“Ungeheuerlich und ehrverletzend”Die "Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost" unter Antisemitismus-Verdacht zu stellen, ist ein durchsichtiges Manöver, um Kritik an der Politik der israelischen Regierung mundtot zu machen. Der "Göttinger Friedenspreis", der im letzten Jahr noch an Konstantin Wecker verliehen wurde, sollte in diesem Jahr an eine jüdische Organisation gehen, die sich für Gerechtigkeit und einen menschlichen Umgang mit Palästinenser*innen einsetzt. Nachdem u.a. der Zentralrat der Juden dagegen protestiert hatte, plädierten Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler, Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Göttinger Universität, und Rainer Hald, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Göttingen dafür, die Preisverleihung auszusetzen. Der Vorwurf - an Jüdinnen und Juden wohlgemerkt: Antisemitismus. Für Nirit Sommerfeld, Laudatorin bei der Preisverleihung, eine absurde und kränkende Verdrehung der Tatsachen. Offener Brief von Nirit SommerfeldSehr geehrter Herr Oberbürgermeister Köhler, Sie wollen den Antisemitismus-Verdacht, der gegen die "Jüdische Stimme" erhoben wurde, eindeutig ausräumen? Gut so - wenn Sie Ihre Augen, Ihren Verstand und Ihr Herz öffnen, tief durchatmen und genau hinsehen, sollte das keine fünf Minuten dauern. Merken Sie gar nicht, dass Sie Leuten auf den Leim gehen, die ganz anderes im Schilde führen, als wirklichen Antisemitismus zu bekämpfen?! Merken Sie nicht, dass alle Anstrengungen, die in die Richtung gehen, die ‘Jüdische Stimme’ unter Antisemitismus-Verdacht zu stellen, in Wirklichkeit verhindern wollen, dass Kritik an der israelischen (nicht jüdischen!) Besatzungspolitik stumm gehalten wird? Ich habe die Ehre, die Laudatio bei der Preisvergabe an die ‘Jüdische Stimme’ zu halten. Ich selbst bin in Israel geboren, bin Tochter eines deutschen Holocaust-Überlebenden und einer seit Generationen in Jerusalem ansässigen jüdisch-arabischen Familie. Ich sitze gerade ‘Shiva’ in der Wohnung meiner vor wenigen Tagen verstorbenen Mutter - ‘Shiva’ ist die siebentägige Trauerzeit, die Juden traditionell im Hause der Verstorbenen verbringen. Ich mache mir hier Gedanken über die Worte, die ich für die Laudatio wählen will, um den Anwesenden zu erklären, warum es so wichtig ist, dass gerade Juden gegen Unrecht, gegen Gewalt und Besatzung, für gleiche Rechte unter allen Menschen, für Gerechtigkeit und für das bedingungslose NIE WIEDER! einstehen, das wir nach dem Zivilisationsbruch, der großen Katastrophe des Holocaust erleben mussten. Für diesen Mut, für dieses Einstehen, für diesen Versöhnungswillen, für diesen Kampfgeist gegen alle Widerstände soll die ‘Jüdische Stimme’ in Göttingen geehrt werden. DAS HAT MIT JÜDISCHEN WERTEN ZU TUN. Wollen Sie, deutsche Nicht-Juden, uns eines Besseren belehren?! Ist Ihnen eigentlich klar, welche Ungeheuerlichkeit hier geschieht, indem SIE ALS DEUTSCHE UNS JUDEN HIER IN DEUTSCHLAND ANTISEMITISMUS UNTERSTELLEN??? Ist Ihnen klar, welche Grenzen hier überschritten werden, welche Ehrverletzung hier stattfindet? Ist Ihnen klar, wie Sie als Deutsche mit Ihrem Erbe uns als Juden in Deutschland mit unserem Erbe diffamieren?! Ist Ihnen wirklich klar, was hier geschieht??? Sie, meine Dame, meine Herren, werden hier instrumentalisiert, um eine Preisverleihung zu verhindern und damit jüdische Menschen mundtot zu machen, die - WEIL ES SIE EXISTENTIELL ETWAS ANGEHT - gegen eine rechtsgerichtete, rassistische, Kriegführende Regierung kämpfen, und zwar AUSSCHLIESSLICH MIT GEWALTFREIEN, LEGITIMEN MITTELN! Ob man Boykotte und Sanktionen mag oder nicht, darüber kann man diskutieren, das ist hier aber vollkommen nebensächlich. Doch dieser Nebenschauplatz eignet sich trefflich, um Sie ins Boot derer zu holen, die Sie dahingehend manipulieren wollen, damit Kritik an israelischer Besatzungspolitik verhindert wird. Ich fordere Sie auf, umgehend den Empfehlungen des Jury-Vorsitzenden Andreas Zumach, der die Antisemitismus-Vorwürfe eindeutig entkräftet hat, zu folgen! Eine Aussetzung des Göttinger Friedenspreises, die Rücknahme der Preisverleihung würde einen Skandal ohne gleichen nach sich ziehen. Wenn Sie dies zu verantworten haben, werden Sie früher oder später bittere Konsequenzen zu tragen haben. Sollten Sie Zweifel haben, stehe ich jederzeit gerne für ein persönliches Telefongespräch zur Verfügung. In Erwartung einer schnellstmöglichen Antwort verbleibe ich mit freundlichen Grüßen, Nirit Sommerfeld deutsch-israelische Künstlerin
www.niritsommerfeld.com
Quelle: Hinter den Schlagzeilen - 21.02.2019. Weitere Weblinks:
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