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Empathie statt Identifikation

Zur Antisemitismusdebatte, für die Wahrnehmung einer palästinensischen Sprechposition.

Von Riad Othman

"Empathie wird irrtümlich mit Identifikation oder Fusion mit dem Anderen gleichgesetzt", schreiben Bashir Bashir und Amos Goldberg in der von ihnen herausgegebenen Anthologie "The Holocaust and the Nakba". Und weiter: "Identifikation folgt der riskanten Phantasie universaler Ähnlichkeit, die nach Homogenität trachtet und Unterschiedlichkeit auslöscht. Wenn sie vorkommt, operiert sie auf zwei Arten - Aneignung oder Unterwerfung. Identifikation ist deshalb immer mit narzisstischen Impulsen verbunden und zeigt einen Typus von Illusion an, der potentiell aggressiv und gewalttätig ist." Das erklärt in Teilen, weshalb die Diskussion über den israelisch-palästinensischen Konflikt hierzulande so erbittert geführt wird.

Oft ist nicht Empathie Ausgangspunkt einer Beschäftigung mit Israel und Palästina, sondern Identifikation. Während sich die identifizierende Palästina-Solidarität in einer kleinen Nische bewegt, ist die Identifikation mit Israel Staatsräson. Dabei vermischen die israelische Regierung und ihre Unterstützer hierzulande auf unzulässige Weise Begriffe und Themen: die Kritik an der Siedlungspolitik und Abriegelung Gazas wird gegen die deutsch-jüdische Geschichte, den Holocaust und die sich daraus ableitende Rolle gegenüber dem Staat Israel aufgewogen. Antisemitismus und der Zionismus als eine nationale Bewegung werden in einen Topf geworfen mit einem Zionismus, der ein koloniales Projekt ist, und einem Antizionismus der palästinensischen Bevölkerung, der aus der Kolonialismus- und Besatzungserfahrung gespeist ist. Diesen Antizionismus mit dem europäischer Linker zu vermischen hat System. So werden alle diese Fragen verkürzt, vermischt und, wo nicht zweckdienlich, ignoriert. Die Vermischung findet nicht statt, weil alles mit allem zusammenhinge, sondern weil bestimmte Debatten und legitime Meinungen unterdrückt werden sollen.

medico berichtet regelmäßig über die Ereignisse und verteidigt das palästinensische Recht auf Widerstand in einem Kontext von Unterdrückung, Ausgrenzung und einer Art moderner Gefängnishaltung, wie er in Gaza vorliegt. Im Sinne einer kritischen Solidarität hindert uns das nicht daran, die Instrumentalisierung legitimer Proteste, zum Beispiel durch die Hamas, zu thematisieren. Wir nehmen wie unsere Partnerinnen und Partner einen Platz zwischen den Stühlen ein. Gegen die Verweigerung der Empathie für die palästinensischen Opfer und die Delegitimierung ihrer Sprechpositionen, wie sie in einem Plakat in Frankfurt mit der Losung "Palästina, halt’s Maul" zum Ausdruck kamen, verwahrt sich medico.

Diese Delegitimierung ist ein Spiegelbild der Indienstnahme der Shoah durch die israelische Regierung und ihres Umgangs mit der Nakba, der Vertreibung und Flucht von über 80 Prozent der palästinensischen Bevölkerung aus den Gebieten, die zu Israel wurden. "Der Versuch, die Erinnerung an die Nakba in der israelisch-jüdischen Gesellschaft auszulöschen, war selbst eine aktive gesellschaftliche Kraft, von der physischen Zerstörung arabischer Dörfer zum symbolischen Schweigen über die Erinnerung in Geschichtsbüchern und öffentlichen Äußerungen", schreibt der israelische Historiker Alon Confino. Bis heute versucht der israelische Staat, das Gedenken daran möglichst zu unterbinden. Ein Gesetz droht seit 2011 Vereinen mit Sanktionen, falls sie sich dem widersetzen. In Israel wurde verstanden, dass der eigentliche Streitpunkt mit 1948 zusammenhängt, nicht mit 1967. Das offizielle Schweigen über die Nakba entspricht der historischen Rivalität der beiden Nationalbewegungen, von denen jede für sich ein traumatisches Gründungsereignis in Anspruch nimmt: die zionistische den Holocaust, die palästinensische (auch innerhalb Israels) die Nakba.

Kritische Stimmen aus dem arabischen Raum werden in der deutschen Debatte leider kaum rezipiert. Der Politikwissenschaftler Nadim Khoury analysierte, dass sich die Forderung nach der palästinensischen Anerkennung des Existenzrechts Israels, ohne dafür die Anerkennung des eigenen Leidens von 1948 erwarten zu dürfen, auch in den Osloer Abkommen widerspiegelt: "Ein neues nationales Narrativ entlang der Grünen Linie zu erzählen ist nicht ein politischer Fetisch, sondern ein entscheidender Schritt im Bestreben der Autonomiebehörde, Eigenstaatlichkeit durch internationale Anerkennung zu sichern. Um sich der Eigenstaatlichkeit würdig zu erweisen, musste die Behörde beweisen, dass sie einen Staat in den Grenzen von 1967 akzeptieren würde. Die narrative Teilung war in die Zwei-Staaten-Lösung eingebettet."

Der Schriftsteller Elias Khoury bezeichnete die Forderung nach der gegenseitigen Anerkennung von Holocaust und Nakba als eine "Beleidigung der moralischen Vernunft". "Eine solide moralische Haltung ist von jeder Form der Verhandlung strikt getrennt, und das Zwischenspiel moralistischer spiegelbildlicher Abbildungen ist hier irrelevant. Vor allem als Mensch, als Libanese von Geburt und Palästinenser qua Zugehörigkeit, erkläre ich, dass ich keine Vorbedingungen dafür habe, die Grauen des Holocaust anzuerkennen. Der Holocaust ist meine Verantwortung als Angehöriger der menschlichen Rasse, obwohl er ein Produkt des europäischen Faschismus war." Khoury und andere fordern, dass die Narrative der Nakba und der Shoah nicht in Konkurrenz stehen sollten. Historisch sind die Ereignisse miteinander verwoben. Identifikation miteinander ist von den Konfliktparteien nicht zu erwarten. Sie wäre auch nicht förderlich. Empathie und eine Haltung nach dem Vorbild Khourys würden dagegen niemandem schaden.

Dieser Text ist entstanden in Fortführung der Debatte auf der medico-Webseite, die mit dem Text "Antisemitismus, Israel, BDS - Für ein Denken in Widersprüchen" von Katja Maurer begann, der vielfältig diskutiert und kritisiert wurde.

Quelle: medico international - 03.04.2019. Dieser Beitrag erschien zuerst im medico-Rundschreiben 1/2019.

Veröffentlicht am

06. April 2019

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