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Venezuela: Erneut verkalkuliert

Die Bundesregierung hat mit Juan Guaidó einen Hasardeur anerkannt, der offenbar außerstande ist, Kräfteverhältnisse in seinem Land real einzuschätzen

Von Lutz Herden

Der selbst ernannte, durch keine Wahl legitimierte "Präsident" Juan Guaidó dürfte seine Gönner in Washington, Berlin, Brasilia, Bogota und anderswo zur Verzweiflung bringen. Erneut hat er versucht, einen seit nunmehr drei Monaten geführten, aber bislang erfolglosen Machtkampf auf die Spitze und zur Entscheidung zu treiben. Diesmal sollte ihm die Armee Venezuelas - zumindest ein relevanter Teil davon - zum Durchbruch verhelfen, auch wenn damit womöglich ein Bürgerkrieg in Aussicht stand und mit Tausenden von Toten zu rechnen war. Offenbar darf der Preis für einen Regimewechsel hoch sein, Hauptsache er findet statt. Die Putschisten adelt der Präsidentensturz.

Die in deutschen Medien geäußerte Vermutung - Guaidó habe nicht zuletzt die USA zum Handeln und zur Intervention treiben wollen - ist Ausdruck von Wunschdenken. Wer glaubt ernsthaft, dass es Donald Trump riskiert, anderthalb Jahre vor der nächsten US-Präsidentschaftswahl mit Truppen in Venezuela einzumarschieren? Da mit Widerstand zu rechnen sein würde - sei es durch die venezolanischen Streitkräfte, sei es durch die in Milizen formierten Anhänger des Chavismus - würden Opfer auf amerikanischer Seite kaum ausbleiben. Auch könnte man schwerlich abziehen, bevor nicht die Situation im Sinne der USA und der venezolanischen Rechten vollends bereinigt sein würde. Spätestens hier wird klar, wie sehr eine Intervention zum Wagnis geriete, um nicht zu sagen: gefährlichen Abenteuer.

Wie soll Trump ein US-Besatzungskorps, das in einen möglichen venezolanischen Bürgerkrieg verstrickt ist, im Wahlkampf erklären? Seit drei Jahren verkündet er: Die USA sind nur noch für sich selbst da. Sie ziehen sich aus Konflikten zurück, die sie belasten - Syrien, Irak, Afghanistan. Sie holen nicht mehr für andere die Kastanien aus dem Feuer.

Verhängnisvolle Tradition

Um einiges plausibler erscheint stattdessen, dass nicht Guaidó mit seinen US-Paten, sondern die mit ihrem Mündel in Caracas die Geduld verloren haben und Taten sehen wollen. Sieht sich der Maduro-Herausforderer gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten, um endlich zu "liefern" und für die konziliante Protektion vieler westlicher Staaten zu danken? Schließlich ist gerade der deutsche Außenminister, der Guaidó bereits anerkannt hat, in der Gegend unterwegs. Heiko Maas hat mit Jair Bolsonaro den Militärdiktaturen schätzenden Präsidenten Brasiliens und mit Iván Duque den nicht groß anders gepolten Staatschef Kolumbiens besucht, da wären sicher auch Glückwünsche für einen siegreichen Putschisten in Caracas abgefallen. Aber was jetzt nicht ist …

Guaidó hat oft genug beschworen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die venezolanische Armee umschwenkt, ihre Generäle zu ihm überlaufen und Nicolás Maduro fallen lassen. Der Beweis schien fällig, dass er sich nicht irrt. Dass er zum Realpolitiker taugt, nicht zum Hasardeur.

Für einen per Staatsstreich ausgelösten Regime change hätte es in Washington kaum an der nötigen Rückendeckung gefehlt. Dass es koordinierte Vorkehrungen gab, darauf verweist allein das Verhalten des Anti-Maduro-Lagers in Lateinamerika. Kaum hatte sich Guaidó am 30. April mit einer Gruppe aufständischer Soldaten gezeigt, veröffentlichte die Lima-Gruppe eine Erklärung. Darin hieß es, man solidarisiere sich mit Guaidó und werde das von ihm installierte Regime anerkennen. Besonders die derzeitigen Führer Brasiliens, Argentiniens, Perus, Guatemalas und von Honduras dürften wissen, welchem Götzen sie zu Gefallen sind. Durch ihr Bekenntnis zu einem gewaltsamen Machtwechsel in Caracas bedienen sie die verhängnisvolle Tradition des Putschismus von rechts, vor der man glaubte und hoffte, dass sie der Subkontinent nach den Diktaturen der Pinochet, Videla, Stroessner, Somoza, Bordaberry und manch anderer für immer hinter sich haben würde.

Weltpolitisch aufgeladen

Und noch etwas verdient Beachtung, wenn es stimmt, was US-Außenminister Pompeo verbreitet, dass nämlich Präsident Maduro kurz vor der Flucht nach Cuba stand, aber von Russland überzeugt wurde, nicht zu kapitulieren, dann lässt sich daraus ersehen, wie sehr die Schlacht um Venezuela inzwischen als internationaler Konflikt firmiert und die Weltpolitik beschäftigt. Da sich auch China gegen einem Sturz Maduros, stattdessen für eine politische Lösung ausgesprochen hat, bleibt für die derzeitige Führung in Caracas vielleicht mehr als eine Gnadenfrist. Maduro jedenfalls konnte nichts Besseres einfallen, als den mutmaßlichen Heilsbringer Guaidó als freien Mann gewähren zu lassen. Unter diesen Umständen gerät er womöglich schneller an die Grenzen seiner Möglichkeiten als in Haft, im Hausarrest oder im Exil.

Quelle: der FREITAG vom 01.05.2019. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

03. Mai 2019

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