worden sei sie 1963 in einem Elternhaus, in dem beide Eltern Lehrer gewesen seien und in einer Zeit allgemeiner moralischer Enge. Helga und Konrad Tempel, ihre Eltern, seien schon immer gesellschaftlich aktiv gewesen und hätten 1956 im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung Deutschlands den "Aktionskreis Hamburg" gegründet. 1960 hätten sie aus England die Idee zum ersten Ostermarsch gegen Atomwaffen nach Deutschland gebracht. Sie sei in der Kleinstadt Ahrensburg aufgewachsen mit Peace News, Ostermärschen, dem Thema Kriegsdienstverweigerung und habe die Andachten der Quäker, zu denen ihre Eltern gehörten, erlebt. Politik, kritische Diskussionen hätten zum Alltag gehört. Katja schilderte uns dieses Elternhaus als Halt- und Orientierung gebend. Bis heute bewege sie das Anliegen, nicht nur selbst ein gutes Leben führen zu können, sondern auch ihren Beitrag dazu zu leisten, dass es ein gutes Leben für alle Menschen geben kann. Ihre ersten Friedensaktivitäten hätten gemeinsam mit den Eltern stattgefunden. Das sei so normal für sie, dass sie das in ihrem Leben als Mutter mit ihren Töchtern fortgesetzt habe. So könne es auch heute durchaus vorkommen, dass sie und ihre Tochter Clara sich bei denselben Aktionen beteiligten. Schon früh habe sie bemerkt, dass ihr nur "Schweigen für den Frieden" und ähnliche Aktionsformen nicht reichen würden. In Kellinghusen habe sie sich an ihrer ersten Blockadeaktion beteiligt und dabei das System von Bezugsgruppen und Sprecherräten kennengelernt. Das Prinzip, im Konsens zu entscheiden, habe sie bereits von den Quäkern gekannt, aber als wesentliches Element einer Aktion sei es für sie neu und inspirierend gewesen. Wie so viele Menschen ihrer Zeit, sei auch sie gebannt von dem allgegenwärtigen Bild eines alles zerstörenden Atomkriegs und der Vorstellung gewesen, dass man wohl kaum lange zu leben habe. Deswegen habe sie für sich, inspiriert durch die Wirkung von Blockadeaktionen, ihre persönlichen Weichen klar gestellt: sie wollte "auf der Straße kämpfen". Doch dieses Bild des Kämpfens sei nicht mit Gewalt verbunden gewesen, sondern mit den Grundideen gewaltfreien Widerstands, lebendig zum Ausdruck gebracht in dem Lied "Das weiche Wasser bricht den Stein". Katja sang dieses Lied gemeinsam mit den Anwesenden. Katja berichtete von Aktionen 1983 in Bremen, deren Ziel es gewesen sei, die Schienen zu blockieren, auf denen die sog. "Bombenzüge" mit Rüstungsnachschub der Nato in den Bremerhaver Hafen fahren sollten. Dabei habe die Polizei auch Wasserwerfer eingesetzt, die mit ungewöhnlich starkem Druck Menschen teilweise so heftig trafen, dass sie keine Luft mehr bekamen. Mit Erstaunen stellte Katja dabei fest, dass sie angesichts der erlebten Gewalt weder Angst noch Wut verspürt habe, sondern im Gegenteil, ein Gefühl von Stärke und tiefer Kraft. Wenn sie später darüber nachgedacht habe, sei ihr bewusst geworden, dass trotz der erlebten Gewalt für sie "Liebe" die Situation geprägt habe. Vielleicht sei es genau das, was auch prominente Aktivisten wie Gandhi und Martin Luther King beschrieben hätten. In der Rückschau auf diese Aktion und alle späteren stellte Katja fest, wie wichtig es für sie gewesen sei, immer neu dazu zu lernen. So berichtete sie von der aktuellen Prozesskampagne "Widerspruch", in der es darum gehe, die Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen öffentlich anzuprangern und bis vor das Bundesverfassungsgericht zu tragen. Für sie sei es persönlich bereichernd, dass sie sich in einer kleinen Gruppe mittlerweile viel Wissen angeeignet hätten, z.B. über das Völkerrecht, und ihre eigene Argumentationsfähigkeit geschärft hätten. Es sei eine Form von "Selbst-Empowerment", sich Wissen und Knowhow anzueignen. Dazu gehörten wegen Gerichtsverhandlungen aufgrund Zivilen Ungehorsams auch der Umgang mit der Justiz, das Auftreten und Vorgehen in der Verhandlung und vieles mehr. Um diese Erfahrungen zu unterstreichen, sang sie zusammen mit Gabi Lang den Psalm "Wie nun ihr Herren", welchen sie auch schon einmal als musikalisches "Schlusswort" ihrer Argumentation vor Gericht gesungen hatte. Katja reflektierte mit uns ihre wichtige Erfahrung, 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen Blockaden in Mutlangen im Gefängnis abzusitzen und weitere 10 Tage wegen Aktionen in Gorleben. Auch hier habe sie gespürt, dass ihre Angstfreiheit sie zu freierem Handeln geführt habe. Sie betonte auch, dass ihr das Handeln im Rahmen einer Gruppe besonders wichtig sei. Exemplarisch nannte sie hier ihre Erfahrungen im Rahmen von "X-tausendmal quer", wo sie immer wieder dieses "gemeinsam sind wir stark" erlebt habe. Als wichtige Horizonterweiterung habe sie auch den Perspektivwechsel erlebt. Das habe sie besonders stark bei einem einjährigen USA-Aufenthalt in den 80iger Jahren erlebt und später bei einem einjährigen Indienaufenthalt, in dem sie gewaltfreie Aktionen und Bewegungen kennenlernen und studieren sowie die Lebensweise der Aktivisten erkunden habe können. "Zum aktiv werden ermutigen", dazu erzählte Katja von Aktionen im Militärgelände der Übungsstadt "Schnöggersburg", in der Soldaten*innen auf Auslandseinsätze und Kampfszenarien im städtischen Gebiet vorbereitet würden. Was sie hier im Rahmen von "illegalen" Platzbegehungen erlebt habe, sei körperlich anstrengend und sehr stressig gewesen, habe andererseits aber erhebliche Wirkung erzeugt. Ihr Fazit: die Komfortzone zu verlassen, sei erfüllend und halte jung und lebendig. Katja klammerte aber Misserfolge und Niederlagen nicht aus. Ihre Bereitschaft, wegen einer gewaltfreien Aktion angeklagt zu werden und womöglich ins Gefängnis zu gehen, sei ihr und anderen als "im Mittelpunkt stehen zu wollen" vorgeworfen worden. Die eigentlich zugrundliegenden unterschiedlichen Politikansätze in der Bewegung seien über die Auseinandersetzung zu diesem Gefängnisaufenthalt konfrontativ diskutiert worden. Hier habe sie zum ersten Mal erlebt, dass ihnen als Gewaltfreie die Solidarität verweigert worden sei. Katja räumte ein, dass sie das selbst nach 20 Jahren noch nicht verdaut habe. Sie kam zurück zu den verschiedenen Aspekten und Dingen, die ihr Kraft geben würden: Yoga praktizieren, die Familie, die Gewissheit der Quäker, dass es in jedem etwas von Gott gebe, das ansprechbar sei und die vielen Erfahrungen damit. Ermutigend sei für sie auch, dass sich gesellschaftliche Veränderungen auch sprunghaft entwickeln könnten (z.B. der Mauerfall, die Emanzipation von Frauen, die größere Akzeptanz für Schwule, Lesben und transgender Personen, die Entwicklungen von vegetarischen und veganen Lebensstilen usw.). Zur Verdeutlichung dieser Sicht sang Katja mit uns das Lied "Wir suchen neue Wege für dieses Land". Zum Abschluss brachte Katja einige ihrer Erkenntnisse noch einmal auf den Punkt: "Anfangen! Peter Bürger: "Friedensbilder - Friedenslandschaften - Friedensboten: Einblicke in eine Schreibwerkstatt wider die Kriegsreligion"Peter stellte ich als einen in der deutschen Friedensbewegung engagierten, linkskatholischen Publizisten und sauerländischen Mundartforscher vor. Ich war gespannt, wie er die beiden Aspekte Friedensarbeit und Mundartforschung miteinander verbinden würde. Einleitend machte uns Peter deutlich, dass Heimat- bzw. "Mundartliteraturgeschichte" absolut nichts mit dem Heimatbegriff im Sinne von "Blut und Boden" der Rechten zu tun habe. Für ihn sei Heimat die katholisch geprägte Gesellschaft und Landschaft, in die er 1961 hinein geboren wurde. Eine Zeit, in der die Kirchen voll und der gesamte Alltag durch kirchliches Leben bestimmt gewesen sei. Auch wenn diese mächtige Funktion von Kirche heute nicht mehr bestehe, damals hätte sie sein Leben wesentlich bestimmt. Peter stammt aus einem Handwerkerhaushalt mit sechs Kindern. Das habe er einerseits als heile Welt erlebt, andererseits habe er dort auch verschiedene Probleme und Konflikte erlebt. So habe er sich beispielsweise in der Rolle gesehen, zwischen seinen Eltern zu vermitteln. Er habe einen Zwillingsbruder, der, ganz anders als er, im Wald und auf dem Sportplatz unterwegs gewesen sei. Er selbst sei ein stiller Junge gewesen, der gerne las und malte. Mit sieben Jahren habe er Priester werden wollen. Mit der Pubertät und der Suche nach dem eigenen Weg habe er fast selbstverständlich zur Schüler Union, der CDU-nahen Schülerorganisation, gefunden. Den Bruch mit der Union habe es dann gegeben, als Franz-Josef Strauß 1980 als Kanzler-Kandidat unterstützt werden sollte. Als Kreisvorsitzender der Schüler Union habe ihm die Haltung und Beziehung von Strauß zur Militärregierung in Chile und deren Staatsterror widerstrebt. Er sei der Meinung gewesen, dass man als Christ Gott mehr gehorchen solle, als den Menschen und sei aus der Schüler Union ausgetreten. Seine Kriegsdienstverweigerung sei aus der Familiengeschichte erwachsen. Sein Onkel sei im Krieg gestorben und ihm sei vermittelt worden, dass Krieg für die kleinen Leute etwas Schlimmes sei. Seinen Zivildienst habe er in einem internationalen Kinderhaus absolviert, das von einer regionalen Pax-Christi-Gruppe initiiert worden war. In diesem Kinderhaus habe er das Bemühen um Verständigung erlebt, weil dort, damals völlig ungewöhnlich, auch Kinder von "Gastarbeitern" betreut worden waren. Nachhaltig geprägt habe ihn dort auch eine pazifistische, linkskatholische Seniorin, indem sie ihn z.B. ganz pragmatisch daran beteiligt habe, europäischen Schüleraustausch zu organisieren. Seine ersten friedenspolitischen Aktivitäten im Rahmen der Pax-Christi-Gruppe hätten sich damit befasst, in seiner Stadt die Erinnerungsgeschichte an die Ermordung von russischen und polnischen Zwangsarbeitern zu bearbeiten. Das Verdrängen sei mächtig gewesen und das Erinnern habe regelrecht erkämpft werden müssen. Peter berichtete, 1981, dem Jahr der großen Bonner Friedensdemonstration gegen neue Atomwaffen, habe er für sich feststellen können, dass er Pazifist sei. Allerdings sei bei ihm die eigentlich normale optimistische Haltung junger Menschen: "Die Welt steht uns offen", durch den drohenden Atomkrieg, der alles in Frage gestellt habe, gebrochen worden. Vor diesem Hintergrund habe er nun seinen Kindheitstraum verwirklichen wollen und das Studium der Theologie begonnen. Dieses sei allerdings damals an den meisten Universitäten noch sehr klerikal und konservativ geprägt gewesen. Glücklicherweise sei es in Tübingen anders gewesen und er habe dort die Befreiungstheologie kennen gelernt und sei auch erstmals mit den Ideen der Ökumene in Berührung gekommen. Als Theologe habe er nach Beendigung des Studiums weder Priester werden noch in der Kirche arbeiten wollen. Dem sei vor allem sein als schwierig erlebtes schwules Comingout entgegengestanden. In der Kirche tätig zu sein, hätte für ihn bedeutet, eine Doppelmoral leben zu müssen. Daraufhin habe er als Theologe ein anderes Arbeitsfeld gesucht. Seine erste Arbeitsstelle habe er 1988 in einem Projekt des Arbeitersamariterbundes gefunden, in dem Aidskranke in der Sterbephase begleitet worden seien. Für ihn sei das ein wichtiger Lernprozess gewesen, der ihn dazu ermutigt habe, zusätzlich eine Ausbildung zum Krankenpfleger zu machen. Diese in jeder Hinsicht anspruchsvolle und anstrengende Arbeit habe ihm damals keine Zeit gelassen, parallel friedenspolitisch aktiv zu sein. Erst Ende der 90er Jahre habe er wieder zum politischen Engagement gefunden. Durch seine Arbeit in der Psychiatrie mit Drogenkranken sei er auf Fragen der Sozialpolitik gestoßen. Im Jahr 1999 habe sich der damalige, ausgesprochen wirtschaftsliberal orientierte Düsseldorfer Bürgermeister mit verschiedenen restriktiven Regelungen gegen den Aufenthalt von Obdachlosen in der Innenstadt gewandt, mit der Begründung, dass diese die Kaufkraft der City beeinträchtigen würden. Daraufhin wirkte Peter an der Gründung einer Gruppe mit, die sich gegen solche Äußerungen und gegen die dahinterstehende neoliberale Politik engagiert habe. Die Gruppe habe eine Agenda für die Rechte der Menschen auf der Straße formuliert und es erreicht, dass der Bürgermeister seine Pläne revidieren musste. Er habe dabei die Wirkung von Medienarbeit und Vernetzung erlebt, so Peter, die ihn zu weiteren Schritten ermutigt habe. Nach dem 11. September 2001 habe er die zunehmende Angst Vieler vor dem "Krieg gegen den Terror" der US-Regierung erlebt. Er sei im Düsseldorfer Friedensnetz aktiv geworden. Als er gemerkt habe, dass seine friedenspolitische Arbeit, auch sein zunehmendes Interesse an theoretischem Forschen und Arbeiten, zeitlich nicht mehr mit seiner beruflichen Tätigkeit zu vereinbaren gewesen sei, habe er sich als Forscher und Publizist selbständig gemacht. Er hätte erkannt, dass in der Friedensarbeit einige wichtige Elemente fehlten bzw. aus Zeitmangel zu kurz kämen: der Einfluss der Unterhaltungsmedien auf die Stimmung und Haltung vieler Menschen zu Krieg und Militär. Er habe eine enorme Wirkung einiger amerikanischer Anti-Kriegsfilme auf die europäische Friedensbewegung erlebt. Und er habe entdeckt, dass viele als Anti-Kriegsfilm bezeichnete Produktionen in subtiler Weise Werbung für das Militär machten. Und bei genauerem Nachforschen habe er festgestellt, dass diese Filme mit aktiver und finanzieller Unterstützung des Pentagon produziert worden waren. Dem genauer nachzugehen habe ihn so sehr gereizt, dass er sich auf die Suche nach der Finanzierung für sein selbst gewähltes Forschungsprojekt gemacht habe und tatsächlich in den Jahren 2004 bis 2008 eine wissenschaftliche, empirische Studie zum Thema "Kino der Angst" erarbeiten habe können. Nachdem er sich tagelang Dutzende Filme angeschaut habe, hätte er entlang vieler Filmszenen das regelrechte Werben für das Soldatentum mit diesen Filmen nachweisen können. Insbesondere seien Waffen als neu und wirksam dargestellt worden, die in der Zukunft des US-Militärs eine wichtige Rolle spielen sollten. Und selbstverständlich sei in diesen Filmen auch Werbung für den Einsatz von Atomwaffen gemacht worden. Mit bundesweiten Vorträgen habe er "für die Macht der Bilder" sensibilisiert und über die Macht der Bilder-Fabriken informiert. Eine weitere Erkenntnis aus diesen Untersuchungen war im Bereich der Computerspiele die Vernetzung der Spieleproduzenten mit dem Militär. Aus seiner Sicht sei es äußerst bedenklich, dass es bisher keine kontrollierende Institution gibt, die diese Entwicklungen kritisch beobachte. Peter berichtete weiter, er habe im Rahmen einer Auftragsarbeit von Pax Christi 2006 das "Weißbuch" der Bundeswehr analysiert, in welchem ganz offen und unverhohlen die deutsche Militärdoktrin auf Wirtschaftsinteressen und nationalökonomische Ziele hin orientiert werde. Gegen diese Entwicklungen habe er die Kirchen in der Pflicht gesehen und mit anderen eine "Ökumenische Erklärung von Christinnen und Christen aller Konfessionen zu Militärdoktrinen im Dienste nationaler Wirtschaftsinteressen" formuliert, die auf der Lebenshaus-Website über zehn Jahre online unterzeichnet werden konnte. Sein damit verbundener Brief an die Leitungen von evangelischer und katholischer Kirche sei jedoch unbeantwortet geblieben. In der "Kirche von unten" arbeite er in verschiedenen Projekten mit, so Peter. Beispielhaft nannte er eine Untersuchung über die Verwicklung von Kirche und NSDAP und zum Thema Unvereinbarkeit von Taufe und Soldatentum. Bewegt habe ihn auch die Seligsprechung des Papstes Johannes Paul II. zum 1. Mai 2011, obwohl bestimmte kritische Fragen bezüglich seiner Person noch nicht geklärt gewesen seien. Sozusagen als Gegenbewegung habe er sich an einer internationalen Erklärung beteiligt, weltweit unterstützt von zahlreichen Prominenten, in der Oscar Romero als Vertreter der Befreiungstheologie ebenfalls seliggesprochen worden war, allerdings "von unten". Dass Oscar Romero nun ganz aktuell am 14.10.2018 tatsächlich sogar von der Kirche heiliggesprochen werde, könne man als späten Erfolg dieser Initiative werten. In den letzten Jahren habe er sich verstärkt um das Thema Heimatforschung kümmern können, so Peter. Er habe ein Buch "Friedenslandschaft Sauerland" geschrieben, in dem er Heimatgeschichte aus pazifistischer Sicht beschreibe. Es würden darin Menschen vorgestellt, die sich während der NS-Zeit in vorbildhafter Weise als Priester und als Laien erfolgreich gegen die Ermordung von Menschen mit Behinderung ausgesprochen hatten. Spannend daran finde er, dass dies bis dahin kaum bekannt gewesen sei, obwohl eindrücklich belegt werden könne, wie sensibel die NS-Diktatur auf kirchlichen Widerstand "von unten" reagiert habe. Zum Schluss seines Beitrags berichtete Peter von seiner Teilnahme an der internationalen katholischen Friedenskonferenz "Nonviolence and Just Peace" 2016 in Rom. Das Anliegen dieser Konferenz sei gewesen, gewaltfrei engagierten Vertretern aus "Gewaltreligionen" ein Forum zu geben. Im Auftrag von Pax Christi habe er daran mitgewirkt, ein "Bild" zu entwerfen, welches die positiven, nicht gewaltförmigen Entwicklungen zusammenführen und verstärkt freisetzen könne. Daraus sei die Vorstellung von "One human family" entstanden, sozusagen als neues ökumenisches Dogma für die katholische Kirche. Inhaltlich fokussiere sich das Bild auf mehrere Aspekte, die ein weltweites gemeinsames Denken und Handeln zum Ausdruck bringen sollen. Ein Aspekt spräche Peter besonders an: der Planet Erde als Heimat für alle Menschen. Das sei das Thema seiner Diplomarbeit gewesen. Womit zum Abschluss seines Vortrags nochmal deutlich wurde, wie sich die Themen Heimat und Friedensarbeit als roter Faden durch Peters Lebensgeschichte ziehen. Andreas Zumach: "Sage nein! Niemand hat das Recht zu gehorchen. Es gibt immer bessere Alternativen"Meine einleitende Frage an Andreas bezog sich auf den Titel seines Vortrags. Wie ist das "Niemand hat das Recht zu gehorchen" zu verstehen? Müsste es nicht heißen "niemand hat die Pflicht zu gehorchen"? "Nein!", ist seine Antwort, die er uns später im Vortrag erklären wird. Andreas begann seinen Beitrag mit einem Kompliment an Gabi Lang, die die Tagung mit einem Cello-Solo eröffnet hatte. Und er gab sich selbst als begeisterter Cellist zu erkennen, der perspektivisch nach dem Berufsleben wieder mehr musizieren möchte und so einiges mehr. Schön zu hören, dass es außer Friedensarbeit und Politik noch anderes gibt! Es macht den besonderen Reiz unserer Tagungen aus, dass die Referentinnen und Referenten viel mehr gefragt sind, sich als ganzheitliche Persönlichkeit zu zeigen als bei reinen Sachvorträgen…. Andreas erzählte von seinen familiären Prägungen. In seiner Familie habe er keine Gewalt erlebt und die Vorstellung, sich mit Gewalt gegen Unrecht (erlebtes oder vermeintliches) zu wehren, sei seiner Familie fremd. Seine Kindheit verbrachte er in Bergisch Gladbach. Seine erste Erfahrung mit Gewalt habe er mit 14 Jahren gehabt, als er 1969 auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart eine Lesung mit Günter Grass besucht habe und dort miterleben musste, wie der Mann, der neben ihm saß - ein ehemaliger SS-Mann und Nazi der ersten Stunde - öffentlich Selbstmord verübt hatte. Solchermaßen sensibilisiert, habe ihn weiterhin das Gespräch mit einem aus Deutschland geflüchteten Juden geprägt, der von seinem Großvater versteckt worden war. Auch etliche Gespräche mit Dorothee Sölle, die zum weiteren Freundeskreis seiner Familie gehörte und quasi das schwarze Schaf in ihrer Familie gewesen war, hätten ihn stark beeinflusst. Als Jugendlicher habe er im Internat sehr fortschrittliche Erzieher und Lehrer erlebt und sei dort zu Zeiten des Vietnamkriegs politisiert worden. Am 30.01.1973 habe er beim Kreiswehrersatzamt den Kriegsdienst verweigert. Dieses Datum habe er bewusst gewählt, weil es der 40. Jahrestag der Machtergreifung durch Hitler gewesen war. Anstelle eines Zivildienstes habe er einen zweijährigen Friedensdienst mit Aktion Sühnezeichen in den USA absolviert. Er sei für die amerikanische Landarbeitergewerkschaft United Farm Workers unter Leitung von César Chávez tätig gewesen. Dort habe er alles gelernt, was für ihn heute noch wichtig sei. Der Gewerkschaft sei es vor allem darum gegangen, für die weitgehend rechtlosen mexikanisch-stämmigen Landarbeiter gleiche Rechte wie für andere amerikanische Arbeiter zu erkämpfen. Schnell hätten sie dabei feststellen müssen, dass Streiks unwirksam waren, da die Unternehmen leicht Hunderte arbeitslose Landarbeiter als Streikbrecher anwerben konnten. Daraufhin habe die Gewerkschaft einen Verbraucherboykott gegen die beteiligten Firmen organisiert. Andreas erzählte, dass er damals in den Armenvierteln von Chicago gelebt und den Alltag mit den einfachen Arbeitern geteilt habe. Er habe die Aufgabe gehabt, Spenden einzusammeln, und habe u.a. im Rahmen von gewaltfreien Trainings sehr vieles über die Wirksamkeit gewaltfreien Kampfes lernen können. Die wohl wichtigste Erkenntnis für ihn sei gewesen, dass Beharrlichkeit Voraussetzung für erfolgreiches Handeln ist. Der Gewerkschaft sei es schließlich durch den gewaltfreien Boykott gelungen, Verträge mit den Unternehmen abzuschließen. Nach dieser "Lehrzeit" in den USA begann Andreas ein Studium der Sozialen Arbeit und Journalismus. Seine grundlegenden Erfahrungen mit gewaltfreien Boykotten habe er dann in Deutschland in Boykottkampagnen wie gegen den Nestlé-Konzern ("Nestlé tötet Babys") und die Apartheid in Südafrika ("Kauft keine Früchte der Apartheid") eingebracht. Andreas betonte, das gewaltfreie Mittel des Boykotts sei ihm bis heute wichtig. 1979 sei er Redakteur bei der damals parallel zur taz neu gegründeten Zeitung Die Neue geworden. 1981 sei er hauptamtlicher Mitarbeiter bei Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste geworden und unvermittelt vor der großen Aufgabe gestanden, als Mitarbeiter des Veranstalters zusammen mit der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden unter dem Motto Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen eine bundesweite Großdemonstration umsetzen zu sollen. 800 weitere Organisationen hätten diesen Aufruf zur Demonstration unterstützt. Dass sich die Polizei bei dieser Großdemonstration im Hintergrund gehalten hat und der gesamte Rahmen absolut gewaltfrei geblieben war, ist sicher wesentlich auch dem Organisationsgeschick von Andreas zu verdanken. Bezogen auf den Titel seines Beitrages verwies Andreas auf zahlreiche Artikel und Vorträge, die er als Journalist zum Thema "Sag Nein!" geschrieben und gehalten hat. Das Mittel der Verweigerung werde auch mit dem zweiten Teil des Titels angesprochen. Es handelt sich dabei um ein Zitat von Hanna Arendt aus einem Interview über die Eichmann-Prozesse in Israel. In diesem Zusammenhang hatte sie formuliert, "niemand hat das Recht zu gehorchen", und bezog sich dabei auf Eichmanns Argumentation, dass er nur Befehlen gehorcht habe. Andreas erklärte, dass er mit Arendts Zitat zum Ausdruck bringen wolle, niemand könne angesichts von Gewalt und Ungerechtigkeit sein Untätig bleiben damit rechtfertigen, er habe nur gehorcht. Vielmehr sei es in solchen Situationen nötig, Widerstand zu leisten. Und Widerständigkeit beginne nicht erst dann, wenn man vor einem Wasserwerfer sitze, sondern schon viel früher. Zu viele Menschen würden einfach mitmachen, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. Und es sei auch nicht so, wie immer wieder von Politikern mantrahaft wiederholt werde, dass es keine Alternativen gäbe. Für ihn sei entscheidend: es gibt immer bessere Alternativen! Mit Bezug auf die heutige Zeit wies Andreas darauf hin, dass sich die Rahmenbedingungen für friedenspolitische Arbeit dramatisch verändert hätten. Alleine schon wegen der massiven Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und deren ganz erheblichen Auswirkungen. Andreas vertrat die Meinung, dass etliche sogenannte Experten, die z.B. über die USA und die Situation unter Trump berichten, nicht wirklich wüssten, was die Menschen dort bewege. Sie verkehrten nur in Elite-Zirkeln, bedienten sich der Informationen aus sog. Think Tanks und seien noch nie wirklich vor Ort bei den einfachen Menschen, geschweige denn in Slums gewesen. Er selbst habe über zahlreiche, auch familiäre Kontakte beobachtet, wie Menschen zu Trump-Wählern geworden seien, die zuvor noch den Demokraten Bernie Sanders gewählt hätten. Nach seiner Einschätzung würden die erheblichen Wirkungen der neoliberalen Politik nicht deutlich genug gesehen. Mit der Grundidee des Neoliberalismus, dass jeder seines Glückes Schmied sei, würden Deregulierung, Steuersenkung für Reiche und Kostensenkung in allen Bereichen begründet. Das habe dazu geführt, dass große Teile der Bevölkerung herausgefallen seien aus ökonomischen, kulturellen und politischen Bezügen und damit würden indirekt Rechtspopulisten gefördert. Das gelte gleichermaßen für England, die USA und in abgeschwächter Form auch für Deutschland. Fakt sei, so Andreas, dass Globalisierung stattfinde und die Welt zusammenwachse, aber de facto gleichzeitig die Länder untereinander und innerhalb ihren Gesellschaften durch den Wettbewerb auseinanderdriften. Genau diese Entwicklungen seien es, die objektiv unsere politische Arbeit schwerer machten. Auch wenn die Unterscheidung zwischen rechts und links nach wie vor wichtig sei, gehe es doch in erster Linie um die Frage, ob und wie emanzipatorische Entwicklungen gestärkt werden könnten. Und für ihn sei auch klar, dass dies nur global möglich sei, nicht in national abgeschotteten Systemen. Doch gerade weil die Lage heute so schwierig sei, müssten wir uns auch eigene Erfolge bewusstmachen. Bei folgenden Verträgen seien die zivilgesellschaften Akteure aktive und entscheidende Faktoren gewesen:
Zum Abschluss seines Beitrags benannte Andreas seine größte Sorge als Journalist: die unglaubliche Beschleunigung der Informationstechnologie. Der eine Effekt sei, dass gerade Profis (Journalisten) unter immer größeren Zeitdruck geraten würden, eine Information zu veröffentlichen, noch bevor ausreichend recherchiert worden sei. Das gehe ganz klar zu Lasten von Qualität und Glaubwürdigkeit der Informationen und befördere das Misstrauen selbst gegenüber seriösen Medien. Der andere Effekt sei, dass heute praktisch Jeder Nachrichten verbreiten könne, diese Informationen sich exponentiell ausbreiten und damit Fake News Vorschub geleistet würden. Unterm Strich würden beide Effekte dazu führen, dass die für eine Demokratie zentral wichtige freie Meinungsbildung und dem darauf gründenden Dialog zunehmend die Grundlage entzogen werde. Ob und wie dieser Prozess umgekehrt werden könne, sei fraglich. Entschleunigung sei das Gebot der Stunde, aber auch das sei wohl nur schwer realisierbar. Auszüge aus Rückmeldungen zur Tagung 2018"Es war auch in diesem Jahr wieder eine sehr gelungene Tagung. Immer wieder spannend ist die Verbindung von biographischen Elementen mit den inhaltlichen Aktivitäten. Darin wird deutlich, was Menschen für bestimmte Aktivitäten motiviert hat und was man selbst noch aus den unterschiedlichen Beispielen lernen kann. Wir haben uns den Termin für das nächste Jahr notiert und kommen gerne wieder. Vielen Dank für die Mühe und das Engagement." C. u. R.K. "Bei den drei "We shall overcome"-Tagungen, die ich bisher besuchte, ging es eigentlich immer um "Ich - Du - Wir - Begegnungen" (statt "nur" Fakten, Infos …) die lange bei mir nachklingen und zu neuem Bewusstsein und Selbstbewusstsein führen … wenn das nichts ist." H.L. "Noch einmal vielen Dank für die Organisation der letzten Tagung (und den leckeren Kuchen)! Sie war wieder sehr eindrücklich und inspirierend! Ich fand, es war (wieder) ein Austausch auf einem sehr hohen Niveau mit und unter diesen drei Persönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich kann mir vorstellen, dass aus einem solchen Austausch auch eine Zusammenarbeit als alternative "Denkfabrik" werden könnte. Gibt es eigentlich so etwas? Ich denke, für die sozialen Bewegungen wäre es gut, nicht nur Bilder wie das von der einen menschlichen Familie mit der einen Heimat "Planet Erde" zu haben, sondern auch Szenarien, wie wir dahin kommen: Wir machen viele ermutigende Erfahrungen auf dem Weg dorthin, aber es sind eben einzelne Erfahrungen zu ganz unterschiedlichen Zeiten und an ganz unterschiedlichen Orten. Gibt es Visionen, wie diese "kleine Anfänge" über einige Zwischenstationen zu einer weltweiten Überwindung von Machtpolitik führen könnten? Wie können sich unterschiedliche Stränge wie Graswurzelbewegungen, Religionen/Ökumene, UNO gegenseitig kräftigen? Das waren die Fragen, die sich mir nach der Tagung stellten." G.L. Weblinks:
25 Jahre Lebenshaus Schwäbische Alb: Bitte um weitere UnterstützungFür sein gesamtes Engagement ist Lebenshaus Schwäbische Alb fast ausschließlich auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen. Wir wollen 2019 unsere Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit fortsetzen, z.B. über unsere Website und unseren Rundbrief sowie durch die Organisation von Veranstaltungen, wie z.B. der dann 7. Tagung "We shall overcome!" im kommenden Herbst; wir wollen wieder Aktionen organisieren bzw. solche unterstützen, z.B. Protestkundgebungen gegen Abschiebungen in Kriegsländer oder die Unterstützung von Ostermärschen; es gilt weiter Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen, z.B. durch die Begleitung von afghanischen Geflüchteten auf ihrem Weg zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts und einer dauerhaften Perspektive in unserem Land; zu finanzieren sind im kommenden Jahr ebenfalls die Personalkosten für eine 30-Prozent-Teilzeitstelle und einen Minijob sowie der weitere Abbau von Verbindlichkeiten für das vereinseigene Gebäude. Unterstützen Sie Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. mit einer Spende zu unserem 25. Geburtstag, sei es mit einer Einzelspende oder auch mit einer regelmäßigen Spende per Dauerauftrag oder Einzugsermächtigung. Außerdem gibt es die Möglichkeit, uns mit Ihrer Fördermitgliedschaft oder einem zinslosen Darlehen zu unterstützen. Mehr siehe hier Spendenkonto Lebenshaus Schwäbische Alb e.V. Der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V. ist durch das Finanzamt Sigmaringen als gemeinnützig und mildtätig anerkannt (aktueller Bescheid vom 25.10.2018). Spenden und Mitgliedsbeiträge sind daher steuerabzugsfähig. Ab 25 € werden automatisch Spendenbescheinigungen zugestellt, für niedrigere Beträge auf Anforderung (bitte bei Erstspenden Anschrift wegen Spendenbescheinigung angeben). FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
|