Laudatio für Hanne und Klaus Vack: Ihr habt dazu beigetragen, die Bundesrepublik zu verändernVon Jürgen Seifert - Laudatio für Hanne und Klaus Vack bei der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises am 30.08.1996 in Mutlangen: Es geschah vor 13 Jahren am 1. September 1983 um 4.45 Uhr in Mutlangen. Einige hundert Demonstranten (und nahezu ebenso viele Reporter aus aller Welt) rückten vor auf die US-Basis für Mittelstreckenraketen, um diese zu blockieren. Das Aufblinken oder Kreisen amerikanischer Scheinwerfer zeigte uns, wem wir gegenüberstanden. Ich fragte Werner Holtfort, der neben mir stand: "Was hast Du um diese Zeit, 1939, gemacht?" Der auf vielen Feldern aktive Bürgerrechtler antwortete: "Ich saß als Fähnrich auf dem Pferde. Wir überschritten die Grenze nach Polen. Ich hielt das für richtig." Das Symbolische der Situation und die Offenheit dieser Worte (die uns zu Freunden werden ließ) werde ich nicht vergessen. Noch war ungewiss, wie die Polizei gegen uns (und das hieß konkret: auch gegen Teilnehmer wie Heinrich Albertz, Heinrich Böll, Erhard Eppler, Helmut Gollwitzer, Günter Grass, Oskar Lafontaine und Walter Jens) vorgehen würde. Doch als wir uns vor den Toren der US-Basis auf die Straße setzten, war zu erkennen: Die Amerikaner hatten sich selbst mit Stacheldraht verbarrikadiert. Damit war klar: Niemand von und würde weggetragen. Der zivile Ungehorsam der "Promis" wurde von Roman Herzog, der damals in Baden-Württemberg als Innenminister amtierte, als solcher anerkannt. Bei späteren Blockaden war das anders. Vielleicht hat gerade dies dazu geführt, dass die dreitägige Blockade in Mutlangen in der Öffentlichkeit eine heute unvorstellbare Resonanz hatte. Mutlangen wurde zum Beispiel. Wir sind heute hier, um diejenigen zu ehren, die durch harte Organisationsarbeit wesentlich dazu beigetragen haben, dass dieser Ort zum Symbol für die Friedensbewegung wurde. Die Form des zivilen Ungehorsams - wie sie seit Mutlangen praktiziert wurde - hat gewalttätige Aktionen verhindert und gegenüber der Öffentlichkeit (und auch dem Bundesverfassungsgericht) deutlich gemacht, wie unsinnig es ist, gewaltlose Aktionen juristisch als Anwendung von Gewalt zu bestrafen. Vermutlich hat auch der Blick auf die Rechtskultur der Vereinigten Staaten dazu beigetragen, dass auch in der Bundesrepublik die Gleichsetzung einer symbolischen Grenzüberschreitung mit einem "Angriff auf den Rechtsstaat" weithin überwunden werden konnte. Das politische Wirken von Hanne und Klaus Vack zeigt, dass sie seit über vier Jahrzehnten für die Wahrung des Friedens und die Geltung der Grundrechte eingetreten sind. Das tun heute in der Bundesrepublik mehr Menschen als früher. Weshalb Hanne und Klaus Vack unsere Aufmerksamkeit verdienen, will ich in vier Sätzen zusammenfassen:
Der Name von Hanne und Klaus Vack steht für solche Menschen, die Vertrauen besitzen und die Fähigkeit, Massen für die Sache des Friedens und der Menschenrechte in jeweils neuen Formen zu mobilisieren. Es war Eure Glaubwürdigkeit, die Menschen dazu gebracht hat, sich gemeinsam einzumischen. Das, was Ihr mit in Gang gesetzt habt, hat die Bundesrepublik verändert. Ein untrügliches Gespür dafür, wann Menschenrechte und Frieden gefährdet sind, und die Fähigkeit, in solchen Situationen massenhaften Protest zu organisieren, sind in Hanne und Klaus Vack wie zwei Seiten einer Medaille untrennbar miteinander verschmolzen. Wer Klaus Vack nur flüchtig kennt (und mir ist es vor drei Jahrzehnten zunächst auch so gegangen), denkt bald: Das ist ein guter Organisator. Ich weiß noch wie ich 1966 von Klaus Vack eine dicke Mappe erhielt zur Vorbereitung des entscheidenden Gespräches mit dem IG-Metallvorsitzenden Otto Brenner, bei dem der Grundstein für das "Kuratorium Notstand der Demokratie" gelegt wurde. Vack durfte (es waren taktische Gründe der IG-Metall) nicht dabei sein. Ich habe ihn damals Brenner gegenüber mit den Worten gerühmt: "Er gehört zu den fähigsten Organisatoren der Bundesrepublik." Ich konnte nicht ahnen, wie beide das weiter unter Beweis stellen würden. Einige unter uns werden sich an den Sternmarsch auf Bonn 1968 gegen die Notstandsgesetzgebung erinnern oder an den Angela Davis-Kongress 1972 in Frankfurt (mit der Abgrenzung gegenüber der RAF), andere an die großen Veranstaltungen gegen Berufsverbote wie den Antirepressions-Kongress in Frankfurt und das Russell-Tribunal zur Verteidigung der Menschenrechte 1977/78. Wieder andere haben ihre Fähigkeiten bei den Sitzdemonstrationen in Mutlangen, Fischbach, Hesselbach oder bei den phantasievollen Protestformen der Friedensbewegung kennen gelernt oder seit Jahren beim vielfältigen Engagement für Frieden und Humanität in Bosnien mitgewirkt oder mit geholfen. Es ging bei diesen Aktivitäten - das will ich noch anmerken - nicht immer um die Organisation von Kampagnen, die vom Sozialistischen Büro, dem "Komitee" oder einer sich entfaltenden sozialen Bewegung getragen wurde. Können und Professionalität haben auch dazu geführt, dass Hanne und Klaus Vack, quasi eine Institution, Kampagnen in Gang gesetzt haben, die erst darauf zielten, von einer Basis aufgenommen zu werden - und das auch taten. Vermutlich geschah das unbewusst - oder es ging darum, das "Komitee" damit nicht zu belasten. In gewisser Weise halten beide dabei Schritt mit einer Tendenz, die sich international immer mehr durchsetzt und die auch "Greenpeace" zu seinem Erfolg verholfen hat. Von ihren Fähigkeiten her könntet sie das betreiben, was man in Amerika als "public-interest-firms" bezeichnet, und dabei gegen Erfolgsanteil vielleicht Millionen verdienen. Das zeigt jedoch den Unterschied ums Ganze: Beide sind zwar Meister der Organisation; aber sie können und wollen gerade nicht für Alles und Jedes Kampagnen in Gang setzen - wie das die erwähnten amerikanischen Firmen oder auch Sekretäre stalinistischer Organisationen machen. Das, was beide hindert, so zu agieren, ist schwer in Worte zu fassen. Es ist das, weshalb die Humanistische Union ihnen einen Preis verleiht und was Hanne und Klaus Vack an die Seite von Fritz Bauer stellt. Es berührt das, was so viele dazu gebracht hat hierher zu kommen. Ich will versuchen, dies näher zu bestimmen:
Ich halte es bei einer solchen Ehrung für wichtig, nach der Kraft zu fragen, die dieses permanente politische Engagement von Hanne und Klaus Vack speist. Beide sind - das wissen alle diejenigen, die hierher gekommen sind - nicht das, was heute als "Work-" oder "Politik -Alkoholiks" bezeichnet wird. Es sind drei Mutmaßungen über Hanne und Klaus Vack, die ich hier zu skizzieren versuche: Erstens: Hanne und Klaus Vack kommen aus der Naturfreunde-Jugend. Dort haben sie sich kennen - und auch lieben - gelernt. Diese Organisation ist ein Teil der bürgerlichen und proletarischen Jugendbewegung, die um die Jahrhundertwende entstand und die unter den besonderen Bedingungen der Nachkriegszeit noch einmal relevant wurde. Wandern, Lagerfeuer, Lieder und Solidarität, kurz: eine Kultur außerhalb der Gesetzmäßigkeiten der bürgerlichen Gesellschaft, hat diese Gruppen geprägt. In dieser oder jener Form wirkte die Formel von 1913 nach: "nach eigener Bestimmung, vor innerer Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit" das Leben zu gestalten. Wer aus dieser Tradition kommt - bei der Naturfreunde-Jugend war dies verbunden mit den sozialistischen Ideal einer freien Gesellschaft - bemüht sich, den Vereinahmungstendenzen der kapitalistischen Gesellschaft ebenso zu widerstehen wie denen von Organisationen. Die Sozialdemokratie mit dem Organisationskonzept eines Herbert Wehners hat damit (weil er selbst ähnliche Erfahrungen verdrängt hatte) nichts anfangen können. In der spezifischen Prägung durch den vorpolitischen Raum solcher Jugendgruppen liegt in meiner Sicht auch ein Schlüssel für das Entstehen einer im konkreten Leben begründeten außerparlamentarischen Protestbewegung. Diese Voraussetzung für die "APO" und die folgenden Bewegungen sind bisher kaum untersucht worden. Doch Ihr seid exemplarisch dafür. Zweitens: Hanne und Klaus Vack verstehen sich - spätestens seit sie Aktive in der Naturfreunde-Jugend wurden - als Sozialisten. Doch sie haben kein ein abstraktes Modell von Sozialismus vor sich her getragen, sondern sind davon ausgegangen, dass eine andere, eine freiere Gesellschaft nur dann zum Zuge kommen kann, wenn sie hier und jetzt entwickelt wird. Auch das Wort Utopie bedeutet für diese Generation nicht die Fixierung auf ein bloßes Wunschbild, sondern eine Unbeirrbarkeit, dass die Welt verbessert werden kann. Hanne und Klaus, Euch bestimmt kein abstraktes Ziel, sondern Eure Vorstellungen von der Zukunft ruhen auf Eurem Widerstand gegen das, was nicht sein soll. Ihr habt Eure Kraft gezogen aus der Gegenposition im Konkreten und daran festgehalten, dass im Heute die Gesellschaft von Morgen entsteht. Der Name von Hanne und Klaus Vack steht zugleich - das will ich hier einschieben - für eine Linke, die sich (trotz Friedenspolitik) nicht durch Zusammenarbeit mit der SED und ihrem Machtsystem korrumpiert hat, sondern auch eingetreten ist für die Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Aus diesem Grund braucht Ihr Euch nicht zu entschuldigen oder (wie manche) im Angriff auf andere auf die eigene Vergangenheit zu schlagen. Ihr könnt selbstbewusst darauf verweisen, dass die Gewaltfreiheit der Friedensbewegung im Westen gerade in ihrer Aktionsvielfalt (an der Ihr beide großen Anteil habt) auch auf die Friedens- und Bürgerrechtsbewegung in der DDR eingewirkt hat. Hanne und Klaus Vack schöpfen - das ist nicht mehr als eine Vermutung von mir - drittens Kraft aus dem, was man als Humanität bezeichnet. Ich habe Vorbehalte gegen dieses Wort und habe lange Zeit damit gehadert, dass die Vereinigung, in die ich viel Arbeit gesteckt habe, den Namen Humanistisch proklamiert. Je älter ich werde, desto mehr bin ich überzeugt, dass wir Menschen unsere Kraft zum Handeln nie aus Menschenrechtsproklamationen und Friedenssehnsucht ziehen, sondern aus einem spezifischem Umgang mit Menschen und einen konkreten Eintreten für andere in bestimmten Situationen. Ich vermute heute: Weil Fritz Bauer das ähnlich gesehen hat, gehört der linke Sozialdemokrat zu den Mitbegründern der Humanistischen Union. Er wusste, dass selbst die besten Ziele leer werden oder sich ins Gegenteil verkehren können, wenn die Menschen, um die es geht, darin nicht mehr vorkommen. Der Zusammenhalt mit anderen und das gemeinsame Kämpfen hat Euch immer wieder Kraft gegeben. Das gilt auch für Eure Beziehung. Deshalb bekommt Ihr beide den Preis. Es ist das Leuchten in den Augen oder innere Teilnahme (man spricht dann von Menschlichkeit oder Humanität), die Ermüdung oder Resignation weg scheuchen. So steht Ihr in der Tradition von Fritz Bauer. Er würde sich über Euch beide freuen. Ihr seid in seine Fußstapfen getreten. Hanne und Klaus Vack sind für die Bundesrepublik fast zu einer Institution geworden. Das könnte dazu führen, dass der eine oder andere sagt, "die Vacks werden es schon richten". Doch wenn heute so viele alte Freunde, Mitstreiterinnen und Mitstreiter hierher gekommen sind, so ist das ein gutes Zeichen. Wir wollen Euch auch in Zukunft nicht allein lassen. Wir wollen Euch beiden dafür danken, dass Ihr Wege gefunden habt, wie wir gemeinsam handeln konnten, dass Ihr Formen entwickelt habt, die wirksam waren und in denen wir uns meist wiederfinden konnten. Diese Preisverleihung schafft einen Ausdruck dafür, Euch zu sagen, wie wichtig das war und ist, was Ihr beide macht. Dazu gehört auch - das will ich nicht vergessen, sondern besonders betonen: das bloße Eintüten der vielen Papiere, mit denen Ihr Eure Mitstreiter versorgt, das Frankieren der Post und das Eintreiben von Spenden oder Beiträgen. Die Aufgabe, das alles hier zu sagen, ist mir aufgetragen worden. Ich wünschte, es könnte noch Heinrich Albertz, Heinrich Böll, Helmut Gollwitzer oder Robert Jungk diese Laudatio halten. Ich nenne diese Namen und erinnere zugleich an die anderen, die Euch beigestanden haben, und die heute nicht mehr dabei sein können. Die Gustav Heinemann-Initiative, das Komitee für Grundrechte und Demokratie und die Humanistische Union sind gegenwärtig wieder enger zusammengerückt. Das gilt auch für die Zusammenarbeit in der von diesen Bürgerrechtsvereinigungen herausgegebene Zeitschrift "vorgänge". Es gibt zwischen uns viele Gemeinsamkeiten, unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und (auch das gehört dazu): eine freundschaftliche Konkurrenz. Aus der Sicht der Bürgerrechtsvereinigungen hat die Zahl der Aufgaben zugenommen. Es wird deutlich, dass es bei manchen Grundrechtsverletzungen immer schwieriger wird, diese zu vermitteln und deutlich zu machen, dass es um die Sache eines jeden geht. Es gibt Grundrechte, die können Bürgerinnen und Bürger nicht einfach in Besitz nehmen. Eine Preisverleihung wie diese gibt uns die Chance, einen Moment inne zu halten und über uns nachzudenken. Ein solches Nachdenken will ich auch mit dem Satz anregen: Hanne und Klaus Vack haben viel dazu beigetragen, die Flamme am Brennen zu halten, um die es auch Fritz Bauer ging, und die um Demokratie, Menschenrechte und des Friedens willen immer wieder Nachfolger finden muss, wenn sie nicht verlöschen soll. Quelle: vorgänge 136 (Heft 4/1996) S. 107- 111. Veröffentlicht amArtikel ausdruckenWeitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von |
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