Die Khudai-Khidmatgar-(Diener Gottes)Bewegung: Badshah Khan und die Nordwestgrenzprovinz Britisch Indiens (1933-1937)Von Lester Kurtz, Juli 2009 [Deutsch im April 2019 von Ingrid von Heiseler] 1929 machte die von Khan Abdul Ghaffar Khan geführte Khudai-Khidmatgar-(Diener-Gottes-)Bewegung gewaltfrei mobil und trat den Briten in der Nordwestgrenzprovinz Britisch Indiens entgegen. Ghaffar Khan und die Khudai-Khidmatgar-Bewegung inspirierten Tausende Paschtunen (auch Pathanen genannt), die als leidenschaftliche Krieger bekannt waren, und andere dazu, ihre Waffen niederzulegen und zivilen Widerstand gegen die britische Herrschaft zu leisten. Zunächst hatte Ghaffar Khan sich um Sozialreformen bemüht, später trat er mit Gandhi und dem Indischen Nationalkongress (INC) in Verbindung. Er und seine Khudai Khidmatgar wurden während der Kampagne zivilen Ungehorsams 1930/32 des INC zu einer starken Kraft und trugen dazu bei, dass der INC 1937 die Wahlen in der Provinz gewann. Badshah Khan stellte die erste gewaltfreie Armee der Welt auf. Sie umfasste vielleicht 100.000 Pathanen Die Schätzungen der Anzahl der Mitglieder der Bewegung weichen stark voneinander ab, im Allgemeinen werden 100.000 angenommen. Gandhis Sekretär Pyarelal (1950, p. 37) behauptet, dass es in den 1930er Jahren mehr gegeben habe., die bei ihrem Eintritt in die Diener-Gottes-Bewegung einen feierlichen Eid abgelegt hatten. Darin hieß es u.a.: "Da Gott keines Dienstes bedarf … verspreche ich, der Menschheit im Namen Gottes zu dienen. Ich verspreche, mich jeglicher Gewalt und Rache zu enthalten. Ich verspreche, denen zu vergeben, die mich unterdrücken oder grausam behandeln. Ich verspreche, wenigstens zwei Stunden am Tag Gemeinschaftsarbeiten zu widmen." (Tendulkar 1967, p 59) Die Mitglieder der Bewegung wurden wegen ihrer roten Uniformen "Rothemden" genannt. Ursprünglich organisierten sie Dorfprojekte und eröffneten Schulen, aber schon bald traten sie der breiteren indischen Unabhängigkeitsbewegung bei. Sie erlitten die schlimmsten Repressionen durch die Briten und akzeptierten sie, ohne Vergeltung zu üben. Die Repressionen bestanden im Beschießen Unbewaffneter, in Folter, Demütigung, Brandschatzung von Häusern und Feldern und sogar in der Zerstörung ganzer Dörfer. Während der Bewegung des zivilen Ungehorsams 1930 wurden die Rothemden von der Opposition des INC gegen die britische Herrschaft und der charismatischen spirituell-politischen Führung durch Mahatma Gandhi inspiriert und erlebten ihre Blütezeit. Die Briten reagierten auf ihre Mobilisierung damit, dass sie von August 1930 bis Januar 1931 das Kriegsrecht über die Nordwestgrenzprovinz verhängten. Zwar brach die Führung des INC die Kampagne des zivilen Ungehorsams 1934 ab, aber Ghaffar Khan wurde dennoch verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Begründung: Er habe im Dezember 1934 eine angeblich aufrührerische und provozierende Rede gehalten. 1937 schuf die Regierung von Indien ein neues Gesetz, das Wahlen für eine Legislative zuließ, die allerdings unter britischer Kontrolle bleiben sollte. Das Gesetz war eine Reaktion der Briten auf die Unabhängigkeitsbewegung. Die Khudai-Khidmatgar-Bewegung trug zum Wahlerfolg der neuen Provinzregierung unter der Führung von Ghaffar Khans Bruder Khansahib be; sie stand dem INC nahe. Khansahib blieb [trotz Schwierigkeiten] bis zur Schaffung Pakistans 1947 im Amt. Die Bewegung erreichte viele ihrer politischen Ziele, z.B. eine Zunahme an Autonomie der Paschtunen und Konzessionen an die paschtunische Identität (z.B. wurde in den Schulen PashtoSchreibweise und Aussprache des Wortes: Die Sprache heißt Pas(c)hto. Da Pashto mit arabischen Buchstaben geschrieben wird, steht für o und u ein und derselbe Buchstabe, das "wow" (?) Man muss also wissen, wie das jeweilige "wow" ausgesprochen wird. Das "c" steht deshalb in Klammern, weil es dabei nicht um unterschiedliche Transkribierungen im Englischen und im Deutschen geht, sondern um einen Laut, den es nur im Pashto gibt und der sich in der Aussprache zwischen den deutschen "sch-" und "ich"-Lauten bewegt. Die deutsche Variante weicht auf "paschtunische Sprache" aus. gelehrt). Allerdings erreichte sie nicht die völlige Unabhängigkeit, die sie anstrebte. Der Wahlsieg führte dazu, dass ein großer Teil der Energie der Bewegung für notwendige Kompromisse mit den Briten gebunden wurde. Ghaffar Khan wurde zur Zeit der Wahl aus der Provinz verbannt. Er wollte ohnehin nicht an der Wahlkampagne teilnehmen, weil er sich Sorgen über eine mögliche negative moralische Wirkung der Politik auf die Bewegung machte. Zu den großen Reformen der Zeit gehörte die Entlassung politischer Gefangener, eine Landreform und der Gebrauch von Pashto als Unterrichtssprache in den Schulen. Der Volksentscheid von 1947 lief darauf hinaus, dass die Grenzprovinz zu einem Teil Pakistans wurde. Ghaffar Khans Unzufriedenheit mit Pakistan brachte ihn dazu, dass er für die Schaffung eines autonomen "Paschtunistans" war In seinen Reden weist er diese Anschuldigung immer wieder als unbegründet zurück. Dort sagt er, er wolle eine autonome paschtunische Provinz unter dem "Dach" Pakistan, eine Wohnung im Haus Pakistan. Anm. der Übersetzerin., infolgedessen wurde er von der pakistanischen Regierung ins Gefängnis geworfen. Die Bewegung schwand dahin, nachdem sie sich bei der Wahlpolitik engagiert hatte, aber sie wurde für den zeitgenössischen muslimischen gewaltfreien Widerstand, der in der islamischen Tradition wurzelt, zu einem Orientierungswert. Politische GeschichteDie Nordwestgrenzprovinz Britisch Indiens war - auf dem Landweg über den Khyberpass - als Tor nach Indien von großer strategischer Bedeutung. Die Briten erkannten den Wert für ihr Empire und versuchten beharrlich, Kontrolle über die Provinz zu bekommen. Der zivile Widerstand dort wurde mit schweren Repressionen und vielen Strafexpeditionen geahndet. Soldaten begingen Brutalitäten gegen die paschtunischen Bewohner der Region, auch gegen die, die sich nicht am Widerstand beteiligten: Dazu gehörten Demütigungen, homoerotische Bestrafungen, Folter und andere Handlungen, die die ohnehin schon empfindliche Ehre der Paschtunen verletzten. Dass Paschtunen die Unabhängigkeit von den Briten anstrebten, gehörte zu der im Laufe von Jahrhunderten gewachsenen Tradition, sich gegen die unterschiedlichen Besatzer aufzulehnen. Bei Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts vollendete die British East India Company das dritte Jahrhundert ihres Engagements in der Region. Die von Ghaffar Khan geführte Khudai-Khidmatgar-Bewegung war Teil des komplexen Musters des Widerstandes. Dieser Widerstand gehörte zu Ghaffar Khans Familienvermächtnis: Sein Urgroßvater war von den Briten zum Tode verurteilt worden und sein Großvater und sein Vater gehörten einem gewaltsamen muslimischen Dschihad gegen die britische Herrschaft an. Die Mudschahedin hatten in vergangenen Jahrhunderten erfolglos versucht, einen bewaffneten Widerstand gegen das Raj aufzubauen; diese Versuche waren in Ghaffar Khans Zeit zusammengebrochen. In den Jahrzehnten vor dem Erlangen der Unabhängigkeit war der Widerstand lange Zeit zwischen dem Indischen Nationalkongress auf der einen und der Moslemliga auf der anderen Seite geteilt. Die Opposition der Moslemliga gegen die Briten war zunächst recht lau und das führte dazu, dass sich die Khudai Khidmatgars dem Kongress anschlossen. Ghaffar Khan schwankte manchmal unbehaglich zwischen beiden, da er als frommer Moslem, noch dazu in einem überwiegend muslimischen Land, mit dem von Hindus beherrschten Kongress zusammenarbeitete. Wie M. S. Korejo (1993) richtig beobachtet hat, gab es bei den Khudai Khidmatgar einige Widersprüche, die die Entwicklung der Bewegung erschwerten. Die Bewegung gründete sich zwar auf ein universalistisches Verständnis des Islam und stand jedem offen, aber sie gründete sich auch auf die Einheit der Paschtunen, die eine eigene Identitätsgruppe waren. Außerdem war sie eine gewaltfreie Bewegung, die in der Folge des gewaltsamen Widerstandes gegen die britische Herrschaft gegründet worden war - einige Mitglieder beider Gruppen waren dieselben. Badshah Khan erlebte zwei Freiheitsbewegungen in der Region: eine gewaltsame und eine gewaltfreie. Er sagte, die gewaltsame Bewegung predige Hass und noch mehr Gewalt und die gewaltfreie Bewegung predige Liebe und Geschwisterlichkeit. Er sprach von "einem neuen Leben für die Pathanen" und "einer großartigen herrlichen Revolution in Kunst, Kultur, Dichtung und dem gesamten gesellschaftlichen Leben". Strategische AktionenDie Khudai-Khidmatgar-Bewegung war streng organisiert. Einerseits gab es einen demokratischen Rat und andererseits einen Aktivistenzweig mit militärischer Organisation. Dieser unternahm im Rahmen seines zivilen Widerstands gegen die britische Herrschaft viele verschiedene gewaltfreie strategische Aktionen. Als Gandhi 1938 zum ersten Mal die Grenzprovinz besuchte, kam er zu dem Urteil, dass die Bewegung dort nicht der Gewaltfreiheit als einem Prinzip, sondern Ghaffar Khan als ihrem Führer treu ergeben war. Zwar betont der Eid der Khudai Khitmatgar Gewaltfreiheit, jedoch war für viele von ihnen der Einsatz gewaltfreier Mittel eher eine Strategie, als dass er auf dem Glauben an Gewaltfreiheit beruht hätte. In ihren Anfängen gründete die Bewegung Schulen und führte Programme für die Verbesserung des Lebens in den Dörfern durch (z. B. Einrichtung sanitärer Anlagen, Trinkwasserversorgung und Wirtschaftskooperativen). Damit bauten sie Kapazitäten auf und bereiteten die Menschen auf direktere Aktionen gegen die britische Herrschaft vor. Die Briten betrachteten die Gründung von Schulen als Akt des zivilen Ungehorsams und Personen, die damit in Verbindung standen, wurden bestraft oder eingesperrt. 1930 begann Ghaffar Khan, die Kampagne des zivilen Ungehorsams des INC mit z. B. Folgendem zu unterstützen: Demonstrationen, Streikposten aufstellen und der Schaffung einer Bewegung, in der parallel zueinander ein demokratisch ziviler und ein hierarchisch organisierter gewaltfreier Zweig in militärischem Stil bestanden. Die Briten reagierten mit brutalen Repressionen, die dazu führten, dass, obwohl große Opfer damit verbunden waren, die Mitgliederzahlen der Bewegung anstiegen. Schließlich wurde die Bewegung, bis die Briten 1947 die vollständige Unabhängigkeit anerkannten, durch Gleichschaltung geschwächt, und zwar durch eine begrenzte Übereinkunft, bei der die Macht unter den verschiedenen Parteien aufgeteilt wurde. Einige spezifische strategische Aktionen der Bewegung sind die im Folgenden genannten: Protest und Überzeugungsarbeit
Nichtzusammenarbeit
Gewaltfreie Intervention
Darauf folgende EreignisseTrotz der Unabhängigkeit vom Britischen Empire, woraus sich 1947 die Schaffung eines formell demokratischen Pakistans ergab, haben die Menschen der Region wenig Verbesserungen in ihrer wirtschaftlichen Lage und ihren bürgerlichen Freiheiten erfahren. Ghaffar Khan war zwar gegen die Teilung Britisch Indiens in Indien und Pakistan, er schwor dem pakistanischen Staat jedoch Loyalität. Trotzdem wurde er wiederholt für zivilen Widerstand gegen die Politik der neuen Nation und angeblichen Separatismus ins Gefängnis gesperrt und ging schließlich nach Afghanistan ins Exil. Die pakistanische Regierung fühlte sich durch die Forderung der Khudai-Khidmatgar-Bewegung nach Autonomie für die Paschtunen bedroht. Sie versuchte das, was von der Bewegung übrig war, zu vernichten, sperrte ihre Führer ins Gefängnis und versuchte bis vor Kurzem, die Erinnerung an die Bewegung aus der Landesgeschichte zu tilgen.Ein Beispiel dafür ist die wissenschaftliche Untersuchung Sayed Wiqar Ali Shahs (2015), vgl. Ende der Literaturhinweise. Die unruhige Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan wurde zeitweise für die Begräbnisfeierlichkeiten für Badshah Khan geöffnet. Massen aus beiden Ländern nahmen daran teil, jedoch beeinträchtigte eine Bombenexplosion die Veranstaltung während der Zeremonie. Die Awami National Party, deren erster Führer Ghaffar Khans Sohn Abdul Wali Khan war, gewann 2008 die Wahlen in der Provinz. Die Partei versucht, das Vermächtnis der Khudai Khitmatgar wiederherzustellen. Literaturhinweise
Außerdem:
ICNC International Center on Nonviolent Conflict
Die Zusammenfassung des Konflikts wurde vom International Center on Nonviolent Conflict (ICNC) herausgegeben. ICNC ist eine Bildungsorganisation, die sich der Entwicklung und Verbreitung von Wissen widmet, das im Zusammenhang mit gewaltfreien zivilen Widerstands-Bewegungen für Menschenrechte, Freiheit und Gerechtigkeit in aller Welt zu tun hat. Weitere Informationen unter https://www.nonviolent-conflict.org/about/our-work/ . FußnotenVeröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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