Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Proteste gegen empfohlene “Aussetzung” von Vergabe des “Göttinger Friedenspreises”

Seit 20 Jahren vergibt die Stiftung Dr. Roland Röhl den "Göttinger Friedenspreis". Im Februar entschied die dazu verantwortliche Jury, den "Göttinger Friedenspreis" der Vereinigung "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" zuzusprechen. Am Samstag, 9. März 2019, soll in der Georg-August-Universität in Göttingen die feierliche Preisübergabe stattfinden.

Sofort nach der Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers durch die Jury wurde auf diversen Internetseiten mit diffamierenden Antisemitismusvorwürfen und anderen Falschbehauptungen gegen die "Jüdische Stimme" zum Protest gegen diese Preisvergabe aufgerufen.

Seitdem erhalten Mitglieder der Stiftungsorgane und des Präsidiums der Universität, der Göttinger Oberbürgermeister, Vertreter der Sparkasse sowie das Göttinger Tageblatt und das Stadtradio E-Mails und Briefe mit der Forderung, die Preisverleihung ganz abzusagen, vorläufig auszusetzen oder zu überdenken.

Oberbürgermeister Köhler hat am 14.2.2019 unter Berufung auf ihm vorliegende "Vorbehalte" von nicht näher identifizierten "unterschiedlichen Seiten" in einem Schreiben an die Mitglieder der Stiftung empfohlen "die Preisverleihung zunächst auszusetzen". Weiter schreibt der OB, es sei "aus seiner Sicht erforderlich, den Antisemitismusvorwurf (gegen den Preisträger "Jüdische Stimme") vor allem in Bezug auf Zusammenarbeit mit der BDS-Bewegung eindeutig auszuräumen."

Die Hetze gegen die "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost", aber auch die Haltung des Göttinger Oberbürgermeisters Köhler, haben zahlreiche Protestschreiben hervorgerufen. Aus einer Vielzahl von Schreiben dokumentieren anschließend die Schreiben von Erica Fischer, Clemens Messerschmid und Thomas Felder.


Es ist eine Schande. Brief von Erica Fischer an Göttinger OB

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

ich protestiere gegen die Hetze, die derzeit gegen den Verein "Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost" in Gang gesetzt wurde. Sämtliche Mitglieder des Vereins sind Jüdinnen und Juden, viele sogar Israelis, die genau wissen, wovon sie reden, wenn sie die Regierungspolitik Israels kritisieren.

Ich selbst bin seit vielen Jahren Mitglied dieser Organisation. Ich bin Jüdin, meine Großeltern wurden in Treblinka ermordet, und es ist für mich unerträglich, dass in Deutschland einer Vereinigung von Jüdinnen und Juden die Stimme verboten werden soll. Ich bin Mitglied der Jüdischen Stimme, weil mir meine Familiengeschichte eine besondere Sensibilität für die Missachtung von Menschenrechten mit auf den Weg gegeben hat. Der Menschenrechte ALLER Menschen.

Dass der Jüdischen Stimme der Göttinger Friedenspreis verliehen wird, ist für uns Mitglieder eine Freude und Ehre. Es besteht keinerlei Grund, die Preisverleihung "auszusetzen", wie Sie, Herr Oberbürgermeister, empfohlen haben. Der kenntnisreiche Jury-Vorsitzende Andreas Zumach hat in seiner Stellungnahme sämtliche Vorwürfe entkräftet.

Es ist in diesem Land nicht verboten, die Politik eines Landes zu kritisieren. Aber offensichtlich wird jedem/jeder, der/die Israel kritisiert, das Totschlag-Etikett "antisemitisch" umgehängt, auch wenn es sich bei den KritikerInnen um Juden und Israelis handelt.

Nicht die Unterstützung von BDS ist antisemitisch, sondern die Maßregelung von Jüdinnen und Juden in einem Land, in dem man sich solcherlei genau überlegen sollte. Es ist eine Schande.

Mit freundlichen Grüßen,
Erica Fischer
Schriftstellerin


Clemens Messerschmid - 18.2.2019 - Offener Brief an Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler

An: OB H.-G. Köhler, <oberbuergermeister@goettingen.de>
Neues Rathaus
Hiroshimaplatz 1-4
37083 Göttingen

(zur Kenntnis: Frau Prof. Beisiegel, <praesidentin@uni-goettingen.de>;
Herr Hald, <rainer.hald@spk-goettingen.de>)

Betrifft: Friedenspreisverleihung an die Jüdische Stimme

Sehr geehrter Herr OB Köhler, Sie kennen mich nicht, ich Sie nicht.

Zu meiner Person: Ich bin von Beruf Hydrogeologe und seit über 20 Jahren wohnhaft in Ramallah und dort in den besetzten Gebieten der West Bank in deutschen und internationalen Wasserprojekten tätig (und gegenwärtig auch mit Ihrer Uni im Rahmen meiner Doktorarbeit verbunden).

Ich kenne einige der in Deutschland lebenden deutschen und israelischen Mitglieder der Jüdischen Stimme seit Jahren persönlich. Vor allem kenne ich jedoch vor Ort, in Israel, die leider kleine, aufs Engste mit der Jüdischen Stimme verbundene Gruppe aufrechter Aktivisten gegen die Besatzung und Advokaten eines tatsächlich gerechten Friedens. Sie zählen, wie Sie vielleicht wissen, zu einer zunehmend angegriffenen und immer weiter ausgegrenzten Minderheit in Israel, v.a. unter der Rechts- und Siedlerregierung Benyamin Netanyahus. Es gehören leider zunehmend Mut und Zivilcourage sowie tiefe rechtspolitische Überzeugungen und Ausdauer dazu, in dieser gegenwärtigen Phase rasanten Rechtsrucks in Israel, weiterhin das Fähnlein einer echten Aussöhnung mit den Palästinensern und einer Beendigung der schwerwiegenden und mannigfaltigen Unterdrückungsformen durch Israels Regierung, Militärrichter und Militäradministration hochzuhalten.

Die israelischen Mitglieder der Jüdischen Stimme nehmen diese Anfeindungen durch Siedler und andere israelische Besatzungsfanatiker klaglos auf sich. Wirklich unerträglich finden sie hingegen, wenn sich deutsche zivilgesellschaftliche und Regierungsstellen an der Kampagne zur Vertiefung und Unumkehrbarmachung der Besatzung auch noch aktiv beteiligen - insbesondere unter dem infamen Vorwurf des Antisemitismus, und ausgerechnet aus dem Land der Täter, und ausgerechnet an die Adresse genau der jüdischen Streiterinnen, die den Buchenwaldschwur Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! begriffen haben, beherzigen und heute aktiv leben. Nichts weniger tut die Jüdische Stimme, die vor vielen Jahren gegründet wurde, mit dem einzigen Zweck um ihr Scherflein dazu beizutragen, der unerträglichen Besatzung ein rasches und wohlverdientes Ende zu setzen. Alle meine politisch aktiven israelischen Freunde beteuern mir gegenüber und sehen mit größter Sorge die fortschreitende Delegitimierung von Besatzungsgegnern in Deutschland, und sie betrachten diese als Angriff auf ihre ureigensten Bemühungen in Israel!

Ich kenne und wertschätze die European Jews for a Just Peace für genau jene erfrischend klare und laute, aber nicht heisere, sondern tonsichere und vor allem unverfälschte, unverdruckste Stimme und Sprache, wie sie in der Erwiderung an die Helden der Stadtrats-FDP zum Ausdruck kommt. ( Hetz-Pamphlet der Göttinger Rechtsanwältin F. Oldenburg gegen "Jüdische Stimme" anlässlich Auszeichnung mit Göttinger Friedenspreis: Erwiderung )

Frau Oldenburg möchte, zusammen mit nicht wenigen ihrer FDP-Parteifreunde der israelischen Besatzung den Rücken freihalten. Die Jüdische Stimme möchte das glatte Gegenteil. Der Konflikt zwischen beiden ist kein Missverständnis, sondern folgerichtig. Aber es gibt hier keinen neutralen Mittelweg, genauso wenig wie seinerzeit beim Gefangenen Nr. 466/64 auf Robben Island, Nelson Mandela.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, Sie werden durch polemische Hetzer wie die mir weiter nicht bekannte FDP-Stadtratsfrau Oldenburg unter Druck gesetzt - das ist mir völlig klar. Und klar ist mir sehr wohl auch, dass (nicht nur für einen Politiker) allein der Gedanke, in die Nähe einer Duldung und Tolerierung von Antisemitismus, dieser Geisel des 20 Jahrhunderts, gerückt zu werden, unerträglich ist. Für Sie persönlich unerträglich, und malen Sie sich nur aus, wie es den Mitgliedern der Jüdischen Stimme damit geht! Umso wichtiger ist daher, dass Sie eine klare, gut sichtbare und vor allem eindeutige Entscheidung treffen. Sie darin zu bestärken ist Absicht und Anliegen dieses Briefes.

Sie werden in den letzten Tagen viele Argumente pro und kontra ungefragt zugesandt bekommen haben. Erlauben Sie mir daher, nur ein einziges Argument aus meiner eigenen Anschauung vor Ort in Palästina und Israel hinzuzufügen. Lassen sie die wenigen übrigen und mutigen Streiterinnen gegen Besatzung und für Gerechtigkeit in Israel nicht im Stich!

Bedenken Sie für einen Augenblick die Alternative:

Wenn diesen wirklich letzten in Israel verbliebenen ehrlichen Partnern der besetzten Palästinenserinnen nun auch noch international die Legitimität abgesprochen und das Maul gestopft wird: Wer, bitteschön, bleibt dann überhaupt noch auf jüdischer, israelischer Seite übrig, um für Gerechtigkeit, für einen gerechten Frieden die Stimme zu erheben? (Und umgekehrt, sozusagen aus palästinensischer Sicht bedeutet das: Mit wem in Israel soll denn bitteschön Frieden geschlossen werden, wenn nicht mit genau solchen Menschen wie den Vertreterinnen der Jüdischen Stimme?!)

Wollen Sie als Oberbürgermeister der Stadt Göttingen wirklich dereinst von sich sagen müssen, sie hätten zum Verstummen dieser letzten Stimme beigetragen?

Ich weiß, ich habe leicht reden und Rat aus der Ferne ist wohlfeil, aber ich schreibe Ihnen trotzdem dieses: Es bleibt Ihnen aus meiner Überzeugung gar nichts anderes übrig, als den infamen Verleumdungen gegen die Jüdische Stimme energisch und eindeutig entgegenzutreten und im Gegenteil voll Stolz herauszukehren, dass sich die Stadt Göttingen geehrt fühlen darf, diesen Gerechten einen wohlverdienten Preis zukommen zu lassen.

Ich wünsche Ihnen (und uns) den Mut und die Kraft, diese einzig richtige, langfristig tragbare Entscheidung zu treffen.

Mit freundlichen Grüßen, Clemens Messerschmid


Mail von Thomas Felder an OB, Universitätspräsidentin, Sparkassendirektor u.a. (14.02.2019)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Frau Universitätspräsidentin,
sehr geehrter Herr Sparkassendirektor,
sehr geehrte Damen und Herren der Stadt Göttingen,

seit zwanzig Jahren zeichnen Sie mit Ihrem Friedenspreis Institutionen und Einzelpersonen aus, die sich in besonderer Weise für ein friedliches Miteinander unter den Menschen verdient gemacht haben. Mit Ihrer Förderung leisten Sie unmittelbar selbst Friedensarbeit. Vielen Dank dafür!

Unter den Preisträgern finde ich ausschließlich Namen, die mir sehr am Herzen liegen, mit denen ich z.T. auch persönlich verbunden bin. Ganz besonders freue ich mich auf die Preisverleihung am 9.3. an die "Jüdische Stimme". Hier sind engagierte Persönlichkeiten am Werk, die den Mut haben an die Menschenrechte unbescholtener PalästinenserInnen zu erinnern, die unter israelischer Besatzung leiden. Erst vor wenigen Tagen hörte ich auf SWR2 ein ernüchterndes Feature zum Tabu-Thema "Breaking the Silence".

Heute erreicht mich die Nachricht, Sie denken über ein "Aussetzen" der Preisverleihung nach, weil bestimmte Leute die "Antisemitismus-Keule" schwingen. Diese Dam- und Herrschaften wollen der Jury und Ihrer Förderung einen Maulkorb verpassen. Dazu folgendes: Der Konflikt Israel-Palästina kann nur im offenen Dialog aller Beteiligten gelöst werden, zu dem die "Jüdische Stimme" einen herausragenden, vorbildlichen Beitrag leistet. Wir Deutschen sind im Besonderen an diesem Konflikt beteiligt, denn ohne die industrielle Ermordung der Juden mit deutscher Gründlichkeit gäbe es keinen Staat Israel und keine von wem auch immer verschuldete Flucht und Vertreibung der Palästinenser.

Israel versteht sich als demokratischer Staat mit Meinungs- und Religionsfreiheit; diesen Staat gilt es mit aller Kraft zu schützen. Wenn dieser Staat aber gegen das Völkerrecht benachbartes Territorium besetzt und die Rechte dort lebender Menschen massiv einschränkt, haben wir die Pflicht den dafür verantwortlichen Politikern die Grenzen zu zeigen. Der Versuch jener Strategen und ihrer Helfer auf unserem schlechten deutschen Gewissen Klavier zu spielen macht nicht bloß schlechte Musik. Mit ihrer inflationären Begriffsverwirrung in punkto "Antisemitismus" missbrauchen sie die jüdische Religion für machtpolitische Zwecke und verharmlosen den tatsächlich vorhandenen Antisemitismus. Ja, sie verhöhnen auch die jüdischen Opfer des Holocaust.

Bitte bleiben Sie bei der geplanten Verleihung !

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Felder

Musik&Wort
Stöffelburgstr. 2
72770 Reutlingen


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Veröffentlicht am

19. Februar 2019

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